Menschen mit Fetalem Alkoholsyndrom (FAS) sind auch im Erwachsenenalter auf die Unterstützung
ihrer Umwelt angewiesen („Fetales Alkoholsyndrom“). Zu diesem Ergebnis kamen die Psychologen Inga Freunscht und Dr. Reinhold Feldmann
an der Universitätskinderklinik Münster.
Die Forscher führten 60 strukturierte Interviews mit den Bezugspersonen von jungen
Erwachsenen mit FAS durch. Aus deren Sicht ist es für die Betroffenen schwierig, ihr
Leben selbstständig zu bewältigen und verlässliche soziale Beziehungen aufzubauen.
38 Prozent von ihnen wohnen auch im Erwachsenenalter noch bei ihren Familien. Viele
fallen durch emotionale und verhaltensbezogene Störungen wie Aggressivität, inadäquates
Sexualverhalten oder Selbstverletzungen auf. Darüber hinaus erlebten drei Viertel
der betroffenen jungen Erwachsenen in der Vergangenheit Formen körperlicher oder sexueller
Gewalt. Außerdem brach ein Großteil von ihnen seine schulische und berufliche Ausbildung
bereits ab oder wechselte mehrfach die Arbeitsstelle. Gegenwärtig gehen lediglich
24 Prozent von ihnen einer gewöhnlichen Erwerbstätigkeit nach, während 38 Prozent
in einem geschützten Rahmen arbeiten und 24 Prozent arbeitslos sind.
Die Forscher schlussfolgern, dass junge Erwachsene mit FAS Unterstützung in allen
Lebensbereichen benötigen. Sie fordern psycho- und arbeitstherapeutische Angebote,
welche diese besonderen Bedürfnisse berücksichtigen.
akb
Klin Pädiatr 2011; 223: 33–37
Kommentar
Die Studie von Freunscht und Feldmann zeigt sehr deutlich, wie wichtig eine umfassende
Biografiearbeit in der psychiatrischen Ergotherapie ist. Denn oftmals vermutet und
diagnostiziert man hinter den beschriebenen Symptomen wie Aggressivität oder inadäquatem
Sexualverhalten andere Krankheitsbilder wie das Borderline-Syndrom oder manisch-depressive
Erkrankungen. Es ist daher sinnvoll, die Spätfolgen eines FAS klar von den Symptomen
einer artverwandten psychiatrischen Erkrankung zu differenzieren.
Besonders in der ergotherapeutischen Arbeit ergibt sich durch die Unterscheidung verschiedener
Krankheitsursachen mit gleicher Symptomatik oftmals eine völlig andere Indikation.
So könnten Ergotherapeuten bei ähnlichen Krankheitsbildern eher zu einer handwerklichen
Therapie tendieren, während beim FAS eher arbeitstherapeutische Maßnahmen sinnvoll
wären. Das heißt: Bleiben die länger verwurzelten Hintergründe im Dunkeln, wäre das
ein Indiz dafür, warum sich kein Therapieerfolg einstellt.
Jana Ezell, Ergotherapeutin
FETALES ALKOHOLSYNDROM
Lebenslange Folgen
Das durch mütterlichen Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft ausgelöste Fetale
Alkohol-syndrom (FAS) kann bei betroffenen Kindern zu physischen, kognitiven und Verhaltensstörungen
führen. Zum Beispiel: Mikrozephalie, Herz-und Genitalfehlbildungen oder sprachliche
Entwicklungsverzögerung. Hirnorganische Schädigungen treten häufiger auf als körperlich
sichtbare Merkmale. Das gesamte Spektrum der vorgeburtlichen Alkoholschädigung fasst
man unter dem Begriff „Fetal Alcohol Spectrum Disorders“ (FASD) zusammen.