PPH 2012; 18(02): 64
DOI: 10.1055/s-0032-1307680
PPH|Szene
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Brunos Welt

Best Practice ist, … daran zu glauben!
Bruno Hemkendreis
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Publication Date:
22 March 2012 (online)

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In Fortbildungen für psychiatrische Pflegekräfte stelle ich immer wieder gerne die Frage: „Welche Art der Behandlung würdet Ihr für Euch wählen, wenn Ihr an einer Psychose oder einer Depression erkrankt?“ Meine Erfahrung ist, dass eine große Mehrheit Psychopharmaka ablehnt und sich stattdessen Gespräche wünscht. Ob diese Gespräche psychotherapeutisch orientiert oder eher im Freundes- oder Familienkreis stattfinden sollen, bleibt meistens undifferenziert. Als besonders wichtig wird immer wieder betont, dass man die Kontrolle über die Behandlung behalten möchte. Psychopharmaka – besonders Neuroleptika – scheinen diese Bedingung zu gefährden.

Matthias Angermeyer hat 1994 eine repräsentative Umfrage nach der „richtigen“ Behandlung von Angst, Depressionen und schizophrenen Psychosen veröffentlicht: „Für die Fachleute sind Neuroleptika und Antidepressiva die Mittel der Wahl; für die Öffentlichkeit sind es Psychotherapie, Entspannung, Naturheilmittel und erst danach – gleichauf mit Yoga und Akupunktur – Psychopharmaka.“

Aus meiner Erfahrung mit psychisch erkrankten Mitarbeitern muss hier allerdings differenziert werden: Fachleute sehen Psychopharmaka als Mittel der Wahl für ihre Patienten, nicht jedoch für sich selbst, sollten sie einmal erkranken.

Es kommt aber noch schlimmer: diejenigen Profis, die sich gut mit psychotherapeutischen Methoden auskennen, lehnen oftmals auch diese ab, wenn es um sie selbst geht. Zitat: „Mir soll ja keiner mit diesem Psycho-Gelaber kommen, dann gehe ich sofort an die Decke“.

Und dann ist da ja auch noch der „Schulenstreit“ zwischen der biologischen, psychologischen und sozialen Psychiatrie, der psychoanalytischen und der Verhaltenstherapie. Es gibt ein medizinisches, psychologisches oder soziales Krankheitsverständnis. Oft existieren diese Ansätze nicht ergänzend, komplementär nebeneinander, sondern sie kämpfen gegeneinander. Für etliche „Neulinge“ in der psychiatrischen Arbeit – aber erst recht für die Patienten – kann das nur den Eindruck hinterlassen, dass man in der Psychiatrie nie sicher sein kann, was eigentlich richtig ist.

Zugegeben, das Bild, das ich hier gemalt habe, ist etwas düster und scheint verwirrend. Mir zeigt es allerdings auch, wie extrem spannend psychiatrische Pflege ist. Ich muss – wenn ich diese Arbeit gut machen möchte – differenzieren und reflektieren, und ich darf und muss mich tatsächlich persönlich einbringen.

Best Practice heißt für mich, dass ich das, was ich meinem Patienten empfehle oder angedeihen lasse, auch für mich in Anspruch nehmen würde. Nur so kann ich authentisch sein. Genau diese Glaubhaftigkeit wünsche ich mir von meinem Behandler, wenn ich krank würde. Es wäre der GAU, der größte anzunehmende Unfall, wenn ich merkte, dass er mir eine Behandlung verordnet, die er für sich selbst ablehnt.

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