Gesundheitswesen 2011; 73(12): 925-926
DOI: 10.1055/s-0031-1291195
Directed Acyclic Graphs
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gerichtete, azyklische Graphen: Entgegnungen zu methodischen Bedenken

Directed Acyclic Graphs – Reply to Methodological Concerns
A. Stang
1   Institut für Klinische Epidemiologie , Medizinische Fakultät , Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
,
S. Schipf
2   Institut für Community Medicine, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
,
S. Knüppel
3   Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE), Abteilung Epidemiologie
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Publication Date:
22 December 2011 (online)

Herr Kollege Steyer [1] weist zu Recht auf Gefahren bei der Anwendung von kausalen Diagrammen hin, denen wir uns uneingeschränkt anschließen können: die kausalen Relationen in gerichteten, azyklische Graphen (DAGs) müssen korrekt spezifiziert werden. Hierzu gehört:

  1. Alle für die kausale Fragestellung relevanten gemessenen und ungemessenen Kovariaten (d. h. Variablen auf kausalen und nicht-kausalen Pfaden zwischen der Exposition und dem Outcome von Interesse) kommen im DAG vor.

  2. Alle Assoziationen, die zwischen den Kovariaten im DAG bestehen, sind korrekt spezifiziert.

  3. Alle Richtungen der Assoziationen zwischen den Kovariaten im DAG sind korrekt spezifiziert.

Herr Steyer spricht von einem „viel beschworenen inhaltlichen Wissen“, welches für die korrekte Anwendung von DAGs wichtig ist. Hierzu ist folgendes zu sagen:

  1. DAGs machen häufig explizit, wie komplex unsere kausalen Fragestellungen, die wir mithilfe von Beobachtungsstudien beantworten wollen, tatsächlich sind. Sie machen explizit, wie fragil unser Vorwissen zu den o. g. Bedingungen häufig ist. Diese Unsicherheiten sollten Konsequenzen haben: a) jegliche Unsicherheiten bei dem Aufstellen eines DAGs sollten mit Sensitivitätsanalysen (konkurrierende DAGs sowie DAGs unter Berücksichtigung nicht-gemessener Kovariaten) adressiert werden, auch wenn Sensitivitätsanalysen lediglich die Stabilität der Ergebnisse in Abhängigkeit verschiedener Annahmen widerspiegeln; b) unklare Assoziationen eines DAGs zeigen Forschungsbedarf auf, was ein wichtiges Ergebnis ist. Unklare Relationen können beispielsweise in eingebetteten Fall-Kontroll-Studien innerhalb von Kohortenstudien untersucht werden. Alternativ können de-novo- Studien aufgesetzt werden, die die unklaren Relationen aufklären; c) wir sollten bei Beobachtungsstudien umso zurückhaltender mit kausalen Aussagen sein, je unsicherer unser Vorwissen zu den o. g. 3 Bedingungen ist.

  2. Herr Steyer schreibt: „Die von mir vorgeschlagene Strategie braucht weit weniger Annahmen, weit weniger Vorwissen und ist daher m. E. praxistauglicher“. Weit weniger Annahmen bedeutet nach der TCE-Theorie von Steyer et al. [2] unter anderem, dass die Assoziationen von Kovariaten untereinander unspezifiziert bleiben können. Somit bietet diese Theorie keinen Schutz vor Collider-Bias, der aufkommt, wenn für Collider adjustiert wird [3]. Weiterhin liefert die Theorie von Steyer et al. keine algorithmische Definition einer minimal suffizienten Menge von Adjustierungsvariablen.

Es ist zu beachten, dass verschiedene Weiterentwicklungen von DAGs inzwischen auch das Verständnis von Selektions- [4] und Informations-Bias [5], von direkten und indirekten Effekten [6] und von instrumentellen Variablen verbessert haben [7]. Neben der Frage des Confoundings können DAGs auf verschiedenen Ebenen einer Studie (Planung, Datenerhebung und Auswertung) für ein vertiefendes Verständnis sorgen. Die Geschichte der Wissenschaft lehrt uns, dass eine wie auch von Herrn Steyer angesprochene „Euphorie“ für eine wissenschaftliche Methode (hier: DAGs) Wissenschaftler skeptisch machen sollte. Wir vermuten, dass die von Herrn Steyer empfundene „Euphorie“ für DAGs daher stammt, dass eine neue und umfassendere Confounding-Theorie in die Epidemiologie eingeführt wurde, die in der Lage ist aufzuzeigen, unter welchen Annahmen eine Adjustierung den Bias sogar verstärkt anstatt vermindert. Uns ist keine Theorie (inkl. Steyer et al.’s Theorie [2]) bekannt, die in der Lage wäre, dies aufzuzeigen. Wir verstehen Herrn Steyer’s Unbehagen gegenüber DAGs eher als ein generelles Unbehagen bei der Anwendung kausaler Theorien (inkl. seiner eigenen TCE-Theorie [2]) im Kontext von Beobachtungsstudien.

 
  • Literatur

  • 1 Steyer R. Anmerkungen zur Verwendung von DAGs in der Epidemiologie und ein Hinweis auf eine alternative Methode. Gesundheitswesen 2011; 73: 923-924
  • 2 Steyer R, Partchev I, Kröhne U et al. Probability and Causality 1. Springer; 2011
  • 3 Greenland S. Quantifying biases in causal models: classical confounding vs collider-stratification bias. Epidemiology 2003; 14 (03) 300-306
  • 4 Hernan MA, Hernandez-Diaz S, Robins JM. A structural approach to selection bias. Epidemiology 2004; 15 (05) 615-625
  • 5 Hernan MA, Cole SR. Invited Commentary: Causal diagrams and measurement bias. Am J Epidemiol 2009; 170 (08) 959-962
  • 6 Pearl J. An Introduction to Causal Inference. Int J Biostat 2010; 6 (02) Article7
  • 7 Rothman KJ, Greenland S, Lash TL. Modern Epidemiology. Philadelphia: Lippincott Williams & Wilkins; 2008