Dialyse aktuell 2012; 16(3): 137
DOI: 10.1055/s-0032-1311828
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Mehr als eine Randnotiz wert

Christian Schäfer
Further Information

Publication History

Publication Date:
04 April 2012 (online)

Sie sind spannend und Stiefkinder zugleich: Die Themen am Rande von Fachgebieten in der Medizin. Wie die Bezeichnung ”Randgebiet“ schon sagt, gehören sie (noch nicht) zu den klassischen Fachgebieten der Humanmedizin wie es zum Beispiel die Innere Medizin oder die Chirurgie schon lange sind. Zu den Randthemen in der Medizin gehörte lange auch die ”Gender Medicine“ – also die Humanmedizin unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten. Hierbei betrachten Ärzte ihre Patienten nicht nur durch die ”biologische Brille“, um geschlechtstypische Merkmale und Symptome zu unterscheiden. Es geht auch darum, psychologische und soziale Differenzen der Geschlechter in die Prävention, Diagnose und Therapie zu integrieren. Es überrascht nicht, dass dieses detaillierter betrachtete Bild der Krankheitsentstehung und -therapie vor allem den hierbei eher vernachlässigten Frauen zugute kommt – aber auch Männer profitieren davon.

Die Gender Medicine umfasst verständlicherweise eine große Vielfalt an Fachgebieten. Wie so oft bei solch unscharf definierten Disziplinen dauerte es relativ lange, bis man sich dem Ganzen offiziell annahm und es die Gender Medicine schaffte, aus den Randnotizen herauszukommen: Im Jahre 1998 erklärte die WHO in ihrem ”The World Health Report“, dass es dringend notwendig sei, die schlechte Studienlage bei geschlechtsspezifischen Krankheitsverläufen, Alterungsprozessen und psychosozialen Mechanismen zu ändern, um eine bessere medizinische Versorgung zu ermöglichen.

Seither und vor allem in den letzten Jahren gab es erfreulicherweise einige Forschritte zu vermelden – die Zahl der Studien zur Gender Medicine erhöht sich stetig und auch die Aufmerksamkeit der Ärzte richtet sich mehr und mehr auf dieses Thema. Somit haben immer mehr Menschen einen Zugang zu geschlechtsspezifischen Präventions- und Therapiemaßnahmen. Dies ist nicht zuletzt der Verdienst der Arbeit von Organisationen wie zum Beispiel der WHO, der ”Deutschen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin e. V.“ (DGesGM), die es seit 2007 gibt, und des Dachverbands ”The International Society for Gender Medicine“ (IGM), den eine interdisziplinäre Gruppe von Visionären vor wenigen Jahren gegründet hatte.

Natürlich ist noch viel zu tun, um alle Bereiche der Medizin ganz zu erfassen, die Gender Medicine in den Köpfen der Mediziner weltweit fest zu verankern und Therapien auf einer gesicherten Datenbasis weiter zu etablieren. Der Weg ist aber zumindest eingeschlagen, um die positiven ersten Tendenzen und Errungenschaften zu stärken. Wir möchten mit dieser Ausgabe der Dialyse aktuell ebenfalls hierzu beitragen: Wir wollen Ihnen mit unserem Schwerpunktheft den nephrologischen Teil der Gender Medicine vorstellen. Schauen Sie doch einmal in die interessanten Beiträge ab Seite 158.

Apropos – wenn Sie sich zu einem weiteren in der Nephrologie eher vernachlässigten Thema informieren wollen, lesen Sie einfach den Artikel in der Rubrik ”Magazin“ auf Seite 157: Vor Kurzem begann die weltweit erste klinische Präventionsstudie zur Therapie des Alport-Syndroms bei Kindern. Die Universitätsmedizin Göttingen leitet und koordiniert die Studie ”EARLY PRO-TECT Alport“ mit Unterstützung des Instituts für anwendungsorientierte Forschung und klinische Studien GmbH (IFS) Göttingen. Dies ist eine sehr sinnvolle Sache, da Ärzte die Medikamente bisher nur ”off label“ einsetzen können: Diese ACE-Hemmer gelten zwar nach Daten aus der Grundlagenforschung und aus dem Alport-Register als große Hoffnungsträger, deren Nutzen und Risiken bei der Behandlung von Kindern sind aber bisher einfach noch nicht erforscht.

Einen aufschlussreichen Ausflug an die Ränder der Nephrologie mit dieser Ausgabe der Dialyse aktuell wünscht Ihnen Ihr

Christian Schäfer,

Stuttgart