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DOI: 10.1055/s-0031-1301142
Extralaryngeale Ursachen von Dysphonien – der Blick über den Tellerrand
Publication History
Publication Date:
23 January 2012 (online)

? Per-Åke Lindestad, Sie beschäf-tigen sich als einer der renommiertesten schwedischen Phoniater schon lange intensiv mit stimmgestörten Patienten. Welchen Zusammenhang sehen Sie in Ihrem klinischen Alltag zwischen Infekten der oberen Atemwege und einer Heiserkeit?
Dass eine Infektion der oberen Atemwege (paranasale Sinus und Epipharynx) zu einer
Kehlkopfentzündung mit daraus resultierender Heiserkeit führen kann, steht in jedem
Lehrbuch. Jedoch basiert diese Darstellung hauptsächlich auf klinischen Beobachtungen,
die wissenschaftlich nicht sehr gut belegt sind. Wie jeder schon am eigenen Leib erfahren
hat, verursacht eine "normale" Erkältung häufig eine Heiserkeit. Andererseits ist
es mein Eindruck, dass eine chronische Entzündung der Nasennebenhöhlen selten zu einer
chronischen Heiserkeit führt. Häufiger sieht man einen andauernden Husten, der vermutlich
durch ein Herabfließen von Schleim an der Rachenhinterwand bei subakuten Entzündungen
verursacht wird. Dieser Husten wiederum kann Stimmprobleme verursachen.
Ein häufiges und bedeutsames Problem ist aus meiner Sicht eine länger andauernde Heiserkeit
nach einem banalen Infekt. Sänger bezeichnen diesen Zustand häufig als "Luftröhrenentzündung".
Die typischen Symptome sind eine Stimmermüdung und eine Heiserkeit, die nach etwa
10–15-minütigem Singen auftritt. Wenn man nach 3–4 Wochen einen Abstrich aus dem Nasenrachenraum
macht, findet man häufig eine bakterielle Besiedlung mit Hemophilus influenzae, Branhamella
catharralis oder Diplococcus pneumoniae.
? Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen Operationen im Vokaltrakt und der Stimmfunktion?
Gelegentlich berichten Sänger von phoniatrischen Einschätzungen, dass sich die Stimme
bei einer Mandel-OP oder einer Uvula-Palato-Plastik verändern kann. Wenn der Sänger
jemand ist, der in seiner Ausbildung noch wenig fortgeschritten ist, ist das Risiko
vermutlich sehr gering. Aber falls der Künstler ein Profi mit einer internationalen
Karriere ist, sollte man vorsichtig sein und sorgfältig die Probleme einer möglichen
Operation abwägen. Eine Modifikation der Konfiguration im Rachenraum kann eine Formantänderung
ergeben. Hauptsächlich wird der Sänger selbst spüren was in diesem Bereich vorgeht.
Aus medizinischer Sicht sind die häufigsten Probleme infolge einer gestörten Interaktion
zwischen Stimmlippen und Vokaltrakt eine chronische Kehlkopfentzündung mit ventrikulärer
Hypertrophie oder übermäßiger Adduktion der Stimmlippen, welche zu einer gedämpften
Weiterleitung des Klanges im Kehlkopfeingang führt oder sogar zu einer Taschenfaltenstimme,
welche den Klang in komplexer Weise behindert.
Das 3. naheliegende Beispiel ist natürlich der nasale Klang bei einem offenen Gaumensegel.
Es hat sich gezeigt, dass Sänger dramatischer Opernpartien, die gesangstechnisch das
"Decken" anwenden, das Gaumensegel absenken können ohne nasal zu klingen.
? Wie beeinflußen die äußeren Muskeln die Stimmfunktion?
Das Zusammenspiel zwischen den geraden Halsmuskeln und den größeren seitlich gelegenen
Muskeln ist klar. Einige dieser Muskeln im vorderen Halsbereich – genauso wie die
unteren Schlundschnürer – haben Ansatzpunkte an den Kehlkopfknorpel. Daher scheint
es logisch, dass Massieren und Dehnen der Muskeln bei Stimmsymptomen helfen würde.
Klinisch sind diese Muskeln schwer zu erreichen, aber sie können vielleicht beeinflusst
werden, wenn der Kehlkopf gedreht und zur Seite bewegt wird. Wie jeder klinisch weiß,
werden die inneren Kehlkopfmuskeln vom N. vagus versorgt. Weniger bekannt ist, dass
den Kehlkopf außen umgebenden Muskel (M. sternothyreoideus, M. thyrohyoideus, M. sternohyoideus)
– auch gerade Halsmuskeln genannt – von den Segmenten C2 und C3 der Halswirbelsäule
angeregt werden. Die großen Halsmuskeln M. sternocleidomastoideus und M.trapezius
werden vom N. accessorius versorgt, welcher aus den Segmenten C1–C5 stammt, wo sich
auch der Kern dieses Nerven befindet. Darüber hinaus erstreckt sich der untere Anteil
des Trigeminuskerns bis zum Segment C5 und nimmt dadurch Informationen über Schmerzen
und Temperatur aus dem Bereich des oberen Halses auf. Und schließlich wird auch die
Tiefensensibilität der Zunge (die Propriozeption) über das Segment C2 und C3 zum Gehirn
geleitet.
Warum ist dies wichtig? Es gibt uns einen Hinweis darauf, dass wir wahrscheinlich
auch die Kehlkopffunktion beeinflussen, wenn wir an diesen Muskeln manipulieren. Wenn
Schmerzen und Verspannungen in diesem Bereich durch Manipulation der äußeren Halsmuskeln
behandelt werden, ist anzunehmen, dass sich über die beschriebenen neuronalen Vernetzungen
auch Effekte auf die inneren Strukturen des Kehlkopfs wie Muskeln, Sehnen und Bändern
vermitteln. Bedauerlicherweise ist die manuelle Medizin in Schweden in der Stimmtherapie
bisher nur wenig verankert, aber ich schicke regelmäßig Patienten zu Therapeuten,
die diese speziellen Techniken beherrschen.
? Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach Allergien bei der Entstehung von Dysphonien?
Als ich meine Ausbildung zum Phoniater gemacht habe, wurden Allergien nicht als ein bedeutsamer Faktor für die Entstehung von Stimmproblemen angesehen. Heute wird diese Möglichkeit öfters in Erwägung gezogen. Bei einer Allergie der oberen Atemwege ist die gesamte Schleimhaut mit betroffen, obwohl Teile des Systems wie Nase und Lunge stärker reagieren. Der Kehlkopf scheint bei Allergikern weniger direkt betroffen zu sein, jedoch scheint die Empfindlichkeit gegenüber anderen Agentien und hinsichtlich einer mechanischen Überlastung ausgeprägter zu sein. Dies bedeutet, dass bei Allergikern durch Rauchen und Stimmüberlastung schneller eine Dysphonie entsteht als bei Nichtallergikern. Eine reine "allergische" Dysphonie ist meiner Erfahrung nach nicht häufig.
? Und Erkrankungen aus rheumatischen Formenkreis?
Bei Patienten, die eine rheumatische Erkrankung haben, ist diese meist bereits bekannt,
bevor sie in unsere Abteilung kommen. Wenn diese Patienten unter einer Heiserkeit
leiden, liegt der Verdacht auf einen Zusammenhang dieses Symptoms mit der Grunderkrankung
nahe. Nach unserer Erfahrung gibt es 2 recht häufige Formen: rheumatoide Verdickungen
der Stimmlippen und eine subglottische Stenose durch eine Wegenersche Granulomatose.
Fixierte Stimmlippen können bei chronischen Gelenkerkrankungen auftreten, aber sie
sind häufiger bei einem akuten Rheumaschub mit begleitenden entzündlichen Veränderungen
im Larynx. Natürlich kann ein Patient mit einer Autoimmunerkrankung auch einen Stimmlippenstillstand
anderer Genese haben. Um die Ursache zu klären, kann eine Elektromyografie (EMG) der
Larynxmuskulatur hilfreich sein, welches im Falle einer gelenkbedingten Bewegungseinschränkung
normal sein sollte.
? Welche Wertigkeit hat aus Ihrer Sicht ein gastropharyngealer Reflux auf Stimmbeschwerden?
Vor 20 Jahren war keinem von uns bewusst, dass ein Reflux zu einer Heiserkeit oder
einer chronischen Laryngitis führen kann. Wir sahen die Schleimhautveränderungen im
hinteren Bereich des Kehlkopfes und des Pharynx, die heute als Folge des Reflux angesehen
werden, ohne darauf zu reagieren oder den Reflux zu behandeln. Meiner Meinung nach
wurden in den letzten Jahren aufgrund der indirekten Zeichen im Larynx zu viele Refluxerkrankungen
diagnostiziert, aber wir kommen hier aktuell zu einer realistischeren Einschätzung
und rationaleren Vorgehensweise.
Es gibt Studien, die einen Zusammenhang zwischen den Veränderungen im Kehlkopf und
objektiven Messungen mittels pH-Metrie zeigen können, jedoch sind diese Zusammenhänge
eher schwach ausgeprägt. Auch der Effekt von Protonenpumpeninhibitoren (PPI) auf die
Veränderungen im Larynx wie Schwellungen in der Interaryregion oder Granulome sind
nach meiner Erfahrung nicht sehr stark. So kann eine Schwellung auch noch Jahre nach
einer Refluxepisode persistieren.
Jedoch kann nach meiner Erfahrung bei manchen Patienten ein Reflux durchaus die Ursache
für entzündliche Veränderungen im Kehlkopf sein. Dies ist besonders bei Rauchern oder
Patienten mit einem hyperreagiblen Bronchialsystem wichtig. Auch bei Patienten, die
wegen Asthma inhalative Steroide nehmen und die eine schwere Laryngitis entwicklen,
manchmal sogar mit Pilzbefall, trägt oft ein Reflux zur Entstehung der Symptome bei.
Patienten, die eine leichte Dysphonie mit Globusgefühl oder leichte Schluckprobleme
haben, bekommen von mir auch "ex juvantibus" PPI verabreicht. Der Behandlungszeitraum
ist dann 2 Monate oder länger. Es konnte gezeigt werden, dass bei vielen Patienten,
die subjektiv keinen Reflux verspüren, objektiv mittels pH-Metrie eine Reflux nachgewiesen
werden konnte. Manche entwickeln nie Symptome. In der täglichen Routine schicken wir
nicht jeden Patienten mit geringen Veränderungen zur ph-Metrie oder zur Gastroskopie,
nur diejenigen mit ausgeprägten Symptomen. Wenn jedoch deutliche Zeichen eines Refluxes
vorliegen, oder wenn eine ausgeprägte Schluckproblematik vorliegt, dann ist die Gastroskopie
unverzichtbar.
Wenn die Symptome unter PPI verschwinden und nach Absetzen der Medikamente wieder
auftreten, dann kann die Therapie lange Zeit, sogar für Jahre fortgesetzt werden.
Das Interview führte Prof. Dr. Bernhard Richter, Freiburg.


Per-Åke Lindestad, MD, PhD, Jahrgang 1952, studierte Medizin am Karolinska Institut in Stockholm und bekam seine Ausbildung zum HNO-Arzt und Phoniater im Södersjukhuset and Huddinge University Hospital. Zwischen 1991 und 2002 war er Chef der Phoniatrieabteilung im Huddinge University Hospital. In Folge der Fusion der beiden größten Krankenhäuser in Stockholm im Jahr 2004 wurde die Abteilung für Logopädie unabhängig und die Phoniatrie wurde an die HNO-Abteilung des Karolinska University Hospital angegliedert. Lindestad ist Assistent Professor am Karolinska Institut und Senior Lecturer in der Ausbildung der Medizinstudenten und Logopäden. Seine Forschungsschwerpunkte sind Neurolaryngologie und die Sängerstimme.