Suchttherapie 2012; 13(02): 81-89
DOI: 10.1055/s-0032-1309020
Schwerpunktthema
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zwangs- und Quasi-Zwangskontexte der Behandlung von süchtigen Männern und Frauen in Deutschland: Ein Überblick

Coercion and Quasi-Compulsory Settings in the Treatment of Substance Dependent Men and Women in Germany: a Review
I. Vogt
1   Institut für Suchtforschung Frankfurt
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
09 May 2012 (online)

Preview

Zusammenfassung

Untersucht man die Zugangswege von Männern und Frauen mit Problemen mit Alkohol und anderen Drogen in die Suchthilfe, dann wird sehr schnell klar, dass formaler und institutioneller Druck wichtige Variablen bei der Entscheidung für eine Suchtbehandlung sind. In diesem Beitrag werden Zwangs- und Quasi-Zwangs- Behandlungen genauer untersucht. In Deutschland finden Zwangsbehandlungen im engeren Sinn im Maßregelvollzug statt. In diesem Kontext ist die Autonomie der Klientel in fundamentaler Weise einschränkt. Der Zwang ist weniger offensichtlich in Quasi-Zwangskontexten, in denen die Klientel über mehr Entscheidungsfreiheit verfügt. Folgende Beispiele sind typisch für Quasi-Zwangskontexte: eine Drogentherapie anzufangen um eine Gefängnisstrafe wegen Drogendelikten zu vermeiden („Therapie statt Strafe“); eine Alkohol- oder Drogenbehandlung aufzunehmen um den Führerschein wiederzuerlangen oder um den Arbeitsplatz zu erhalten, wenn der Arbeitgeber mit Entlassung droht; und schließlich um den vollen Satz der Sozialhilfe zu bekommen, wenn die Arbeitsagentur eine entsprechende Behandlung für zwingend ansieht. Untersucht man die Effektivität der Zwangs- und Quasi-Zwangsbehandlungen ergibt sich ganz pauschal, dass bis zu 50% der Klientel davon profitiert. Studien weisen darauf hin, dass die Erfolgsraten auch in diesen Settings weiter verbessert werden können. Einmal mehr kommt eine besondere Bedeutung der therapeutischen Allianz zwischen Behandlern und Behandelten zu, die unter Berücksichtigung der Restriktionen des jeweiligen Settings unterschiedlich ausgestaltet werden kann. Dafür sind entsprechende theoretische Modelle zu entwickeln, die in der Praxis auf ihre Effektivität untersucht werden müssen.

Abstract

The study of the pathways of men and women with substance use disorders into drug treatment shows quite clearly that formal and institutional pressures are important variables regarding the decision to enter substance use treatment. The review describes coercive and quasi-compulsory substance use treatment in more detail. In Germany, besides others, coercive substance use treatment takes place in high security prisons. The setting restricts the autonomy of the clients fundamentally. Coercion is less obvious in quasi-compulsory settings which give the clients some freedom of choice. The following examples are typical of quasi-compulsory setting: entering drug treatment on formal order instead of serving time in prison due to drug-related criminality (“treatment instead of imprisonment”); engaging in alcohol or drug treatment to get back one's driver license or to stay on the job when employers threaten with lay-offs; and finally to get the bonuses of welfare payments when public placement offices threatens with financial sanctions if clients do not start substance use treatment. Studies which evaluate the effects of coercive and quasi-compulsory alcohol- and drug treatments show that up to 50% of the clients profit from it. There are indications on how to improve the effects of substance use treatment within such setting. Once again, the therapeutic alliance between treatment personnel and clients is of foremost importance which needs to be modeled according to the restrictive settings. Therefore, models on how to improve the therapeutic alliance in coercive and quasi-compulsory settings are badly needed and their effects need to be studied in practice.