Dialyse aktuell 2012; 16(3): 160
DOI: 10.1055/s-0032-1311829
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

”Gender Medicine“ in der Nephrologie

Sylvia Stracke
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Publication Date:
04 April 2012 (online)

”Gender Medicine“ ist ein ”denglischer“ Ausdruck – es gibt keine gute deutsche Übersetzung dieses englischen Begriffs. ”Gender“ meint das soziale Geschlecht – es handelt sich im Gegensatz zum biologischen Geschlecht um eine Geschlechterrolle, die in einer bestimmten Kultur mit bestimmten Merkmalen assoziiert wird. Menschen werden ”typisch männliche“ bzw. ”typisch weibliche“ Rollen zugeordnet. Häufig geht dies mit einer Bewertung der Geschlechterrolle einher. Gender ist also das von sozialen und kulturellen Umständen abhängige Geschlecht. In der Gender Medicine werden soziale, psychologische, aber auch biologische Geschlechterunterschiede näher untersucht.

In dieser Ausgabe der Dialyse aktuell stellen wir Ihnen im Beitrag von PD Heike Bruck, Essen, die biologischen Grundlagen für geschlechtsspezifische Unterschiede bei Nierenkrankheiten vor. Geschlechtshormone haben Wechselwirkungen mit vielen Systemen des Körpers, die renale und kardiovaskuläre Funktionen und Risikofaktoren sowie auch den Verlauf einer Nierenerkrankung beeinflussen können. Es fehlen allerdings bisher große, randomisierte Studien, die geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich Pathogenese und Progression sowie therapeutischer Beeinflussbarkeit von Nierenkrankheiten einschließlich hormonmodulierender Therapien untersuchen.

Dialysepflichtige Frauen und Männer haben eine höhere Prävalenz einer sexuellen Dysfunktion als die Normalbevölkerung. Im Beitrag von Prof. Markus Giessing, Düsseldorf, erfahren Sie, dass Diagnostik und Therapie der erektilen Dysfunktion bei Dialysepatienten identisch ist wie bei nicht dialysepflichtigen Männern. Die Art der Dialyse (Hämo- vs. Peritonealdialyse) hat keinen Einfluss auf die sexuelle Dysfunktion – anders als bei dialysepflichtigen Frauen: Hier hat die Peritonealdialyse Vorteile bezüglich der sexuellen Funktion. Eine Nierentransplantation bessert die sexuelle Funktion für beide Geschlechter. Sexualität bedeutet Lebensqualität und sollte von den Ärzten aktiv erfragt werden.

Im Greifswalder Beitrag lesen Sie, dass die Sterblichkeit dialysepflichtiger Frauen trotz einer geringeren Mortalität von Frauen in der Allgemeinbevölkerung vergleichbar hoch ist wie die Sterblichkeit dialysepflichtiger Männer. Eine kürzere Dialysedauer bei Frauen wurde in mehreren großen Registerstudien belegt, ebenso wie eine geringere Anzahl an funktionierenden Hämodialysefisteln. Dialysepflichtige Mädchen und Frauen haben in jedem Lebensalter eine geringere Wahrscheinlichkeit, auf die Warteliste für die Nierentransplantation zu gelangen als dialysepflichtige Jungen oder Männer. Frauen haben eine höhere Wahrscheinlichkeit für einen späteren Dialysebeginn als Männer. Die Ursachen für all diese Phänomene sind heterogen und noch wenig erforscht.

Im Beitrag von Dr. Margret Patecki, Hannover, lesen Sie von Störungen des Knochen- und Mineralstoffwechsels, welche für alle Dialysepatienten ein häufiges und schwerwiegendes Problem sind. Frauen an der Dialyse haben allerdings ein deutlich erhöhtes Frakturrisiko im Vergleich zu Frauen der Allgemeinbevölkerung und auch im Vergleich zu dialysepflichtigen Männern. Möglicherweise ist eine sich frühzeitig manifestierende Osteoporose bei Frauen ein zusätzlicher Risikofaktor – zusätzlich zur renalen Osteopathie, welche alle Dialysepatienten betrifft.

Ich freue mich, diese Ausgabe der Dialyse aktuell als Gasteditorin mitbetreuen zu können und wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre.

PD Dr. med. et MME Sylvia Stracke, Greifswald