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DOI: 10.1055/s-0031-1281819
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Fortschritte in der Therapie und Diagnostik neuropsychiatrischer Erkrankungen
Progress in Therapy and Diagnostics of Neuropsychiatric DiseasesPublication History
Publication Date:
02 November 2011 (online)

Wenngleich seit einem halben Jahrhundert medikamentöse Therapieoptionen für die bedeutendsten neuropsychiatrischen Erkrankungen bereitstehen, sind dem Behandlungserfolg doch Grenzen gesetzt, die uns veranlassen, nach verbesserten Therapieansätzen zu suchen. So lässt sich bei der Alzheimer-Demenz das Fortschreiten der Symptome nur vorübergehend aufhalten und bei der Schizophrenie zeigt die Hälfte der Patienten trotz antipsychotischer Medikation chronische Residualsymptome wie Negativsymptomatik oder kognitive Defizite, die ganz entscheidend die Sozialprognose beeinflussen. Insbesondere Add-on-Therapiestrategien wie zum Beispiel Beeinflussung des glutamatergen Systems, der Einsatz von neuroprotektiven Substanzen, wie es für Erythropoietin gezeigt werden konnte, oder Verbesserung der Neurokognition durch Sporttherapie, aber auch individualisierte Psychotherapien stehen im Fokus moderner Therapieforschung. Den Aspekt der tiefen Hirnstimulation beleuchtet die Arbeit von Kuhn et al. [1]. Bei dieser Therapieform, die erfolgreich bei Morbus Parkinson, Tremor, Dystonie und Zwangsstörung eingesetzt wird, werden zielgerichtet Elektroden implantiert, die durch Rechteckimpulse dysfunktionelle Netzwerke beeinflussen. Auch bei therapieresistenten Depressionen zeigten sich erste Behandlungserfolge, sodass nun zunächst auf der Ebene von Tiermodellen für einige Symptome der Schizophrenie diese Behandlungsmethode erforscht werden sollte. Um hier den Übergang in die klinische Erprobung zu erlangen, sind jedoch weitergehende Kenntnisse über die Wirkung der tiefen Hirnstimulation auf neurobiologischer und psychopathologischer Ebene notwendig.
Auch Psychotherapie bewirkt neuromodulatorische Veränderungen in komplexen Netzwerken des Gehirns und sollte abgestimmt sein auf die individuellen Defizite der Patienten. So sind neben Veränderungen des Verhaltens auch kognitive Therapieansätze oder ein Training sozialer Kompetenz oder Stressbewältigung für viele unserer Patienten eine Möglichkeit, verbesserte Alltagsbewältigung und Copingstrategien zu entwickeln. In einer Untersuchung von erwachsenen Personen mit Autismus-Spektrum-Störung untersuchten Gawronski et al. [2] Erwartungen an eine Psychotherapie. Dabei stellte sich heraus, dass auch in dieser Patientengruppe neben Schwierigkeiten in der sozialen Kompetenz und Identitätsfindung die fehlenden Möglichkeiten zur Stressbewältigung einen großen Belastungsfaktor darstellen. Somit zeigt sich hier insbesondere ein Bedarf an Psychotherapie, die fokussiert ist auf Förderung der sozialen Kommunikation und die Verbesserung des Umgangs mit Stresssituationen im Alltag. Hierzu eignen sich insbesondere Techniken der Verhaltenstherapie, die neben der zwischenzeitlich schon gut etablierten Therapie des depressiven Syndroms auch bei anderen neuropsychiatrischen Erkrankungen wie der Schizophrenie zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Jeder Therapie sollte jedoch eine akkurate Bestimmung von Defiziten, und vor allem eine genaue Diagnosestellung vorangehen. Bei den meisten neuropsychiatrischen Erkrankungen fehlen valide Biomarker und auch die gehirnstrukturellen Veränderungen sind so subtil und mit großer Varianz behaftet, dass selbst moderne Methoden wie die Magnetresonanztomografie (MRT) noch weit entfernt von Kriterien einer Routine-Diagnostik sind. Am weitesten vorangeschritten sind hierbei die diagnostischen Möglichkeiten der MRT bei der Demenz, durch die sich insbesondere behandelbare Ursachen festellen lassen. In einer Studie von Merkle et al. [3] wurden bei 502 Patienten einer Gedächtnisambulanz retrospektiv bildgebende MRT-Untersuchungen bewertet. Tatsächlich bestätigte sich bei 74 % der Patienten das klinische Demenzsyndrom durch Befunde im MRT. Interessanterweise lagen bei 9 % der Patienten abweichende Befunde zur Demenzätiologie vor, vor allem Ischämie, Normaldruckhydrozephalus und in wenigen Fällen Blutungen. Dies ist insbesondere bedeutend, da sich hier durch die Bildgebung diagnostisch potenziell reversible Ätiologien erkennen lassen. Dies sind erste Schritte auf dem Weg, durch verbesserte Diagnostik zu einer umfassenderen pathophysiologischen Einsicht in neuropsychiatrische Krankheitsbilder zu gelangen, die uns die Hoffnung geben, in Zukunft als Grundlage einer personalisierten Medizin mit individuell geprägten therapeutischen Maßnahmen zu dienen.
Univ.-Prof. Dr. med. P. Falkai
Literatur
- 1
Kuhn J, Bodatsch M, Sturm V et al.
Tiefe Hirnstimulation bei der Schizophrenie.
Fortschr Neurol Psychiatr.
2011;
79
632-641
MissingFormLabel
- 2
Gawronski A, Kuzmanovic B, Georgescu A et al.
Erwartungen an eine Psychotherapie von hochfunktionalen erwachsenen Personen mit einer
Autismus-Spektrum-Störung.
Fortschr Neurol Psychiatr.
2011;
79
647-654
MissingFormLabel
- 3
Merkle S, Kreil S, Suttner G et al.
Retrospektive Analyse der MRT-Routinebefunde und Korrelation mit Demenzätiologie,
Schweregrad und neuropsychologischen Befunden von Patienten aus einer universitären
Gedächtnisambulanz.
Fortschr Neurol Psychiatr.
2011;
79
642-646
MissingFormLabel
Univ.-Prof. Dr. med. Peter Falkai
Psychiatrische Klinik der Universität Göttingen
von-Siebold-Straße 5
37075 Göttingen
Email: peter.falkai@medizin.uni-goettingen.de