Hebamme 2012; 25(3): 152
DOI: 10.1055/s-0032-1310464
Editorial
Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Die Sectio im Wandel der Zeit

Franz Kainer
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Publication Date:
19 September 2012 (online)

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Der erste Kaiserschnitt, der urkundlich dokumentiert in Deutschland durchgeführt wurde, erfolgte am 22. April 1610 um 16.00 Uhr in Wittenberg. Der Arzt Jeremias Trautmann hatte die Ehefrau des Böttchers Martin Opitz per Sectio entbunden, wobei Mutter und Kind überlebten. Bis ins 19. Jahrhundert verstarben die Frauen jedoch meist qualvoll trotz oder gerade wegen der Operation.

Allerdings waren die Alternativen auch nicht besser: Bei einer verschleppten Querlage mit Uterusruptur war es nur eine Frage der Zeit, bis die Frau nach dramatischen Stunden endlich verstarb. Etwas rascher und schmerzärmer war der Tod aufgrund einer massiven Blutung bei einer Placenta praevia. Qualvoller war der Tod sicher beim Vorliegen eines absoluten Schädel-Becken-Missverhältnisses, bei dem erst die Blutung nach Uterusruptur die Gebärende von den Schmerzen erlöste. Auch schwere Geburtsverletzungen waren verständlicherweise viel häufiger, da das Kind ja auf jeden Fall vaginal kommen musste.

Für das Kind war die Situation nicht weniger dramatisch, wenn auch emotional einfacher, da das Kind ja nicht wusste, dass man ihm einfach bei Problemen unter der Geburt mit einer Eisenzange die Schädeldecke aufbrechen wird, damit man das Gehirn entfernen kann. Naegele schreibt noch 1847 in seiner Schrift „Zur Methodologie der Geburtshülfe“: „Ziel der zerstückelnden Operationen ist es, durch Verkleinerung des Geburtsobjektes das Geburtshindernis zu überwinden.“ Dieses Verfahren wurde bei zu großen Kindern und natürlich bei der Beckenendlagengeburt damals angewandt. Es versteht sich von selbst, dass die Zerstückelungsoperationen beim lebenden Kind damals ohne Narkose durchgeführt werden mussten.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die posteroperativen Ergebnisse mit der Naht der Uterotomie deutlich besser. Der Leipziger Gynäkologe Paul Zweifel konnte 1897 über 100 Kaiserschnittoperationen berichten, von denen nur 3 Frauen verstorben waren. Das wurde damals als ein sensationelles Ergebnis gewertet. Durch Verbesserungen der Operations- und Anästhesietechniken in den letzten 100 Jahren wurde die Sectio zu einem sicheren Verfahren, das keine wesentlichen gesundheitlichen Nachteile für die Frau mehr darstellt. So betrachtet ist die Sectio zweifelsohne eine der größten Erfolgsgeschichten, die es in der Medizin je gab.

Diese Tatsache sollte man nicht aus den Augen verlieren, wenn man über die Sectio diskutiert. Es wird vielfach übersehen, dass die Möglichkeit der Sectio wahrscheinlich der wichtigste Faktor einer angstfreien Geburt ist. Allerdings sind die Vorteile der Sectio ausschließlich für die Fälle mit einer klaren Indikation belegt.

Die Nachteile der Sectio werden umso augenscheinlicher, wenn man dadurch eine problemlose Spontangeburt verhindert. Hier ist ein berechtigter Anlass zum Klagen über die steigende Sectiorate. Es ist nicht nachvollziehbar, dass geburtshilfliche Abteilungen ohne Risikoschwangerschaften, aber mit einem hohen Anteil an Privatpatientinnen, Sectioraten von 50 % und mehr zu verzeichnen haben. Hier sollte entschieden darauf hingewiesen werden, dass Bequemlichkeit und finanzielle Überlegungen ein möglicher Grund für die hohen operativen Entbindungsraten darstellen.

In Zukunft sollte weniger über die absolute Sectiorate diskutiert werden, sondern viel mehr darüber, inwieweit die Indikationen zur Operation nachvollziehbar sind. Durch die Zunahme der Frühgeburtlichkeit, der Mehrlingsschwangerschaften und der älteren Frauen mit makrosomen Kindern ist ein Anstieg der Sectiorate nachvollziehbar. Eine Sectiorate von 40 % kann bei einem entsprechenden Risikokollektiv durchaus sinnvoll sein. Eine der Hauptaufgaben wird es in den nächsten Jahren sein, alles zu versuchen, dass nur die Frauen eine Sectio bekommen, für die der Kaiserschnitt die deutlich bessere Option ist.

Ein wichtiger Schritt dazu ist eine ausführliche Beratung bereits während der Schwangerschaft und dabei hat die Hebamme eine herausgehobene Verantwortung. Dieses Heft liefert Ihnen Daten und Hintergrundwissen für die Beratung.

Ihr

Prof. Dr. med. Franz Kainer