Arzneimittelforschung 2010; 60(11): 723-726
DOI: 10.1055/s-0031-1300734
PMS-Symposium: Innovative Therapies in Hepatology
Editio Cantor Verlag Aulendorf (Germany)

Transplantationshepatologie: aktuelle Herausforderungen

P. Strassburg Christian
1   Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie, Medizinische Hochschule Hannover
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
30. Dezember 2011 (online)

In Deutschland wurde am 16.12.2006 das „model for end stage liver disease” (MELD) als Kriterium für die Dringlichkeit einer Listung zur Lebertransplantation eingeführt. Zuvor wurde das sog. T-System der „medical urgency criteria” (MUC) verwendet, das sich an einer Beschreibung der Lebererkrankung nach den Child-Tur-cotte-Pugh-Kriterien orientierte. Diese Allokationspraxis hatte Probleme bei der rechtzeitigen Transplantation schwer erkrankter Patienten aufgeworfen.

MELD beschreibt die 3-Monatsmortalität eines Leberkranken basierend auf dem Kreatininwert, der Gerinnung (INR) und dem Serumbilirubinwert. Anders als das Child-Turcotte-Pugh-System enthält MELD keine subjektiven Parameter wie Ausmaß von Aszites und Grad der Enzephalopathie. Es ist damit ein einfacheres und objektiveres System, das jedoch bereits bei oberflächlicher Betrachtung eine erhebliche Simplifizierung der Beurteilung eines weiten Spektrums von Lebererkrankungen beinhaltet. Entwickelt wurde dieser Score an Patienten mit alkoholischer Zirrhose, die für die Indikation zum transjugulären postrosystemischen Shunt (TIPS) evaluiert wurden. Es wurde später an größeren Kollektiven validiert und auf die Transplantationsevaluation angewendet.

Analysen von UNOS (United Network for Organ Sharing) seit 2002 zeigen, dass auf diesem Wege die Wartelistenmortalität gesenkt werden konnte und in initialen US-amerikanischen Studien keine erhöhte Mortalität nach Lebertransplantation zu verzeichnen war. Es ist unstrittig, dass dieser Systemwechsel das Management von Wartelistenpatienten prinzipiell verändert hat. Zunächst ist MELD ein statistisches Modell, das angewendet wird, um komplexe medizinische Probleme zu beschreiben und ihnen eine Mortalitätswahrscheinlichkeit zuzuordnen. Es zeigte sich schnell, dass Patienten mit erheblichen Koagulationsproblemen und Nierenfunktionseinschränkungen bevorzugt werden, dass allerdings auch andere Endpunkte einer chronischen Lebererkrankung, wie Aszites, spontan bakterielle Peritonitis, Blutungskomplikationen, Enzephalopathie und Kachexie keine wesentliche Rolle mehr spielen. Für Patienten mit viralen Hepatitiden und alkoholtoxischer Leberzirrhose ist dies in vielen Fällen eine befriedigende Approximation, für Tumorpatienten und Patienten mit genetischen sowie cholestatischen Lebererkrankungen kann MELD eine Transplantationspriorität nur unzureichend beschreiben.

Aus diesem Grund existiert neben dem reinen Labor MELD-Wert (labMELD) ein Regelwerk sog. „standard exceptions” (SE), die für Indikationen, wie z.B. hepatozelluläres Karzinom, cholangiozelluläres Karzinom, primäre Oxalose und Amyloidose, eingesetzt werden. Diese SE präzisieren für einzelne Indikationen die Allokationspriorität, indem ein sog. „match MELD”-Punktwert vergeben wird ([Tab. 1]). Die besondere Benachteiligung von Patienten u. a. mit cholestatischen Erkrankungen, wie primär sklerosierender Cholangitis und sekundär sklerosierender Cholangitis, führte am 20. September 2008 zu einer Novellierung der Richtlinie zur Organtransplantation nach §16 des Transplantationsgesetzes, die eine Reihe von SE weiter präzisiert, die für die Listung zur Lebertransplantation von großer Bedeutung sind und die Indikationsstellung beeinflussen.

Tab. 1: Indikationen bei der Meldung zur Lebertransplantation 2007 in Deutschland.

Indikation

Anzahl

Grau hinterlegt sind diejenigen Indikationen, bei denen potenziell eine Standard-Ausnahmeregelung (SE) angewendet werden kann.

* Indikationen für eine hochdringliche (HU) Lebertransplantation.

** Diese Indikationen sind überwiegend reine MELD-bestimmte Erkrankungen.

1. Alkoholische Zirrhose**

465

2. Hepatozelluläres Karzinom

370

3. Virushepatitis**

243

Akute/subakute Hepatitis*

78

Sklerosierende Cholangitis

71

Metabolische Erkrankungen

67

Andere Lebererkrankungen

60

Akutes Leberversagen*

52

Autoimmune Zirrhose**

46

Gallengangatresie**

38

Polyzystische Lebererkrankung

32

Primär biliäre Zirrhose**

31

Cholangiokarzinom

17

Budd-Chiari-Syndrom

14

Sekundär biliäre Zirrhose

6

Summe

1590

In der Praxis werden zum jetzigen Zeitpunkt Patienten mit einem MELD-Wert >35 innerhalb von Wochen oder wenigen Monaten transplantiert. Der MELD-Wert muss je nach seiner Höhe in regelmäßigen Intervallen rezertifiziert, d. h. an Eurotransplant gemeldet werden. Je nach Verlauf des labMELD kann sich also im Verlauf der Therapie die Priorität des Patienten unabhängig von der Wartezeit erhöhen, aber auch erniedrigen. Durch diese Dynamisierung spielt die Wartezeit auf der Liste keine Rolle mehr, da allein die Höhe des MELD-Wertes (labMELD und matchMELD) die Allokation determiniert. In der Praxis werden daher Patienten mit sehr niedrigen MELD-Werten (die unter Umständen gute Transplantationskandidaten mit guten Erfolgsaussichten wären) (noch) nicht auf der Warteliste geführt. MELD-Werte können komfortabel durch im Internet verfügbare Masken berechnet werden (z.B. http://www.mayoclinic.org/meld/mayomodel6.html ; http://www.labor-limbach.de/MELD-Score.351.0.html ).