ergopraxis 2011; 4(11/12): 39
DOI: 10.1055/s-0031-1295677
profession & perspektiven
Georg Thieme Verlag KG New York, NY

Jäger-Kolumne – Raus mit der Sprache

Silke Jäger

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Publication Date:
14 November 2011 (online)

 

    Alltagsorientiertes Training nützt dem Klienten, kann aber die Therapeutin an ihre Grenzen bringen. Nichts dem Zufall überlassen, heißt die Devise. Was aber nicht so einfach ist, wenn Uneingeweihte ins Spiel kommen.


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    Grafik: S. Kuhlendahl

    Ich stehe mit Herrn Kunft vor der Bäckerei, die unserer Praxis gegenüberliegt. Ein paar Schneeflocken schweben sachte auf uns herab. „Wollen wir?“, frage ich Herrn Kunft und halte ihm schon mal die Tür auf. Er nickt zögernd und schlurft dann langsam in den warmen Verkaufsraum. Wir wollen Brot für die Enten kaufen, die gerade auf dem zugefrorenen Stadtweiher frieren.

    „Guten Tag!“, flötet die Verkäuferin. „Was darf s denn sein?“ Ich schaue Herrn Kunft aufmunternd an. Heute soll er ganz allein seine Bestellung aufgeben. Seit seinem Schlaganfall im Frühjahr hat er nicht mehr mit fremden Menschen geredet. Aber das haben wir sicher gleich. Um das Eis zu brechen, lächle ich freundlich und sage: „Wir wollen etwas kaufen.“ Die Verkäuferin lächelt gekünstelt zurück und presst ein „Aber gerne!“ heraus. Anscheinend ist ihr das Lächeln auf Dauer aber zu anstrengend, denn gleich darauf fallen ihre Mundwinkel ins Bodenlose. Bevor ich an Angela Merkel denken kann, räuspert sich Herr Kunft neben mir und tritt nervös von einem Bein aufs andere. Beruhigend lege ich ihm meine Hand auf den Arm: „Was möchten Sie kaufen, Herr Kunft?“ Er holt tief Luft. Dann schießt es aus ihm heraus: „Enten.“ Ich klopfe ihm lobend auf die Schulter. Nicht ganz so wie besprochen, aber der Anfang war jetzt gemacht. Herr Kunft seufzt erleichtert.

    Bei einem Blick auf die Verkäuferin verfliegt meine Freude aber sofort wieder. Sie rollt genervt mit den Augen: „Die gibt's hier nicht! Aber wir haben gerade Zimtplätzchen im Angebot.“ Herr Kunft schüttelt energisch den Kopf und sagt empört: „Nein! Enten!“ Mein Magen beginnt nervös zu flattern. Im Rollenspiel letzte Woche bestellte Herr Kunft so gewandt sein Brot, dass ich einen Moment lang an eine Spontanheilung seiner Aphasie glaubte. Aber offenbar ist jetzt wieder alles wie immer und sein Wernicke-Zentrum verschnupft wie eh und je.

    Auch die Verkäuferin besinnt sich auf ihr wahres Gesicht und zischt: „Veräppeln kann ich mich allein!“ Um die Gute nicht noch mehr in Wallung zu bringen, erkläre ich schnell: „Wir machen gerade ein Einkaufstraining, wissen Sie? Das ist nämlich Ergotherapie.“ Die Verkäuferin blickt uns skeptisch an: „Ach ja?“ Die Situation ist also geklärt.

    Mit spitzem Zeigefinger deute ich in der Auslage auf das Brot von gestern und wende mich sanft an Herrn Kunft: „Was brauchen Sie für die Enten?“ Der jedoch ist gar nicht mehr bei der Sache. Mir schwant Fürchterliches. „Entenbrot, Muffelkopf!“ Oje, da war es - sein Lieblingswort. Jetzt nur nicht unprofessionell werden', denke ich und sage schnell: „Prima, Herr Kunft. Das war ganz nah dran.“ Die Verkäuferin schnappt nach Luft. Sie schnaubt wütend: „Ist alle!“ Eine glatte Lüge. Schließlich liegt das Brot direkt vor uns. Mir fehlen die Worte. Herr Kunft jedoch reagiert souverän: „Dann Kaffee.“ Er knallt zwei Euro auf die Brötchentheke, und die Verkäuferin erwidert zuckersüß: „Kommt sofort!“ Ich bringe völlig erschöpft nur noch „Und für mich bitte die Zimtplätzchen“ heraus.


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    Grafik: S. Kuhlendahl