? Viele Transplantationsmediziner wünschen für alle Generika zur Immunsuppression
den Nachweis der vergleichbaren Bioverfügbarkeit zum Original unter klinischen Bedingungen,
da sie in einer kritischen Indikation zur Anwendung kommen. In diesem Zusammenhang
wird oft auch von "Pharmaka kritischer Dosierung" bzw. "Critical Dose Drugs" gesprochen.
Prof. Sunder-Plassmann, als Facharzt betreuen Sie viele nierentransplantierte Patienten
und sind für deren Immunsuppresssion zuständig – teilen Sie diese Auffassung?
Prof. Gere Sunder-Plassmann: Die Immunsuppression ist eine kritische Indikation. In diesem Sinne muss ich auf
2 Dinge hinweisen: Erstens verwendet die von Experten der europäischen Zulassungsbehörde
EMA ("European Medicines Agency") herausgegebene Guideline zur Untersuchung der Bioäquivalenz
[
5
] den Begriff "Narrow Therapeutic Index Drugs" (NTID) [
5
] – diesen sollte man anstelle von "Critical Dose Drugs" anwenden. Das trägt zur Versachlichung
bei.
Zweitens wird MMF von der EMA nicht als NTID eingestuft. Es ist eher umgekehrt: Die
Serumspiegel von MMF schwanken beim gleichen Patienten, also intraindividuell, von
Dosis zu Dosis und Tag zu Tag innerhalb des therapeutischen Fensters beträchtlich.
Die erwähnte Guideline [
5
] spricht dabei von "Highly Variable Drugs" [
5
]. Davon ist Cmax natürlich betroffen – sein Variationskoeffizient beträgt 30–60 %. Diese Schwankungen
treten gleichermaßen unter dem Original und unter dem Generikum auf. Beim Wechsel
vom MMF-Original zum MMF-Generikum werden diese Schwankungen nicht bedeutender.
? Sind diese Schwankungen eine Erklärung dafür, dass Cmax in Ihrer Cross-over-Vergleichsstudie für Myfenax® und CellCept® nicht exakt deckungsgleich
sind?
Sunder-Plassmann: Für die Bioverfügbarkeit ist die MMF-Gesamtexposition, also die AUC, im genannten
Vergleich entscheidend. Und die Ergebnisse für die AUC ("area under the curve") waren
in unserer Studie hervorragend (Abb. [
2
]). Für Cmax lag das untere Limit des 90-%-Konfidenzintervalls um wenige zehntel Prozent unter
der Akzeptanzgrenze. Das war auch zu erwarten bei einem Variationskoeffizienten für
MMF bezüglich Cmax von 30–60 %, zumal die Rekrutierung für die Studie vorzeitig gestoppt worden war
und mit nur 47 statt der geplanten 100 Patienten durchgeführt wurde.
Nach der Fallzahlplanung unter Berücksichtigung der hohen Variabilität von Cmax für MMF sollten mindestens 80 Patienten in die Studie randomisiert werden. 100 Patienten
waren das Ziel, da wir wegen des hohen Aufwands für die Studienteilnehmer mit Studienabbrechern
rechneten. Immerhin mussten die Patienten 2-mal zur Bestimmung der Pharmakokinetikparameter
je einen ganzen Tag in der Klinik verweilen – wenn sie von weiter her kamen sogar
mit einer Übernachtung. Wegen dieses Aufwands erwies sich die Rekrutierung am Ende
als so schwierig, dass sie vorzeitig beendet wurde. Im Hinblick dessen, dass die Studie
nur rund die Hälfte der Patienten hatte, die als statistisch erforderlich erachtet
worden waren, und dass MMF ein "Highly Variable Drug" ist, ist es für die klinische
Anwendung bedeutungslos, dass Cmax des Generikums die Deckungsgleichheit zur Cmax des Originals knapp verfehlt hat.
? Was bedeutet das alles für die Bioverfügbarkeit von Myfenax® und CellCept®?
Sunder-Plassmann: Die Cross-over-Vergleichsstudie zeigt, dass die Immunsuppression mit dem Generikum
und dem Original aus medizinischer Sicht im Alltag von Klinik und Praxis vergleichbar
gut wirksam, verträglich und auch verlässlich ist. Und sie belegt, dass eine Umstellung
von dem Generikum auf das Original und umgekehrt im Dosierungsverhältnis 1:1 von heute
auf morgen einfach und sicher möglich ist.
Zu Ihrer Frage nach der Bioäquivalenz muss ich Folgendes anmerken: Bioäquivalenzstudien
werden entsprechend der schon erwähnten Guideline [
5
] mit jungen, gesunden, meist männlichen Probanden gemacht, die dazu Einzeldosen erhalten,
damit man verlässlich nachweisen kann, dass 2 wirkstoffgleiche Arzneimittel hinsichtlich
ihrer Plasmaspiegelverläufe äquivalent sind.
Insofern handelt es sich bei unserer Studie per Definition nicht um eine Bioäquivalenzstudie,
denn wir hatten keine Probanden, sondern Patienten rekrutiert. Manche von ihnen nahmen
zusätzlich zur Prüfmedikation noch andere Arzneimittel zur Therapie von Begleiterkrankungen
ein. Außerdem wurden die Pharmakokinetikparameter nicht nach einer unter Arztaufsicht
einmalig gegebenen MMF-Einzeldosis bestimmt, sondern nach der Dauermedikation, sodass
die Compliance der Patienten in unserer Studie nicht mit der Compliance der Probanden
einer Bioäquivalenzstudie vergleichbar ist.
Im Übrigen ist MMF – wie gesagt – ein "Highly Variable Drug". Für solche Wirkstoffe,
deren Wirkspiegel in weiten Grenzen schwanken, ohne dabei in Bereiche von Toxizität
oder Wirkungslosigkeit zu gelangen, sieht die Guideline zur Untersuchung der Bioäquivalenz
[
5
] eine mögliche Erweiterung der Akzeptanzgrenzen für das 90-%-Konfidenz-Intervall
von Cmax vor, und zwar von 80,00–125,00 % bei einem intraindividuellen Variationskoeffizienten
von 30 % auf bis zu 69,84–143,19 % bei einem Koeffizienten von 50 % oder höher [
5
]. Insofern würde Cmax auch in unserer Studie die von der Behörde geforderten Bioäquivalenzkriterien treffen.
Aber wie gesagt, unsere MMF-Studie war keine Bioäquivalenzstudie.
? Für wie wichtig halten Sie einen solchen klinischen Beleg für die Austauschbarkeit
von Generikum und Original, wo die zur Zulassung des Generikums Myfenax® geforderten
Bioäquivalenznachweise doch längst erbracht wurden?
Sunder-Plassmann: Ich persönlich würde so eine Studie mit Patienten nicht brauchen. Denn wissenschaftlich
betrachtet ist der Nachweis der Bioäquivalenz nach der erwähnten Guideline [
5
] vollkommen ausreichend.
Doch wünschen sich viele Transplantationsmediziner solche Vergleichsstudien zwischen
Generikum und Original. Diesem Wunsch ist Teva als Hersteller von Generika zur Immunsuppression
schon mehrfach nachgekommen – das finde ich durchaus wichtig. Denn es hilft, die Furcht
vor der Verordnung von Generika zur Immunsuppression zu zerstreuen.
Umgestellt wird aus Kostengründen, denn die Generika sind doch günstiger als die Originale.
In Deutschland kommt dazu, dass die Zuzahlung für die Patienten entfällt. Wenn man
dem Patienten erklärt, dass er durch die Umstellung auf ein Generikum die gleiche
Menge des gleichen Wirkstoffs erhält, und dass man das als Arzt für unproblematisch
hält, stimmen die meisten Patienten der Umstellung zu. Ich selbst habe viele Patienten,
darunter auch Mediziner, entsprechend umgestellt – basierend allein auf den verfügbaren
Daten aus Bioäquivalenzstudien.
Dabei ist die Bestimmung der MMF-Serum-Spiegel zur Umstellung nicht erforderlich.
Ein solches "Therapeutic Drug Monitoring" hat sich seit Einführung von MMF im Jahr
1995 nicht durchgesetzt – ein Nutzen konnte nicht nachgewiesen werden. Was sollte
man auch tun, wenn der Spiegel heute niedrig ist und morgen auch ohne Dosisänderung
wieder hoch? Die MMF-Serum-Spiegel für die Teilnehmer an der Cross-over-Vergleichsstudie
haben wir auch erst am Ende der Studie erfahren – für die Behandlung selbst spielten
sie keine Rolle.
! Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Gere Sunder-Plassmann.