Direktor und Chefarzt der Universitätsklinik für Neurochirurgie am Inselspital in
Bern ist seit August 2008 Prof. Dr. Andreas Raabe. Seitdem weist die Casemix-Entwicklung
in der Klinik beachtliche Wachstumstrends auf. Ein Ausbau des operativen Spektrums
in hochkomplexe Spitzenmedizin führte zu einer annähernden Verdopplung des Casemixes
in Bezug auf das Jahr 2007. Und dies, obwohl gleichzeitig eine Änderung in der Zurechnungssystematik
von Intensivbehandlungen zu Lasten der Abteilung stattgefunden hat. Diese enorme Leistungsausweitung
blieb nicht ohne Folgen. Die bald zu knapp bemessenen Bettenkapazitäten in der Neurochirurgie
führten aus der Bettennot heraus zu sehr frühzeitigen Verlegungen in Fremdkliniken
und nachversorgende Einrichtungen. Soll das weitere angestrebte Wachstum realisiert
werden, gilt es daher v. a. die neurochirurgische Normalpflegestation (Station L)
als zentralen Engpassfaktor aufzulösen. Im Rahmen des strategischen Angebotsmanagements
wurde ein notwendiger Handlungsbedarf in diesem Bereich auch von der Ärztlichen Direktion
des Inselspitals erkannt und unterstützt. So wurde als Koordinatorin zwischen der
strategischen Konzeption des Leistungsportfolios und der kurz- bis mittelfristigen
Strukturanpassung im Bereich Normalstation innerhalb der Neurochirurgie Iris Wietlisbach
als interne Projektleiterin ins Boot geholt. Ziel war es, Entwicklungsreserven für
Leistungssteigerungen im Bereich der Normalstation aus eigener Kraft zu heben und
damit die Station optimal auf den Wachstumsprozess vorzubereiten. Perspektivisch wurde
dabei ein Wachstum von 32 Planbetten auf etwa 50 Betten als realistisch abgewogene
Zielgröße für die Abteilung geplant.
Das Phasenmodell von Greiner
Das Phasenmodell von Greiner
Vor dem Hintergrund der Wachstumspläne wird ein dreistufiges Managementkonzept als
Pilotprojekt für den Bereich der Normalstation erarbeitet. In der ersten Phase werden
ohne Ressourcenzuwachs unmittelbar umsetzbare Verbesserungen in der Koordination der
Berufsgruppen auf Station und an den Schnittstellen zur Station gegliedert. In die
zweite Umsetzungsphase werden Maßnahmen subsumiert, die einer Erweiterung der qualitativen
oder quantitativen Personalkapazität auf Station bedürfen. Dazu zählen zum Beispiel
die nur sukzessive erreichbare Ausdehnung der Arzt-Präsenzzeiten auf Station oder
die administrative Unterstützung der medizinisch-pflegerischen Abläufe durch die Einführung
eines Casemanagements. Für die dritte Phase werden Aufbau- und Ablauforganisation
auf eine Großstation von ca. 50 Betten aufwandsbezogen skaliert. Um ein Konzept aufzubauen,
das den Anforderungen aller Umsetzungsphasen im Wachstumsprozess gerecht wird, wurde
auf das Modell von "Fünf Phasen der Unternehmensentwicklung" von Greiner [
1
] rekrutiert, das besagt, welche Phasen im Wachstum Organisationen grundsätzlich durchlaufen.
Das Modell lässt sich in einer Wachstumsstufenübersicht zusammenfassen (Abb. [
1
]) [
2
].
Abb. 1 Die fünf Phasen des Wachstums.(Quelle: eigene Darstellung, in Anlehnung an Recklies
O. (2000), Wachstumsmanagement und die 5 Phasen des Wachstums, http://www.themanagement.de/Ressources/Wachstumsmanagement.htm)
Das Greiner-Modell zeigt auf, welche Fragestellungen auf dem Weg der optimierten Zusammenarbeit
bei wachsender Unternehmensgröße zu bewältigen sind, um das kreative Potenzial der
Mitarbeiter und ihre Ausrichtung auf ein -gemeinsames Ziel hin auszubalancieren. Jedes
Unternehmenswachstum gefährdet per se die innere Stabilität des bestehenden Systems
und muss den Übergang in einen neuen beständigen Zustand bewerkstelligen. Dabei ist
das Greiner-Modell hilfreich, um den Übergang bestmöglich zu bewältigen. Auch auf
das Abteilungswachstum einer universitätsklinischen Einheit lässt sich das Greiner-Modell
übertragen, wenn ein Ausbau von rund 30 % in den nächsten 5 Jahren angestrebt wird.
Um den Wachstumsprozess auf ein sicheres Fundament zu stellen, gilt es, die Phasenübergänge
von Greiner mit dem inhärenten "Krisenpotenzial" genau zu beleuchten. So können die
verantwortlichen Leitungskräfte von Anfang an positiv den zu erwartenden Krisen entgegen
wirken. Und wenn die Symptome trotzdem auftreten, können sie besser bewältigt werden,
weil sie erwartet wurden. Aufgabe des Pilotprojektes war es, die auftauchenden Fragestellungen
im künftigen Veränderungsprozess schon heute in geeigneten Ansätzen zu antizipieren
und schrittweise einzuführen.
Phasenübergang 1/2:
Von "Jeder macht alles" zur Fokussierung auf die Kerntätigkeiten
Phasenübergang 1/2:
Von "Jeder macht alles" zur Fokussierung auf die Kerntätigkeiten
Um die Fachabteilung auf den Wachstumsprozess vorzubereiten, wurde im Rahmen des Stationsprojektes
ein Managementteam aus der Leitung Pflegedienst und dem stationsverantwortlichen Oberarzt
etabliert. Die koordinierte Managementarbeit alleine im Stationsbereich benötigt –
wenn sie wirksam sein soll – ein relevantes Zeitkontingent.
Zudem wird bei der alltäglichen Stationsarbeit aus dem Auge verloren, dass der einzelne
Mitarbeiter Experte in seiner fach-lichen Disziplin ist, zusätzlich ergänzt um sein
Erfahrungswissen. Daher steht neben der Aufgabe, Managementteams zu etablieren, die
Fokussierung der Experten auf ihre Kerntätigkeiten im Mittelpunkt. Dazu gehört die
Weiterentwicklung des gestuften Personalkonzeptes. Dieses beinhaltet insbesondere
die Perspektive, dass sich die Ärzte auf ihre ärztlichen Aufgabenstellungen konzentrieren
können, ohne von einem Übermaß an administrativen Tätigkeiten abgehalten zu werden.
Grundsteine wurden bereits zu Beginn des Projektes gelegt; die Weiterentwicklung des
gestuften Personalkonzeptes findet sich ebenfalls in den nachfolgenden Phasen.
Beispielsweise konnte mit der Umstrukturierung der Visite ein Schritt weg von "Jeder
macht alles" gegangen werden: Das bedeutet, dass die Visite zu einer Organisationsvisite
umgemünzt wird, in der sich alle für einen Patienten verantwortlichen Mitarbeiter
einschließlich ihrer relevanten Vertreter unter aktiver Einbindung des Patienten gemeinsam
abstimmen und koordinieren. Jedoch sind grundsätzlich nicht mehr alle Ärzte beteiligt,
was bislang einer hohen Ressourcenbindung, einer enormen Belastung für den Patienten
sowie schlechten Lerneffekten in den "hinteren Reihen" gleichkam.
Daneben wurde eine klare Abgrenzung von Tätigkeiten der Pflegenden und Pflegeassistenten
realisiert. Im letzten Jahr wurde bereits ein hoher Ressourcenaufwand in die Personalqualifikation
gesteckt, indem ein Doppelgespann von Pflegeexpertinnen die Pflegenden auf Station
eng anleiten und damit die Stationsleitungen bei der individuellen Personalentwicklung
unterstützen. Das Ergebnis ist beeindruckend. Innerhalb nur eines Jahres hat sich
bereits eine enorme fachliche Excellence in der pflegerischen Versorgung entwickelt.
Gleichzeitig findet seit einigen Wochen eine Rotation aller Pflegenden über die Gesamtstation
statt. Es gilt, junge Mitarbeiter mit den seit Jahren in der Abteilung Beschäftigten
stärker zu durchmischen und einen weiteren Wissensaustausch in beide Richtungen zu
erlangen. Perspektivisches Ziel ist, dass mindestens die Hälfte der diplomierten Pflegenden
gut die Funktion einer Gruppenleitung ausüben können. Bei der Abteilungsentwicklung
steht die Pflege v. a. vor der Herausforderung, hochqualifiziertes Personal in kurzer
Zeit aufzubauen, im Sinne von diplomierten Pflegenden, die ein hohes Fach- und Erfahrungswissen
in der Neurochirurgie einbringen. Die fachliche "Spitze" soll prozentual weiter wachsen,
um eine dauerhaft stabile Versorgungsstruktur zu erreichen.
Handlungsbedarf besteht darüber hinaus in der Gruppe der Pflegeassistenten, in der
bislang keine Vermischung mit neuen Mitarbeitern stattgefunden hat. Die Anpassung
an die Anforderungen eines modernen Servicekonzeptes auf Station ist für diese Gruppe
eine besondere Herausforderung, da neue Routinen erst einmal die Sicherheit im Alltag
nehmen und nachhaltig eintrainiert werden müssen. Das Personal muss sich entsprechend
qualifizieren, ohne dass das Vertrauen in die vorhandenen Stärken verloren geht. Ein,
unter den aktuellen Anforderungen, selbstverantwortlicher Einsatz der Sta-tionsassistenten
auf Station bedarf insofern noch einiges an Führungsenergie.
Phasenübergang 2/3:
Von Zeitverlusten durch unkoordiniertes Arbeiten zwischen den Berufsgruppen zur geregelten
Auf- und Ablauforganisation
Phasenübergang 2/3:
Von Zeitverlusten durch unkoordiniertes Arbeiten zwischen den Berufsgruppen zur geregelten
Auf- und Ablauforganisation
Die Auf- und Ablauforganisation wurde im Rahmen des Pilotprojektes so definiert, dass
sie auch dem künftigen Wachstum unter selben Leitungsteam standhält. Hierzu sind vorab
die 3 Umsetzungsphasen in einem Zeithorizont von 2 Jahren vorbereitet worden: Die
erste Umsetzungsphase ab Sommer 2011, die zweite Umsetzungsphase mit der nächsten
Weichenstellung für das Abteilungswachstum und die dritte Umsetzungsphase zur Sicherstellung
der Auf- und Ablauforganisation einer ca. 50-Betten-Großstation.
In der ersten Umsetzungsphase wurden neben der Definition der Aufbauorganisation insbesondere
die Abläufe der Hauptprozesse Belegungsplanung, Eintritte, Austritte / Austrittsberichte,
Visite, Kommunikation berufsgruppenübergreifend definiert und in einem Stationshandbuch
verbindlich dokumentiert. Für die Mitarbeiter wurden die zentralen Regelungen, auf
die es besonderes Augenmerk zu legen gilt, in einer Übersichtspräsentation zusammengefasst.
Die Regelungen im Stationshandbuch werden weiterhin durch feste Pflegestandards ergänzt,
welche z. B. die IMC-Übergabe regeln sowie in die neurochirurgische Pflege vertiefen.
Daneben steht die stufenweise Etablierung eines festen Stationsarztes im Fokus, wobei
sich die Realisierung über alle 3 Umsetzungsphasen erstreckt: Begonnen wird mit einem
Stationsarzt, der seit dem Start der ersten Umsetzungsphase an 4 Tagen pro Woche nachmittags
ab 13 Uhr dem pflegerischen Stationspersonal als Ansprechpartner zur Verfügung steht;
anschließend findet eine Ausweitung auf 2 Stationsärzte ab 13 Uhr auf Station statt,
die in der dritten Umsetzungsphase in einem festen Stationsarztmodell mündet, mit
nahezu durchgehender ärztlicher Präsenz im Tagdienst auf Station.
Phasenübergang 3/4:
Von Führungskonzentration um den Chefarzt zur Verantwortungsübergabe und -übernahme
Phasenübergang 3/4:
Von Führungskonzentration um den Chefarzt zur Verantwortungsübergabe und -übernahme
Ziel auf der neurochirurgischen Station ist es, die Organisationsverantwortung vollständig
in die Hände des Managementteams zu legen, das in enger strategischer Abstimmung zum
Chefarzt der Abteilung steht, jedoch eigenständig die operativen Entscheidungen vor
Ort trifft. Diese Verantwortung muss im Alltag immer wieder aufs Neue sowohl übertragen
als auch übernommen werden, um diese auf Dauer zu kultivieren [
3
].
Im Rahmen der ersten Umsetzungsphase wurden als zweite Delegationsmaßnahme ärztliche
Tätigkeiten identifiziert, die von der Pflege übernommen werden. In der zweiten Umsetzungsphase
des Stationsmanagements wird ein Case Management eingeführt, welches zum Ziel hat,
als Bindeglied zwischen ärztlichem Dienst und Pflege zu fungieren und somit zur Verbesserung
der Abstimmung beiträgt. Es wird die Zusammenführung der administrativen Berufsgruppen
Stationssekretariat, Bettendisposition und Case Management angestrebt. Diese dritte
Berufsgruppe wird unmittelbar bei der Leitung Pflegedienst aufgehängt, um Autonomie
und Handlungsfähigkeit zu fördern.
Daneben steht in der zweiten Umsetzungsphase die Implementierung abteilungsinterner
klinischer Behandlungspfade an [
4
], die ebenfalls die Koordination der Berufsgruppen im Fokus haben. Die Behandlungspfade
regeln klar die -Zuständigkeiten, sodass bei Etablierung des Case Managements nicht
eine weitere Schnittstelle geschaffen wird.
Phasenübergang 4/5:
Von Insellösungen zum Gesamtkonzept
Phasenübergang 4/5:
Von Insellösungen zum Gesamtkonzept
Im Rahmen des gesamten Abteilungswachstums steht nicht nur die Organisationsentwicklung
der Station im Mittelpunkt, sondern auch die Entwicklung der anderen Teilbereiche
wie OP, Poliklinik, Notaufnahme, Intermediate Care (IMC) und Intensivbehandlung (IB).
Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die einzelnen Teilbereiche auf ein
gemeinsames Ziel ausgerichtet werden und die Engpässe an den Schnittstellen aufzulösen
sind, z. B. durch ein übergreifendes Termin- und Belegungsmanagement und Zentrumspfade,
welche über die Fachabteilungsgrenzen hinaus gehen. Durch das Denken in Organisationseinheiten
und das anschließende Zusammenfügen wird Komplexität reduziert. Über den Austausch
entsteht ein tiefes Verständnis der Zusammenhänge zwischen den Organisationseinheiten.
So sollen sukzessiv die Engpässe in der Entwicklung aufgelöst und die medizinische
Fachabteilung mit klarer Führung und transparenten Verantwortungsbereichen im operativen
Management in sehr kurzer Zeit fundiert auf die großen Wachstumsziele vorbereitet
werden.