ergopraxis 2011; 4(5): 12
DOI: 10.1055/s-0031-1279808
wissenschaft

Klinisches Reasoning – Im ergotherapeutischen Hausbesuch noch wenig untersucht

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Publication Date:
06 May 2011 (online)

 
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Man weiß noch wenig über das Klinische Reasoning von Ergotherapeuten, die Hausbesuche durchführen. Das ist das Ergebnis einer systematischen Literaturübersicht und Analyse des ergotherapeutischen Teams um Annie Carrier von der Université Sherbrooke, Kanada.

Klinisches Reasoning, oder auch Klinische Argumentation genannt, ist der Prozess, den Ergotherapeuten anwenden, um Probleme zu lösen und Entscheidungen für die Therapie zu treffen. Er hat direkten Einfluss auf die Effektivität der Intervention. Um dieses Vorgehen speziell im Hausbesuch zu untersuchen, nutzten die Forscher mehrere Datenbanken einschließlich CINAHL, Embase und Medline. Sie verwendeten die Suchwörter „clinical reasoning and occupational therapy”, „clinical reasoning and rehabilitation”, „clinical reasoning and community practice” und „clinical reasoning and home care”. Von den 652 gefundenen Artikeln beinhalteten lediglich 10 die gesuchten Begriffe „clinical reasoning and community practice” und „clinical reasoning and home care”. Darüber hinaus bezogen die Forscher relevante Fachbücher in ihre Untersuchung ein, sodass sie letztendlich 15 Fachbücher und 25 Artikel analysierten. Die Essenz war, dass Klinisches Reasoning ein sehr komplexer Prozess ist und auf kognitiver Ebene stattfindet. Vier interne sowie externe Faktoren beeinflussen ihn besonders stark: die Fachkompetenz und der persönliche Kontext der Ergotherapeutin einerseits sowie der Klient und der therapeutische Kontext andererseits. Wie diese sich jedoch speziell im Hausbesuch verhalten bzw. inwiefern sich das Klinische Reasoning im Hausbesuch verändert, bleibt jedoch weitgehend unbekannt. Obwohl Ergotherapie im häuslichen Umfeld bereits jetzt eine wichtige Rolle spielt und in der Zukunft noch spielen wird, existieren bislang nur sehr wenige Studien, die sich mit dem Klinischen Reasoning in diesem Arbeitsumfeld beschäftigen. Aus diesem Grund plädieren die Forscher dafür, weitere Untersuchungen auf den Weg zu bringen, um zum Beispiel die Wirkung der vier identifizierten Faktoren genauer zu untersuchen und den Unterschied zur Behandlung in einer Klinik oder Praxis herauszustellen.

akb

AOTJ, 2010; 57: 356–365

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Kommentar

Ein wichtiger Aufruf, der da aus Kanada kommt! Was bei Ergotherapeuten oft so leicht und aus dem Bauch heraus erscheint, ist tatsächlich eine enorm komplexe Leistung, die sie in der Therapie vollbringen. Um Entscheidungen zu treffen, gehen sie keinesfalls nur nach Gefühl oder intuitiv vor, sondern wägen unzählige Faktoren ab. Diese sehen im häuslichen Umfeld anders aus als in der therapeutischen Praxis oder in der Klinik.

Welche Voraussetzungen bringt der Klient mit? Kann ich ihm diese Aufgabe zumuten? Ist sie in seinem häuslichen Umfeld überhaupt möglich? Könnte ich Angehörige einbeziehen? Was muss ich aus Sicht der Therapiemethode beach-ten? Wie leite ich den Klienten entsprechend seiner Fähigkeiten an? Stimmt diese Aktivität mit seinen Wünschen und Bedürfnissen überein?

Was in Gedanken in Form eines narrativen, pragmatischen oder auch ethischen Reasonings stattfindet, können andere nicht sehen und schon gar nicht verstehen. Es sieht von außen ja auch so einfach aus. Eine logische Folge wäre, all das aufzuschreiben. Und zwar für den jeweiligen Kontext und mit Studien untermauert. Damit ließe es sich prima argumentieren, und die nächste Generation müsste das Rad nicht neu erfinden.

Simone Gritsch, Ergotherapeutin BcOT (NL)