ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2011; 120(9): 409
DOI: 10.1055/s-0031-1292010
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Forensische Fallen der Medizin-produktgesetze – Auswirkungen auf Wissenschaft und tägliche Praxis?

Reiner Biffar
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Publication Date:
29 September 2011 (online)

Wir arbeiten oft in der Überzeugung, dass die Anwendung von Medizinprodukten weni-ger rigide geregelt ist als die von Arzneimitteln. Ausgelöst durch die EU-Richtlinie 93/42/EWG und Übernahme in die Bundesgesetzgebung wurden die Regeln zwischen diesen Bereichen harmonisiert. Für den Zahnarzt ergeben sich hieraus bisher wenig bekannte forensische Konsequenzen.

Gesetzlich geregelt wurde: In vielen Bereichen müssen klinische Studien die Eignung von Medizinprodukten in dem vom Hersteller definierten Indikationsgebiet belegen, damit eine CE-Zertifizierung erfolgt. Daraus leitet sich zwangsläufig ab, dass die Anwendungs-empfehlungen, die das Risiko des Herstellers minimieren, gleichzeitig auch die Grenzen zwischen der forensischen Sicherheit und dem Off-Label-Use von Produkten für den Zahnarzt definieren. In einer gerichtlichen Auseinandersetzung impliziert der sogenannte Heilversuch die Beweislastumkehr. Der Zahnarzt muss den Nachweis erbringen, ob er nach den anerkannten Regeln und Erkenntnissen der wissenschaftlichen und praktischen Zahnmedizin gehandelt hat. Publizierte klinische Studien sind ohne Frage ein guter Beleg vor Gericht. Erklärungen über eigene Erfahrungen werden den Richter kaum überzeugen. Publizierte Erfahrung kann, muss aber nicht überzeugen. Hilfreich, aber nicht sicher ist das zustimmende Urteil eines bestellten Sachverständigen.

So lernen wir daraus, dass forensische Sicherheit nur im Rahmen der vom Hersteller emp-fohlenen Indikationsgrenzen besteht. Indikationen sind in der Zahnmedizin jedoch flie-ßend. Schnell und manchmal unbemerkt sind definierte Grenzen überschritten. Es gilt aufzupassen, sich an Indikationsgrenzen zu halten und klinische Prüfungen für noch nicht freigegebene Bereiche zu fordern.

Darauf zu vertrauen, dass die vielen, notwendigen klinischen Studien an den deutschen Universitätszahnkliniken im öffentlichen Auftrag gestemmt werden, scheitert an den knappen Ressourcen der Hochschulen. Auftragsforschung ist an Drittmittel der Industrie gebunden. EU-Regelungen wie Vollkostenrechnung und Besteuerung haben auch diesen Bereich einschneidend verändert.

In der Humanmedizin sind neben Universitätskliniken stark regionale Krankenhäuser in klinische Studien eingebunden. Dieses Segment fehlt in der Zahnmedizin. Doch auch viele unserer niedergelassenen ärztlichen Kollegen beteiligen sich intensiv an diesen Studien. Was muss die Zahnmedizin tun? Ohne Frage muss an neuen Konzepten gearbeitet wer-den, wie in Kooperation zwischen Praxis und Wissenschaft klinische Studien machbar werden. Die Wissenschaft muss Studiendesigns finden, die auch in der Belastung der täg-lichen Praxis umsetzbar sind. Der Dentalindustrie muss bewusst werden, dass Auswei-tung und Finanzierung klinischer Studien im Feld unerlässlich sind und letztlich muss auch bei den niedergelassenen Kollegen die Einsicht reifen, dass nur eine aktive Beteili-gung an klinischen Prüfungen die weitere Fortentwicklung unserer medizinproduktasso-ziierten Verfahren und Methoden garantieren kann. Nur diese Mitarbeit sichert den Fort-schritt.