Inhaltsverzeichnis
Vorwort und Methodik
872
Einleitung
876
1
Definition der Hepatitis B und Hepatitis Delta und Empfehlungen zur Diagnostik
877
Indikation zur Durchführung einer Hepatitis-B-Virus-Diagnostik
878
1.1
Bei welchen Personen soll eine Diagnostik erfolgen?
878
1.2
Wie ist das weitere Vorgehen nach initialer HBV-Diagnostik?
878
1.3
Wie wird eine Infektion mit dem HBV diagnostiziert? Welche serologischen Parameter
sollten initial, welche im Verlauf bestimmt werden?
879
1.4
Wann ist eine Hepatitis-Delta-Virus-Diagnostik indiziert? Wie wird eine Hepatitis
Delta diagnostiziert?
880
1.5
Welche weitere Diagnostik ist bei Erstdiagnose einer HBV-Infektion erforderlich?
881
1.6
Bei welchen Patienten ist eine Leberbiopsie indiziert?
881
1.7
Wie sollte das Follow-up einer Hepatitis B bei fehlender Therapie-Indikation aussehen?
882
1.8
Wie sollte das Therapie-Monitoring bei chronischer Hepatitis B aussehen?
882
2
Indikationsstellung zur Therapie der Hepatitis B
883
2.1
Kann die klinische Heilungsrate durch eine antivirale Therapie erhöht werden? Kann
durch eine antivirale Therapie die Krankheitsdauer verkürzt und die Schwere der Erkrankung
reduziert werden?
883
2.2
Welche Patienten sollten therapiert werden?
883
2.3
Sollen HBV-Patienten mit Alkohol- und Drogenkonsum antiviral behandelt werden?
884
3
Therapie der Hepatitis B
885
3.1
Was sind die Ziele der Therapie der chronischen Hepatitis B?
885
3.2
Welche grundsätzlichen Fragen sind bei der Therapieplanung der Hepatitis B zu berücksichtigen?
886
3.3
Bei welchen Patienten soll eine Behandlung mit Interferon alpha erwogen werden?
886
3.4
Wie sind Therapieansprechen und Resistenz definiert?
889
3.5
Wie ist das Vorgehen bei nicht ausreichendem Therapieansprechen oder Resistenzentwicklung?
890
3.6
Was ist bei Langzeittherapie mit Nukleosid- oder Nukleotid-Analoga zu beachten?
890
3.7
Wie lange soll eine antivirale Therapie der Hepatitis B mit Nukleosid- oder Nukleotid-Analoga
fortgeführt werden?
893
3.8
Wie sollten HBV-Patienten mit Leberzirrhose antiviral behandelt werden?
893
3.9
Wie sollen Patienten mit extrahepatischen Manifestationen behandelt werden?
894
3.10
Wie sollen Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und Dialysepatienten behandelt
werden?
894
3.11
Welche Behandlungsempfehlungen werden für schwangere HBsAg-positive Patientinnen gegeben?
894
3.12
Wie kann eine Hepatitis-B-Reaktivierung unter Immunsuppression verhindert werden?
895
4
Infektionen mit Hepatitis-B-Viren im Zusammenhang mit Organtransplantationen (Management
prä- und post-Tx)
897
4.1
Wie ist das Management von Patienten mit HBV-Infektion vor LTx?
897
4.2
Was versteht man unter einer HBV-Reinfektion?
897
4.3
Wie ist das Management von Patienten mit HBV-Infektion nach LTx? Wie erfolgt die Reinfektionsprophylaxe?
898
4.4
Wie ist das therapeutische Vorgehen bei nachgewiesener HBV-Reinfektion?
899
4.5
Wie ist das Management von HBV-infizierten Patienten mit kombinierter Organtransplantation
(z. B. Leber plus Niere)?
899
4.6
Wie ist das Management von Patienten, die für eine Transplantation anderer Organe
(nicht LTx) evaluiert werden?
900
4.7
Wie ist das Management von Patienten mit positiver HBV-Serologie nach Transplantation
anderer Organe (nicht LTx)? Wann, wie und bei wem wird eine Prophylaxe durchgeführt?
900
4.8
Wie ist das Management von Patienten vor und nach KMT/SZT? Wann, wie und bei wem wird
eine antivirale Therapie bzw. Prophylaxe durchgeführt?
900
4.9
Wie ist das Management von Patienten mit De-novo-HBV-Infektion nach Organtransplantation?
901
4.10
Wie ist das Management von Patienten, die ein Anti-HBc-positives Organ erhalten?
901
4.11
Wer sollte vor einer Organtransplantation gegen HBV geimpft werden?
902
5
Immunprophylaxe der Hepatitis B
902
5.1
Wer soll gegen Hepatitis B geimpft werden?
903
5.2
Wann sollte die Impfung gegen Hepatitis B durchgeführt werden?
903
5.3
Ist es vor einer Hepatitis-B-Impfung notwendig zu testen, ob bereits Kontakt mit dem
Hepatitis-B-Virus stattgefunden hat?
904
5.4
Ist es nach einer Hepatitis-B-Impfung notwendig zu testen, ob die Impfung erfolgreich
war?
904
5.5
Ist nach erfolgreicher Impfung gegen Hepatitis B eine Auffrischimpfung notwendig?
905
5.6
Wie ist bei Nichtansprechen auf die Hepatitis-B-Impfung (Anti-HBs nach drei Impfungen
< 10IU/l) zu verfahren?
905
5.7
Wie ist bei Personen zu verfahren, deren Anti-HBs-Konzentration 4 – 8 Wochen nach
Grundimmunisierung 10 – 99 IU/l beträgt (gesunde Lowresponder)?
905
5.8
Was ist bei der Impfung von Immunsupprimierten generell zu beachten?
906
5.9
Wie ist die Postexpositionsprophylaxe bei Neugeborenen durchzuführen?
906
5.10
Wie ist bei nicht gegen Hepatitis-B-Immunen im Falle eines Kontakts mit HBV-haltigem
Material zu verfahren?
907
5.11
Gibt es Kontraindikationen gegen eine Hepatitis-B-Impfung?
907
6
HBV-Koinfektionen
907
6.1
Bei welchen Patienten mit HDV-Infektion soll eine Therapie durchgeführt werden? Wie
soll die antivirale Therapie durchgeführt werden?
907
6.2
Bei welchen Patienten mit HBV/HCV-Koinfektion soll eine Therapie durchgeführt werden?
Wie soll die antivirale Therapie durchgeführt werden?
908
6.3
Sollen Patienten mit HBV/HIV-Koinfektion regelmäßig untersucht werden? Bei welchen
Patienten mit HBV/HIV-Koinfektion soll eine Therapie durchgeführt werden?
909
6.4
Wie soll die antivirale Therapie bei Patienten mit HBV/HIV-Koinfektion durchgeführt
werden? Welche Besonderheiten in der Therapie sind aufgrund der HIV-Koinfektion zu
berücksichtigen?
910
6.5
Wie soll die antivirale Therapie bei Patienten mit HBV/HIV-Koinfektion überwacht werden?
910
6.6
Bei welchen Patienten mit Dreifach- und Vierfach-Infektionen soll eine Therapie durchgeführt
werden? Wie soll die antivirale Therapie durchgeführt werden? Welche Besonderheiten
in der Therapie müssen aufgrund der HIV-Koinfektion berücksichtigt werden?
912
7
Hepatitis B im Kindes- und Jugendalter
912
7.1
Wie wird die Diagnose gestellt?
913
7.2
Welche Therapiemöglichkeiten und -ziele bestehen bei einer Hepatitis B im Kindesalter?
914
7.3
Welche Therapiemöglichkeiten und -ziele bestehen bei einer chronischen Hepatitis B
im Kindes- und Jugendalter?
914
7.4
Mit welchen Medikamenten bestehen im Kindes- und Jugendalter Therapieerfahrung?
914
7.5
Welche prophylaktischen Maßnahmen sind sinnvoll?
915
7.6
Können Neugeborene HBsAg-positiver Mütter nach postpartaler aktiver und passiver Immunisierung
gestillt werden?
916
Literatur
917
Vorwort und Methodik
Vorwort und Methodik
Geltungsbereich und Zweck
Die Aktualisierung der 2007 publizierten S 3-Leitlinie über „Prophylaxe, Diagnostik
und Therapie der Hepatitis-B-Virus(HBV)-Infektion” wurde als Kooperationsprojekt durch
die Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten e. V. (DGVS),
die Deutsche Gesellschaft für Pathologie e. V. (DGP), die Gesellschaft für Virologie
e. V. (GfV), die Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE)
sowie durch das Kompetenznetz Hepatitis (Hep-Net) geleitet.
Die organisatorischen Strukturen des ehemaligen Leitlinienprojekts [1 ] wurden beibehalten: Organisationkomitee, 7 Leitlinien-Arbeitsgruppen und ein beratendes
„Advisory Board”. Die Gremien setzen sich aus Vertretern der Fachgesellschaften, des
Hep-Nets sowie aus Patientenvertretern zusammen. Die Gremienmitglieder repräsentierten
die Fachdisziplinen Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie, Virologie, Pathologie,
Pädiatrie, Transplantationschirurgie und Epidemiologie.
Die Leitlinie hat zum Ziel, Standards in Prophylaxe, Diagnostik und Therapie von Hepatitis-B-Virusinfektionen
zu etablieren. Leitlinienadäquates Handeln sollte zur Reduktion von Neuinfektionen,
zum rationalen Einsatz der Diagnostik, zur Vermeidung der Komplikationen einer chronischen
Hepatitis sowie zum evidenzbasierten Einsatz einer antiviralen Therapie führen.
Die Aktualisierung der Leitlinie beinhaltet eine kritische Würdigung der klinischen,
histologischen und virologischen Diagnostik, eine transparente Stadieneinteilung und
Risikobewertung sowie die Empfehlung einer risikoadaptierten antiviralen Therapie.
Die aktuelle Datenlage wurde zu allen Fragestellungen eingearbeitet. Ziel der Leitlinie
ist es, einen bestmöglichen Behandlungserfolg zu erzielen. Einem auf Wirtschaftlichkeit
ausgerichtetes Management der Patienten wurde Rechnung getragen. Die Leitlinie soll
dem behandelnden Arzt rationale und evidenzbasierte Handlungsmöglichkeiten aufzeigen,
um eine angemessene Therapie dieser Erkrankung sicherzustellen.
In der Leitlinie werden die Prophylaxe, die Diagnostik und die Therapie von erwachsenen
Patienten mit Hepatitis-B-Virusinfektion behandelt. Daneben wird die medizinische
Versorgung von Patienten vor und nach Organtransplantation, Patienten mit Koinfektionen
sowie die Betreuung von Kindern und Jugendlichen thematisiert. Die Leitlinie dient
dazu, eine optimale medizinische Betreuung der Patienten zu erreichen. Die Leitlinie
soll im klinischen Alltag angewandt werden von allen niedergelassenen und im Krankenhaus
tätigen Ärzte, von Krankenpflegekräfte sowie von Mitarbeitern, die in anderen Bereichen
des Gesundheitswesens tätig sind und die direkt oder indirekt in die Betreuung von
Patienten mit Hepatitis-B-Virusinfektionen eingebunden sind. Die Leitlinie richtet
sich zudem an die Patienten und an die Leistungserbringer.
Bei der Leitlinienentwicklung waren sowohl in der Klinik tätige als auch niedergelassene
Ärzte beteiligt. Die Patientensicht wurde durch Repräsentanten der Patientenorganisationen
„Deutsche Leberhilfe e. V.” sowie „Lebertransplantierte Deutschland e.V.” vertreten.
Wir möchten darauf hinweisen, dass das Management und die Therapie der chronischen
HBV-Infektion spezielle Kenntnisse erfordert und in der Hand eines in dieser Thematik
erfahrenen Arztes erfolgen sollte. Grundsätzlich muss bei jedem Patienten die Krankheitssituation
individuell betrachtet werden. Ein Abweichen von den Empfehlungen der Leitlinie ist
unter Abwägung der Risiken im konkreten Fall möglich.
Koordination des Leitlinienprojekts und Zusammensetzung der Leitliniengruppe
Herr Professor Dr. M. P. Manns (Hannover) wurde durch die DGVS mit der Koordination
des Leitlinienprojekts im Januar 2010 beauftragt. Nach einem ersten Treffen der Vertreter
der beteiligten Fachgesellschaften wurden zudem Frau Professor Dr. U. Protzer (München),
PD Dr. M. Cornberg (Hannover), PD Dr. M. Dollinger (Halle) und Professor Dr. C. Sarrazin
(Frankfurt) mit der wissenschaftlichen Organisation des Konsensusprozesses betraut.
Die einzelnen Mitglieder der Arbeitsgruppen wurden nach Fach- und Sachkompetenz ausgewählt.
Auf eine interdisziplinäre Besetzung der Arbeitsgruppen wurde geachtet, Mitglieder
der Konsensuskonferenz waren Experten auf den Gebieten der Gastroenterologie und Hepatologie,
Infektiologie, Virologie, Pathologie, Pädiatrie, Transplantationschirurgie und Epidemiologie.
Eine Einbindung der pharmazeutischen Industrie in den Prozess der Leitlinienentwicklung
wurde von der Leitlinien-Arbeitsgruppe und der Konsensuskonferenz nicht befürwortet.
Den Versorgungsstrukturen wurde durch die Beteiligung klinisch tätiger sowie niedergelassener
Kollegen Rechnung getragen, die Sicht der Patienten repräsentierte die Patientenorganisation
Deutsche Leberhilfe e. V. und Selbsthilfe Lebertransplantierter Deutschland e. V.
Vertreter der Selbsthilfegruppen waren Mitglieder in den Arbeitsgruppen und Teilnehmer
an der Konsensuskonferenz.
Folgende Fachgesellschaften/Organisationen waren mit offiziellem Mandat in den Arbeitsgruppen
vertreten: Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten, Deutsche
Gesellschaft für Pathologie, Gesellschaft für Virologie, Deutsche Gesellschaft für
Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung.
Kompetenznetz Hepatitis, Deutsche Leberhilfe, Selbsthilfe Lebertransplantierter Deutschland.
Die Mitglieder der einzelnen Arbeitsgruppen sind in der nachfolgenden [Tab. A ] aufgeführt. Vermerkt wurde hierbei auch, welche Personen als Arbeitsgruppenleiter
fungierten (fett gedruckt).
Tab. A Arbeitsgruppen.
AG 1: Diagnose
AG 2: Indikation
AG 3: Therapie
AG 4: Transplantation
Gerlich W, Gießen Löhr H, Wiesbaden
Protzer U, München
Rasenack JWF, Freiburg Schaefer S, Rostock
Schirmacher P, Heidelberg
Sprinzl M, Mainz/München Tillmann H, Durham (NC, USA) Treichel U, Düsseldorf Wittekind C, Leipzig
Cornberg M, Hannover Dollinger M, Halle Encke J, Neuss Geißler M, Esslingen Hüppe D, Herne Niederau C, Oberhausen
Petersen J, Hamburg
Tannapfel A, Bochum van Thiel I, Köln Wasmuth HE, Aachen
Van Bömmel F, Leipzig Fiedler M, Essen Geisler F, München Göser T, Köln Hinrichsen H, Kiel Kautz A, Köln Roeb E, Gießen Sarrazin C, Frankfurt Schlaak J, Essen Somasundaram R, Berlin von Weizsäcker F, Berlin
Wedemeyer H, Hannover
Zachoval R, München
Bahr M, Lübeck Bechstein WO, Frankfurt Beckebaum S, Essen
Berg T, Leipzig
Jonas S, Leipzig Kahl A, Berlin Kasper HU, Münster Seehofer D, Berlin Schlitt HJ, Regensburg Schmidt H, Münster Sterneck M, Hamburg Wiegand J, Leipzig Wursthorn K, Hannover
AG 5: Prophylaxe
AG 6: Koinfektionen
AG 7: Kinder
Heininger U, Basel Heintges T, Neusss Höhler T, Recklinghausen
Jilg W, Regensburg
Kallinowski B, Schwetzingen Radun D, Berlin Spengler U, Bonn Thimme R, Freiburg
Böhm S, Leipzig
Erhardt A, Düsseldorf
Klinker H, Würzburg Mauss S, Düsseldorf Oette M, Köln Reiser M, Marl Rockstroh J, Bonn Potthoff A, Hannover Kaiser R, Köln Hofmann C, Hamburg
Buderus S, Bonn Henneke P, Freiburg Lang T, Starnberg Melter M, Regensburg Schmidt-Choudhury A, Bochum
Wirth S, Wuppertal
Zimmer KP, Gießen
Neben den 7 Arbeitsgruppen wurde ein Advisory Board eingerichtet, welches durch anerkannte
Experten verschiedener Fachrichtungen besetzt wurde und eine beratende Funktion innehatte.
Die personelle Zusammensetzung ist [Tab. B ] zu entnehmen.
Tab. B Advisory Board
Advisory Board
Blum HE, Freiburg Bock CT, RKI Berlin Dienes HP, Köln Fleig WE, Leipzig Galle PR, Mainz Gerken G, Essen Goeser T, Köln Häussinger D, Düsseldorf Lammert F, Homburg Lohse A, Hamburg Manns MP, Hannover Neuhaus P, Berlin
Ramadori, G, Göttingen Roeb E, Gießen Roggendorf M, Essen Sauerbruch, T, Bonn Schlitt, HJ, Regensburg Schmidt, WE, Bochum Schmiegel, W, Bochum Trautwein, C, Aachen Wiedenmann, B, Berlin Wittekind, C, Leipzig Zeuzem, S, Frankfurt
Für die Abstimmung innerhalb der Konsensuskonferenz wurden schließlich weitere Mitglieder
aller beteiligten Fachgesellschaften eingeladen; die teilnehmenden, abstimmungsberechtigten
Personen sind in [Tab. C ] aufgeführt.
Tab. C Teilnehmer der Konsensuskonferenz am 12.6.2010 in Hannover
Teilnehmer (Name, Vorname, Ort)
Bahr, Matthias J., Lübeck Baumgarten, Axel, Berlin Beckebaum, Susanne, Essen Berg, Thomas, Leipzig Bock, C.-Thomas, Berlin Böcker, Ulrich, Mannheim Böker, Klaus H. W., Hannover Buderus, Stephan, Bonn Buggisch, Peter, Hamburg Capka, Emanuela, Chemnitz Cornberg, Markus, Hannover Deterding, Katja, Hannover Dienes, Hans Peter, Köln Discher, Thomas, Gießen Dollinger, Matthias, Halle Encke, Jens, Neuss Erhardt, Andreas, Düsseldorf Fiedler, Melanie, Essen Geisler, Fabian, München Geißler, Michael, Esslingen Gerlich, Wolfram H., Gießen Grüngreiff, Kurt, Magdeburg Günther, Rainer, Kiel Heiken, Hans, Hannover Hinrichsen, Holger, Kiel Hofmann, Jörg, Berlin Hüppe, Dietrich, Herne Jilg, Wolfgang, Regensburg Jonas, Sven, Leipzig Jung, Maria-Christina, München Kautz, Achim, Köln
Kirchner, Gabriele, Regensburg Kittner, Jens, Mainz Lammert, Frank, Homburg Manns, Michael P., Hannover Mauss,Stefan, Düsseldorf Müller-Schilling, Martina, Heidelberg Niederau, Claus, Oberhausen Petersen, Jörg, Hamburg Potthoff, Andrej, Hannover Probst, Andreas, Augsburg Protzer, Ulrike, München Reiser, Markus, Marl Roeb, Elke, Gießen Sarrazin, Christoph, Frankfurt Schiefke, Ingolf, Leipzig Schirmacher, Peter, Heidelberg Schlaak, Jörg, Essen Schott, Eckart, Berlin Spangenberg, Hans Christian, Freiburg Spengler, Ulrich, Bonn Tacke, Frank, Aachen Trowe, Egbert, Hannover Urban, Stephan, Heidelberg van Bömmel, Florian, Leipzig van Thiel, Ingo, Köln Wagner, Siegfried, Deggendorf Wedemeyer, Heiner, Hannover Wiedenmann, Bertram, Berlin Wirth, Stefan, Wuppertal Wursthorn, Karsten, Hannover
Methodik der Leitlinienerstellung
Die Aktualisierung der Leitlinie erfolgte auf S 3-Niveau auf Basis des Drei-Stufen-Konzepts
der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften e. V.
(AWMF). Eine Literaturrecherche nach bestmöglicher Evidenz und ein formaler Konsensus-Prozess
waren die Kernpunkte bei der Leitlinienerstellung. Detaillierte Informationen finden
Sie hierzu in einem separaten Methodenreport (Leitlinienregister der AWMF, www.awmf.org).
Eine chronologische tabellarische Zusammenstellung des Erstellungsprozesses der Leitlinie
gibt die [Tab. D ] wieder.
Tab. D Entwicklung der Leitlinie „Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Hepatitis-B-Virus(HBV)-Infektion”.
Systematische Literatursuche
Sichtung bereits existierender Leitlinien zum Thema
Entscheidung über die zu ändernden Empfehlungen (Sitzung der AG-Leiter und des Koordinationsteams
5.2.2010, Hannover)
Überarbeitung und Erstellung der Empfehlungen mittels eines informellen Konsenses
innerhalb der Arbeitsgruppen – Mehrmalige Treffen der jeweiligen Arbeitsgruppen und Telefonkonferenzen – Sitzungen der AG-Leiter: 5.2.2010, Hannover; 16.4.2010 EASL 2010, Wien; Telefonkonferenz
26.5.2010
Formulierung der Empfehlungen durch die Arbeitsgruppenleiter (Telefonkonferenzen)
und Formulierungsvorschläge der Empfehlungen über Delphi-Befragung (alle Teilnehmer
der Arbeitsgruppen, Advisory Board) April/Mai 2010
Konsensuskonferenz 12.06.2010 Hannover
Überarbeitung von nicht konsentierten Empfehlungen/Statements
Zweite Delphi-Befragung (alle Teilnehmer der Arbeitsgruppen, Advisory Board, Teilnehmer
der Konsensuskonferenz), Dezember 2010
Autorisierung der Leitlinie durch Fachgesellschaften März 2011
Für die Beantwortung der themenspezifischen Fragen wurde die Literatur mit der bestmöglichen
Evidenz herangezogen. Die Klassifikation der Evidenz nach Evidenzgraden I–V erfolgte
nach dem Schema des „Oxford Centre of Evidence Based Medicine” und ist der [Tab. E ] zu entnehmen.
Tab. E Klassifikation der Evidenz nach dem Oxford-Schema (www.cebm.net).
Evidenzgrad
Beschreibung
Ia
„Evidenz” durch systematisches Review randomisierter kontrollierter Studien (RCT)
Ib
„Evidenz” durch eine geeignet geplante RCT
Ic
Alle-oder-Keiner-Prinzip
IIa
„Evidenz” durch systematisches Review gut geplanter Kohortenstudien
IIb
„Evidenz” durch eine gut geplante Kohortenstudie/RCT mäßiger Qualität (z. B. < 80 %
Follow-up)
IIc
„Evidenz” durch Outcome-Research-Studien
IIIa
„Evidenz” durch systematisches Review gut geplanter Fallkontrollstudien
IIIb
„Evidenz” durch eine Fallkontrollstudie
IV
„Evidenz” durch Fallserien/Kohorten- und Fallkontrollstudien mäßiger Qualität
V
Expertenmeinung ohne explizite kritische Bewertung oder basierend auf physiologischen
Modellen, Laborforschungsresultaten oder „first principles”
Die thematisch zu bearbeitenden Schlüsselfragen waren bereits durch die 2007 erstellte
Leitlinie definiert. Die Schlüsselfragen waren die Basis für die Schlüsselwörter,
mit denen die Literaturrecherche durchgeführt wurde.
Zunächst wurden 23 von 58 Empfehlungen der alten Leitlinie [1 ] identifiziert, die inhaltlich aktualisiert und einer Abstimmung in der Konsensuskonferenz
erforderten. Die 35 Empfehlungen, die nicht in der Konsensuskonferenz abgestimmt werden
sollten, wurden in 2 Kategorien eingeteilt: 1. Empfehlungen mit geringem Änderungsbedarf,
bei dem aber einstimmig kein interaktiver Diskussionsbedarf als nötig angesehen wurde
(n = 8). 2. Empfehlungen, die sich gegenüber der alten Leitlinie nicht substanziell
ändern und lediglich Änderungen im Satzbau erforderten (n = 27). Diese Empfehlungen
wurden in den jeweiligen Arbeitsgruppen ([Tab. A ]) aktualisiert. Für diese überarbeiteten Empfehlungen wurde eine Delphi-Befragung
im Vorfeld der Konsensuskonferenz durchgeführt, bei der alle Leitlinienteilnehmer
und das Adivisory Board aufgefordert waren, abzustimmen (Details im separaten Methodenreport).
Im Rahmen der Delphi-Runde zeigte sich, dass bei 5 Empfehlungen weiterer Diskussionsbedarf
bestand, sodass diese Empfehlungen ebenfalls in der Konsensuskonferenz diskutiert,
ggf. modifiziert und erneut abgestimmt wurden.
Die Konsensuskonferenz fand am 12.6.2010 in Hannover statt. Alle am Leitlinienprozess
involvierten Teilnehmer, das „Advisory Board” sowie weitere ausgewählte Experten wurden
hierzu eingeladen (Tab. A–C). Mitglieder der Konsensuskonferenz waren Experten auf
den Gebieten der Gastroenterologie und Hepatologie, Infektiologie, Virologie, Pathologie,
Pädiatrie, Transplantationschirurgie und Epidemiologie. Die Konsensuskonferenz wurde
von Frau Prof. I. B. Kopp (Leiterin des AWMF-Instituts für medizinisches Wissensmanagement)
sowie Prof. W. H. Gerlich und Prof. M. P. Manns moderiert. Die Teilnehmer der Konsensuskonferenz
stimmten über jede der Empfehlungen im Anschluss über ein TED-System anonym ab. Die
Definition der Konsensstärke ist der [Tab. F ] zu entnehmen.
Tab. F Definition der Konsensstärke.
Konsensstärke
Zustimmung
Starker Konsens
> 95 %
Konsens
> 75 – 95 %
Mehrheitsentscheidung
> 50 – 75 %
Bei 3 Empfehlungen konnte kein Konsens erreicht werden, sodass keine finale Abstimmung
erfolgte. Diese Empfehlungen wurden anschließend auf der Basis der Diskussion in der
Konsensuskonferenz überarbeitet. Dabei wurden zwei der Empfehlungen in einer Empfehlung
zusammengefasst. Die so neu formulierten Empfehlungen wurden in einer weiteren Delphi-Runde
(Dezember 2010) abgestimmt (Details im separaten Methodenreport).
Formulierungen der Empfehlungen und Statements
Die Formulierungen der Empfehlungen und Statements sowie die jeweiligen Erläuterungen
wurden innerhalb der Arbeitsgruppen erarbeitet. Die ermittelte wissenschaftliche Evidenz
diente in der Regel als Grundlage für die nachfolgende Vergabe der Empfehlungsgrade,
aus denen die Formulierung der Empfehlungen und Statements resultierten ([Tab. G ]).
Tab. G Einteilung der Empfehlungsgrade.
Empfehlungsgrad[1 ]
Erläuterung
A
konsistent Studien mit Evidenzgrad I vorhanden
B
konsistent Studien mit Evidenzgrad II oder III bzw. Extrapolationen von Studien mit
Evidenzgrad I vorhanden
C
Studien mit Evidenzgrad IV oder Extrapolationen von Studien mit Evidenzgrad II oder
III
1Modifiziert nach „Scottish Intercollegiate Guidelines Network (SIGN)”, www.sign.ac.uk.
Der Empfehlungsgrad „D” inkonsistente bzw. nicht schlüssige Studien jedes Evidenzgrades
oder Expertenmeinung” wurde nicht vergeben.
Die Stärke der Empfehlung wird durch die Formulierungen der einzelnen Empfehlungen
deutlich. Der Empfehlungsgrad A spiegelt sich in einer „Soll-Empfehlung”, der Empfehlungsgrad
B in einer „Sollte-Empfehlung” und der Empfehlungsgrad C in einer „Kann-Empfehlung”
wider. Negierte Empfehlungen wurden entsprechend mit „soll nicht” oder „sollte nicht”
ausgedrückt. Ein Statement mit „ist” bedeutet ebenfalls ein Empfehlungsgrad A. Der
Empfehlungsgrad ist nach jeder Empfehlung in einer Klammer angegeben.
Der Empfehlungsgrad ist nicht zwangsläufig an die Evidenzstärke gebunden. So kann
bei geringerer Evidenzstärke und bei sehr starkem Konsens auch ein Empfehlungsgrad
A ausgesprochen werden. Umgekehrt kann bei hoher Evidenzstärke, aber schwachem Konsens
ein geringer Empfehlungsgrad ausgesprochen werden. In diesen Fällen wurden Erläuterungen
im Kommentartext mit aufgeführt. Bei Optionen von therapeutischen Maßnahmen erfolgte
unter Berücksichtigung der Evidenz eine Wertung. Gesundheitsökonomische Aspekte wurden
im Rahmen der Leitlinie nur indirekt bearbeitet. Die verursachten Kosten wurden bei
der Kosten/Nutzen-Beurteilung mit bewertet und flossen in die Empfehlungen ein.
Verabschiedung und redaktionelle Unabhängigkeit
Das finale Manuskript wurde an die beteiligten Fachgesellschaften und Organisationen
mit der Bitte um Stellungnahme und Autorisierung gesandt. Es erfolgte zudem eine kritische
Durchsicht durch externe Experten der Fachgesellschaften und durch den Leitlinienbeauftragen
der DGVS, Herrn Professor Dr. Zeuzem, Frankfurt.
Nach Überprüfung und Begutachtung der Leitlinie durch die Vorstände der beteiligten
Fachgesellschaften und Organisationen wurde die Leitlinie als offizielle Verlautbarung
autorisiert. Die Leitlinien-Erstellung wurde am 5.2.2010 begonnen und am 21.4.2011
offiziell abgeschlossen.
Die Finanzierung der Leitlinien-Erstellung erfolgte maßgeblich durch die Deutsche
Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten sowie über die beteiligten
Fachgesellschaften und das Kompetenznetz Hepatitis/Deutsche Leberstiftung. Alle Mitglieder
der Arbeitsgruppe arbeiteten ehrenamtlich, eine Vergütung erfolgte nicht. Ohne das
ehrenamtliche Engagement der Leitlinienteilnehmer wäre die Erstellung dieser Leitlinie
nicht möglich gewesen. Reisekosten und anderweitige Auslagen wurden entsprechend dem
Bundes-Dienstreisegesetz bzw. nach den im Hochschulbereich üblichen Richtlinien abgerechnet.
Um eine größtmögliche Unabhängigkeit zu erreichen, wurde auf eine finanzielle Unterstützung
durch die pharmazeutische Industrie verzichtet.
Alle Teilnehmer der Leitlinienerstellung haben eine Erklärung über mögliche Interessenkonflikte
ausgefüllt und unterschrieben. Das unterschriebene Formblatt liegt in der Geschäftsstelle
„Kompetenznetz Hepatitis/Deutsche Leberstiftung” vor. Eine tabellarische Auflistung
der Personen und die angegebenen potenziellen Interessenkonflikte sind dem separaten
Methodenreport zur Leitlinie zur entnehmen. Die Formulare wurden durch das Koordinatorenteam
gesichtet und diskutiert. Die angegebenen möglichen Interessenkonflikte der teilnehmenden
Personen wurden als nicht kritisch für den Erstellungsprozess der Leitlinie gewertet,
sodass die Kommentare aller Leitlinienteilnehmer bei der Diskussion der thematischen
Inhalte berücksichtigt wurden und keine Person bei der Abstimmung von spezifischen
Fragestellungen ausgeschlossen wurde.
Von den Autoren wurde erneut im Frühjahr 2011 eine aktualisierte Zusammenstellung
von möglichen Interessenkonflikten eingeholt. Die möglichen finanziellen und sonstigen
Interessenkonflikte der Autoren der Leitlinie sind in [Tab. H ] dargelegt.
Tab. H Finanzielle oder sonstige Verbindungen bzw. Interessenkonflikte der Autoren mit möglicherweise
an den Leitlinieninhalten interessierten Dritten.[1 ]
Autoren
Potenzielle Interessenkonflikte (finanzielle oder sonstige Verbindungen zu folgenden
Dritten)
M. Cornberg
Gilead, BMS, Novartis, Roche, MSD, GSK, ViiV Healthcare
U. Protzer
Roche, Siemens Healthcare, Micromet
J. Petersen
Gilead, BMS, Novartis, Roche, MSD, Abbott, GSK
H. Wedemeyer
Gilead, BMS, Novartis, Roche, MSD, Abbott, Transgene, Vision7
T. Berg
Gilead, BMS, Novartis, Roche, MSD, Abbott, GSK
W. Jilg
Novartis, MSD (Aventis Pasteur), GSK, Abbott, Baxter
A. Erhardt
Roche, MSD, Falk, Bayer
S. Wirth
BMS, Novartis, Roche
C. Sarrazin
Gilead, BMS, Novartis, Roche, MSD, Abbott
M. Dollinger
Gilead, BMS, Novartis, Roche, Bayer
P. Schirrmacher
BMS, Roche, Novartis, Falk, AstraZeneca
I. B. Kopp
Leiterin des AWMF-Instituts für Medizinisches Wissensmanagement
K. Dathe
Leitlinienkoordination DGVS
S. Zeuzem
Gilead, BMS, Novartis, Roche, MSD, Abbott, Achillion, Anadys, Boehringer, iTherX,
Pfizer, Pharamsset, Santaris, Tibotec/Janssen, Vertex
W. H. Gerlich
Novartis, Roche, Abbott
M. P. Manns
Gilead, BMS, Novartis, Roche, MSD, GSK, Schering-Plough/Merck, Valeant, Boehringer-Ingelheim,
Idenix, Tibotec, Vertex, Astra/Arrows
1Abkürzungen: GSK (GlaxoSmithKline), BMS (Bristol-Myers Squibb), MSD (Merck Sharp
& Dohme).
Maßnahmen zur Verbreitung und Implementierung der Leitlinie sind im separaten Methodenreport
(www.awmf.org) beschrieben.
Einleitung
Einleitung
Die Einleitung wurde von der AG 1 erstellt.
Das Hepatitis-B-Virus
Das Hepatitis-B-Virus (HBV) ist ein kleines, hepatotropes DNA-Virus, das weltweit
zu den häufigsten viralen Infektionserregern gehört. Rund 40 % der Weltbevölkerung
weisen Antikörper gegen das HBV-core-Antigen (Anti-HBc) als Merkmal einer durchgemachten
oder noch bestehenden Infektion auf [2 ]. Es gibt jedoch große Unterschiede in der Prävalenz, je nach geografischer Lage,
ethnischer Zugehörigkeit und Risikokonstellation. In Deutschland beträgt die Seroprävalenz
für HBsAg, das eine chronische Infektion anzeigt, ca. 0,6 %, für Anti-HBc, das auch
durchgemachte Infektionen erfasst, ca. 7 % [3 ]. Als Hepatitis B wird die Erkrankung bezeichnet, die durch das HBV hervorgerufen
wird und sich als akute oder chronische Leberentzündung manifestiert. Eine HBV-Neuinfektion
kann als akute Erkrankung auffallen, verläuft jedoch in der Mehrzahl der Fälle inapparent.
In < 1 % der Fälle verläuft die Neuinfektion als fulminante Hepatitis mit massivem
Leberzell-Schaden. Obwohl die Mehrzahl der HBV-Infektionen zu einer lebenslangen Immunität
ohne Krankheitsaktivität führt, kann das Virus persistieren.
Weltweit sind mindestens 350 Millionen Menschen persistierend mit HBV infiziert. Viele
HBV-Infizierte leiden an einer fortschreitenden, chronischen Lebererkrankung mit deutlich
eingeschränkter Lebenserwartung. Jährlich sterben ca. 600 000 Menschen an den Folgen
einer akuten oder chronischen Hepatitis B [2 ]
[4 ]. Patienten mit einer chronischen Hepatitis B haben ein deutlich erhöhtes Risiko,
ein hepatozelluläres Karzinom zu entwickeln [5 ].
Die Ausheilung der Erkrankung, aber auch die Pathogenese der Hepatitis B ist vorwiegend
immunvermittelt. Akute und chronische Hepatitis B werden durch die einsetzende Immunabwehr,
insbesondere durch zytotoxische T-Lymphozyten hervorgerufen [6 ]. Je nach Alter und Immunstatus des Infizierten kann das Einsetzen einer effizienten
Immunabwehr gegen HBV – durch noch unzureichend verstandene Mechanismen – um Wochen,
Monate oder Jahre verzögert bzw. sogar ganz blockiert sein. Bei fehlender effektiver
Immunantwort vermehrt sich das Virus rasch und wird in hohen Titern ins Blut sezerniert,
ohne dass erkennbare klinische Symptome vorliegen müssen. Daraus resultiert eine hohe
Virämie, die beim Einsetzen einer partiellen Immunkontrolle (meist gekennzeichnet
durch das Auftreten von Anti-HBe) i. d.R um mehrere Zehnerpotenzen abnimmt.
Verlaufsformen der Hepatitis-B-Virus-Infektion
Man unterscheidet eine akute und eine chronisch-persistierende HBV-Infektion. Die
Virus-Persistenz ist durch ein positives HBsAg gekennzeichnet. Während die Mehrzahl
der Neuinfektionen im Erwachsenenalter ausheilt, wird eine perinatal oder im Kleinkindalter
erworbene HBV-Infektion sowie eine Infektion unter Immunsuppression, Immundefizienz
oder Chemotherapie häufig chronisch ([Tab. 1 ]).
Tab. 1 Verlauf einer HBV-Infektion.
akute HBV-Infektion
– Vor Kurzem erworbene Infektion mit dem HBV. Sie kann mit einer Erhöhung der Transaminasen
und einer Leberfunktionseinschränkung einhergehen (akute Hepatitis B). Meistens selbstlimitierend.
chronische HBV-Infektion
– Länger als 6 Monate fortbestehende HBV-Infektion mit positivem HBsAg. Eine chronische
HBV Infektion kann periodisch oder längerfristig klinisch asymptomatisch und/oder
biochemisch inapparent verlaufen.
Der klinische Verlauf einer HBV-Infektion ist hochvariabel. Eine HBV-Infektion kann
asymptomatisch verlaufen oder sich klinisch als entzündliche Lebererkrankung manifestieren,
die mit einem Leberzelluntergang einhergeht. Man spricht dann von einer Hepatitis
B, die durch eine Erhöhung der Transaminasenaktivität im Serum und/oder histologisch
durch entzündliche Lebergewebsveränderungen gekennzeichnet ist. Fulminante Verläufe
führen unbehandelt in einem hohen Prozentsatz zum akuten Leberversagen [7 ].
Studien bei Patienten mit einer chronischen HBV-Infektion haben gezeigt, dass eine
hohe Viruslast (> 2000 IU/ml HBV-DNA, das entspricht 104 Kopien DNA/ml) im Blut ein entscheidender und unabhängiger Risikofaktor für die Progression
der Erkrankung, für die Entwicklung einer Leberzirrhose und für die Entstehung eines
hepatozellulären Karzinoms (HCC) ist [8 ]
[9 ]
[10 ]
[11 ]. Die von uns verwendete Stadien-Einteilung basiert daher vorwiegend auf der Virämie.
Man muss jedoch berücksichtigen, dass die Virämie im Verlauf einer Infektion erheblich
fluktuieren kann. Ein zweites, wichtiges Kriterium ist das Vorliegen einer Leberentzündung,
doch auch die entzündliche Aktivität einer Hepatitis B variiert im Verlauf.
Die Begriffe „Immuntoleranz” oder „immuntolerante Phase”, die man in der Literatur
häufig findet, werden bewusst nicht verwendet, da jede chronische Infektion auf einer
partiellen Immuntoleranz beruht, und kein diagnostisches Verfahren existiert, das
es uns erlaubt, den Grad der Immuntoleranz zu bestimmen ([Tab. 2 ]).
Tab. 2 Klinische Verlaufsformen einer chronischen HBV-Infektion.
Chronische Hepatitis B
Persistierende HBV-Infektion, die mit einer Leberzellschädigung einhergeht; die Leberschädigung
kann biochemisch und/oder histologisch nachweisbar sein.
Hochvirämischer HBsAg-Trägerstatus.
Hochreplikative, chronische HBV-Infektion ohne Zeichen der Leberzellschädigung, meist
nach vertikaler Übertragung oder Infektion im Kleinkindesalter sowie bei Immundefizienz.
Hochpositives HBsAg und HBeAg. Übergang in eine chronische Hepatitis B ist möglich.
Niedrig virämischer („inaktiver”) HBsAg-Trägerstatus
Persistierende HBV-Infektion ohne Zeichen der Leberzellschädigung, meist im langfristigen
Verlauf einer chronischen HBV Infektion. Der inaktive HBsAg-Träger ist HBeAg-negativ
und niedrig replikativ. Unter Immunsuppression, aber auch ohne ersichtlichen Grund
kann es zum Anstieg der Virämie und zur Reaktivierung der entzündlichen Aktivität
kommen.
Nach Infektion immunkompetenter Erwachsener heilt die HBV-Infektion in über 90 % der
Fälle aus (durchgemachte HBV-Infektion). Hingegen verläuft die Infektion im Kindesalter
in ca. 90 % und bei immunkompromittierten Personen in 30 – 90 % chronisch [7 ]. Während das Risiko einer chronischen HBV-Infektion mit dem Alter abnimmt, nimmt
das Risiko einer klinisch apparenten Hepatitis zu [12 ]. Unter Therapie, aber auch spontan kann eine chronische Infektion klinisch ausheilen.
Dies ist mit dem Verlust des HBsAg verbunden, dem meist eine Serokonversion von HBeAg
nach Anti-HBe vorausgeht.
Als durchgemachte Hepatitis B bezeichnet man eine stattgehabte, akute oder chronische
Hepatitis B mit dem serologischen Bild einer ausgeheilten HBV-Infektion (HBsAg negativ;
Anti-HBc, Anti-HBs positiv). Von einer schützenden Immunität geht man aus, wenn das
Anti-HBs über 10 IU/l ansteigt.
Obwohl das HBsAg serologisch nicht mehr nachweisbar ist, bleibt die Persistenzform
des HBV, die sog. cccDNA (covalently closed circular DNA), v. a. nach einer langjährigen
Infektion in niedrigen Mengen in Hepatozyten nachweisbar und kann unter bestimmten
Umständen (z. B. unter massiver immunsuppressiver oder Chemotherapie) eine Reaktivierung
verursachen. Diese Patienten haben – vermutlich abhängig von der Dauer der HBV-Infektion
– ein geringfügig erhöhtes Risiko, ein HCC zu entwickeln [13 ].
Als Sonderfall einer chronischen HBV-Infektion wird der „Anti-HBc-only”-Status beobachtet
(HBsAg negativ; Anti-HBc positiv, Anti-HBs negativ oder < 10 IU/l). Diese Sonderform
kann evtl. von einer niedrig titrigen Virämie (HBV-DNA ≤ 20 IU/ml) begleitet sein
[14 ]
[15 ]. Die Prävalenz des „Anti-HBc-only”-Status in Deutschland ist mit 1,4 – 2,2 % [16 ]
[17 ] relativ hoch, v. a. bei Patienten > 65 Jahre und bei Koinfektionen mit dem Hepatitis-C-Virus
(HCV) [14 ]
[16 ]
[18 ]. Der „Anti-HBc-only”-Status geht nicht mit einer Hepatitis einher, ist aber mit
dem Risiko verbunden, bei Blut- oder Organspenden oder -kontakt eine HBV-Infektion
zu übertragen. Unter Immunsuppression kann es unter Umständen zu einer Reaktivierung
der HBV-Replikation und einer Hepatitis B kommen.
Ein weiterer Sonderfall ist die okkulte HBV-Infektion. Trotz negativen HBsAgs ist
dabei HBV-DNA nachweisbar (üblicherweise < 200 IU/ml bzw. < 1000 Kopien/ml HBV-DNA).
Anti-HBc- und Anti-HBs-Antikörper können, müssen aber nicht nachweisbar sein. Eine
persistierende, okkulte HBV-Infektion findet man gehäuft bei Patienten mit HCV- oder
HIV-Infektion, kryptogener Leberzirrhose oder HCC. Eine transiente, okkulte HBV-Infektion
wird manchmal bei völlig gesunden Personen, insbesondere nach vorangegangener erfolgreicher
Impfung beobachtet, wenn der Anti-HBs-Titer auf < 100 IU/L abgesunken ist [19 ]
[20 ]. Sie birgt die Gefahr der Virus-Übertragung bei Blut-, Gewebe oder Organspende sowie
das Risiko einer Hepatitis unter Immunsuppression [21 ]
[22 ]
[23 ].
Hepatitis Delta
Die Hepatitis Delta ist eine durch das Hepatitis-Delta-Virus (HDV) hervorgerufene
Infektionserkrankung. Das HDV ist ein natürliches Satelliten-Virus des HBV mit einem
viroid-ähnlichen Genom (kleine, zirkuläre Einzelstrang RNA), an das Hepatitis-Delta-Antigen
(HDAg) gebunden ist. Das HDV-Genom kann zwar unabhängig von HBV replizieren, für Morphogenese,
Freisetzung und Infektiosität benötigt HDV aber die Hüllproteine des HBV. HDV kann
entweder simultan mit HBV übertragen werden (Koinfektion) oder aber einen HBV-Träger
im späteren Verlauf infizieren (Superinfektion) [24 ]
[25 ].
1. Definition der Hepatitis B und Hepatitis Delta und Empfehlungen zur Diagnostik
1. Definition der Hepatitis B und Hepatitis Delta und Empfehlungen zur Diagnostik
AG-Leiter: Protzer U, München
AG-Mitglieder:
Gerlich W, Gießen
Löhr H, Wiesbaden
Protzer U, München
Rasenack JW. F., Freiburg
Schaefer S, Rostock
Schirmacher P, Heidelberg
Sprinzl M, Mainz/München
Tillmann H, Durham (NC, USA)
Treichel U, Düsseldorf
Wittekind C, Leipzig
Indikation zur Durchführung einer Hepatitis-B-Virus-Diagnostik
Indikation zur Durchführung einer Hepatitis-B-Virus-Diagnostik
1.1 Bei welchen Personen soll eine Diagnostik erfolgen?
Empfehlung
Eine Hepatitis-B-Virus-Diagnostik soll grundsätzlich durchgeführt werden bei (A):
Personen mit erhöhten Leberwerten und/oder klinischen Zeichen einer Hepatitis
Patienten mit Leberzirrhose/-fibrose
Patienten mit hepatozellulärem Karzinom
Personen mit Migrationshintergrund aus Regionen mit erhöhter HBsAg-Prävalenz
Familien- oder Haushaltsangehörigen bzw. Sexualpartnern HBV-Infizierter oder Personen
mit Kontakten zu Infizierten, die eine HBV-Übertragung ermöglichen
medizinischem Personal
Patienten in psychiatrischen Einrichtungen, Bewohnern von Fürsorgeeinrichtungen für
Zerebralgeschädigte oder Verhaltensgestörte, Insassen von Justizvollzugsanstalten
homosexuellen Männern und/oder Personen mit häufig wechselnden Sexualkontakten
aktiven und ehemaligen i. v. Drogenbenutzern
Dialyse-Patienten
HIV- und/oder HCV-Infizierten
Empfängern von Organtransplantaten vor und nach Transplantation
Blut-, Gewebe-, Samen- und Organspendern
Patienten vor bzw. während einer immunsuppressiven Therapie oder Chemotherapie
Schwangeren (nur HBsAg)
Kinder von HBsAg-positiven Müttern
Delphi-Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Aufgrund der Prävalenz einer chronischen, HBAg-positiven HBV-Infektion von 0,4 – 0,8 %
und einer Prävalenz von Anti-HBc von ca. 7 % in Deutschland [3 ] (IIc) und der schwerwiegenden Folgen einer chronischen HBV-Infektion [7 ]
[26 ] (IIa) ist es gerechtfertigt, die Indikation zur HBV-Diagnostik großzügig zu stellen.
Obwohl das Hepatitis-B-Virus weltweit vorkommt, gibt es Hochendemie-Gebiete (> 50 %
der Bevölkerung Anti-HBc positiv) in Asien, dem Südpazifik, in Afrika südlich der
Sahara, in Südamerika und im Mittleren Osten. Gebiete mit mittlerer Prävalenz (10 – 50 %
Anti-HBc positiv) sind der Mittelmeerraum und Osteuropa. Personen, die in diesen Gebieten
geboren sind, oder deren Mütter aus diesen Regionen stammen, haben ein erhöhtes Risiko,
HBV-Träger zu sein [2 ] (Ia). Das Screening von Migranten aus diesen Regionen hilft, die Progression von
Lebererkrankungen zu vermindern und ist kosteneffizient [27 ] (IIb).
Das HBV wird perinatal, perkutan durch Blut-zu-Blut-Kontakt oder durch Sexualkontakte
übertragen. Da bereits geringste Mengen des Virus für eine Infektion ausreichen, kann
es auch zur Übertragung bei engem Kontakt, z. B. innerhalb einer Familie, kommen.
Ein weiterer wichtiger Risikofaktor sind Handlungen oder Maßnahmen mit potenziellem
Blutkontakt (z. B. Drogenkonsum, Doping, Piercing, Blutprodukte, Hämodialyse etc.).
Auch Übertragungen bei operativen medizinischen oder zahnmedizinischen Eingriffen
sind beschrieben [2 ] (Ia).
Da viele HBV-Infektionen inapparent verlaufen und eine HBV-Infektion den Verlauf und
die Prognose einer nicht HBV-bedingten Lebererkrankung erheblich beeinflussen kann,
soll bei Patienten mit einer Lebererkrankung grundsätzlich eine HBV-Diagnostik erfolgen
[28 ] (Ia).
Unter Immunsuppression verlaufen HBV-Infektionen gehäuft chronisch und es kann zu
einer Reaktivierung durchgemachter HBV-Infektionen kommen [29 ] (IIc). Siehe auch 3.12.
Da auch in Niedrig-Endemie-Gebieten 0,4 –1,5 % der Schwangeren HBsAg-Träger sind [3 ] (IIc), und damit ein Risiko der Übertragung der HBV-Infektion auf das Kind besteht,
ist ein generelles HBsAg-Screening in der Schwangerschaft – ab der 32. Schwangerschaftswoche
– laut Mutterschaftsrichtlinien in Deutschland seit 1994 gesetzlich vorgeschrieben.
Bei erhöhtem HBV-Risiko kann auch ein früherer Untersuchungszeitpunkt sinnvoll sein,
um eine evtl. indizierte antivivale Therapie zur Vermeidung der perinatalen Übertragung
(s. S. 894/5) zu ermöglichen.
In Ausnahmefällen kann auch eine HBsAg-negative, isoliert Anti-HBc-positive Mutter
das Virus auf ihre Kinder übertragen. Da hieraus bisher keine chronischen Infektionen
resultierten [30 ] (IIb), entstehen keine Konsequenz für das Schwangeren-Screening. Ein Screening des
Neugeborenen kann allerdings sinnvoll sein.
Um Impfversagen bzw. Virusdurchbrüche bei Neugeborenen HBV-infizierter Mütter zu erkennen,
soll nach 6 – 7 Monaten auf HBsAg und Anti-HBc getestet werden.
1.2 Wie ist das weitere Vorgehen nach initialer HBV-Diagnostik?
Empfehlung
Anti-HBc-negative Personen der oben genannten Risiko-Gruppen sowie alle Kinder und
Jugendliche, die über keinen ausreichenden Impfschutz verfügen, sollen gegen das Hepatitis-B-Virus
geimpft werden (A).
Bei HBsAg-positiven Personen soll die Aktivität der Lebererkrankung bestimmt und eine
Therapie-Indikation abgeklärt werden (A). Es sollte eine Impfung gegen das Hepatitis-A-Virus
empfohlen werden (wenn kein Schutz vorliegt) (B).
Delphi-Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Für den o. g. Personenkreis besteht gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission
am Robert Koch-Institut eine eindeutige Indikation zur Impfung [31 ]. Diese soll daher bei negativem Ausgang der Diagnostik umgehend eingeleitet werden.
Eine Impfindikation während der Schwangerschaft muss streng geprüft werden (s. auch
Prophylaxe der Hepatitis B, AG 5).
Eine Hepatitis-A-Virus(HAV)-Infektion kann den Verlauf einer chronischen Hepatitis
B negativ beeinflussen und sogar zum akuten Leberversagen führen [3 ]
[32 ] (IIc). Daher empfiehlt die Ständige Impfkommission bei allen chronischen Lebererkrankungen
bzw. anderen chronischen Erkrankungen mit Leberbeteiligung eine Impfung gegen Hepatitis
A [31 ]. Vor der Impfung sollte serologisch der Anti-HAV-Status bestimmt werden, wenn aufgrund
des Alters (> 50-Jährige) oder der Herkunft eine Immunität vermutet werden kann.
Serologische Diagnostik der HBV-Infektion
Serologische Diagnostik der HBV-Infektion
1.3. Wie wird eine Infektion mit dem HBV diagnostiziert? Welche serologischen Parameter
sollten initial, welche im Verlauf bestimmt werden?
Empfehlung
Die virologisch-serologische Diagnostik bei Verdacht auf eine akute Hepatitis B sollte
den Nachweis von HBsAg, Anti-HBc (gesamt Ig, falls positiv auch Anti-HBc-IgM) umfassen
sowie bei Bedarf HBeAg und Anti-HBe. In seltenen Fällen (HBsAg-negative akute Hepatitis
B) führt erst die Bestimmung der HBV-DNA (quantitativ) zur korrekten Diagnose (B)
(s. [Tab. 3 ]
[5 ]).
Die Diagnostik bei Verdacht auf eine chronische Hepatitis B erfordert sinnvoll aufeinander
abgestimmte Schritte. Zu diesen gehören der Nachweis von HBsAg und Anti-HBc (gesamt),
HBV-DNA (quantitativ) und HBeAg/Anti-HBe (A) (s. [Tab. 4 ]
[5 ]).
Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Bei nachgewiesener, akuter Hepatitis B ist in den meisten Fällen eine Ausheilung zu
erwarten. Um diese nachzuweisen, sollen Anti-HBs-Antikörper bestimmt werden ([Tab. 3 ] bzw. [Tab. 4 ]). Die Bestimmung der Anti-HBs-Antikörper sollte ggf. alle 3 –12 Monate wiederholt
werden, bis der Titer > 10 IU/l ist (s. auch [Tab. 6 ]).
HBsAg wird durch Immunoassays mit hoher Sensitivität und Spezifität bestimmt [33 ]
[34 ]
[35 ] (IIb). Obwohl das HBsAg ein exzellenter Parameter für das Screening ist, können
falsch negative und falsch positive Befunde die Diagnostik erschweren.
In der Frühphase der Infektion kann die Menge an HBsAg so gering sein, dass auch empfindliche
Tests es nicht nachweisen. Diese Phase kann mehrere Wochen dauern. Zu geringe Mengen
an HBsAg unter der Nachweisgrenze werden auch bei akuter oder okkulter HBV-Infektion
beobachtet. Ein Nachweis der Infektion ist in diesen Fällen durch eine hochempfindliche
Bestimmung der HBV-DNA möglich.
Ein falsch negativer HBsAg-Test kann durch Escape-Variationen in den HBsAg-Epitopen
bedingt sein, da solche Varianten u. U. nicht oder nur schlecht an die zur Detektion
benutzten Antikörper binden [35 ] (IIb). Da verschiedene HBsAg-Tests verschiedene Antikörper zum Nachweis verwenden,
können diskrepante [36 ] und zum Teil im Bestätigungstest nicht inhibierbare Ergebnisse [37 ] entstehen (IV). Eine Klärung kann durch den HBV-DNA-Nachweis mittels PCR erfolgen.
Ein falsch positives HBsAg-Testergebnis (gehäuft beobachtet bei Dialysepatienten oder
post mortem bei Organspendern) kann meistens durch Neutralisation mit Anti-HBs (vom
Hersteller empfohlener Bestätigungstest) ausgeschlossen werden. Die Einbeziehung des
Anti-HBc-Antikörper-Befunds und unter Umständen der HBV-DNA kann notwendig sein (V).
Die HBsAg-Serumkonzentration kann als Surrogat-Marker für die Menge an aktiver intrahepatischer
cccDNA dienen [38 ]. Die quantitative Bestimmung erfolgt in IU/ml mittels geeichter Immunassays (1 IU/ml
entspricht etwa 0,55 –0,7 ng/ml nativem HBAg-Protein) [39 ] (IIb).
Ein kontinuierlicher Abfall der HBsAg-Konzentration kann als prädiktiver Marker für
ein Ansprechen auf eine Interferon-alpha-Therapie [40 ]
[41 ]
[42 ]
[43 ] (IIb) oder eine HBsAg-Elimination unter Nukleos(t)id-Analoga dienen [44 ]
[45 ]
[46 ] (IIb).
Die quantitative Bestimmung des HBsAg kann die Quantifizierung der HBV-DNA nicht ersetzen,
kann aber z. B. bei der Differenzierung akute versus chronische Hepatitis B zusätzliche
Hilfestellung leisten [47 ]
[48 ] (IIIb). Außerdem kann durch die Quantifizierung des HBsAg die Differenzierung der
unterschiedlichen Phasen einer chronischen HBV-Infektion verbessert werden [48 ]
[49 ]
[50 ]
[51 ] (IIIb).
Der Nachweis von Anti-HBc-Gesamt (IgM + IgG) ist ein Marker einer stattgehabten Infektion
mit HBV. Die häufig verwendeten Kompetitionstests weisen beide Immunglobulinklassen
nach.
Während einer akuten Hepatitis B wird Anti-HBc-IgM in hoher Konzentration gefunden
[47 ]
[52 ] (IIIb). Es fällt mit der Ausheilung ab. Allerdings kann ein positives Anti-HBc-IgM
in niedriger Konzentration auch auf eine Exazerbation einer chronischen Hepatitis
B zurückzuführen sein [53 ] (IIIb). Eine Quantifizierung des Anti-HBc-IgM zur Differenzierung einer akuten von
einer chronischen Hepatitis B mit akutem Schub kann daher sinnvoll sein.
Als Marker einer HBV-Virämie wird die HBV-DNA-Konzentration im Serum angesehen. Diese
wird mittels PCR oder anderen Nukleinsäure Amplifikationsverfahren nachgewiesen. Die
meisten auf dem Markt verfügbaren Tests erlauben einen quantitativen Nachweis der
HBV-DNA. Da dies keine wesentlichen Mehrkosten verursacht, das Ausmaß der HBV-Virämie
aber große prognostische Bedeutung hat [8 ]
[9 ]
[10 ] (IIb), ist der quantitative HBV-DNA-Nachweis der Goldstandard.
Bei der Angabe der Viruskonzentration werden sowohl DNA-Kopien/ml als auch International
Units/ml (IU/ml) verwendet. International hat man sich inzwischen auf die Verwendung
von IU/ml verständigt [54 ]. Je nach Testverfahren entsprechen 3,3 – 6 Kopien einer IU. Für diese Leitlinie
wurde zur Umrechnung von Kopien/ml in IU/ml der Faktor 5 verwendet [55 ].
Das HBeAg ist als prognostischer Marker etabliert und ist (bei HBeAg-positiven HBV-Stämmen)
ein Surrogat-Marker für die Menge an HBV-RNA in Hepatozyten [56 ] (IIIa). Die Bestimmung des HBeAg/Anti-HBe-Serostatus ist sinnvoll, um die Diagnose
einer HBV-Infektion zu erhärten und die Prognose des Therapieansprechens eines Patienten
abzuschätzen.
Tab. 3 Stufenschema 1: Serologische Diagnostik bei V. a. akute HBV-Infektion.
Initial: HBsAg und Anti-HBc
– falls beide positiv: HBeAg, Anti-HBe; Anti-HBc IgM; bei schwerem Verlauf: Anti-HDV und HBV-DNA quantitativ
– falls HBsAg isoliert positiv: HBsAg-Bestätigungstest (Ausschluss einer falsch positiven Reaktion) – falls bestätigt positiv: HBeAg, HBV-DNA; nach 2 – 4 Wochen Kontrolle: HBsAg, Anti-HBc
und Anti-HBc IgM
– falls nur Anti-HBc positiv: Anti-HBs – falls Anti-HBs positiv: durchgemachte HBV-Infektion mit klinischer Ausheilung; evtl.
Kontrolle im Verlauf bis Anti-HBs ≥ 10 IU/l) – falls Anti-HBs negativ oder ALT erhöht: Anti-HBc-IgM; HBV-DNA quantitativ (DD: akute
HBV-Infektion/HBV-Escape-Variante/„Anti-HBc only”);
Tab. 4 Stufenschema 2: Serologische Diagnostik bei V. a. chronische HBV-Infektion
Initial: HBsAg und Anti-HBc
– falls beide positiv: HBeAg, Anti-HBe; Anti-HBc-IgM (bei DD: akute Hepatitis B); HBV-DNA quantitativ; Anti-HDV
– falls HBsAg isoliert positiv: HBsAg-Bestätigungstest (Ausschluss einer falsch positiven Reaktion) – – falls positiv: HBeAg, HBV-DNA (DD: akute/okkulte HBV-Infektion); nach 2 – 4 Wochen:
Kontrolle Anti-HBc
– falls nur Anti-HBc positiv: Anti-HBs – falls negativ: Anti-HBc bestätigen, – wenn bestätigt: „Anti-HBc only”-Status, bei klinischen Symptomen oder Frage der
Infektiosität: HBV-DNA quantitativ – wenn HBV-DNA positiv: okkulte HBV-Infektion
Tab. 5 Diagnostische Kriterien einzelner Verlaufsformen der Hepatitis B/D.
akute Hepatitis B
– HBsAg positiv und Anti-HBc-IgM hoch positiv; – bei fehlendem HBsAg: HBeAg, HBV-DNA – Verlauf ≤ 6 Monate
chronische Hepatitis B
– HBsAg + > 6 Monate – persistierend oder intermittierend erhöhte ALT/GPT-Werte – HBV-DNA initial > 2000 IU/ml – Leberbiopsie mit Zeichen der chronischen Hepatitis
HBsAg-Träger-Status
– HBsAg + > 6 Monate – persistierend normale ALT/GPT-Werte – Leberbiopsie (optional) ohne wesentliche Hepatitis (Grading 0 – 1 nach Desmet) – hochvirämisch : HBeAg + ; HBV-DNA > 2000 IU/ml (selten: HBeAg negativ bei HBeAg-negativen HBV-Varianten) – inaktiv : HBeAg negativ; HBV-DNA ≤ 2000 IU/ml
ausgeheilte Hepatitis B
– Nachweis von Anti-HBc und Anti-HBs ≥ 10 IU/l – HBsAg negativ – HBV-DNA negativ*
Sonderfall: „Anti-HBc only”
– Nachweis von Anti-HBc (bestätigt) – HBsAg negativ, Anti-HBs negativ oder < 10 IU/l – HBV-DNA negativ[3 ]
– normale ALT/GPT-Werte
okkulte HBV Infektion
– Nachweis von Anti-HBc (bestätigt) – HBsAg negativ, Anti-HBs negativ oder < 10 IU/l – HBV-DNA positiv (> 20 IU/ml)*
Hepatitis Delta
– HBsAg positiv – Anti-HDV positiv – falls HDV-RNA positiv: aktive Infektion
1In Ausnahmefällen kann auch bei einer ausgeheilten Hepatitis B mittels PCR noch HBV
in minimalen Mengen nachweisbar sein (d. h. < 20 IU/ml).
Tab. 6 Algorithmus zur Verlaufskontrolle einer akuten HBV-Infektion.
Transaminasenaktivität und Prothrombinzeit nach klinischem Bedarf und Verlauf (cave:
fulminantes Leberversagen!) wiederholen bis zur Normalisierung
HBsAg/Anti-HBs alle 3 – 12 Monate bis zur Anti-HBs-Serokonversion
Immunität kann bei Anti-HBs > 10 IU/l angenommen werden, wenn HBsAg negativ ist
bei HBsAg negativ/Anti-HBs < 10 IU/l: HBV-DNA; Kontrolle nach 12 Monaten
Diagnostik der Hepatitis-Delta-Virus(HDV)-Infektion
Diagnostik der Hepatitis-Delta-Virus(HDV)-Infektion
1.4 Wann ist eine Hepatitis-Delta-Virus-Diagnostik indiziert? Wie wird eine Hepatitis
Delta diagnostiziert?
Empfehlung
Eine Hepatitis-Delta-Virus(HDV)-Diagnostik wird bei allen Hepatitis-B-Patienten sowohl
bei neu diagnostizierter HBV-Infektion als auch bei fehlender Testung bei bekannter
HBV-Infektion empfohlen. Insbesondere bei Exazerbation einer chronischen Hepatitis
B soll eine HDV-Superinfektion ausgeschlossen werden (A).
Der Nachweis einer akuten oder stattgehabten Infektion mit HDV erfolgt durch die Bestimmung
von Anti-HDV-Antikörpern als Screening-Test. Da der Nachweis von Anti-HDV nicht zwischen
einer persistierenden und einer ausgeheilten Hepatitis D unterscheiden kann, soll
bei positivem Anti-HDV die HDV-RNA im Blut bestimmt werden. Die Quantifizierung der
HDV-RNA dient der Therapie-Überwachung (A).
Eine chronische HDV-Infektion ist durch die Persistenz der HDV-RNA über mindestens
6 Monate definiert.
Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Das HDV ist ein natürliches Satelliten-Virus des HBV, das weltweit vorkommt. Die Übertragung
des HDV erfolgt parenteral. Freisetzung und Infektiosität des HDV hängen vom HBV ab,
da das HBV die Hüllproteine liefert. Eine HDV-Infektion kann somit nicht isoliert
auftreten, sie kann nur auf dem Boden einer HBV-Infektion und damit nur bei HBsAg-positiven
Patienten vorkommen.
Es gibt 2 Formen der HDV-Infektion: die simultane Infektion mit HBV und HDV sowie
die HDV-Superinfektion von HBV-Trägern. Beide Formen können sowohl akut als auch chronisch
verlaufen [24 ]
[25 ].
Eine Koinfektion mit dem HDV findet man in Westeuropa bei 5 – 12 % der Patienten mit
einer chronischen Hepatitis B [25 ]
[57 ] (IIIa).
Da die Letalität der Hepatitis D ca. 10-mal so hoch ist wie die einer alleinigen HBV-Infektion
[25 ] (IIIa), ist eine diagnostische Abklärung bei allen Hepatitis-B-Patienten unbedingt
notwendig.
Der Nachweis von Anti-HDV-Antikörpern erfolgt durch Immunoassays [58 ] (IIb).
Der Virusnachweis und damit der Nachweis der Infektiosität sollte durch den Nachweis
von HDV-RNA mittels RT-PCR erfolgen [59 ] (IIb). Durch die hohe Variabilität des Virus kann der PCR-Nachweis schwierig sein.
Daher sollte bei klinischem Verdacht auf HDV-Infektion ggf. ein unabhängiger, zweiter
PCR-Assay erfolgen. Ein quantitativer Nachweis ist in Speziallaboratorien möglich
[60 ]
[61 ]
[62 ] (IIb) und ist insbesondere zur Therapie-Überwachung anzustreben.
Die Unterscheidung einer akuten und einer chronischen Infektion kann durch den Nachweis
von IgM-Antikörpern erfolgen, ist aber nur wenig spezifisch [63 ] (IIc). Der Nachweis von HDV-RNA ist daher vorzuziehen.
Vor und während der Therapie einer HDV-Infektion mit Interferon alpha sollte ein Monitoring
der HDV-RNA erfolgen [61 ]
[64 ] (Ib).
Diagnostik bei Erstdiagnose einer HBV-Infektion
Diagnostik bei Erstdiagnose einer HBV-Infektion
1.5 Welche weitere Diagnostik ist bei Erstdiagnose einer HBV-Infektion erforderlich?
Empfehlung
Bei Erstdiagnose einer HBV-Infektion werden zusätzlich empfohlen (A):
Anamnese (inkl. Risikofaktoren, Familien-, Partneranamnese), körperliche Untersuchung
Nachweis von evtl. Koinfektionen (HDV, HIV, HCV, Lues)
Hepatitis-A-Virus-Serologie (Frage: Impfung)
Klinisch-chemische Labortests
Ultraschall des Abdomens
Alpha-Fetoprotein-Bestimmung (nur bei erhöhtem HCC-Risiko oder Raumforderung in der
Leber)
Abstimmung: 97 % (starker Konsens)
Erläuterung
Um das Ausmaß der entzündlichen Veränderungen sowie eine mögliche Einschränkung der
Leberfunktion einschätzen zu können, sind verschiedene klinisch-chemische Labortests
(z. B. Leberentzündungs- und Lebersynthese-Parameter), ein Blutbild sowie ein Gerinnungsstatus
erforderlich. Bei Verdacht auf eine fortgeschrittene Lebererkrankung sollten zur Bestimmung
der Syntheseleistung der Leber zusätzliche Tests (Prothrombinzeit (Quick-Wert), Albumin)
durchgeführt werden.
Ein Ultraschall des Abdomens soll erfolgen, um evtl. Raumforderungen in der Leber
und Begleiterkrankungen (z. B. Gallensteine, Fettleber) zu entdecken und ggf. Anhaltspunkte
für Umbauprozesse des Lebergewebes zu gewinnen.
Ein erhöhtes HCC-Risiko haben Patienten mit Leberzirrhose und Patienten mit langjährig
hoher Virämie (> 2000 IU/ml) [8 ]
[9 ]
[10 ] (IIb) und erhöhten Transaminasen sowie positivem HBeAg und/oder HBV-Genotyp-C-Infektion
[11 ] (IIb). Weitere Risiko-Faktoren sind männliches Geschlecht, Alter > 40 Jahre, positive
HCC-Familienanamnese, Migrationshintergrund aus hyperendemischen Gebieten, Alkohol-
und Alphatoxin-Konsum [11 ]
[65 ]
[66 ] (IIIa).
Ein kombiniertes HCC-Screening mittels Ultraschall des Abdomens und AFP-Bestimmung
kann aufgrund der begrenzten Sensitivität und Spezifität der einzelnen Untersuchungen
gerechtfertigt sein [67 ]
[68 ] (Ib). Die Bestimmung der AFP-Konzentration im Serum hat nur bei nachgewiesener Raumforderung
eine konkrete diagnostische Relevanz; sie hilft, die Prognose des HCC einzuschätzen.
Familienmitgliedern bzw. Partnern und engen Kontaktpersonen HBV-Infizierter muss eine
HBV-Diagnostik und ggf. Impfung angeboten werden!
Histologische Diagnostik einer chronischen Hepatitis B
Histologische Diagnostik einer chronischen Hepatitis B
1.6 Bei welchen Patienten ist eine Leberbiopsie indiziert?
Empfehlung
Die Leberbiopsie ist eine wichtige Maßnahme zur Einstufung und Prognose-Beurteilung
einer chronischen Hepatitis. Sie sollte daher bei Patienten mit chronischer HBV-Infektion
angestrebt werden, wenn sich daraus Konsequenzen für Diagnose, Verlaufsbeurteilung
und/oder Therapie ableiten lassen (B).
Delphi-Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Maßgebliche Grundlage für die Biopsieentscheidung ist die Frage, ob das diagnostische
Ergebnis der Biopsie für das therapeutische Vorgehen von Bedeutung ist. Die bioptische
Diagnostik dient zur Klärung folgender Fragen:
Bestimmung der entzündlichen Aktivität (Grading),
Bestimmung des Fibroseausmaßes (Staging),
Aussagen zur Ätiologie (insbes. Komorbidität).
Da alle o. g. Parameter Einfluss auf die Prognose und Therapie(-entscheidung) bei
einer Hepatitis B haben können, ist zu jedem Punkt pathologisch-diagnostisch explizit
Stellung zu beziehen. Für eine detaillierte Darstellung wird auf die Leitlinie zur
bioptischen Diagnostik der chronischen Hepatitis verwiesen [69 ] (IIa).
Bei jeder chronischen Hepatitis dient die Leberbiopsie in erster Linie der Bestimmung
der entzündlichen Aktivität (Grading) und des Fibroseausmaßes (Staging) und ist in
der Beurteilung dieser Parameter nach wie vor der „Goldstandard” [66 ]
[69 ] (Ic).
Bei fortgeschrittener Leberzirrhose muss eine sorgfältige Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen,
da ein erhöhtes Interventionsrisiko besteht und die Therapie-Indikation aus dem klinischen
Befund der Leberzirrhose abgeleitet werden kann. Es sollten nicht invasive Parameter
ausgeschöpft werden, um das Risiko (v. a. einer Blutung) abschätzen zu können.
Die Beurteilung der Ätiologie ist insbesondere bei unklaren oder negativen serologischen
Parametern und in Bezug auf relevante Begleiterkrankungen von Bedeutung. Bei unklarer
Anamnese und fehlenden biochemischen und serologischen Vorbefunden kann die Leberbiopsie
auch dazu dienen, die Chronizität einer Lebererkrankung zu beurteilen. Untersuchungen
an Biopsien, die ausschließlich zum Grading/Staging gewonnen wurden, zeigen eine relevante
Komorbidität in etwa 20 % der Fälle [70 ] (IIIb).
Nicht invasive Verfahren können für die ausschließliche Beurteilung der Leberfibrose
zum Einsatz kommen [71 ] (IIb). Allerdings sind nicht invasive Verfahren bei der Hepatitis B weniger gut
evaluiert als bei der Hepatitis C. Insbesondere kann die Interpretation nicht invasiver
Verfahren (Elastografie) bei hohen Transaminasen (z. B. bei Flares) erschwert sein
[72 ]
[73 ] (IV).
Verlaufsuntersuchung bei Patienten mit einer Hepatitis B
Verlaufsuntersuchung bei Patienten mit einer Hepatitis B
1.7 Wie sollte das Follow-up einer Hepatitis B bei fehlender Therapie-Indikation aussehen?
Empfehlung
Eine akute HBV-Infektion sollte überwacht werden, bis eine Anti-HBs-Serokonversion
erfolgt ist (B).
Die Diagnose einer chronischen HBV-Infektion erfordert regelmäßige Verlaufsuntersuchungen.
Bei fehlender Therapie-Indikation sollten sich diese nach dem klinischen Verlauf richten
(s. Algorithmus) (B).
Bei erhöhtem HCC-Risiko sollte regelmäßig eine Ultraschalluntersuchung des Abdomens
und ggf. eine AFP-Bestimmung zur Früherkennung eines HCC durchgeführt werden (B).
Das Kontrollintervall kann je nach klinischem Verlauf 3 – 12 Monate betragen (C).
Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Die Ausheilung einer Hepatitis B wird serologisch diagnostiziert, eine Bestimmung
der HBV-DNA ist nur bei gezielten Fragestellungen erforderlich (z. B. unklare serologische
Befund-Konstellation, Infektiosität) ([Tab. 7 ]).
Bei Ausheilung einer akuten Hepatitis B kommt es häufig erst verzögert zum Anstieg
von Anti-HBs-Antikörpern, in ca. 25 % der Patienten sind diese auch nach 24 Monaten
noch nicht nachweisbar [74 ] (IIa). Daher kann die Verlaufskontrolle nach Negativierung des HBsAg je nach klinischem
Bild in großen Intervallen erfolgen.
Die Intervalle der Verlaufsuntersuchungen einer chronischen HBV-Infektion, für die
keine Therapie-Indikation vorliegt, hängen vom klinischen Verlauf ab und müssen individuell
festgelegt werden (Entzündliche Aktivität? Höhe der Virämie? Vorliegen einer Leberzirrhose?
Risiko für die Entwicklung eines HCC? Siehe 1.5). Wichtig ist eine Regelmäßigkeit
der ärztlichen Kontrolle, um eine evtl. Zunahme der entzündlichen Aktivität bzw. ein
Fortschreiten der Lebererkrankung rechtzeitig zu diagnostizieren.
Eine quantitative Einpunkt-Bestimmung des HBsAg in Kombination mit der Virämie kann
mit einem prädiktiven Wert von 90 % einen inaktiven HBsAg-Träger identifizieren [51 ] (IIIb). Eine quantitative HBsAg Bestimmung kann daher in bestimmten Situationen
sinnvoll sein. Weitere Studien sind aber notwendig.
Tab. 7 Algorithmus zur Verlaufskontrolle einer chronischen HBV-Infektion.
Verlaufskontrolle bei chronischer Hepatitis B
Kontrolle je nach klinischer Aktivität der Erkrankung zunächst alle 3, später alle
12 Monate, bei Vorliegen einer Leberzirrhose alle 6 Monate:
– klinische Chemie (Leberentzündungs- und Lebersynthese-Parameter, Blutbild, Prothrombinzeit)
– HBeAg (sofern initial positiv), wenn negativ: Anti-HBe
– HBsAg (ggf. quantitativ), wenn negativ: Anti-HBs
– HBV-DNA (quantitativ)
– bei erhöhtem HCC-Risiko: Ultraschall des Abdomens und ggf. AFP-Bestimmung
Verlaufskontrolle bei HBsAg-Trägerstatus
– Transaminasenaktivität und HBV-DNA quantitativ: im ersten Jahr mind. 3 × , im zweiten
Jahr mind. 2 × , danach alle 12 Monate
– bei Anstieg der Transaminasenaktivität über den Normwert: siehe chronische Hepatitis
B
– HBeAg alle 12 Monate, wenn negativ: Anti-HBe, HBsAg
– wenn HBsAg negativ: Anti-HBs
– bei erhöhtem HCC-Risiko: Ultraschall des Abdomens und ggf. AFP in Abhängigkeit vom
Risikoprofil alle 3 – 12 Monate
1.8 Wie sollte das Therapie-Monitoring bei chronischer Hepatitis B aussehen?
Empfehlung
Besteht eine Therapie-Indikation für eine chronische HBV-Infektion, sollen (A), sollten
(B) bzw. können (C) folgende Untersuchungen vor Therapie bzw. zum Therapie-Monitoring
durchgeführt werden:
Vor Therapie:
Während der Therapie:
HBeAg alle 3 Monate, bei Verlust Anti-HBe (B)
HBV-DNA quantitativ (Virämie) nach 4 Wochen und nach 12 Wochen, dann alle 3 – 6 Monate
(B)
bei Therapie mit Nukleos(t)id-Analoga: bei Anstieg der Virämie trotz gesicherter Einnahme
oder bei fehlendem initialem Ansprechen: Bestimmung von Resistenz-vermittelnden Mutationen
im HBV Polymerase-Gen (C)
klinisch-chemische Labortests alle 3 Monate (B)
HBsAg/Anti-HBs bei Verlust des HBeAg und/oder anhaltendem Abfall der HBV-DNA (< 200
IU/ml) (B), eine quantitative Bestimmung des HBsAg kann hilfreich sein (C).
Abstimmung: 98 % (starker Konsens)
Erläuterung
Abhängig vom Nebenwirkungsspektrum des jeweiligen Medikaments können weitere Untersuchungen
erforderlich sein.
Da das Therapieansprechen auf Interferon alpha u. a. vom HBV-Genotyp abhängig sein
kann, sollte vor Einleitung einer solchen Therapie einmalig der Genotyp bestimmt werden
[75 ]
[76 ]
[77 ]
[78 ]
[79 ] (IIb).
Ein erneuter Anstieg der HBV-Virämie nach initialem Abfall zeigt ein Therapieversagen
an. Hier sollte sichergestellt werden, dass die Medikamente regelmäßig eingenommen
wurden, bevor ein Therapieversagen diagnostiziert wird.
In zahlreichen Studien ist belegt, dass ein Jahr nach Beginn einer Therapie mit Lamivudin
15 – 30 % der Patienten Mutationen im Polymerase-Gen des HBV, vorwiegend im YMDD-Motiv,
aufweisen (Übersicht in: [80 ]; siehe auch 3.5 (Ib). Auch für Adefovir, Entecavir und Telbivudin sind Resistenzmutationen
beschrieben [80 ] (IIc), die evtl. bereits vor Therapie vorliegen können [81 ] (IV). Sie vermitteln z. T. Kreuzresistenzen gegenüber mehreren Nukleosid-/Nukleotid-Analoga
(siehe AG 3).
Sowohl bei Versagen einer laufenden Therapie als auch bei primärem Nichtansprechen
sollte daher eine Resistenzbestimmung des HBV erfolgen (i. d. Regel genotypisch),
um einen gezielten Therapie-Wechsel vornehmen zu können.
2. Indikationsstellung zur Therapie der Hepatitis B
2. Indikationsstellung zur Therapie der Hepatitis B
AG-Leiter: Petersen J, Hamburg
AG-Mitglieder:
Cornberg M, Hannover
Dollinger M, Halle
Encke J, Neuss
Geißler M, Esslingen
Hüppe D, Herne
Niederau C, Oberhausen
Petersen J, Hamburg
Tannapfel A, Bochum
van Thiel I, Köln
Wasmuth HE, Aachen
Akute Hepatitis B
Akute Hepatitis B
2.1 Kann die klinische Heilungsrate durch eine antivirale Therapie erhöht werden?
Kann durch eine antivirale Therapie die Krankheitsdauer verkürzt und die Schwere der
Erkrankung reduziert werden?
Empfehlung
Aufgrund der hohen Spontanheilungsrate der akuten Hepatitis B beim Erwachsenen besteht
in der Regel keine Therapie-Indikation für die aktuell verfügbaren antiviralen Medikamente
(A).
Sonderfälle sind Patienten mit schwerer akuter oder fulminanter Hepatitis B. Bei Anzeichen
einer Einschränkung der Lebersynthese sollten diese Patienten antiviral behandelt
und frühzeitig in einem Transplantationszentrum betreut werden (B).
Delphi-Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Die akute Hepatitis B heilt bei Erwachsenen in 95 – 99 % der Fälle spontan aus [12 ]
[82 ] (IIIa). Eine Verbesserung der Ausheilung durch eine antivirale Therapie wird kaum
nachweisbar sein. Die Therapie der akuten Hepatitis B mit antiviralen Medikamenten
bleibt umstritten. Eine randomisierte placebokontrollierte Studie aus Indien hat keinen
Vorteil einer Lamivudintherapie der akuten Hepatitis B gegenüber einer Placebobehandlung
gezeigt [83 ] (IIb). Eine weitere Studie aus Asien ergibt Hinweise für eine verbesserte klinische
Response unter Lamivudintherapie, jedoch möglicherweise auf Kosten einer niedrigeren
Serokonversionsrate [84 ] (IIb). Daten aus Europa oder den USA zur antiviralen Therapie der akuten Hepatitis
B mit kompensierter Leberfunktion liegen nicht vor. Eine prospektive nationale Studie
(GAHB-Studie) konnte aufgrund unzureichender Patientenrekrutierung nicht beendet werden.
Mehrere Fallberichte haben gezeigt, dass Patienten mit fulminanter Hepatitis B (0,1 – 0,5 %
der Fälle bei Erwachsenen), die frühzeitig mit Lamivudin behandelt wurden, nur in
20 % eine Lebertransplantation benötigten, im Vergleich zu 50 – 80 % der unbehandelten
Patienten aus historischen Kontrollen [85 ]
[86 ] (IIIb). Bei Anzeichen einer Einschränkung der Lebersynthese im Rahmen der akuten
Hepatitis B (Verlängerung der Prothrombinzeit, Quick-Wert < 50 %) erscheint daher
eine sofortige orale antivirale Therapie mit Lamivudin gerechtfertigt, um einem fulminantem
Leberversagen vorzubeugen. Für einen Beginn der antiviralen Therapie bei ausreichender
Leberfunktion (Quick-Wert > 50 %) gibt es keine Evidenz, möglicherweise hat die frühe
Therapie sogar eine negative Auswirkung auf die Anti-HBs-Serokonversionsrate [84 ] (IIb).
Die Datenlage mit den neueren oralen Medikamenten ist noch nicht ausreichend. Idealerweise
sollten Patienten mit fulminanter Hepatitis B in prospektive Untersuchungen eingeschlossen
werden.
Chronische Hepatitis B
Chronische Hepatitis B
2.2 Welche Patienten sollten therapiert werden?
Empfehlung
Alle Patienten mit chronischer Hepatitis B sind grundsätzlich Kandidaten für eine
antivirale Therapie. Die Indikationsstellung berücksichtigt in erster Linie die Höhe
der Virusreplikation (Grenzwert 2000 IU/ml), den Entzündungs- und Fibrosestatus in
der Biopsie und die Transaminasen-Aktivität im Serum (wiederholt erhöht) (B).
Insbesondere Patienten mit fortgeschrittener Fibrose oder Zirrhose benötigen eine
konsequente antivirale Therapie unabhängig von der Höhe der Virämie (B).
Reaktivierungen der Hepatitis-B-Virusreplikation durch Immunsuppression erhöhen das
Risiko von akuter Dekompensation und Zirrhose und sollten durch eine präventive Therapie
verhindert werden (B).
Eine Therapie mit einem Nukleos(t)id-Analogon während der Schwangerschaft kann erwogen
werden, wenn der mögliche Nutzen größer erscheint als die Risiken (C).
Berufliche und soziale Aspekte sowie extrahepatische Komplikationen können im Individualfall
eine Therapie begründen (C).
Aufgrund der guten Verträglichkeit der oralen antiviralen Therapie stellt ein Alkohol-
oder Drogenkonsum keine Kontraindikation gegen eine Therapie mit Nukleos(t)id-Analoga
dar (C).
Abstimmung: 97 % (starker Konsens)
Tab. 8 Behandlungsindikationen.
in aller Regel behandlungsbedürftige Patienten:
HBeAg-positiv, HBV-DNA > 2000 IU/ml, ALT/GPT erhöht oder Histologie > minimale entzündliche
Aktivität/geringe Fibrose (B).
HBeAg-negativ, HBV-DNA > 2000 IU/ml, ALT/GPT erhöht oder Histologie > minimale entzündliche
Aktivität/geringe Fibrose (B).
besonders behandlungsbedürftige Patienten:
HBV-DNA-positive Patienten mit deutlicher oder fortschreitender Fibrose (B).
Patienten mit (dekompensierter) Zirrhose bei Virusnachweis (B).
in der Regel nicht behandlungsbedürftige Patienten:
HBsAg-Träger (B): wiederholt HBV-DNA-negativ oder sehr niedrige HBV-DNA Konzentrationen
(< 2000 IU/ml), wiederholt normale Transaminasen und höchstens minimale entzündliche
Aktivität/geringe Fibrose in der Leberbiopsie (B).
Erläuterung
Eine sichere Indikation zur antiviralen Behandlung besteht bei Patienten mit chronischer
Hepatitis B, HBeAg-positiv oder HBeAg-negativ, die
eine Virusreplikation von ≥ 2000 IU/ml zeigen und
eine entzündliche Aktivität mit erhöhter Transaminasen-Aktivität im Serum aufweisen
und
unter Berücksichtigung von Lebensalter und Begleiterkrankungen ein Risiko besitzen,
eine Leberzirrhose und deren Komplikationen wie insbesondere ein HCC zu entwickeln.
Die Höhe der Transaminasen ist kein zuverlässiger Parameter für die Abschätzung der
Krankheitsaktivität, insbesondere bei HBeAg-negativen Patienten [87 ] (IIb), und daher für die Indikation zur Therapie nur eingeschränkt verwertbar. Bei
zunächst nicht eindeutiger Indikation sollten Viruslast und Transaminasen wiederholt
in dreimonatigen Abständen kontrolliert werden. In unklaren Situationen, z. B. Virämie
> 2000 IU/ml, und normalen oder nur minimal erhöhten Transaminasen, sollte die histologische
Beurteilung des Lebergewebes durch Gewinnung einer Leberbiopsie für die Indikationsstellung
mit einbezogen werden, insbesondere bei Patienten jenseits des 30. Lebensjahres. Auch
bei normalen oder nur minimal erhöhten Transaminasen im Serum können eine Entzündung
und/oder eine signifikante Fibrose (> minimale Fibrose) in der Leber vorliegen, die
dann eine Therapie-Indikation begründen können [88 ]
[89 ]
[90 ]
[91 ]
[92 ] (IIb). Bei Patienten, die histologisch nur Minimalveränderungen aufweisen und deshalb
zunächst nicht behandelt werden, sollte ggf. die Histologie nach 3 – 5 Jahren kontrolliert
werden. Nicht invasive sonografische Elastografieverfahren können im Einzelfall gegebenenfalls
zusätzliche Informationen bezüglich einer bereits vorliegenden Zirrhose liefern oder
für Verlaufsbeurteilungen herangezogen werden, die veröffentlichte Datenmenge für
Hepatitis B ist bislang allerdings äußerst gering, und die Biopsie bleibt bislang
der Goldstandard (siehe AG 1).
Patienten mit einer Virämie ≥ 2000 IU/ml und wiederholt erhöhten Transaminasen sollten
therapiert werden, auch ohne Vorliegen einer Leberbiopsie. Zu den besonders behandlungsbedürftigen
Patienten zählen Patienten mit deutlicher oder fortschreitender Leberfibrose oder
-zirrhose. Letztere sind bereits durch relativ milde Schübe („Flares”) der chronischen
Hepatitis bei mangelnder Leberreserve z. T. vital gefährdet und sollten bei Nachweis
jeglicher Virämie langfristig antiviral therapiert werden ([Abb. 1 ]
[Tab. 8 ]).
Zu den Patienten, die in der Regel nicht behandelt werden sollten, zählen inaktive
HBsAg-Träger (anhaltend niedrige Virämie < 2000 IU/ml und anhaltend normale Transaminasen),
da diese Personen eine geringe HBV-assoziierte Morbidität und Sterblichkeit aufweisen
[93 ] (IIb) ([Tab. 8 ]).
Niedrig virämische HBsAg Träger aus Asien haben im Vergleich zu HBsAg-negativen Patienten
ein erhöhtes HCC-Risiko [94 ] (IIb). Diese Assoziation wurde bislang bei europäischen Patienten nicht dokumentiert
[93 ] (IIb).
Einige Studien zeigen auch für Patienten mit normalen Transaminasen in Abhängigkeit
von der Viruslast ab etwa 2000 IU/ml ein signifikant erhöhtes Zirrhose- und Karzinomrisiko
[8 ]
[10 ]
[94 ] (IIb). Diese Studien sind an asiatischen Patienten (Patienten waren alle über 25
Jahre, mehrheitlich HBeAg negativ) mit Genotypen B und C nach mehrheitlich vertikaler
Transmission erhoben worden und sollten an kaukasischen Patienten reproduziert werden.
Obwohl die Daten nicht direkt auf kaukasische Patienten mit Genotypen A und D und
häufigerer horizontaler Transmission übertragbar sind, sollten diese Studienergebnisse
in therapeutische Überlegungen mit einfließen, zumal ein nicht unerheblicher Anteil
von HBV-Patienten in Deutschland aus asiatischen Ländern stammt. So sollten Patienten,
die bei anhaltend normalen Transaminasen eine höhere Viruslast zeigen (> 2000 IU/ml),
regelmäßig überwacht werden (Kontrollen alle 6 Monate), und bei Hinweisen für eine
Aktivierung der Erkrankung antiviral behandelt werden.
In Einzelfällen können berufliche und soziale Aspekte (Berufsverbot bei HBV-Replikation,
Prävention bei häufig wechselnden sexuellen Partnern) sowie extrahepatische Komplikationen
und Beschwerden eine antivirale Therapie begründen (Überblick in [Abb. 1 ]).
Die Hepatitis B kann reaktivieren, sowohl bei inaktiven HBsAg-Trägern als auch nach
klinischer Heilung der Erkrankung mit Ausbildung von Anti-HBs und/oder Anti-HBc-Antikörpern.
Reaktivierungen der Hepatitis B erhöhen das Risiko von Zirrhose und HCC. Das Risiko
der Reaktivierung der HBV-Infektion mit Gefahr der klinischen Dekompensation wird
durch eine Immunsuppression (Chemotherapie, Transplantation u. a.) deutlich erhöht
[36 ]
[95 ]
[96 ]
[97 ]
[98 ]
[99 ]
[100 ]
[101 ]
[102 ]
[103 ]
[104 ]
[105 ]
[106 ]
[107 ] (IIa). Eine medikamentös-präventive Therapie wirkt der durch Immunsuppression verursachten
Hepatitis-B-Reaktivierung entgegen und ist daher bei allen HBsAg-positiven Patienten
indiziert [108 ]
[109 ]
[110 ] (IIa). Aber auch bei lediglich Anti-HBc-positiven Patienten und auch in Einzelfällen
bei Anti-HBs-positiven Personen kann eine präventive Therapie mit Nukleos(t)id-Analoga
notwendig sein (Einzelheiten siehe AG 3, Empfehlung 3.12).
Bei der Abwägung von Nutzen und Risiken einer antiviralen Therapie vor bzw. während
der Schwangerschaft sind potenzielle Gefährdungen für das Neugeborene und mögliche
Risiken für die schwangere Patientin zu unterscheiden. In jedem Falle ist bei bereits
bekannter oder neu diagnostizierter Hepatitis B die Behandlungsindikation für die
Schwangere zu überprüfen (Einzelheiten siehe AG 3, Empfehlung 3.11).
Abb. 1 Übersicht zur Therapie-Indikation bei einer Hepatitis B. Eingeschränkte Leberfunktion:
Verlängerte Prothrombinzeit (Quick-Wert < 50 %).
2.3 Sollen HBV-Patienten mit Alkohol- und Drogenkonsum antiviral behandelt werden?
Empfehlung
Aufgrund der guten Verträglichkeit der oralen antiviralen Therapie stellt ein Alkohol-
oder Drogenkonsum keine Kontraindikation gegen eine Therapie mit Nukleos(t)id-Analoga
dar. Die Abstinenz vor Therapiebeginn stellt keine absolute Voraussetzung zur Indikationsstellung
dar. Die zu erwartende Compliance sollte vor Therapiebeginn abgeschätzt und während
der Therapie klinisch hinterfragt werden. Therapie-Indikation, -Dauer und -Überwachung
sind abhängig von der Höhe der Transaminasen, der HBV-DNA, ggf. histologischen Veränderungen
in der Leber und dem HBeAg/Anti-HBe-Status und sind daher nicht grundsätzlich anders
als bei Patienten ohne Alkohol- bzw. Drogenabhängigkeit. Aufgrund des Nebenwirkungsprofils
einer Therapie mit (PEG)-Interferon alpha wird als Primärtherapie eine orale antivirale
Therapie empfohlen (C).
Delphi-Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Zur Therapie der chronischen Hepatitis B bei dieser Patientengruppe existieren keine
kontrollierten Daten. Die Interferon-alpha-Behandlung wird häufig schlecht toleriert
und führt zu zusätzlichen, meist psychiatrischen Komplikationen, wie es auch in der
analogen Situation bei Patienten mit einer Hepatitis C bekannt ist [111 ] (Ia). Die Therapie der Wahl besteht daher in einer Gabe von Nukleosid- oder Nukleotid-Analoga.
Es ist wahrscheinlich, dass die Therapie der chronischen Hepatitis B auch bei Patienten
mit moderatem Alkoholkonsum die Prognose verbessert. Bei Patienten mit Zustand nach
i. v. Drogenabusus stellt die Substitutionsbehandlung mit Methadon und verwandten
Substanzen keine Kontraindikation für eine Therapie mit Nukleosid- und Nukleotid-Analoga
dar.
3. Therapie der Hepatitis B
3. Therapie der Hepatitis B
AG Leiter: Wedemeyer H, Hannover
AG-Mitglieder:
Van Bömmel F, Leipzig
Fiedler M, Essen
Geisler F, München
Göser T, Köln
Hinrichsen H, Kiel
Kautz A, Köln
Roeb E, Gießen
Sarrazin C, Frankfurt
Schlaak J, Essen
Somasundaram R, Berlin
von Weizsäcker F, Berlin
Wedemeyer H, Hannover
Zachoval R, München
3.1 Was sind die Ziele der Therapie der chronischen Hepatitis B?
Empfehlung
Das Ziel der Therapie der chronischen Hepatitis B ist, die Morbidität und Mortalität
der HBV-Infektion zu senken. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Surrogatmarker während
und nach der Behandlung zur Überprüfung des Therapieerfolgs herangezogen werden (A).
Es ist eine dauerhafte Suppression der HBV-DNA unter die Nachweisgrenze anzustreben
(A). Langfristiges Ziel ist zudem eine Serokonversion von HBs-Antigen zu Anti-HBs-Antikörpern
(A).
Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Tab. 9 Medikamente, die für die Behandlung der chronischen Hepatitis B zugelassen sind (Stand
1.1.2011).
Substanz
Zugelassene Dosierung
Alpha-Interferone
Pegyliertes Interferon alpha-2a (Pegasys®)
180 µg 1 × /Woche für 48 Wochen
Interferon alpha-2a (Roferon ®) [1 ]
2,5 – 5 Mio. IU pro m2 Körperoberfläche 3 × /Woche f. 4 – 6 Monate
Interferon alpha-2b (Intron A ®)
1
5 – 10 Mio. IU 3 × /Woche (jeden 2. Tag) s . c . 4 – 6 Monate
Nukleosid-Analoga
Lamivudin (Zeffix®)
100 mg einmal täglich
Entecavir (Baraclude®)
0,5 mg einmal täglich 1,0 mg bei Patienten mit Lamivudin-Resistenz
Telbivudin (Sebivo®)
600 mg einmal täglich
Nukleotid-Analoga
Adefovir dipivoxil (Hepsera ®)
1
10 mg einmal täglich
Tenofovir dipivoxil (Viread®)
245 mg einmal täglich
1Konventionelle Alpha-Interferone (Interferon alpha-2a und -2b) sowie Adefovir dipivoxil
werden nicht mehr zur Therapie der Hepatitis B empfohlen und sollten nur noch Ausnahmefällen
eingesetzt werden.
3.2 Welche grundsätzlichen Fragen sind bei der Therapieplanung der Hepatitis B zu
berücksichtigen?
Empfehlung
Bei der Auswahl der Medikamente zur Therapie der Hepatitis B soll zunächst geprüft
werden, ob eine Alpha-Interferontherapie möglich und sinnvoll ist (A).
Die Auswahl von Nukleos(t)id-Analoga sollte das Stadium der Lebererkrankung, die Höhe
der HBV-Virämie sowie evtl. Vortherapien berücksichtigen (B). Liegt eine Leberzirrhose
oder eine Viruslast von > 106 IU/ml vor, sollte primär eine Substanz mit hoher genetischer Resistenzbarriere eingesetzt
werden (B).
Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Die Behandlungsoptionen der HBV-Infektion bestehen zum einen in der Gabe von (pegyliertem)
Interferon alpha und zum anderen von Nukleosid- und Nukleotid-Analoga, die die HBV-Replikation
hemmen ([Tab. 9 ]).
Da eine Interferontherapie grundsätzlich zeitlich begrenzt ist und ein dauerhafter
Therapieerfolg angestrebt wird [112 ] (Ib), soll die Möglichkeit einer Therapie mit Interferon alpha primär evaluiert
werden.
Wird keine Alpha-Interferontherapie begonnen, so ist zunächst die Frage zu beantworten,
ob bereits eine Leberzirrhose vorliegt. Im Falle einer Leberzirrhose ist die Entwicklung
einer Virus-Resistenz gegen HBV-Polymerasehemmer so weit wie möglich zu verringern,
da ein Therapieversagen bei Leberzirrhose mit einem verringerten Überleben assoziiert
ist [113 ]
[114 ] (IIa).
Virale Resistenzen können weitgehend verhindert werden, indem eine Substanz eingesetzt
wird, die eine Resistenzentwicklung erschwert (Entecavir oder Tenofovir). Das Auftreten
von Resistenzen ist beim Einsatz von Medikamenten mit niedriger Resistenzbarriere
(Lamivudin, Telbivudin; Adefovir) deutlich erhöht ([Tab. 12 ]). Für Telbivudin und Lamivudin ist allerdings gezeigt worden, dass im Falle eines
schnellen Therapieansprechens (HBV-DNA < 200 IU/ml nach 6 Monaten) und einer initial
niedrigen HBV-DNA (< 106 IU/ml) das Risiko für eine Resistenzentstehung im weiteren Verlauf gering ist [115 ]
[116 ] (IIb für die Aussage), sodass diese Substanzen bei Patienten mit niedriger Viruslast
und fehlenden Hinweisen auf fortgeschrittene Leberfibrose eingesetzt werden können.
Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass auch bei einer HBV-DNA von < 60 IU/ml zu
Therapiewoche 24, im weiteren Verlauf einer Therapie mit Lamivudin oder Telbivudin
Resistenzen bei 9 bzw. 4 % der Fälle bis zur Therapiewoche 96 beobachtet wurden [117 ] (Ib).
Ein Einsatz von Adefovir ist aufgrund der geringeren antiviralen Potenz, der Wahrscheinlichkeit
der Resistenzentwicklung im Langzeitverlauf und des Nebenwirkungsprofils (Nephrotoxizität:
[118 ] [IIb]) in der Regel nicht mehr sinnvoll.
Für andere Therapien wie Thymosin alpha [119 ]
[120 ]
[121 ]
[122 ] (Ia), Ribavirin [123 ]
[124 ] (Ib), aktive Vakzinierungen [125 ]
[126 ]
[127 ]
[128 ] (IIb) oder Kortikosteroid-Priming [129 ] (Ia) liegen zwar z. T. kleinere positive Studien vor, jedoch fehlt für jeden dieser
alternativen Ansätze der Beweis der Wirksamkeit in größeren multizentrischen Phase-III-Studien.
Es können daher keine Aussagen zur Effektivität gemacht werden.
Tab. 10 Kontraindikationen für den Einsatz von Interferon alpha bei der chronischen Hepatitis
B (hinsichtlich der weiteren Kontraindikationen für den Einsatz von [PEG]-Interferon
alpha bei der chronischen Hepatitis B wird auf die Fachinformationen verwiesen).
Schwangerschaft und Stillzeit sind absolute Kontraindikationen für die Gabe von (PEG)-Interferon
alpha
Patienten mit fortgeschrittener oder dekompensierter Leberzirrhose (Child B/C) sollen
nicht mit (PEG)-Interferon alpha behandelt werden. Es besteht das Risiko der Induktion
einer schweren Exazerbation der Erkrankung.
Tab. 11 Faktoren, die für eine Therapie mit (PEG)-Interferon alpha sprechen.
Patientenwunsch
mindestens 2-fach erhöhte Transaminasen (ideal mindestens 5-fach erhöhte Transaminasen)
HBV-DNA < 108 IU/ml
HBV-Genotyp A (andere Genotypen sollten aber bei zusätzlichen günstigen Faktoren eine
Therapie nicht ausschließen)
Tab. 12 Wirksamkeit von oralen antiviralen Substanzen in der Therapie der Hepatitis B bei
unbehandelten Patienten.[1 ]
Nukleosid-Analoga
Nukleotid-Analoga
Lamivudin (Zeffix®)
Telbivudin (Sebivo®)
Entecavir (Baraclude ®)
Adefovir (Hepsera ®)
Tenofovir (Viread®)
Dosis (einmal täglich)
100 mg
600 mg
0,5 mg (1 mg bei Lamivudin-Resistenz)
10 mg
245 mg
HBeAg-positive Patienten Woche 48 / 52
HBV-DNA < 300 – 400 Kop/ml
36 – 40 %
60 %
67 %
13 – 21 % < 400 Kop/ml
76 %
Anti-HBe-Serokonversion
18 – 22 %
23 %
21 %
12 – 18 %
21 %
ALT-Normalisierung
60 – 75 %
77 %
68 %
48 – 54 %
68 %
HBeAg-positive Patienten Jahre 2 – 5
HBV-DNA < 300 – 400 Kop/ml
39 – 48 % (2 J)
56 % (2 J)
80 % (2 J) 94 % (5 J, 1 mg!)
n. a.
78 % (3 J)
Anti-HBe-Serokonversion
25 % (2 J)
30 % (2 J)
31 % (2 J) 40 % (5 J)
n. a.
26 % (3 J)
ALT-Normalisierung
62 – 79 % (2J)
70 % (2 J)
87 % (2 J) 80 % (5 J, 1 mg!)
n. a.
n. a.
HBeAg-negative Patienten Woche 48 / 52
HBV-DNA < 300 – 400 Kop/ml
72 %
88 %
90 %
51 – 63 % < 400 Kop/ml
93 %
ALT-Normalisierung
71 – 79 %
74 %
78 %
72 – 77 %
76 %
HBeAg-negative Patienten Jahre 2 – 5
HBV-DNA < 300 – 400 Kop/ml
57 % (2 J)
82 % (2 J)
97 % (2 J) 100 % (3 J)
71 % (2 J, < 1000 Kop/ml) 53 % (5 J, < 1000 Kop/ml)
90 % (2 J) 88 % (3 J)
ALT-Normalisierung
70 % (2J)
78 % (2 J)
86 % (2 J)
73 % (2 J) 59 % (5 J)
n. a.
Resistenzentwicklung (genotypische Resistenz und/oder virologischer Durchbruch)
Woche 48 / 52
10 – 32 %
3 – 5 %
< 0,5 %[2 ]
0 %
0 %
Woche 96 / 104
22 – 42 %
9 – 25 %
< 0,5 %2
3 – 20 %
0 %
3 Jahre
bis 53 %
n. a.
< 0,5 %2
11 %
0 %
4 Jahre
bis 70 %
n. a.
1,2 %
18 %
n. a.
5 Jahre
bis 74 %
n. a.
1,2 %
29 %[3 ]
20 – 65 %[4 ]
n. a.
6 Jahre
bis 76 %
n. a.
1,2 %
n. a.
1Literatur zur Effektivität und Resistenzen: Lamivudin: [165 – 171] (Ia, viele qualitativ
sehr gute, randomisierte Phase-III-Studien); Adefovir: [172 – 176] (Ib); Entecavir:
[168, 177 – 182] (Ib); Telbivudin: [117, 170, 183] (Ib); Tenofovir: [163, 175, 184]
(Ib). Das biochemische Ansprechen ist in verschiedenen Studien unterschiedlich definiert
worden (Normalisierung der Transaminasen oder Abfall der ALT auf < 1,25-fach (Entecavir)
oder < 1,3-fach (Telbivudin) oberhalb des oberen Normwerts).
2Bei Lamivudin-resistenten Patienten betrug die kumulative Wahrscheinlichkeit einer
genotypischen Resistenz gegen Entecavir 6 % nach 1 Jahr, 15 % nach 2 Jahren, 36 %
nach 3 Jahren, 47 % nach 4 Jahren, 51 % 5 Jahren und 57 % nach 6 Jahren.
3Bei HBeAg-negativen Patienten.
420 % HBeAG-positiv, 65 % bei HBeAG-positiven Lamivudin-resistenten Patienten.
Interferon-alpha-basierte Therapie
Interferon-alpha-basierte Therapie
3.3 Bei welchen Patienten soll eine Behandlung mit Interferon alpha erwogen werden?
Empfehlung
(PEG)-Interferon alpha ist wirksam bei HBeAg-positiven und HBeAg-negativen Patienten
mit chronischer Hepatitis B und kompensierter Lebererkrankung (maximal Child-Pugh
A Leberzirrhose). Nebenwirkungen und Kontraindikationen einer Therapie mit Interferon
alpha sind zu beachten ([Tab. 10 ]).
Der Einsatz von (PEG)-Interferon alpha soll bei allen Patienten geprüft werden (A).
Aufgrund der mindestens äquivalenten Ansprechraten, aber einer patientenfreundlicheren
Applikation einmal pro Woche ist die Therapie mit PEG-Interferon alpha empfehlenswerter
als Standard-Interferon alpha (C).
Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Effektivität der Standard-Interferon-alpha- bzw. PEG-Interferon-alpha-Therapie
Sowohl für die Therapie der HBeAg-positiven als auch der HBeAg-negativen chronischen
Hepatitis B mit Standard-Interferon alpha konnten in einer Metaanalyse bzw. in mehreren
Langzeitverlaufsstudien eine Verbesserung klinischer Endpunkte, der Leberwerte, der
HBV-DNA-Konzentration und der Leberhistologie sowie der Häufigkeit des Leberzellkarzinoms
im Vergleich zu nicht therapierten Patienten gefunden werden [87 ]
[112 ]
[130 ]
[131 ]
[132 ]
[133 ]
[134 ] (Ia).
Entsprechende Ergebnisse mit kürzeren Nachbeobachtungszeiten liegen auch für die Therapie
von HBeAg-positiven bzw. -negativen Patienten mit PEG-Interferon alpha vor, sodass
die Ergebnisse der Standard-Interferon-Ära grundsätzlich übertragbar erscheinen [76 ]
[135 ]
[136 ]
[137 ]
[138 ] (IIa).
Die optimale Dosierung und Therapiedauer der PEG-Interferon-alpha-Therapie ist für
europäische Patienten nicht ausreichend untersucht worden. Vorläufige Daten einer
prospektiv-randomisierten Studie zeigen, dass eine 48-wöchige Therapie mit 180 µg
PEG-IFN alpha-2a einmal pro Woche (zugelassene Therapiedauer und -dosis) einer kürzeren
Therapie (24 Wochen) oder einer niedrigeren Dosierung (90 µg einmal pro Woche) in
Bezug auf eine dauerhafte Anti-HBe-Serokonversion überlegen war [139 ] (Ib). Diese Studie hatte allerdings nur wenige Patienten aus Europa eingeschlossen.
In den meisten Studien wird eine Standarddosis (wie sie auch bei der HCV-Infektion)
und eine Therapiedauer von 48 Wochen eingesetzt. Bei HBeAg-negativen Patienten scheint
eine längere Therapiedauer mit höheren langfristigen Ansprechraten assoziiert zu sein
[140 ]
[141 ]
[142 ] (IIa).
Insgesamt zeigt sich eine signifikante biochemische, virologische und histologische
Verbesserung durch eine (PEG)-Interferonbehandlung im Vergleich zu Patienten ohne
antivirale Therapie [132 ]
[134 ]
[143 ] (IIa). Wichtig ist, dass bei langer Infektionsdauer und bereits vorhandener Leberzirrhose
trotz antiviraler Therapie und virologischen Ansprechens die Entwicklung von Leberzellkarzinomen
und Leberdekompensationen beobachtet wird und eine entsprechende Nachverfolgung daher
notwendig ist [144 ]
[145 ]
[146 ]
[147 ] (IIa).
Prädiktion des dauerhaften serologischen und virologischen Therapieansprechens
HBeAg-positive Patienten
Eine Anti-HBs-Serokonversion entwickelt sich bei 2 – 11 % der Patienten 3 – 6 Jahre
nach Beginn einer IFN-Therapie. Im weiteren Langzeitverlauf (bis zu 14 Jahren) scheint
die Rate an Anti-HBs-Serokonversionen weiter anzusteigen [145 ] (IIa). Die Anti-HBe-Serokonversion ist in ca. 70 – 77 % der Fälle und die niedrige
HBV-DNA am Therapieende in 57 – 58 % der Fälle dauerhaft. Für alle 3 Endpunkte gilt,
dass sie signifikant häufiger bei einer HBV-Genotyp-A-Infektion erreicht werden als
bei anderen HBV-Genotypen [138 ] (Ib). Patienten mit HBV-Genotyp D hatten die niedrigsten serologischen und virologischen
Ansprechraten. Weitere Prädiktoren eines Ansprechens sind eine niedrigere HBV-DNA
(< 108 IU/ml) und höhere ALT-Werte (> 2- bis 5-fach erhöht) ([Tab. 11 ]). Die IFN-Therapie von Patienten mit fortgeschrittener Leberfibrose und kompensierter
Leberzirrhose erscheint sicher und die Ansprechraten sind nicht eingeschränkt, in
einigen Studien scheint das Ansprechen bei Patienten mit kompensierter Leberzirrhose
sogar höher zu sein [138 ]
[147 ]
[148 ]
[149 ] (IIa).
Ein Abfall des HBsAg bzw. HBeAg unter Therapie waren ebenfalls mit dem Ansprechen
im Langzeitverlauf assoziiert [40 ]
[147 ]
[150 ]
[151 ]
[152 ] (IIb). Die positiv prädiktiven Werte für das Therapieansprechen waren allerdings
nicht sehr hoch (PPV nur 25 % in [40 ]). Der fehlende HBsAg-Abfall kann besser das Nichtansprechen vorhersagen. In einer
niederländischen Studie war ein fehlender Abfall des HBsAg nach 12 Wochen Therapie
mit PEG-IFN-alpha-2b mit einem negativ prädiktiven Wert (NPV) von 97 % mit Nichtansprechen
assoziiert [40 ] (IIb, retrospektive Analyse einer randomisierten Studie). Die retrospektive Analyse
der PEG-IFN-alpha-2a-Zulassungsstudie ergab allerdings nur einen NPV von 82 % [153 ] (IIb). Ein Algorithmus, der z. B. für einen frühzeitigen Therapieabbruch der PEG-Interferontherapie
bei Patienten mit praktisch fehlender Möglichkeit eines langfristigen Therapieansprechens
genutzt werden kann, kann aktuell aus den vorhandenen Daten noch nicht abgeleitet
werden. Es sind weitere Studien notwendig.
HBeAg-negative Patienten
Bei HBeAg-negativen Patienten kommt es im Verlauf nach Therapieende häufiger zu einem
Rückfall mit Anstieg der virologischen und histologischen Aktivität als bei HBeAg-positiven
Patienten. Im Langzeitverlauf nach einer Therapie mit PEG-Interferon alpha-2a mit
und ohne Lamivudin fiel der Anteil der Patienten mit einer niedrigen HBV-DNA-Konzentration
(< 4000 IU/ml) von 42 % am Therapieende auf 20 % nach 1 Jahr und 17 % nach 3 Jahren.
Ein HBsAg-Verlust bzw. eine Anti-HBs-Serokonversion fand sich ein halbes Jahr nach
Therapieende bei 4 bzw. 2 % der Patienten. Drei Jahre nach Therapieende stieg die
HBsAg-Verlustrate leicht auf 6 %, aber nicht die Anti-HBs-Serokonversionsrate (2 %)
[144 ] (Ib).
Aufgrund der relativ niedrigen Ansprechraten im Langzeitverlauf sind Prädiktoren für
das Therapieansprechen von besonderer Wichtigkeit. Erhöhte Transaminasen, eine niedrige
HBV-DNA-Konzentration, das weibliche Geschlecht und ein jüngeres Alter waren mit dem
virologischen Ansprechen auf eine PEG-Interferon-alpha-basierte Therapie ein halbes
Jahr nach Therapieende und eine erhöhte ALT auch mit dem Ansprechen 3 Jahre nach Therapieende
in der multivariaten Analyse assoziiert [144 ]
[154 ] (Ib). Der HBV-Genotyp war ebenfalls korreliert, wobei ein schlechteres Ansprechen
für die HBV-Genotyp-D-Infektion gefunden wurde [154 ]. Patienten mit einer supprimierten HBV-DNA-Konzentration ein halbes Jahr nach Therapieende
(< 100 IU/ml) hatten auch in 46 % der Fälle eine supprimierte HBV-DNA nach 3 Jahren
und in 30 % der Fälle einen HBsAg-Verlust [144 ] (Ib).
In mehreren Arbeiten wurde zusätzlich der Wert einer quantitativen HBsAg Bestimmung
unter Therapie und zum Therapieende für die Vorhersage des Langzeittherapieansprechens
untersucht. Eine niedrige HBsAg-Konzentation (≤ 380 IU/ml) zum Therapieende war mit
einem HBsAg Verlust 3 Jahre nach Therapieende assoziiert [41 ] (IIa). In weiteren Studien wurde der Wert einer HBsAg-Quantifizierung unter Therapie
für die Vorhersage des Therapieansprechens untersucht. Hier fand sich eine Korrelation
des Abfalls zu Woche 12 mit dem virologischen Ansprechen im Verlauf 1 Jahr nach Therapieende.
Allerdings scheinen die HBsAg-Konzentration und der Abfall unter Therapie auch vom
HBV-Genotyp abzuhängen und die positiven Vorhersagewerte für die HBsAg-Quantifizierung
alleine insgesamt zu gering zu sein, um daraus einen Therapiealgorithmus mit Abbruch
von Patienten ohne signifikanten HBsAg-Abfall abzuleiten [41 ]
[42 ]. Eine Kombination von HBsAg und HBV-DNA erscheint für HBeAg-negative Patienten für
die Entwicklung eines Therapiealgorithmus sinnvoller zu sein. Patienten, die nach
12 Wochen PEG-IFN-alpha-2b-Therapie keinen HBsAg-Abfall und keinen > 2 log-Abfall
der HBV-DNA hatten, erreichten kein dauerhaftes Ansprechen (< 10 000 Kopien/ml entspricht
< 2000 IU/ml HBV-DNA und ALT normal 6 Monate nach Therapieende) [43 ] (IIb, retrospektive Analyse einer randomisierten Studie). Diese Daten wurden in
einer größeren Kohorte validiert mit einem NPV von 97 % (noch nicht publiziert). Weitere
prospektive Studien sind notwendig, um eine Stoppregel für Patienten mit HBeAg-negativer
Hepatitis B und PEG-Interferon-alpha-Therapie zu etablieren.
Vergleich PEG-Interferon alpha versus Nukleos(t)idtherapie
In mehreren Studien wurde eine zeitliche begrenzte PEG-Interferon-alpha-Therapie mit
einer zeitlich begrenzten Nukleos(t)id-Analogatherapie verglichen. Hier zeigt sich
zum Therapieende jeweils ein besseres virologisches Ansprechen der Nukleos(t)id-Analogatherapie,
während die PEG-Interferon-alpha-Therapie sowohl bei HBeAg-positiven als auch HBeAg-negativen
Patienten häufiger zu Serokonversion bzw. Verlust des HBeAg bzw. HBsAg geführt hat.
Auch im Langzeitverlauf nach Therapieende zeigte sich bei allen Studien trotz hoher
Rückfallraten eine höhere Rate an Patienten mit niedriger HBV-DNA-Konzentration und
HBeAg- bzw. HBsAg-Verlust bzw. Serokonversion nach der PEG-Interferon-alpha-Therapie
im Vergleich zur Nukleos(t)id-Analogamonotherapie [76 ]
[137 ]
[138 ]
[144 ]
[147 ]
[155 ] (Ia, zahlreiche qualitativ sehr gute, prospektive, randomisierte Phase-III-Studien
mit Langzeit-Follow-up).
Ein Absetzen einer Nukleos(t)id-Analogamonotherapie sollte bei HBeAg-positiven Patienten
ohne Anti-HBe-Serokonversion auch bei erfolgreicher Suppression der HBV-DNA-Replikation
nicht erfolgen, da dies zu schweren Reaktivierungen der Hepatitis B und Dekompensation
der Leberfunktion führen kann [137 ]
[156 ] (IIb für die Aussage), während dies für eine PEG-Interferon-alpha-basierte Therapie
nicht beobachtet wurde.
Kombinationstherapieregime mit PEG-Interferon alpha mit Nukleos(t)id-Analoga
Normalisierungen der ALT, Anti-HBe-Serokonversionen und Negativierungen der HBV-DNA
im Langzeitverlauf nach Therapieende zeigten keine Unterschiede zwischen Patienten,
die mit PEG-Interferon alpha allein oder mit der Kombination aus PEG-Interferon alpha
plus Lamivudin behandelt wurden [156 ] (Ib). Dies gilt sowohl für fixe Kombinationstherapieregime als auch sequenzielle
Regime (Vor-Therapie mit PEG-Interferon alpha oder einem Nukleos[t]id-Analogon vor
der Kombinationstherapie oder Fortsetzung einer Nukleos[t]id-Analogatherapie nach
der Kombinationstherapie). Lediglich resistente HBV-Varianten gegenüber einer Lamivudin-
bzw. Adefovirtherapie fanden sich zum Therapieende seltener unter einer Kombinationstherapie
mit PEG-Interferon alpha als unter der Monotherapie [155 ]
[157 ]
[158 ]
[159 ]
[160 ] (Ib). Publizierte Daten großer Studien mit Kombinationstherapieregimen aus PEG-Interferon
alpha und Entecavir oder Tenofovir liegen bislang nicht vor. Eine Studie einer Kombination
aus PEG-Interferon und Telbivudin war mit einer signifikant erhöhten Neurotoxizität
assoziiert, sodass diese Kombination eine Kontraindikation darstellt [161 ] (Ib). Generell ist damit eine Kombinationstherapie aus PEG-Interferon alpha und
Nukleos(t)id-Analoga außerhalb von Studien aktuell nicht zu empfehlen.
Therapieüberwachung und Nachbeobachtung
Maßnahmen zur Therapieüberwachung und Nachbeobachtung können den Fachinformationen
entnommen werden. Insbesondere bei der HBeAg-positiven chronischen Hepatitis B kann
es unter der Gabe von (PEG)-Interferon alpha zu einem intermittierenden Anstieg der
Transaminasen („Flare”) kommen. Dieser „Flare” ist als prognostisch günstig anzusehen
und sollte nicht zum Absetzen der Therapie führen [162 ] (IIa, retrospektive Analyse einer prospektiven, randomisierten Studie). Eine engmaschige
Kontrolle der Leberfunktionsparameter ist jedoch erforderlich.
Nebenwirkungen, Behandlung von Nebenwirkungen, Dosisreduktion, Abbruchkriterien
Nebenwirkungen, Behandlung von Nebenwirkungen, Dosisreduktion, Abbruchkriterien
Therapie der chronischen Hepatitis B mit Nukleosid-Analoga oder Nukleotid-Analoga
Therapie der chronischen Hepatitis B mit Nukleosid-Analoga oder Nukleotid-Analoga
3.4 Wie sind Therapieansprechen und Resistenz definiert?
Definition
Ein ausreichendes Therapieansprechen auf eine Nukleos(t)id-Analoga-Therapie besteht,
wenn nach 6 Monaten eine Reduktion der HBV-DNA auf < 200 IU/ml und nach 12 Monaten
eine negative HBV-DNA vorliegt (B).
Von einer Resistenz wird ausgegangen, wenn nach primärem Ansprechen ein Anstieg der
HBV-DNA (mindestens 1 log-Stufe über Nadir) unter fortgesetzter antiviraler Therapie
und Therapieadhärenz auftritt (A).
Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Ein Monitoring des virologischen Ansprechens während der Therapie ist nach 4 Wochen,
dann alle 3 – 6 Monate erforderlich. Die frühe Identifikation einer viralen Resistenz
mit einer entsprechenden frühzeitigen Therapieanpassung ist notwendig, insbesondere
beim Einsatz von Medikamenten mit niedriger Resistenzbarriere [115 ] (IIb). Mit den zur Verfügung stehenden Substanzen ist eine negative HBV-DNA bei
den meisten Patienten nach 1 Jahr zu erreichen. Bei sehr hoher Ausgangsviruslast kann
es auch beim Einsatz von hoch potenten Substanzen 2 – 3 Jahre dauern, bis eine komplette
HBV-DNA-Negativierung erreicht wird. In diesen Fällen ist das Therapieansprechen nicht
ausreichend, wenn sich ein Plateau ohne fortgesetzten Abfall der HBV-DNA einstellt
[163 ] (IIb) [Abb. 2 ].
In klinischen Studien waren bis zu 30 % aller virologischen Durchbrüche auf unregelmäßige
Medikamenteneinnahmen zurückzuführen [164 ] (IIb für diese Aussage), außerhalb von Studien wird dieser Anteil deutlich höher
sein. Daher sollte die Therapieadhärenz des Patienten sichergestellt werden, bevor
genotypische Resistenztestungen durchgeführt werden. Die Resistenzbestimmung kann
bei nicht ausreichendem Therapieansprechen oder unklaren Vortherapien sinnvoll sein,
um eine zielgerichtete Therapieanpassung zu ermöglichen.
Prädiktion des Therapieansprechens
Kombinationstherapien von Nukleosid- und Nukleotid-Analoga
Ein primärer Einsatz einer Kombinationstherapie von Nukleosid- und Nukleotid-Analoga
führt zu keinen additiven oder synergistischen antiviralen Effekten, da die zugelassenen
Substanzen alle gegen die HBV-Polymerase gerichtet sind und die Effektivität von der
jeweils potentesten Substanz determiniert wird. Dementsprechend hat weder die Kombination
von Lamivudin mit Telbivudin noch von Lamivudin und Adefovir einen Nutzen gezeigt
[183 ]
[188 ]
[189 ] (Ib). Ziel von Kombinationstherapien könnte die Reduktion des Auftretens von Resistenzen
sein. Vor der Zulassung von Entecavir und Tenfovir war daher die zusätzliche Gabe
von Adefovir bei Auftreten einer Lamivudinresistenz empfohlen worden („Add-on-Strategie”)
[1 ]. Die Add-on-Strategie ist jedoch nach der Zulassung von Entecavir und Tenofovir
nur noch in besonderen Fällen notwendig (siehe 3.5 „Wie ist das Vorgehen bei Resistenzentwicklung?”).
3.5 Wie ist das Vorgehen bei nicht ausreichendem Therapieansprechen oder Resistenzentwicklung?
Empfehlung
Bei nicht ausreichendem Therapieansprechen oder Verdacht auf Resistenz soll zunächst
die Therapieadhärenz des Patienten überprüft werden (A).
Eine Testung auf HBV-Varianten, die mit einer Nukleos(t)id-Analogaresistenz assoziiert
ist, kann sinnvoll sein (C).
Bei nicht ausreichendem Therapieansprechen oder Resistenz soll die Therapie angepasst
werden (A).
Wurde ein Nukleosid-Analogon (Lamivudin, Entecavir, Telbivudin) eingesetzt, soll eine
Therapieumstellung auf Tenofovir erfolgen (A).
Wurde Adefovir eingesetzt, sollte eine Therapieumstellung auf Entecavir oder Tenofovir
erfolgen (B).
Wurde Tenofovir eingesetzt, kann eine Therapieumstellung auf Entecavir erfolgen oder
ein Nukleosid-Analogon zusätzlich gegeben werden (C).
Abstimmung: 96 % (starker Konsens, abgestimmt durch eine zweite Delphi-Umfrage)
Erläuterung
Die Bestimmung von Polymerasegen-Mutationen des HBV, die mit Resistenzen assoziiert
sind, kann für die Therapieplanung erwogen werden, insbesondere bei Unklarheiten über
eventuelle Vortherapien. Bei Vorliegen von relativen Kontraindikationen für Tenofovir
oder Adefovir ist eine Monotherapie mit Entecavir möglich, wenn das Vorliegen von
Lamivudin- oder bestimmten Telbivudin-resistenten Varianten ausgeschlossen wurde [180 ] (IIb). Der Nachweis von resistenten Varianten kann auch bei fraglicher Therapieadhärenz
sinnvolle Informationen für die Therapieplanung geben.
Eine HBV-Resistenz tritt in der Regel einige Monate vor dem biochemischen Rückfall
mit Anstieg der Transaminasen auf. Die Therapieanpassungen sind aber möglichst bereits
bei Sicherung des virologischen Rückfalls durchzuführen [190 ] (IIa). Wird die Monotherapie trotz Resistenz des HBV fortgesetzt, können sich weitere,
kompensatorische Mutationen ausbilden, die wiederum den Einsatz anderer Substanzen
aufgrund von Kreuzresistenzen einschränken [191 ] (IIa).
Bei primärem Therapieversagen oder Resistenz während der Therapie mit Nukleosid-Analoga
soll die Behandlung auf Tenofovir umgestellt werden. Zwar sind sowohl Adefovir und
Tenofovir wirksam bei Lamivudin-Resistenz und damit auch bei einer Telbivudin-Resistenz
aufgrund der höheren Wirksamkeit ist Tenofovir jedoch zu bevorzugen [175 ]
[192 ]
[193 ] (Ib). Im Gegensatz zur Notwendigkeit einer Kombination von Adefovir und Lamivudin
bei Lamivudin-Resistenz [194 ] (IIb), reicht eine Tenofovirmonotherapie bei Lamivudin-Resistenz aus [163 ] (IIb). Entecavir-resistente Virusvarianten sollten primär mit Tenofovir behandelt
werden, diese Entscheidung begründet sich auf In-vitro-Daten und klinischer Erfahrung
mit dem antiviral schwächeren Nukleotid-Anlogon Adefovir [80 ] (V). Eine Therapie mit Entecavir bei Lamivudin-Resistenz ist zwar mit einem biochemischen
Ansprechen assoziiert, birgt jedoch ein relativ hohes Risiko des Auftretens einer
Entecavir-Resistenz mit mehr als 50 % nach 5 Jahren [178 ]
[180 ] (Ib). Daher ist der Einsatz von Entecavir bei Patienten mit gesicherter Lamivudinresistenz
nicht sinnvoll. Im Falle eines nicht ausreichenden primären Ansprechens von Lamivudin
oder Telbivudin kann jedoch Entecavir eingesetzt werden, wenn das Vorhandensein von
Varianten, die mit einer Resistenz gegen Nukleosid-Analoga assoziiert sind, ausgeschlossen
wurde [180 ] (IIb) und Tenofovir aus anderen Gründen nicht eingesetzt werden kann. Eine Telbivudin-Resistenz
ist in der Regel mit einer Mutation rtM204I in der Reversen Transkriptase-Region des
HBV-Polymerasegens assoziiert. Hier ist zu berücksichtigen, dass Entecavir-Resistenzen
bisher nur im Kontext einer rtM204V-Mutation beschrieben wurden, was für die Therapieentscheidung
berücksichtigt werden kann [195 ]
[196 ] (V).
Adefovir wird nicht mehr als Primärtherapie empfohlen. Sollte ein Patient dennoch
mit Adefovir behandelt sein und nicht ausreichend auf die Therapie ansprechen, ist
ein Wechsel auf Entecavir oder Tenofovir möglich. Die Daten zu Entecavir basieren
auf Kohortenstudien von hoher Qualität [180 ] (IIb), während für Tenofovir-Daten aus einer prospektiven randomisierten Studie
vorliegen [164 ] (Ib). Eine mögliche Vorbehandlung mit Lamivudin ist zu berücksichtigen, die eine
Resistenzentwicklung gegen Entecavir begünstigen kann (siehe oben). Liegt eine gesicherte
Resistenz gegen Adefovir vor, so können ebenfalls Nukleosid-Analoga [180 ] (IIb) und Tenofovir eingesetzt werden [164 ] (Ib). Allerdings war in 2 Kohorten das Vorliegen von Adefovirresistenzen mit einem
langsameren Tenofivir-Ansprechen assoziiert [163 ]
[197 ] (IIb), während in anderen Fällen dennoch ein normales Ansprechen auf eine Tenofovir-Monotherapie
beschrieben wurde [198 ] (IIIb).
Im Falle eines nicht ausreichenden Ansprechens einer Tenofovir-Therapie kann eine
Umstellung auf Entecavir erfolgen (V), wobei eine alleinige Umstellung nicht im Fall
einer Lamivudinresistenz erfolgen sollte. Alternativ kann ein Nukleosid-Analogon unter
Beibehaltung von Tenofovir gegeben werden, womit sowohl in Fallserien und einer Kohortenstudie
[163 ]
[199 ] (IIb) als auch bei einigen Patienten der Tenofovir-Zulassungsstudien [175 ] (IIb für die Aussage) eine HBV-DNA-Negativierung erreicht wurde. Selektion von Tenofovir-Resistenzen
in vivo sind bisher nicht nachgewiesen worden. Sollten im Langzeitverlauf jedoch Resistenzen
auftreten, so ist aufgrund von Daten, die in vitro gewonnen wurden, zu erwarten, dass
Nukleosid-Analoga, insbesondere Entecavir, weiterhin wirksam sein sollten [80 ] (V) siehe [Tab. 13 ]
[14 ] und [Abb. 2 ].
Tab. 13 Vorschläge zur Therapieanpassung bei nicht ausreichendem virologischem Ansprechen
oder Resistenzentwicklung unter einer Nukleos(t)id-Analoga-Monotherapie.
nicht ausreichendes Therapieansprechen/Resistenz
Therapieoption[1 ]
Lamivudin
Wechsel auf Tenofovir (A) (Wechsel auf Entecavir)[2 ]
Adefovir [3 ]
Wechsel auf Entecavir (B) Wechsel auf Tenofovir (B)
Entecavir
Wechsel auf Tenofovir (A)
Telbivudin
Wechsel auf Tenofovir (A) (Wechsel auf Entecavir)2
Tenofovir[4 ]
Wechsel auf Entecavir, oder zusätzliche Gabe von Lamivudin, Telbivudin oder Entecavir
(C)
1Diese Vorschläge sind nicht in allen Fällen durch kontrollierte Studien belegt.
2Entecavir kann eingesetzt werden, wenn das Vorhandensein von Varianten, die mit einer
Resistenz gegen Entecavir assoziiert sind, ausgeschlossen wurde und ein Einsatz von
Tenofovir aus anderen Gründen nicht möglich/sinnvoll ist.
3Adefovir wird nicht mehr als Primärtherapie empfohlen. Im Falle einer Therapieanpassung
ist eine mögliche Vorbehandlung mit Lamivudin und das Vorliegen einer gesicherten
Resistenz zu berücksichtigen.
4Bei Patienten wurden bislang keine HBV-Polymersemutanten, die mit einer Tenofovir-Resistenz
einhergehen, im Verlauf einer Tenofovir-Therapie nachgewiesen.
Tab. 14 HBV-Varianten im Polymerasegen und deren Resistenzprofil gegenüber Nukleosid-Analoga
und Nukleotid-Analoga.
Nukleosid-Analoga
Nukleotid-Analoga
Lamivudin
Telbivudin
Entecavir
Adefovir
Tenofovir
A181V/T
+
–
+
T184G/S
+ [1 ]
S202I
+ 1
M204V
(+ )
[2 ]
(+ )1,
[3 ]
–
L180 M + M204V
+
2
(+ )1,
3
M204I
+
+
(–)
M204S
+
?
?
N236T
–
+
I169 T + M 250V
+ 1
1Die HBV-Polymerase-Varianten 184, 202 und 250 sind nur mit einer Entecavir-Resistenz
verbunden, wenn gleichzeitig ein Austausch an Aminosäureposition 180 und 204 vorliegen.
Liegen die Mutationen an Codon 180 und 204 isoliert vor, so ist Entecavir noch wirksam,
allerdings mit geringerer Effektivität.
2In vivo ist bislang nur die rtM204I-Mutation mit einer Telbivudinresistenz assoziiert.
3(+ ) Aminosäureaustausche werden nur in Kombination mit anderen Austauschen beobachtet.
Abb. 2 Behandlungsalgorithmus zur Therapie der chronischen Hepatitis B.
3.6 Was ist bei Langzeittherapie mit Nukleosid- oder Nukleotid-Analoga zu beachten?
Empfehlung
Bei negativer HBV-DNA sollte die HBV-DNA im Langzeitverlauf mindestens alle 6 Monate
kontrolliert werden (B).
Kreatinin im Serum zur Abschätzung der glomerulären Filtrationsrate soll vor Therapie
und regelmäßig während der Therapie bestimmt werden (A).
Komorbiditäten sind zu beachten und bei der Auswahl der antiviralen Therapie sowie
der Überwachungsintervalle zu berücksichtigen (A).
Abstimmung: 98 % (starker Konsens)
Erläuterung
Auch im Falle eines ausreichenden primären Ansprechens einer antiviralen Therapie
können im Langzeitverlauf Virusdurchbrüche auftreten und Resistenzen entstehen [115 ]
[169 ]
[171 ] (IIb). Eine mindestens halbjährliche Kontrolle des virologischen Ansprechens ist
daher gerechtfertigt.
Alle zur Therapie der HBV-Infektion zugelassenen Nukleos-(t)id-Analoga werden renal
ausgeschieden. Die Messung des Kreatininspiegels im Serum vor und während einer Behandlung
mit Nukleos(t)id-Analoga ist eine Voraussetzung für den sicheren Gebrauch dieser Substanzen,
um ggf. eine Dosisanpassung gemäß der aktuellen Nierenfunktion durchzuführen ([Tab. 15 ]).
Bei einer Behandlung mit Adefovir und Tenofovir ist zu beachten, dass die Substanzen
zu Nierenfunktionseinschränkungen führen können. Für Adefovir sind Kreatininanstiege
im Verlauf einer Behandlung in mehreren Studien beschrieben worden [118 ] (IIb), wobei ein Alter von über 50 Jahren und eine bereits bestehende verminderte
Nierenfunktion bei Therapiebeginn prädiktive Parameter für das Auftreten einer renaler
Dysfunktion waren [118 ] (IIb). Eine tubuläre Dysfunktion (Fanconi-Syndrom) wurde bei einem Patienten mit
ADV-Langzeittherapie beschrieben [200 ] (IV für die Aussage). Im Gegensatz dazu wurde in den Phase-III-Tenofovirzulassungsstudien
kein Anstieg des Kreatinins im Serum um mehr als ≥ 0,5 mg/dl und kein Rückgang der
GFR auf < 50 ml/min während einer Tenofovir-Therapie von 144 Wochen beobachtet [184 ] (Ib). Ein Patient hat in dieser Beobachtungszeit eine milde Nierenfunktionseinschränkung
entwickelt, die nach Dosisanpassung reversibel war [184 ] (IIb für die Aussage). Bei Patienten mit einer Tenofovir-Langzeittherapie und vorausgegangenem
Therapieversagen anderer Nukleos(t)id-Analoga wurde in einer retrospektiven Analyse
über einen mittleren Zeitraum von 30 ± 16 (6 – 90) Monaten ein mittlerer Rückgang
der GFR von 5 % beobachtet, der sich allerdings nicht von einer Kontrollgruppe mit
unbehandelten HBV-Infizierten unterschied [201 ] (IIb). Tubuläre Dysfunktionen sind im Zusammenhang von antiviralen Langzeittherapien
der HIV-Infektion mit Tenofovir beschrieben worden [202 ]
[203 ] (IIb), die allerdings in den meisten Fällen reversibel waren, nachdem Tenofovir
abgesetzt wurde [204 ] (IIb). Entecavir hat im Langzeitverlauf der Zulassungsstudien bei keinem Patienten
zu einem Anstieg des Serumkreatinins um mehr > 0,5 mg/dl geführt [205 ] (IIb). Für Lamivudin und Telbivudin sind keine Studien bekannt, die über eine Einschränkung
der Nierenfunktion durch eine Therapie berichten. Grundsätzlich ist zu beachten, dass
Serumkreatininveränderungen nur eingeschränkt Nierenfunktionseinschränkungen anzeigen
können. Frühe tubuläre Schäden können durch eine Glukosurie bzw. eine verminderte
Phosphatreabsorption angezeigt werden.
Besondere Vorsicht beim Einsatz von Nukleosid- und Nukleotid-Analoga ist bei Patienten
mit dekompensierter Leberzirrhose und einem sehr hohen MELD-Score geboten (siehe 3.8).
Eine Telbivudin-Therapie führte in den Zulassungsstudien in 7,5 % der Fälle zu deutlichen
CK-Erhöhungen, die im Verlauf in der Regel reversibel waren und nicht mit klinischen
Zeichen einer Myopathie assoziiert waren [170 ] (Ib). In Kombination mit PEG-IFN alpha-2a sind zudem Neuropathien berichtet worden
[161 ] (IIb für die Aussage), weshalb eine Kombinationstherapie von Telbivudin und PEG-Interferonen
vermieden werden sollte.
Da die Therapie der Hepatitis B in vielen Fällen eine Langzeittherapie darstellt,
sind Komorbiditäten zu berücksichtigen. Ein gleichzeitig bestehender Diabetes mellitus
kann das Risiko für die Entstehung eines hepatozellulären Karzinoms bei Patienten
mit Virushepatitis erhöhen [206 ] (IIb), wobei der Effekt bei der Hepatitis C ausgeprägter als bei HBV-Infektionen
zu sein scheint [207 ] (IIb). Umgekehrt ist eine HBV-Infektion mit einem höheren Risiko für die Entwicklung
einer terminalen Niereninsuffizienz bei Patienten mit Diabetes mellitus assoziiert
[208 ] (IIb). Ältere Patienten über 60 Jahre mit chronischen Lebererkrankungen haben eine
erniedrigte Knochendichte [209 ] (IIIb), wobei dies insbesondere Frauen betrifft. Eine Knochendichtemessung ist daher
bei postmenopausalen Frauen mit chronischer Hepatitis B sinnvoll, insbesondere wenn
eine Langzeittherapie mit potenziell nephrotoxischen antiviralen Substanzen durchgeführt
wird, die einen renalen Phosphatverlust induzieren können.
Tab. 15 Dosisanpassungen von antiviralen Substanzen in der Therapie der Hepatitis B bei eingeschränkter
Nierenfunktion gemäß Fachinformationen.
Substanz
Standarddosis
Kreatininclearance ml/min
Bemerkung
Lamivudin
30 – 50
15 – 30
5 – 15
< 5
Lösung (5 mg/ml) verfügbar zur Dosisanpassung
100 mg
50 mg
25 mg
15 mg
10 mg
Adefovir dipivoxil
20 – 49
10 – 19
Dialyse
10 mg
10 mg alle 48 h
10 mg alle 72 h
alle 7 Tage nach Dialyse
Entecavir
30 – 49
10 – 29
< 10
Lösung (0,05 mg/ml) verfügbar zur Dosisanpassung
unbehandelte Patienten
0,5 mg
0,25 mg
0,15 mg
0,05 mg Gabe nach Dialyse
Lamivudin-vorbehandelte Patienten
1 mg
0,5 mg
0,3 mg
0,1 mg Gabe nach Dialyse
Telbivudin[1 ]
30 – 49
< 30
Dialyse
600 mg
600 mg alle 48 h
600 mg alle 72 h
600 mg alle 96 h nach Dialyse
Tenofovir disoproxilfumarat
30 – 49
10 – 29
Dialyse
245 mg
alle 48 h
alle 72 – 96 h
alle 7 Tage nach Dialyse
1Die Empfehlungen zur Dosisanpassung für Telbivudin sind vorläufig und basieren auf
Extrapolationen von Daten aus den Zulassungsstudien.
3.7 Wie lange soll eine antivirale Therapie der Hepatitis B mit Nukleosid- oder Nukleotid-Analoga
fortgeführt werden?
Empfehlung
Eine antivirale Therapie mit Nukleosid- oder Nukleotid-Analoga ist zunächst dauerhaft
durchzuführen. HBeAg-positive Patienten sollen nach erfolgter HBeAg-Serokonversion
für mindestens 12 Monate weiterbehandelt werden (A). Vor Beendigung der Therapie sollte
eine negative HBV-DNA vorliegen (B)[1 ].
Die Therapiedauer bei HBeAg-negativen Patienten ist nicht genau definiert, in der
Regel ist eine Dauertherapie notwendig (B).
Eine antivirale Therapie mit Nukleosid- oder Nukleotid-Analoga kann beendet werden,
wenn eine Anti-HBs-Serokonversion erfolgt ist (C) [Abb. 3 ].
Abstimmung: 93 % (Konsens)
Erläuterung
Therapierückfälle bei HBsAg-Verlust ohne adäquate Ausbildung eines Anti-HBs-Titers
sind beschrieben [210 ] (IIb). Allerdings sind bei immunsupprimierten Patienten selbst bei Vorliegen eines
ausreichenden Anti-HBs-Titers Rückfälle nach Absetzen der antiviralen Therapie beschrieben
worden [211 ] (IV), weshalb eine weitere Kontrolle unter Immunsuppression unbedingt zu fordern
ist.
Erfolgreiche Anti-HBe-Serokonversionen bleiben nach Absetzen der Therapie in 50 – 75 %
der Fälle erhalten [187 ]
[212 ]
[213 ] (Ib), wobei die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls umso größer ist, je kürzer die
Zeit der Behandlung nach erfolgter Anti-HBe-Serokonversion ist [187 ]
[214 ]
[215 ] (IIa). Die Dauerhaftigkeit einer Anti-HBe-Serokonversion scheint nach Therapie mit
einem Nukleosid-Analogon niedriger bei als bei Alpha-Interferontherapien zu sein [216 ]
[217 ] (IIb). Insbesondere ist zu beachten, dass eine Anti-HBe-Serokonversion nach antiviraler
Therapie mit Nukleosid- oder Nukleotid-Analoga in vielen Fällen keine Immunkontrolle
anzeigt, sondern durch die Entwicklung einer HBeAg-negativen Hepatitis zu erklären
ist [218 ] (IIb), weshalb eine negative HBV-DNA vor Therapieende dokumentiert sein sollte.
Nach Beendigung der Behandlung ist eine regelmäßige Bestimmung der HBV-DNA und ALT
notwendig, da in seltenen Fällen schwere, z. T. fulminante Reaktivierungen nach Absetzen
der Therapie beschrieben sind [137 ] (IIb für die Aussage). Therapien sollte bei Vorliegen einer Leberzirrhose nur in
Ausnahmefällen beendet werden.
HBeAg-negative Patienten müssen zunächst dauerhaft behandelt werden, da es bei fast
allen Patienten nach Beendigung einer Therapie zu einem virologischen Rückfall kommt
[172 ]
[174 ]
[177 ]
[219 ] (Ib). Patienten mit Leberzirrhose sollten auf jeden Fall bis zur Anti-HBs-Serokonversion
behandelt werden. Bei Fehlen einer Leberzirrhose kann ein Auslassversuch nach ca.
5 Jahren erwogen werden. Ein kurzer Anstieg der HBV-DNA ist nach Absetzen die Regel,
sollte aber nicht gleich Anlass zur Re-Therapie geben, da im weiteren Verlauf oft
ein spontaner Rückgang der HBV-DNA zu beobachten ist [220 ] (IIIb, die Daten wurden allerdings noch nicht in einem Peer-Review-Journal publiziert).
Abb. 3 Wann kann die Therapie mit Nukleosid- oder Nukleotid-Analoga beendet werden?
Spezielle Patientengruppen
Spezielle Patientengruppen
3.8 Wie sollten HBV-Patienten mit Leberzirrhose antiviral behandelt werden?
Empfehlung
Alle Patienten mit Leberzirrhose und nachweisbarer HBV-DNA sollen antiviral behandelt
werden (A).
Es sollte primär eine Substanz mit hoher Resistenzbarriere gewählt werden (B).
Bei dekompensierter Zirrhose (Child-Pugh B und C) sollen Nukleos(t)id-Analoga eingesetzt
werden, (PEG-)Interferon alpha ist kontraindiziert (A).
Die Indikation zur Lebertransplantation ist zu prüfen (A).
Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Eine antivirale Therapie bei Patienten mit Leberzirrhose verringert das Risiko einer
Dekompensation und die Entstehung eines hepatozellulären Karzinoms [114 ]
[221 ] (Ia). Gelingt es, mit einer antiviralen Therapie die Virusreplikation dauerhaft
zu senken, ist das Überleben von Patienten mit Leberzirrhose verbessert [113 ] (IIb). Das Auftreten einer antiviralen Resistenz war in einer asiatischen Studie
mit einer höheren Rate klinischer Komplikationen [114 ] (Ib) und in einer italienischen Studie mit einem verminderten Gesamtüberleben assoziiert
[113 ] (IIb). Daher sollte das Risiko einer Resistenz durch die primäre Auswahl einer Substanz
mit einer hohen Resistenzbarriere ([Tab. 12 ]) möglichst minimiert werden.
Bei Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose im Stadium Child-Pugh B und C kann
die Behandlung mit Interferon alpha zu einer weiteren Verschlechterung der Leberfunktion
führen. Entecavir, Telbivudin und Tenofovir sind auch bei Patienten mit dekompensierter
Leberzirrhose gut verträglich und können zur Stabilisierung der Leberfunktion beitragen
bzw. diese verbessern [222 ]
[223 ]
[224 ]
[225 ]
[226 ]
[227 ] (Ib). Besondere Vorsicht beim Einsatz von Nukleosid- und Nukleotid-Analoga ist bei
schwer dekompensierten Patienten mit einem MELD-Score von ≥ 22 geboten. In einer Fallserie
ist bei 5 Patienten mit einem MELD-Score von ≥ 22 eine reversible Laktatazidose beim
Einsatz von Entecavir aufgetreten. Ein Patient ist verstorben [228 ] (IV). Auch in einer anderen Studie wurde eine Laktatazidose beschrieben [227 ] (IV für Aussage). Allerdings wurden in den größeren Studien kaum Patienten mit einem
MELD-Score ≥ 22 behandelt. Grundsätzlich ist eine mitochondriale Toxizität als prinzipieller
Klasseneffekt von allen zugelassenen HBV-Polymerase-Inhibitoren bei Patienten dekompensierter
Leberzirrhose zu berücksichtigen.
3.9 Wie sollen Patienten mit extrahepatischen Manifestationen behandelt werden?
Empfehlung
Patienten mit extrahepatischen Manifestationen einer Hepatitis-B-Virus-Infektion sollten
primär mit Nukleos(t)id-Analoga behandelt werden (B).
Die Therapie sollte mindestens bis 12 Monate nach Abklingen der Symptome fortgesetzt
werden. In der Regel ist eine Dauertherapie erforderlich (B).
Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Kontrollierte Studien zur Therapie von extrahepatischen Manifestationen einer Hepatitis-B-Virusinfektion
sind nicht durchgeführt worden. Es gibt allerdings zahlreiche Fallberichte, die eine
Besserung der Symptomatik durch eine erfolgreiche Therapie beschrieben haben [229 ]
[230 ]
[231 ]
[232 ]
[233 ]
[234 ] (IV). Da Interferon alpha potenziell Autoimmunerkrankungen auch verschlechtern kann
[111 ] (IV), wird primär der Einsatz von Nukleosid-Analoga oder Nukleotid-Analoga empfohlen.
Die Behandlungsdauer ist nicht in klinischen Studien untersucht worden. Aufgrund von
Erfahrungen der Experten wird aber eine Fortsetzung der Behandlung für mindestens
12 Monate nach Abklingen der Symptome empfohlen, wobei vielfach eine Dauertherapie
notwendig ist (V).
3.10 Wie sollen Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und Dialysepatienten
behandelt werden?
Empfehlung
Die Indikation zur antiviralen Therapie unterscheidet sich bei Dialysepatienten nicht
von Patienten mit normaler Nierenfunktion (C).
Aufgrund der häufigen Komorbiditäten von Dialysepatienten ist eine antivirale Therapie
mit Nukleos(t)id-Analoga zu bevorzugen (A).
Eine Dosisanpassung der antiviralen Therapie mit Nukleos(t)id-Analoga ist je nach
Nierenfunktion erforderlich (A) ([Tab. 15 ]).
Delphi-Abstimmung: 98 % (starker Konsens)
Erläuterung
3.11 Welche Behandlungsempfehlungen werden für schwangere HBsAg-positive Patientinnen
gegeben?
Empfehlung (Teil I)
Eine regelmäßige Bestimmung von ALT und HBV-DNA bei HBsAg-positiven Patientinnen ist
während der Schwangerschaft und bis 6 Monate nach Entbindung indiziert (A).
Sollte eine Patientin unter einer antiviralen Therapie schwanger werden, soll die
Behandlungsindikation überprüft werden (A).
Eine bestehende Therapie mit Lamivudin oder Tenofovir kann fortgesetzt werden (C).
Interferon alpha soll abgesetzt werden (A). Eine bestehende Therapie mit Entecavir
oder Adefovir sollte umgestellt werden (B).
Abstimmung: 94 % (Konsens, abgestimmt durch eine zweite Delphi-Umfrage)
Empfehlung (Teil II)
Wurde bisher keine antivirale Therapie durchgeführt, kann eine Therapie während der
Schwangerschaft begonnen werden bei
Risiko einer raschen Dekompensation (C),
Vorliegen einer hohen Viruslast, um das Risiko einer vertikalen Transmission von HBV
zu reduzieren (C).
Die antivirale Therapie sollte bis mindestens 6 Monate nach der Entbindung fortgesetzt
werden (B).
Amniozentesen können bei HBsAg-positiven Schwangeren durchgeführt werden, wobei bei
hochvirämischen Patientinnen ein Restrisiko für vertikale Übertragungen von HBV nicht
auszuschließen ist (C).
Eine Indikation für eine Sectio mit dem Ziel, eine HBV-Transmission zu verhindern,
besteht nicht. Eine sofortige aktive/passive Immunisierung des Neugeborenen ist Voraussetzung
(A).
Abstimmung: 94 % (Konsens)
Erläuterung
Bei der Abwägung von Nutzen und Risiken einer antiviralen Therapie während der Schwangerschaft
sind potenzielle Gefährdungen für das Neugeborene und mögliche Risiken für die schwangere
Patientin zu unterscheiden. In jedem Falle ist bei bereits bekannter oder neu diagnostizierter
Hepatitis B die Behandlungsindikation für die Schwangere zu überprüfen. Bestimmungen
von ALT und HBV-DNA in mindestens 3-monatigen Abständen während der Schwangerschaft
und nach der Entbindung sind sinnvoll, wobei insbesondere bei fortgeschrittener Lebererkrankung
engmaschigere Kontrollen durchgeführt werden sollten.
Verlauf der Hepatitis B während der Schwangerschaft und Einfluss der HBV-Infektion
auf die Schwangerschaft
In seltenen Fällen sind Aktivierungen der Hepatitis B während einer Schwangerschaft
beschrieben worden, die in einzelnen Fällen zum akuten Leberversagen führten [236 ]
[237 ] (IIIb). In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle normalisieren sich hingegen die
Transaminasen während einer Schwangerschaft [238 ] (IIIa). Allerdings sind Schübe der Hepatitis in den ersten 3 – 6 Monaten nach der
Entbindung nicht ungewöhnlich [239 ]
[240 ] (IIIb). Daher ist in jedem Fall eine entsprechende Nachbeobachtung der Patientinnen
mit Bestimmung von ALT und HBV-DNA auch nach Entbindung erforderlich. Möglicherweise
wird das Risiko für die Entstehung von hepatozellulären Karzinomen durch die relative
Immunsuppression während einer Schwangerschaft begünstigt [241 ] (IV, Review von Fallserien). Demgegenüber stehen Daten, dass Östrogene eher einen
protektiven Effekt auf die Entstehung von hepatozellulären Karzinomen zu haben scheinen,
da Multipara ein geringeres Risiko haben, ein hepatozelluläres Karzinom zu entwickeln
[242 ]
[243 ] (IIb).
Grundsätzlich scheint die HBV-Infektion keinen Einfluss auf den Entbindungszeitpunkt,
das Geburtsgewicht, das Auftreten eines Neugeborenenikterus oder kongenitale Missbildungen
zu haben [244 ]
[245 ] (IIb). Allerdings war die Inzidenz eines Gestationsdiabetes bei asiatischen Patientinnen
mit Hepatitis B erhöht im Vergleich zu HBsAg-negativen Schwangeren [244 ] (IIb).
Prävention einer vertikalen Übertragung des HBV
Das Risiko für eine intrauterine Infektion scheint durch eine Amniozentese nicht wesentlich
erhöht zu werden [246 ]
[247 ] (IIa), wobei bei hochvirämischen Müttern ein Restrisiko für eine Übertragung nicht
auszuschließen ist (IV). Mit einer antiviralen Therapie kann die Viruslast vor dem
Eingriff ggf. reduziert werden [248 ] (IIb).
Kann eine aktiv-passive Impfung des Neugeborenen innerhalb von 12 Stunden nach Entbindung
durchgeführt werden, so besteht keine Indikation für eine Sectio mit dem Ziel, eine
vertikale HBV-Transmission zu verhindern [238 ]
[249 ]
[250 ] (IIIa). Ebenso können Mütter stillen, wenn die Kinder adäquat aktiv-passiv geimpft
wurden (siehe AG 7) [251 ] (IIb). Allerdings ist zu beachten, dass Nukleos(t)id-Analoga in der Muttermilch
nachgewiesen werden können [252 ] (IIb). Es liegen keine Daten vor, ob sich hierdurch ein gesundheitliches Risiko
für das Neugeborene ergibt. Eine individuelle Beratung und Abwägung von Vorteilen
durch das Stillen vs. eines theoretischen Restrisikos für das Neugeborene ist somit
notwendig bei Müttern, die eine antivirale Therapie erhalten und stillen möchten.
Vertikale HBV-Transmissionen sind trotz adäquater durchgeführter aktiv-passiver Impfung
des Neugeborenen bei hochvirämischen Müttern möglich. In verschiedenen Kohorten betrug
das Übertragungsrisiko bei Müttern mit einer HBV-Viruslast über 107 –108 IU/ml bis zu 32 % [238 ]
[253 ]
[254 ]
[255 ] (IIb). Durch eine Reduktion der Viruslast mittels antiviraler Therapie lässt sich
dieses Risiko reduzieren [248 ]
[256 ]
[257 ] (IIb), wobei bei einer Gabe von Lamivudin Transmissionen nicht in jedem Fall zu
verhindern sind [258 ]
[259 ] (IIIb). Bislang gibt es jedoch keine Evidenz, dass bei einer HBV-DNA < 105 IU/ml eine vertikale Transmission auftritt. Die bislang größte Studie zu diesem Thema
wurde bislang nur in Abstractform veröffentlicht. Die Patientinnen wurden (nicht randomisiert)
entweder mit Telbivudin behandelt oder nicht behandelt. Die Studie zeigte ebenfalls
eine signifikante Verhinderung der Transmission bei Behandlung der HBV-Infektion im
2. und 3. Trimenon (2 vs. 13 % in der ITT-Analyse; 0 vs. 8,7 % in der Per-Protocol-Analyse)
[248 ] (IIb). Daten zum Einsatz von Tenofovir mit dem Ziel, HBV-Transmissionen zu verhindern,
liegen nicht vor.
Antivirale Therapien während einer Schwangerschaft
Lamivudin, Entecavir und Adefovir sind als sog. „C”-Drugs von der FDA klassifiziert,
in Deutschland wird eine strenge Indikation zum Einsatz in der Schwangerschaft der
Gruppe 6 angegeben. Demgegenüber werden Tenofovir und Telbivudin als „B”-Drug bzw.
„Gruppe-4-Medikament” klassifiziert. Die Klassifizierung als „B-Substanz/Klasse-4-Medikament”
bedeutet, dass aus Tierversuchen sich kein Hinweis auf eine Beeinträchtigung des Fetus
ableiten ließen, ohne dass jedoch geeignete, kontrollierte Studien beim Menschen vorliegen.
Die Klassifizierung als „C-Substanz/Klasse-6-Medikament” bedeutet, dass sich in Tierversuchen
Nebenwirkungen gezeigt haben. Ausreichende klinische Daten aus großen Schwangerschaftsregistern
liegen bisher nur für Lamivudin und Tenofovir vor, da beide Substanzen auch seit Jahren
zur Behandlung der HIV-Infektion zugelassen sind. Hierbei zeigte sich für beide Substanzen
kein erhöhtes Risiko für fötale Missbildungen, auch wenn die Substanzen bereits im
ersten Trimenon eingesetzt wurden [260 ]
[261 ] (IV). Daher sollten bestehende Therapien mit Lamivudin oder Tenofovir bei eindeutiger
Therapie-Indikation (fortgeschrittene Fibrose oder Zirrhose) nicht unterbrochen werden,
da das potenzielle Risiko für den Fetus durch die Medikamentengabe nicht im Verhältnis
zu dem Risiko eines Hepatitisflares nach Absetzen einer antiviralen Therapie steht.
Therapien mit Adefovir und Entecavir sollten umgesetzt werden. Ab dem 1. Trimenon
kann eine Umstellung auf Lamivudin oder Tenofovir erfolgen. Telbivudin ist als „B/Gruppe-4-Medikament”
klassifiziert und kann daher grundsätzlich auch eingesetzt werden. Zum Zeitpunkt der
Leitlinienerstellung liegen allerdings nur klinische Daten zur Telbivudin-Behandlung
aus 2 Veröffentlichungen vor (n = 109, n = 94). Die Fehlbildungsrate in der Studie
von Trylesinski et al. (Poster APASL 2010) lag mit 2,5 % nicht über der „allgemeinen”
Fehlbildungsrate (2,72 %). In der zweiten Studie von Han et al. wurden die Patientinnen
prospektiv im 2. und 3. Trimenon (20.–32. SSW) der Schwangerschaft bis 4 Wochen nach
Entbindung mit Telbivudin behandelt [248 ] (IIb). Auch hier war keine erhöhte Fehlbildungsrate berichtet worden. Die Daten
sind bislang allerdings nur in Abstractform publiziert und es liegen keine genauen
Informationen zum Verlauf der Hepatitis B nach der Entbindung vor.
Wird eine Therapie nur zur Reduzierung des vertikalen Transmissionsrisikos durchgeführt,
sollte die Therapie nicht bereits im 1. Trimenon der Schwangerschaft begonnen werden
[262 ] (IIb). Da diese Patientinnen eine sehr hohe Viruslast aufweisen, ist primär der
Einsatz eines hoch potenten Medikaments sinnvoll.
Prophylaxe und Therapie einer Hepatitis-B-Reaktivierung unter Immunsuppression
Prophylaxe und Therapie einer Hepatitis-B-Reaktivierung unter Immunsuppression
3.12 Wie kann eine Hepatitis-B-Reaktivierung unter Immunsuppression verhindert werden?
Empfehlung
Bei hoch dosierter immunsuppressiver Therapie sollen HBsAg-positive oder HBV-DNA-positive
Patienten (okkulte Hepatitis B) mit Nukleos(t)id-Analoga antiviral behandelt werden
(A).
HBsAg-negative, Anti-HBc-positive Patienten sollen engmaschig überwacht werden, eine
antivirale Therapie ist bei Anstieg der HBV-DNA bzw. Nachweis von HBsAg indiziert
(A).
Vor und während einer Therapie mit Anti-CD20-Antikörpern (z. B. Rituximab) können
HBsAg-negative, Anti-HBc-positive Patienten mit Nukleos(t)id-Analoga antiviral auch
ohne HBV-DNA-Nachweis behandelt werden (C).
Vor und während einer Knochenmarks- bzw. Stammzelltransplantation sollen HBsAg-negative,
Anti-HBc-positive Patienten mit Nukleos(t)id-Analoga antiviral behandelt werden (A).
Die Therapie sollte mindestens 6, besser 12 Monate nach Beendigung der immunsuppressiven
Therapie fortgeführt werden (B) ([Abb. 4 ]).
Abstimmung: 92 % (Konsens)
Erläuterung
Bei allen Patienten, die eine intensive immunsuppressive Therapie erhalten sollen,
muss eine Testung auf Anti-HBc und HBsAg erfolgen, idealerweise wird auch Anti-HBs
bestimmt. Bei Anti-HBc-positiven Patienten sollte zusätzlich die HBV-DNA bestimmt
werden, unabhängig vom HBsAg-Status, um okkulte HBV-Infektion auszuschließen. Aktive
Immunisierung oder Hepatitis-B-Immunglobulin schützt nicht vor Reaktivierung mit HBs-Mutanten
[37 ] (IIIb).
Die Inzidenz einer Hepatitis-B-Reaktivierung während bzw. nach Chemotherapie beträgt
bei HBsAg-Trägern 15 – 50 % [95 ]
[96 ]
[97 ]
[98 ]
[99 ] (IIb), nach Knochenmarktransplantation über 75 %, wobei häufig auch fulminante Verläufe
beschrieben wurden [100 ]
[101 ]
[102 ] (IIIb).
Bei HBsAg-negativen, Anti-HBc-positiven Patienten ist eine Reaktivierung selten und
wird in erster Linie bei knochenmarktransplantierten Patienten beobachtet, mit schweren
Verläufen in Einzelfällen [96 ]
[101 ]
[263 ]
[264 ]
[265 ]
[266 ]
[267 ] (IV). Daher ist in diesem Fall eine präemptive Therapie gerechtfertigt (siehe auch
AG 4).
Bekannte Risikofaktoren für eine Reaktivierung bei HBs-Ag-positiven Patienten sind
HBeAg-Positivität, die Tumorart (höheres Risiko bei Lymphomen) und einzelne Komponenten
der Chemotherapie (höheres Risiko u. a. bei Anwendung von Steroiden und Anthrazyklinen)
[96 ]
[268 ]
[269 ]
[270 ]
[271 ]
[272 ] (IIb). Die Datenlage zur Steroidmonotherapie ist unzureichend. Monoklonale Antikörper
und Biologika inkl. TNF-alpha-Blocker können eine Hepatitis-B-Reaktivierung induzieren.
Ein besonders hohes Risiko für Reaktivierungen ist bei einer Therapie mit Anti-CD20-Antikörpern
beschrieben worden, insbesondere auch bei serologisch ausgeheilten Patienten [36 ]
[103 ]
[104 ]
[105 ]
[106 ]
[107 ] (IIa). Hier wird von einigen Experten daher sogar eine präemptive antivirale Behandlung
bei Anti-HBc-positiven/HBsAg-negativen Patienten empfohlen.
Auch bei der transarteriellen Chemoembolisation zur Behandlung eines hepatozellulären
Karzinoms wurde bei niedrig virämischen HBsAg-Trägern eine Hepatitis-B-Reaktivierung
beobachtet [273 ]
[274 ] (IIb, RCT mit wenigen Patienten). Eine prophylaktische Lamivudin-Therapie ist hier
effektiv [273 ] (IIb).
Eine präemptive Anti-HBV-Therapie verhindert eine Hepatitis-B-Reaktivierung, die Mortalität
aufgrund der Reaktivierung wird reduziert [109 ]
[110 ] (IIa). Eine sofortige (besser präemptive) antivirale Therapie sollten Patienten
erhalten, die HBsAg positiv sind oder HBV-DNA positiv sind (okkulte Hepatitis B),
wobei sich die Auswahl der Substanz nach den oben aufgeführten und im Detail erläuterten
Kriterien Viruslast und Stadium der Lebererkrankung richtet. Eine Lamivudintherapie
ist bei niedrig virämischen Personen ohne fortgeschrittene Leberfibrose ausreichend.
Die antivirale Therapie sollte mindestens über 6, besser 12 Monate nach Beendigung
der Immunsuppression fortgesetzt werden [275 ] (IV). Nach Beendigung der Therapie sollten die Patienten entsprechend überwacht
werden, wobei Kontrollen nach 4, 12 und 24 Wochen sinnvoll erscheinen.
Abb. 4 Strategie zur Verhinderung einer Hepatitis-B-Reaktivierung.
4. Infektionen mit Hepatitis-B-Viren im Zusammenhang mit Organtransplantationen (Management
prä- und post-Tx)
4. Infektionen mit Hepatitis-B-Viren im Zusammenhang mit Organtransplantationen (Management
prä- und post-Tx)
AG Leiter: Berg T, Leipzig
AG Mitglieder:
Bahr M, Lübeck
Bechstein WO, Frankfurt
Beckebaum S, Essen
Berg T, Leipzig
Jonas S, Leipzig
Kahl A, Berlin
Kasper HU, Münster
Seehofer D. Berlin
Schlitt HJ, Regensburg
Schmidt H, Münster
Sterneck M, Hamburg
Wiegand J, Leipzig
Wursthorn K, Hannover
Lebertransplantation (Ltx) Management vor LTx bei HBV-Infektion
Lebertransplantation (Ltx) Management vor LTx bei HBV-Infektion
4.1 Wie ist das Management von Patienten mit HBV-Infektion vor LTx?
Empfehlung
Patienten mit HBV-induzierter Leberzirrhose und/oder HCC und nachweisbarer HBV-Replikation
sollen umgehend, spätestens aber zum Zeitpunkt der Meldung zur LTx antiviral mit Nukleos-(t)id-Analoga
behandelt werden (A) (Therapeutisches Management siehe Empfehlungen AG 3).
Die Therapie erfolgt dauerhaft (C).
Kommt es im Verlauf der antiviralen Therapie zu einer Rekompensation der HBV-induzierten
Leberzirrhose Stadium Child A und liegt kein hepatozelluläres Karzinom (HCC) vor,
ist die Indikation zur LTx erneut zu prüfen (A).
Patienten mit nicht messbarer HBV-DNA bedürfen der engmaschigen Verlaufskontrolle
(HBV-DNA-Bestimmungen ca. alle 3 Monate), eine antivirale Therapie ist in der Regel
nicht erforderlich (C).
Ein HCC-Screening soll in 3- bis 6-monatigen Abständen durchgeführt werden (A)
Delphi-Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Die antivirale Therapie mit Nukleos(t)id-Analoga führt bei Patienten mit dekompensierter
Leberzirrhose und signifikanter HBV-Replikation meist zu einer Stabilisierung des
klinischen Verlaufs (siehe AG 3).
In bis zu einem Drittel der Fälle kann es zur einer kompletten Kompensation der Zirrhose
kommen (Stadium Child A) [114 ]
[276 ]
[277 ]
[278 ]
[279 ]
[280 ]
[281 ]
[282 ] (Ia). Es muss dann im Einzelfall entschieden werden, ob weiterhin die Indikation
zur LTx gegeben ist. Die Zahl der Patienten, die aufgrund einer HBV-induzierten dekompensierten
Leberzirrhose eine Lebertransplantation erhalten, ist in den letzten Jahren deutlich
rückläufig. Dies kann als ein indirektes Zeichen für die Effektivität der antiviralen
Therapie angesehen werden [283 ]. Die Rate neudiagnostizierter hepatozellulärer Karzinome kann durch die antivirale
Therapie um ca. die Hälfte gesenkt werden. Trotzdem muss innerhalb eines typischen
Wartezeitraums auf eine LTx von 1 – 2 Jahren bei 2 – 3 % der Patienten mit dem Auftreten
hepatozellulärer Karzinome gerechnet werden [114 ]
[221 ]
[280 ]
[284 ] (Ia).
Die Therapie erfolgt dauerhaft, da es nach Absetzen der Nukleos(t)id-Analoga im Rahmen
des erneuten Anstiegs der Viruslast zu schweren Hepatitisschüben kommen kann. Insbesondere
bei Patienten mit Leberzirrhose sind diese Reaktivierungen mit dem Risiko der Entwicklung
eines Leberversagens assoziiert [137 ] (IIb).
Die meisten Erfahrungen zur Therapie von Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose
vor LTx liegen für das Nukleosid-Analogon Lamivudin vor [224 ]. Publizierte Daten zum Einsatz von hoch potenten Nukleos(t)id-Analoga sind für den
speziellen Einsatz vor LTx zwar begrenzt, zeigen aber eine gute Wirksamkeit auch bei
dekompensierter Leberzirrhose [222 ]
[223 ]
[225 ]
[227 ]
[285 ] (Ib), sodass aufgrund der schnelleren und effektiveren Suppression der Virusreplikation
und der niedrigeren Resistenzraten (insbesondere Entecavir und Tenofovir) ein relevanter
Vorteil von der Nutzung dieser Substanzen zu erwarten ist
Primäres Therapieziel vor LTx ist die Suppression der Serum-HBV-DNA unter die Nachweisgrenze
sensitiver Tests. Die Strategien zur Verhinderung der Entwicklung einer Nukleos(t)id-Analoga-Resistenz
sind zu beachten (siehe AG 3).
Verlauf der HBV-Infektion nach LTx
Verlauf der HBV-Infektion nach LTx
4.2 Was versteht man unter einer HBV-Reinfektion?
Definition/Empfehlung
Die HBV-Reinfektion des Lebertransplantats wird durch die Persistenz oder das Wiederauftreten
von HBsAg im Serum angezeigt.
Die HBV-Reinfektion geht in aller Regel mit einer histologisch nachweisbaren Transplantathepatitis
einher.
Delphi-Abstimmung: 96 % (starker Konsens)
Erläuterung
Bei Patienten mit replikativer, chronischer HBV-Infektion kommt es nach LTx ohne Prophylaxe
regelhaft zur HBV-Reinfektion der transplantierten Leber [286 ] (Ia). Die HBV-Reinfektion ist durch die Persistenz oder das Wiederauftreten von
HBsAg im Serum definiert. Meist findet sich in dieser Konstellation auch eine signifikante
HBV-Replikation (HBV-DNA positiv). Die Reinfektionshepatitis verläuft unbehandelt
in aller Regel schwer. Sie führt in der Mehrzahl der Patienten zum Verlust des Organs
und ist mit einer hohen Mortalität assoziiert [286 ]
[287 ] (Ia).
Eine besonders rasch progrediente Verlaufsform ist die fibrosierend cholestatische
Hepatitis B, die als Sonderfall auftreten kann [288 ]
[289 ]
[290 ] (IIa).
4.3 Wie ist das Management von Patienten mit HBV-Infektion nach LTx? Wie erfolgt die
Reinfektionsprophylaxe?
Empfehlung
Eine Reinfektionsprophylaxe ist bei Patienten mit HBV-Infektion obligat und erfolgt
initial mit einer Kombination aus einem Nukleos(t)id-Analogon und Hepatitis-B-Immunglobulin
(HBIG) (A).
Die Prophylaxe erfolgt zeitlich unlimitiert und beginnt in der anhepatischen Phase
der LTx (B). Die HBIG-Prophylaxe wird anhand des Anti-HBs-Titers titriert. Ein Anti-HBs-Spiegel
von 100 IU/l sollte nicht unterschritten werden (B) ([Tab. 16 ]).
Bei Patienten mit Nukleos(t)id-Aanaloga-Resistenz zum Zeitpunkt der LTx sollte die
Prophylaxe mit einem gegen die resistente HBV-Variante wirksamen Nukleos(t)id-Analogon
in Kombination mit HBIG durchgeführt werden (B).
Eine Umstellung auf eine alleinige orale Prophylaxe mit Nukleos(t)id-Analoga kann
im Langzeitverlauf nach LTx bei stabil HBsAg-negativen Patienten eine Option darstellen
(C).
Eine aktive HBV-Impfung kann unter Fortführung der Prophylaxe im Langzeitverlauf nach
LTx versucht werden (C).
Abstimmung: 98 % (starker Konsens)
Erläuterung
Primäres Ziel der kombinierten Immunprophylaxe ist eine Viruselimination (Verlust
von HBsAg und negative HBV-DNA im Serum).
Mit Einführung der Kombinationsprophylaxe konnten die Überlebensraten von Patienten
mit HBV-Infektion deutlich gesteigert werden. HBV-infizierte Patienten erreichen heute
ein 10-Jahres-Überleben von bis zu 80 % nach LTx [287 ]
[291 ]
[292 ]
[293 ] (IIa).
Die Kombinationsprophylaxe bestehend aus Hepatitis-B-Immunglobulin (HBIG) plus Nukleos(t)id-Analoga
führt im Vergleich zur früher eingesetzten HBIG-Monoprophylaxe zu einer deutlichen
Senkung der Reinfektionsraten auf unter 10 % [286 ]
[291 ]
[294 ]
[295 ] (IIa). Die HBIg-Prophylaxe beginnt in der anhepatischen Phase der Transplantation
und wird nach Erreichen der HBsAg-Negativität mit einem Anti-HBs-Zieltiter von ≥ 100 U/l
fortgesetzt. Das Standardschema beinhaltet die i. v. Applikation von 10 000 Einheiten
(IE) HBIG in der anhepatischen Phase gefolgt von ca. 2000 IE HBIG an den Folgetagen
bis zum Nachweis eines negativen HBsAg. Anschließend wird der Anti-HBs-Titer durch
regelmäßige Gaben von 1000 –2000 IE HBIG i. v. etwa alle 4 Wochen größer als 100 U/l
gehalten. Alternativ ist im Langzeitverlauf möglicherweise auch eine niedrig dosierte
und i. m. applizierte HBIG Prophylaxe (z. B. 400 – 800 IE/Monat i. m.) in Kombination
mit Lamivudin für viele Patienten ausreichend [296 ]
[297 ] (IIa). Seit dem 30.11.2009 besteht eine EMEA-Zulassung für die subkutane (s. c.)
Applikation von HBIG zur HBV-Reinfektionsprophylaxe für Patienten mit mindestens 6-monatigem
stabilen Verlauf nach Transplantation. Die Dosierung erfolgt KG-adaptiert (< 75 kg
500 IE s. c. 1 × wöchentlich, ≥ 75 kg 1000 IE s. c). Die Zulassungsstudie belegt,
dass nach initialer i. v. Applikation eine Umstellung auf wöchentliche Gaben der s. c.
Formulierung frühestens 6 Monate nach OLT möglich ist [298 ] (IIb) ([Tab. 16 ]). Weitere Studien sind jedoch notwendig, um das optimale prophylaktische Management
insbesondere für Risikopatienten mit hoher Viruslast vor LTx festzulegen. Die Wahl
des Nukleos(t)id-Analogons erfolgt anhand individueller Faktoren, wie antiviraler
Vorbehandlung, Resistenzsituation und Höhe der präoperativen Virusreplikation.
Eine initiale Monoprophylaxe mit Lamivudin allein kann derzeit nicht empfohlen werden,
da diese mit signifikant höheren Rezidivraten assoziiert ist im Vergleich zur Kombinationsprophylaxe
mit Lamivudin plus HBIG [299 ]
[300 ] (IIb).
Die Prophylaxe wird zeitlich unbegrenzt empfohlen, da bisher belastbare Daten zum
Absetzen fehlen. Erste Studien sprechen jedoch dafür, dass bei Patienten mit effektiver
HBIG-Prophylaxe im Langzeitverlauf nach LTx (d. h. HBsAg und HBV-DNA negativ) eine
alleinige orale Prophylaxe mit einer Kombination aus einem Nukleosid- plus Nukleotid-Analogon
ebenso effektiv die Reinfektion verhindert wie die bisherige lebenslange kombinierte
Immunprophylaxe mit HBIG. Ein solcher Ansatz würde zur Senkung der Kosten beitragen.
Bisher wurde die Kombination aus Lamivudin plus Adefovir und die Kombination von Tenofovir
und Emtricitabine untersucht bei Patienten, die mindestens 1 Jahr bzw. 36 Wochen eine
HBIG-haltige Kombinationsprophylaxe erhalten hatten. Nach Umstellung der Therapie
und Stopp der HBIG-Gaben ist es bei keinem der Patienten zu einer Reinfektion gekommen
[301 ]
[302 ]
[303 ]
[304 ] (IIb).
Allerdings stehen Langzeitdaten auch hinsichtlich der Sicherheit der oralen Kombinationstherapie
noch aus. Begleiterkrankungen, insbesondere das Vorliegen einer Niereninsuffizienz,
muss bei der Dosierung der Substanzen berücksichtigt werden und die Nierenfunktion
sollte im Verlauf kontrolliert werden. Es ist bisher nicht ausreichend untersucht,
ob der Wechsel auf eine Monoprophylaxe mit hoch potenten Nukleos(t)id-Analoga (Entecavir
oder Tenofovir) auch eine ausreichende Effektivität besitzt. Die Ergebnisse der Studien
bei chronischer HBV-Infektion ohne Transplantation konnten bisher den generellen Nutzen
einer Kombinationstherapie gegenüber einer alleinigen Therapie mit Tenofovir nicht
belegen [163 ]
[164 ] (Ib). In einer aktuellen Studie war das Stoppen von HBIG unter Fortführung einer
Nukleos(t)id-Monotherapie sicher und führte in keinem Fall zu einer HBV-Reaktivierung
[305 ]
[306 ] (IIb). Vergleichbare Ergebnisse wurden bei Fortführung einer Lamivudin-Monoprophylaxe
erzielt, sofern die Adhärenz zur Prophylaxe sichergestellt war [307 ] (IIb).
Vorläufige Daten weisen daraufhin, dass eine Anti-HBs-Serokonversion früher erreicht
wird, wenn Patienten nicht mit Lamivudin, sondern mit antiviral potenteren Nukleos(t)id-Analoga
in Kombination mit HBIG behandelt werden [308 ] (IIb). Insbesondere bei hoher HBV-Replikation sollte in Analogie zur Therapie der
chonischen Hepatitis B primär der Einsatz potenterer Nukleos(t)id-Analoga erwogen
werden [302 ] (IIIa).
Eine aktive Hepatitis-B-Impfung nach LTx mit dem Ziel, eine dauerhafte Anti-HBs-Antwort
zu induzieren, ist nur bei wenigen Patienten erfolgreich, kann aber im Einzelfall
(unter initialer Fortführung der HBIG- plus Nukleos[t]id-Analoga-Prophylaxe) versucht
werden. Bleibt der Anti-HBs-Titer 12 Monate nach letzter HBIG-Gabe > 100 U/l, kann
eine Beendigung der oralen Prophylaxe erwogen werden. Engmaschige Kontrollen der Anti-HBs
Spiegel und des HBsAg sind notwendig. Bei Rückgang der Anti-HBs-Konzentrationen sollte
erneut die orale Prophylaxe begonnen werden. Neue Hepatitis-B-Impfstoffe mit höherer
Immunogenität befinden sich in der Entwicklung und könnten zu einer Steigerung des
Impfansprechens bei Patienten nach LTx beitragen [309 ]
[310 ]
[311 ]
[312 ] (IIc).
Tab. 16 Standard-Prophylaxe der HBV-Reinfektion nach OLT.
vor LT
anhepatische Phase
1. Woche nach OLT
Erhaltungsphase
HBV-DNA (+ ) →
HBIG i. v. →
HBIG i. v. →
HBIG i. v.
HBIG i. v. fortführen oder alternativ HBIG s. c.
orale antivirale Vorbehandlung mit Nukleos-(t)id-Analoga
10 000 IU
2000 IU Tag 1 – 7
mindestens 6 Monate ca. 1 000 – 2000 IU monatlich Zieltiter Anti-HBs > 100 IU/l
einmal wöchentlich 500 (< 75 kg) bzw. 1 000 IU (> 75 kg) Zieltiter Anti-HBs 100 – 150 IU/l
plus
plus
plus
Nukleos(t)id-Analoga
Nukleos(t)id-Analoga
Nukleos(t)id-Analoga
Empfehlung bis zu 3 Monaten vorher
Tag der Transplantation
Tag 1 – 7 nach OLT
nach Tag 7
nach ≥ 6 Monaten
4.4 Wie ist das therapeutische Vorgehen bei nachgewiesener HBV-Reinfektion?
Empfehlung
Bei nachgewiesener HBV-Reinfektion besteht die Indikation zur dauerhaften antiviralen
Therapie mit Nukleos(t)id-Analoga; die HBIG-Therapie soll beendet werden (A). Zur
Kontrolle des Therapieansprechens sollte die HBV-DNA in ca. 3-monatigen Abständen
kontrolliert werden (B).
Bei fehlendem Therapieansprechen oder Resistenzentwicklung soll eine Modifikation
der Therapie entsprechend der Empfehlungen der AG 3 erfolgen (A).
Delphi-Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Aufgrund des hohen Risikos des Transplantatverlusts und der signifikanten Mortalität
besteht bei allen Patienten mit HBV-Reinfektion eine Behandlungsindikation unabhängig
vom histologischen Fibrosestadium und der inflammatorischen Aktivität, der Höhe der
Viruslast und der Transaminasen [286 ]
[287 ]
[313 ] (Ia).
Heutzutage ist die HBV-Reinfektion mehrheitlich Folge von Resistenzentwicklungen gegenüber
den verwendeten Nukleos-(t)id-Analoga und seltener die Folge von HBIG-induzierten
Selektionen von Resistenzmutationen im HBV-Surface-Gen [286 ]
[314 ]
[315 ]
[316 ]
[317 ] (IIIa). Das Risiko ist insbesondere dann hoch, wenn bereits schon vor LTx eine Resistenz
gegenüber des zur Prophylaxe verwendeten Nukleos(t)id-Analogons vorhanden war.
Die Wahl der antiviralen Therapie erfolgt in Abhängigkeit von der Vortherapie bzw.
der Resistenzsituation und von der Höhe der Viruslast [190 ]
[194 ]
[285 ]
[318 ]
[319 ] (IIa). Der Einsatz hoch potenter HBV-Polymerase-Inhibitoren mit geringem Risiko
für eine Resistenzentwicklung ist zu bevorzugen.
Obwohl eine antivirale Kombinationstherapie mit einem Nukleosid- und Nukleotid-Analogon
theoretisch sinnvoll erscheint, sind die Vorteile gegenüber einer sequenziellen Therapie
bei Einsatz der neuen hoch potenten Nukleos(t)id-Analoga (z. B. Tenofovir oder Entecavir)
nicht belegt [163 ]
[164 ]
[192 ]
[193 ]
[320 ] (Ib).
Kombinierte Leber-Nieren-Transplantation
Kombinierte Leber-Nieren-Transplantation
4.5 Wie ist das Management von HBV-infizierten Patienten mit kombinierter Organtransplantation
(z. B. Leber plus Niere)?
Empfehlung
Das Management vor und nach Leber-Nieren-Transplantation unterscheidet sich nicht
von dem Vorgehen bei Patienten mit alleiniger LTx (A).
Die Dosierung vieler Medikamente (u. a. der Nukleos[t]id-Analoga) ist der Nierentransplantat-Funktion
(Kreatininclearance) anzupassen (A).
Delphi-Abstimmung: 98 % (starker Konsens)
Erläuterung
Die 1985 erstmals durchgeführte kombinierte Leber-Nieren-Transplantation ist eine
selten angewandte, aber etablierte Behandlungsmethode zur Therapie von Patienten mit
irreversibler terminaler Leber- und Niereninsuffizienz [321 ]
[322 ]
[323 ] (IIc).
Zur Berechnung der Dosierung von Medikamenten, die an die Nierentransplantat-Funktion
angepasst werden müssen, sollte zumindest die Cockroft-und-Gault-Formel oder besser
eine der MDRD-Formeln herangezogen werden. Mit der MDRD6-Formel ist die genaueste
Berechnung der Nierentransplantat-Funktion möglich, allerdings ist in diesem Fall
(im Gegensatz zur Cockroft-und-Gault- und anderen MDRD-Formeln) auch eine Untersuchung
des Urins erforderlich, was die Prozedur erschwert [324 ] (Ib).
Die Dosierung der Nukleos(t)id-Analoga (Lamivudin, Adefovir, Entecavir, Telbivudin,
Tenofovir) sollte gemäß der aktuellsten Fachinformation festgelegt werden (siehe auch
AG 3, [Tab. 15 ]), da noch nicht für alle Substanzen ausreichende Erfahrungen über die Dosierung
bei Insuffizienz der Niere bzw. der transplantierten Niere vorliegen. Die Nierenfunktion
ist regelmäßig zu überwachen. Besondere Vorsicht ist bei zusätzlicher Applikation
von nephrotoxischen Substanzen geboten.
Häufig sind einer kombinierten Leber- und Nierentransplantation schon eine oder mehrere
alleinige Nierentransplantationen vorausgegangen. Die hiermit in Einzelfällen verbundene
starke Immunisierung des Patienten kann dazu führen, dass eine erneute alleinige Nierentransplantation
nicht mehr oder nur unter einer sehr intensiven Immunsuppression möglich ist. Bei
kombinierter Leber-Nieren-Transplantation wird das Nierentransplantat in der Regel
durch die gleichzeitige LTx vor Abstoßungsreaktionen geschützt [325 ]
[326 ] (IIc), sodass meist eine geringere immunsuppressive Therapie als bei alleiniger
Nierentransplantation verabreicht werden kann und sollte.
Andere Organtransplantationen (Niere, Niere-Pankreas, Herz, Lunge)
Andere Organtransplantationen (Niere, Niere-Pankreas, Herz, Lunge)
4.6 Wie ist das Management von Patienten, die für eine Transplantation anderer Organe
(nicht LTx) evaluiert werden?
Empfehlung
Vor einer geplanten Organtransplantation sollen alle Patienten auf das Vorliegen einer
HBV-Infektion untersucht werden (A).
Eine HBV-Impfung ist bei allen HBV-seronegativen Patienten indiziert (A).
Bei Nachweis einer HBV-Infektion (HBsAg positiv) wird eine weitere Diagnostik entsprechend
den Empfehlungen (s. dort) durchgeführt. Die Indikation zur Leberbiopsie ist großzügig
zu stellen (C).
Patienten mit chronischer Hepatitis B sollten entsprechend den aktuellen Empfehlungen
antiviral behandelt werden. Bei Vorliegen einer Zirrhose sollte die Indikation zur
kombinierten Organtransplantation geprüft werden (B).
Die HBV-Infektion stellt (bei entsprechender Prophylaxe bzw. antiviraler Therapie)
keine Kontraindikation für eine Organtransplantation dar (B).
Delphi-Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Management nach Organtransplantation (nicht LTx)
Management nach Organtransplantation (nicht LTx)
4.7 Wie ist das Management von Patienten mit positiver HBV-Serologie nach Transplantation
anderer Organe (nicht LTx)? Wann, wie und bei wem wird eine Prophylaxe durchgeführt?
Empfehlung
Unabhängig vom Stadium und der Aktivität der HBV-Infektion sollten alle HBsAg-positiven
Patienten eine dauerhafte antivirale Langzeittherapie/Prophylaxe mit Nukleos(t)id-Analoga
erhalten. Der Beginn der Therapie erfolgt spätestens zum Zeitpunkt der Transplantation
(B).
Die Wahl des Nukleos(t)id-Analogons sollte sich nach der Höhe der HBV-DNA, der Resistenzlage
sowie der Komorbiditäten und der Komedikation richten (siehe AG 3) (B).
Bei isoliert Anti-HBc-positiven bzw. Anti-HBc- plus Anti-HBs-positiven Patienten ist
eine prophylaktische antivirale Therapie nicht indiziert (B).
Delphi-Abstimmung: 98 % (starker Konsens)
Erläuterung
HBV-infizierte Organtransplantationsempfänger haben im Vergleich zu HBV-negativen
Patienten ein signifikant reduziertes Transplantat- und Gesamtüberleben [327 ] (IIa).
Unbehandelt zeigt die chronische HBV-Infektion nach Transplantation aufgrund der notwendigen
immunsuppressiven Therapie meist einen progredienten Verlauf und ist mit einer signifikanten
Mortalität assoziiert. Das Risiko einer fulminanten Reaktivierung der HBV-Infektion
unter Immunsuppression ist erhöht. Dieses Risiko besteht auch bei niedrig replikativen
HBsAg-Trägern [327 ]
[328 ]
[329 ]
[330 ] (IIa). Vor Einführung der Nukleos(t)id-Analoga-Therapie stellte daher die chronische
HBV-Infektion bei potenziellen Organempfängern (nicht Leber) eine relative bzw. absolute
Kontraindikation zur Transplantation dar.
Das Vorliegen einer HBV-induzierten Leberzirrhose stellt einen besonderen Risikofaktor
für die leberbezogene Mortalität nach der Transplantation dar [331 ]
[332 ] (IIIb). Bei Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose sollte eine kombinierte
Organtransplantation erwogen werden [328 ] (IV).
Ziel der antiviralen Therapie ist die rasche Suppression der HBV-Replikation unter
die Nachweisgrenze sensitiver HBV-DNA-Tests bzw. bei Patienten mit nicht replikativer,
inaktiver HBV-Infektion (inaktiver HBsAg-Träger) die Prophylaxe der Hepatitis-B-Reaktivierung
unter der immunsuppressiven Therapie.
Bei niedrig virämischen HBsAg-Trägern empfiehlt sich primär die prophylaktische Therapie
mit Lamivudin [333 ] (IIc).
Das Risiko einer Hepatitis-B-Reaktivierung bei isoliert Anti-HBc-(± Anti-HBs-)-positiven
Patienten liegt unter einer immunsuppressiven Therapie (z. B. Chemotherapie) bei ca.
3 % [104 ] (IIb). Bei Anti-HBc-positiven Organempfängern (nicht Leber) wird daher aufgrund
dieses geringen Reaktivierungsrisikos eine generelle prophylaktische antivirale Therapie
nicht empfohlen. Diese Patienten sollten jedoch im Verlauf nach der Transplantation
regelmäßig mittels HBV-DNA-Kontrollen überwacht und präemptiv behandelt werden, sobald
die HBV-DNA positiv wird.
Knochenmark- bzw. Stammzelltransplantation (KMT/SZT) Management vor und nach KMT/SZT
Knochenmark- bzw. Stammzelltransplantation (KMT/SZT) Management vor und nach KMT/SZT
4.8 Wie ist das Management von Patienten vor und nach KMT/SZT? Wann, wie und bei wem
wird eine antivirale Therapie bzw. Prophylaxe durchgeführt?
Empfehlung
Vor einer geplanten KMT/SZT sollen alle Patienten auf das Vorliegen einer HBV-Infektion
mittels HBsAg-, Anti-HBc- und Anti-HBs-Testung untersucht werden. Bei Nachweis einer
HBV-Infektion (HBsAg-positiv) wird eine weitere Diagnostik entsprechend der Empfehlungen
(siehe AG 1) durchgeführt (A).
Patienten mit chronischer Hepatitis B sollten entsprechend der aktuellen Empfehlungen
antiviral mit Nukleos(t)id-Analoga behandelt werden. Bei inaktiven HBsAg-Trägern sowie
isoliert Anti-HBc-positiven Patienten bzw. Anti-HBc- und Anti-HBs-positiven Patienten
muss zur Prophylaxe der Hepatitis-B-Reaktivierung nach KMT/SZT eine antivirale Therapie
mittels Nukleos-(t)id-Analoga durchgeführt werden. Die Prophylaxe erfolgt spätestens
mit Beginn der myeloablativen Chemotherapie (B).
Der Versuch eines adaptiven Immuntransfers durch Hepatitis-B-Impfung des Spenders
kann erwogen werden (C).
Die prophylaktische antivirale Therapie sollte mindestens 12 Monate über die Immunrekonstitution
(Ende der Chemotherapie) hinaus fortgeführt werden (B). Bei chronischer Hepatitis
B wird eine antivirale Langzeittherapie mit Nukleos(t)id-Analoga empfohlen (entsprechend
Empfehlungen AG 3).
Bei Anti-HBs-positivem Spender und isoliert Anti-HBc-positivem Empfänger ist der Nutzen
einer prophylaktischen antiviralen Therapie nicht gesichert. Engmaschige Kontrollen
der HBV-DNA (ca. alle 4 Wochen) nach KMT/SZT sind zu empfehlen (C). Bei messbarer
HBV-DNA soll dann umgehend eine orale antivirale Therapie erfolgen (A).
Die HBV-Infektion stellt (bei entsprechender Prophylaxe bzw. antiviraler Therapie)
keine Kontraindikation zur KMT/SZT dar (B).
Delphi-Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Eine virale Hepatitis stellt mit 7 –15 % die dritthäufigste Leberkomplikation bei
Patienten nach KMT/SZ-Transplantation nach einer Graft-versus-host-Reaktion (33 –40 %)
und einem medikamentös-toxischen Schaden (19 –30 %) dar [334 ] (IIIa).
Da effektive Therapiestrategien vorliegen, sollten alle Patienten vor KMT/SZT auf
das Vorliegen einer HBV-Infektion mittels HBsAg-, Anti-HBc- und Anti-HBs-Testung untersucht
werden.
Nukleos(t)id-Analoga sind für die Therapie und Prophylaxe einer Hepatitis-B-Reaktivierung
geeignet (siehe auch 3.12). Die prophylaktische Gabe von Lamivudin im Rahmen prospektiver
Studien bei HBsAg-positiven Patienten unter Chemotherapie konnte die Häufigkeit der
Hepatitis-B-Reaktivierung erheblich vermindern [335 ]
[336 ]
[337 ]
[338 ] (IIa). Bei niedrig virämischen inaktiven HBsAg-Trägern muss daher zur Prophylaxe
der Reaktivierung nach KMT/SZT eine antivirale Therapie mittels Nukleos(t)id-Analoga
durchgeführt werden, wobei der Beginn der Prophylaxe 2 Wochen vor bzw. spätestens
mit Beginn der knochenmarksablativen Chemotherapie erfolgen soll.
Hepatitis-B-Reaktivierungen nach KMT/SZT bei isoliert Anti-HBc-positiven Patienten
bzw. Anti-HBc- und Anti-HBs-positiven Patienten sind in zahlreichen Einzelfällen und
Fallserien beschrieben worden [264 ]
[265 ]
[339 ]
[340 ]
[341 ]
[342 ] (IV). Diese Daten rechtfertigen den Einsatz einer antiviralen Prophylaxe mittels
Nukleos(t)id-Analoga bei dieser Patientengruppe. Zur Dauer der Prophylaxe existieren
keine Daten. Da Reaktivierungen aber auch jenseits von 6 Monaten nach Immunrekonstitution
auftreten können (V), empfehlen wir die Prophylaxe für eine Dauer von mindestens 12
Monaten.
Ein adoptiver Immuntransfer durch Knochenmarksspende HBV-immuner, d. h. Anti-HBs-positiver
Spender reduziert das Risiko der Hepatitis-B-Reaktivierung und kann in Einzelfällen
sogar zu einer Ausheilung der chronischen HBV-Infektion des Empfängers führen [343 ]
[344 ] (IV). Der protektive Effekt des adoptiven Immuntransfers ist jedoch bei Spendern
mit durchgemachter HBV-Infektion eher gegeben als bei Spendern, die nur gegen Hepatitis
B geimpft sind.
De-novo-HBV-Infektion nach Organtransplantation
De-novo-HBV-Infektion nach Organtransplantation
4.9 Wie ist das Management von Patienten mit De-novo-HBV-Infektion nach Organtransplantation?
Empfehlung
Bei Nachweis einer De-novo-HBV-Infektion nach Organtransplantation besteht unabhängig
von der Aktivität der Erkrankung die Indikation zu einer antiviralen Therapie mit
Nukleos-(t)id-Analoga (B).
Interferon alpha ist aufgrund eines Abstoßungsrisikos bei verfügbaren und in dieser
Hinsicht sicheren Nukleos(t)id-Analoga nicht zu empfehlen (B).
Delphi-Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
De-novo-HBV-Infektionen nach Lebertransplantation, d. h. Neuauftreten von HBsAg im
Serum, werden in ca. 2 –5 % beobachtet [345 ]
[346 ] (IIIb). Die Transplantation eines Anti-HBc-(± Anti-HBs-)-positiven Organs bzw. ein
Anti-HBc-positiver Serostatus des Empfängers stellen Risikofaktoren für die De-novo-HBV-Infektion
dar [345 ]
[347 ]
[348 ]
[349 ]
[350 ] (IIIa).
Die De-novo-HBV-Infektion führt meist zu einer chronischen Hepatitis und ist unbehandelt
mit einer signifikanten Morbidität und Mortalität assoziiert [345 ]
[347 ]
[348 ]
[351 ] (IV).
Ein hoher Anti-HBs-Titer vor Transplantation (nach HBV-Impfung) reduziert das Risiko
der De-novo-HBV-Infektion [352 ]
[353 ] (IIb).
Verlässliche Daten zur Häufigkeit von De-novo-Infektionen nach Herz- oder Nierentransplantationen
liegen nicht vor. In HBV-Endemieregionen sind De-novo-HBV-Infektionen nach Nierentransplantation
mit einer Häufigkeit von 1,3 % beschrieben worden [354 ] (IIc).
Prophylaxe der De-novo-HBV-Infektionen bei der Organtransplantation von isoliert Anti-HBc-positiven
Spendern
Prophylaxe der De-novo-HBV-Infektionen bei der Organtransplantation von isoliert Anti-HBc-positiven
Spendern
4.10 Wie ist das Management von Patienten, die ein Anti-HBc-positives Organ erhalten?
Empfehlung
Bei Transplantation einer Leber eines Anti-HBc-positiven Spenders:
Bei Anti-HBs-positivem Empfänger ist das Risiko der HBV-Reaktivierung gering und eine
Prophylaxe mittels Lamivudinmonotherapie ist ausreichend. Die Prophylaxe sollte mit
dem Zeitpunkt der Transplantation beginnen (B).
Bei Anti-HBs-negativem Empfänger besteht ein hohes Risiko der HBV-Reaktivierung und
eine Prophylaxe mit Lamivudin ist zwingend erforderlich (A). Der Nutzen einer zusätzlichen
HBIG-Prophylaxe ist nicht gesichert (B). Eine aktive HBV-Impfung sollte angestrebt
werden (B).
Die Prophylaxe mit einem Nukleos(t)id-Analogon sollte langfristig, mindestens aber
für ein Jahr durchgeführt werden. Sofern die Prophylaxe beendet wird, sollten regelmäßige
Kontrollen der HBV-Serologie inklusive HBV-DNA erfolgen (B).
Bei Transplantation anderer Organe (z. B. Niere, Herz, Lunge, Pankreas) eines Anti-HBc-positiven
Spenders:
Eine Prophylaxe wird aufgrund des geringen Risikos der HBV-Infektion nicht generell
empfohlen. Bei Anti-HBs-negativem Empfänger soll eine aktive HBV-Impfung durchgeführt
werden (A).
Kontrollen der HBV-DNA und von HBsAg sind im Verlauf zu empfehlen (B). Bei messbarer
HBV-DNA und/oder HBsAg-Positivität soll dann umgehend eine antivirale Therapie mit
einem Nukleos(t)id-Analogon erfolgen (A).
Abstimmung: 93 % (Konsens)
Erläuterung
Ohne antivirale Prophylaxe kommt es bei der Lebertransplantation Anti-HBc-positiver
Organe in 33 – 100 % zu einer De-novo-HBV-Infektion, d. h. Reaktivierung der HBV-Infektion
im Transplantat [355 ]
[356 ]
[357 ]
[358 ]
[359 ] (IIc).
Ein etabliertes prophylaktisches Therapieregime für HBV-seronegative (nicht geimpfte)
Empfänger existiert bisher nicht. Die Ergebnisse aus kleinen Kohortenuntersuchungen
belegen jedoch, dass durch eine prophylaktische Therapie mittels HBIG plus Lamivudin
eine De-novo-Infektion effektiv verhindert werden kann [360 ]
[361 ]
[362 ]
[363 ] (IV). Die Notwendigkeit einer Kombinationsprophylaxe ist jedoch umstritten, da zahlreiche
Daten belegen, dass eine Lamivudin-Monotherapie bei HBsAg-negativen Patienten unabhängig
vom Anti-HBs-Status ebenso effektiv ist wie die Kombinationsprophylaxe bestehend aus HBIg und Lamivudin.
Die Kombinationsprophylaxe erscheint daher nicht zwingend erforderlich zu sein und
auch nicht kosteneffektiv [350 ] (IIIa). Für den Einsatz potententer Nukleos(t)id-Analoga gibt es in dieser Situation
keine Evidenz. Die Dauer der Prophylaxe ist ebenfalls unklar. Das Risiko der Reaktivierung
ist in der Frühphase nach Transplantation bei starker Immunsuppression am höchsten.
Im Langzeitverlauf nach LTx bei niedriger Dosierung der Immunsuppressiva ist das Reinfektionsrisiko
wahrscheinlich sehr gering und ein Auslassversuch der Prophylaxe ist vertretbar. Bei
Anti-HBs-negativen Patienten sollte jedoch beachtet werden, dass eine De-novo-HBV-Infektion
im Median nach 24 Monaten auftritt bzw. diagnostiziert wird, nach temporärer Prophylaxe
sogar im Median nach 35 Monaten, wie gepoolte Daten aus verschiedenen Serien zeigen
[350 ]
[359 ] (IIIa). Eine Hepatitis-B-Impfung ist indiziert.
Ein Anti-HBs-positiver Empfänger hat ein signifikant geringeres Risiko einer De-novo-HBV-Infektion
[317 ]
[361 ]
[364 ]
[365 ] (IV). Daher erscheint in dieser Situation eine HBV-Prophylaxe mit einer Nukleos(t)id-Analoga-Monotherapie
(in der Regel mit Lamivudin) ausreichend [360 ] (IV).
Das Risiko einer De-novo-HBV-Infektion ist bei der Herz-, Lungen- oder Nierenspende
eines Anti-HBc-positiven Spenders im Vergleich zur Leberspende deutlich geringer (< 5 %)
[366 ]
[367 ]
[368 ]
[369 ] (IIc). Der Anti-HBc-Status des Spenders hat auch keinen Einfluss auf das Empfängerüberleben
[370 ]
[371 ] (IIc). Aufgrund dieses geringen Risikos wird eine Prophylaxe nicht generell empfohlen.
Die Empfänger Anti-HBc-positiver Organe sollten bez. des Auftretens einer De-novo-Hepatitis
B mittels HBV-Serologie regelmäßig überwacht werden (z. B. in 3- bis 6-monatigen Abständen).
Bei positivem Nachweis von HBsAg und/oder HBV-DNA besteht die Indikation zur antiviralen
Therapie (siehe Management der De-novo-HBV-Infektion).
Der Nachweis von Anti-HBc-Antikörpern nach Organ-Tx bedeutet nicht in jedem Fall,
dass eine De-novo-HBV-Infektion stattgefunden hat, sondern kann z. B. durch die Infusion
von Immunglobulinen, welche Anti-HBc enthalten, bedingt sein [372 ] (IV).
HBV-Impfung von Organ-/KM-Empfängern (siehe auch AG 5)
HBV-Impfung von Organ-/KM-Empfängern (siehe auch AG 5)
4.11 Wer sollte vor einer Organtransplantation gegen HBV geimpft werden?
Empfehlung
Delphi-Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Bisher ist die Schwelle des Anti-HBs-Titers, bei welchem von einem sicheren Impfschutz
nach Transplantation ausgegangen werden kann, nicht bekannt. Die Höhe des Anti-HBs-Titers
scheint aber hinsichtlich der Prävention einer De-novo-HBV-Infektion nach Transplantation
von Bedeutung zu sein [352 ]
[353 ] (IIb). Daher wird auch bei Anti-HBc-positiven Patienten mit einem Anti-HBs-Spiegel
< 100 U/l eine Boosterimpfung vor Transplantation empfohlen, wenngleich prospektive
Studien zur Effektivität bzw. Notwendigkeit dieser Impfstrategie fehlen.
Die HBV-Impfung sollte so früh wie möglich erfolgen, da mit zunehmendem Progress der
Lebererkrankung das Impfansprechen abnimmt [373 ] (IIc). Das Impfansprechen bei Patienten mit Leberzirrhose vor Transplantation liegt
bei einem konventionellen Impfschema (20 µg i. m. zu den Monaten 0, 1 und 6) bei etwa
16 –28 % [374 ]
[375 ] (IIc).
Zur Steigerung des Impfansprechens können höhere Dosierungen und/oder zusätzliche
Impfapplikationen (Booster) zum Einsatz kommen [373 ]
[376 ]
[377 ]
[378 ] (IIb). Eine Hochdosis-Hepatitis-B-Impfung mit ein- oder mehrmaligen Gaben von 80 µg
Vakzine führt bei Patienten mit chronischer Lebererkrankung, die nicht auf eine Impfung
(mit 3 × 40 µg) angesprochen haben, zu einer signifikanten Steigerung des Impfansprechens
[379 ] (IIIb).
5. Immunprophylaxe der Hepatitis B
5. Immunprophylaxe der Hepatitis B
AG-Leiter: Jilg W, Regensburg
AG-Mitglieder:
Indikationen zur Hepatitis-B-Impfung
Indikationen zur Hepatitis-B-Impfung
5.1 Wer soll gegen Hepatitis B geimpft werden?
Empfehlung
Entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut
(STIKO) sollen geimpft werden (A):
alle Säuglinge ab vollendeten 2. Lebensmonat,
alle noch nicht geimpften Kinder und Jugendlichen bis zum vollendeten 17. Lebensjahr,
möglichst vor Beginn der Pubertät,
alle in der Indikationsliste der STIKO aufgeführten Personen mit erhöhtem Hepatitis-B-Risiko
([Tab. 17 ]),
zusätzlich sollten noch geimpft werden:
Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Ziel der Impfempfehlungen [31 ] (IV) ist die Durchimpfung der gesamten Bevölkerung. Die nach der Einführung der
Impfung in den Ländern mit geringer Hepatitis-B-Prävalenz zunächst geübte Strategie,
nur Angehörige bestimmter Risikogruppen zu impfen, konnte die Hepatitis-B-Inzidenz
in diesen Ländern nur geringfügig senken. Hauptgrund dafür dürfte die Tatsache sein,
dass ein Großteil der Infektionen sexuell übertragen wird, in der Mehrzahl bei Menschen,
die sich keiner der „typischen” Risikogruppen zugehörig fühlen [380 ] (IV). Deshalb empfahl die Weltgesundheitsorganisation im Jahre 1992 allen Ländern
die generelle Impfung gegen Hepatitis B. Durch die weltweite Umsetzung dieser Empfehlung
kann die Hepatitis B langfristig ausgerottet werden, da der Mensch der einzige epidemiologisch
relevante Wirt des Erregers ist. Die Impfempfehlung ist in Deutschland auf die ersten
18 Lebensjahre beschränkt, weil die öffentlichen und privaten Krankenkassen sich nur
zur Finanzierung der generellen Impfung bei Kindern und Jugendlichen bereit erklären
konnten. Daher ist es gegenwärtig von besonderer Wichtigkeit, darüber hinaus wenigstens
die Erwachsenen mit einem erhöhten Hepatitis-B-Risiko zu impfen, wie sie in der Indikationsliste
der STIKO ([Tab. 17 ]) aufgeführt sind.
Nicht explizit in den Empfehlungen der STIKO erwähnt sind 2 Gruppen, die ebenfalls
geimpft werden sollten, nämlich alle Patienten vor geplanten Transplantationen, speziell
vor Lebertransplantation, sowie Kinder von Müttern mit Anti-HBc als einzigem Marker
einer HBV-Infektion. Die Impfung der ersteren Gruppe ist indiziert, weil vor der Transplantation
und der damit in der Regel verbundenen Immunsuppression ein Impferfolg eher gewährleistet
ist. Auch bei Neugeborenen von Müttern, die isoliert Anti-HBc positiv sind, besteht
ein gewisses Infektionsrisiko [381 ] (Diese Arbeit wird allerdings sehr kritisch bewertet. Eine Evidenzangabe erfolgt
nicht). Eine aktiv-passive Postexpositionsprophylaxe kann deshalb auch bei ihnen erwogen
werden. Die Kosten für diese Impfungen werden von den Krankenkassen bzw. im Falle
einer beruflichen Gefährdung vom Arbeitgeber getragen.
Tab. 17 Die Indikationsliste der Ständigen Impfkommission (STIKO) (Stand Juli 2010).
Patienten
– mit chronischer Nierenkrankheit/Dialyse
– mit Leberkrankheit/Krankheit mit Leberbeteiligung
– mit häufiger Übertragung von Blut(bestandteilen, z. B. Hämophile)
– vor ausgedehntem chirurgischem Eingriff (z. B. unter Verwendung der Herz-Lungen-Maschine)
– HIV-Positive
Kontakt mit HBsAg-Träger in Familie/Wohngemeinschaft
Sexualkontakt zu HBsAg-Träger bzw. Sexualverhalten mit hoher Infektionsgefährdung
Drogenabhängigkeit, längerer Gefängnisaufenthalt
durch Kontakt mit HBsAg-Trägern in einer Gemeinschaft (Kindergärten, Kinderheime,
Pflegestätten, Schulklassen, Spielgemeinschaften) gefährdete Personen
Patienten in psychiatrischen Einrichtungen oder Bewohner vergleichbarer Fürsorgeeinrichtungen
für Zerebralgeschädigte oder Verhaltensgestörte sowie Personen in Behindertenwerkstätten
Gesundheitsdienst (inkl. Labor, technischer Reinigungs-/Rettungsdienst) sowie Personal
psychiatrischer/Fürsorgeeinrichtungen/Behindertenwerkstätten, Asylbewerberheime
durch Kontakt mit infiziertem Blut oder infizierten Körperflüssigkeiten Gefährdete,
Auszubildende und Studenten
möglicher Kontakt mit infiziertem Blut oder infizierten Körperflüssigkeiten (Gefährdungsbeurteilung
durchführen), z. B. Müllentsorger, industrieller Umgang mit Blut(-produkten), ehrenamtliche
Ersthelfer, Polizisten, Sozialarbeiter, (Gefängnis-)Personal mit Kontakt zu Drogenabhängigen
Reisende in Regionen mit hoher Hepatitis-B-Prävalenz bei Langzeitaufenthalt mit engem
Kontakt zu Einheimischen
Verletzungen mit möglicherweise HBV-haltigen Gegenständen, z. B. Nadelstich
Neugeborene HBsAg-positiver Mütter oder von Müttern mit unbekanntem HBsAg-Status (unabhängig
vom Geburtsgewicht)
Zeitpunkt der Hepatitis-B-Impfung
Zeitpunkt der Hepatitis-B-Impfung
5.2 Wann sollte die Impfung gegen Hepatitis B durchgeführt werden?
Empfehlung
Die Impfung sollte durchgeführt werden (B):
bei Säuglingen ab vollendeten 2. Lebensmonat,
bei noch nicht geimpften Kindern und Jugendlichen bis zum vollendeten 17. Lebensjahr,
möglichst vor Beginn der Pubertät,
bei Hepatitis-B-gefährdetem Personal im Gesundheits- und Rettungsdienst vor Aufnahme
der Berufsausbildung,
bei Medizin- und Zahnmedizinstudenten vor Beginn des Studiums bzw. des Krankenpflegediensts,
bei Patienten vor geplanter Transplantation,
bei Patienten mit chronischer Nierenkrankheit vor Eintritt der Dialysepflichtigkeit,
bei Patienten mit HIV-Infektion möglichst frühzeitig nach Erst-Diagnose; bei Nichtansprechen
bereits immunsupprimierter Patienten sollte nach Erreichen einer Immunrekonstitution
unter hochaktiver antiretroviraler Therapie die Impfung wiederholt werden,
bei Patienten in psychiatrischen Einrichtungen und Bewohnern von Fürsorgeeinrichtungen
für Zerebralgeschädigte oder Verhaltensgestörte vor Aufnahme in die Einrichtung,
bei Neugeborenen HBsAg-positiver Mütter oder von Müttern mit unbekanntem HBsAg-Status
innerhalb von 12 Stunden nach Geburt (s. Postexpositionsprophylaxe),
bei Personen nach Verletzungen mit möglicherweise erregerhaltigen Gegenständen sobald
wie möglich (innerhalb von 48 Stunden) (s. Postexpositionsprophylaxe),
bei allen anderen Personen zum Zeitpunkt ihrer Zuordnung zu einer Risikogruppe.
Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Bei allen im medizinischen Bereich Tätigen ist ein Vollschutz gegen Hepatitis B bereits
vor Aufnahme der Ausbildung von größter Bedeutung. Da die Verletzungs- und damit die
Infektionsgefahr bei Anfängern besonders groß ist, sollte darauf geachtet werden,
dass vor den ersten berufsspezifischen Praktika (z. B. Krankenpflegedienst bei Medizinstudenten,
der meist bereits vor Beginn des Studiums abgeleistet wird) die Hepatitis-B-Impfung
durchgeführt wird. Personen, die eine Hepatitis-B-Impfung ablehnen und nicht immun
sind, dürfen Tätigkeiten mit Übertragungsgefahr nicht ausüben.
Hämodialysepatienten sprechen schlecht auf die Hepatitis-B-Impfung an. Daher sollten
diese Personen bereits geimpft werden, wenn erstmals die Diagnose einer chronischen
Nierenerkrankung gestellt wird, die eine spätere Dialysebehandlung und/oder Transplantation
notwendig erscheinen lässt [382 ] (IIIb).
Auch bei HIV-Infizierten ist die Wirksamkeit der Impfung bei bereits bestehendem Immundefekt
vermindert, die Impfung sollte daher bereits in einem frühen Infektionsstadium bei
noch normaler CD 4-Zellzahl durchgeführt werden [383 ] (IIb). Bei Patienten, die aufgrund ihrer Immunsuppression nicht auf die Impfung
angesprochen haben, sollte nach Einleitung einer HAART und Verbesserung oder Normalisierung
der Zahl der CD 4-positiven Zellen sowie Abnahme der Viruslast die Impfung erneut
versucht werden [384 ]
[385 ] (IIb).
Testung vor bzw. nach der Hepatitis-B-Impfung
Testung vor bzw. nach der Hepatitis-B-Impfung
5.3 Ist es vor einer Hepatitis-B-Impfung notwendig zu testen, ob bereits Kontakt mit
dem Hepatitis-B-Virus stattgefunden hat?
Empfehlung
Eine Testung auf Hepatitis-B-Marker vor der Impfung ist aus medizinischen Gründen
nicht notwendig (B). Eine Untersuchung auf Anti-HBc kann bei Angehörigen von Risikogruppen
(wie in der Liste der STIKO aufgeführt) und bei Personen oder deren Nachkommen aus
hochendemischen Gebieten sinnvoll sein, wenn das erhöhte Risiko schon seit längerer
Zeit (Jahren) besteht (C).
Delphi-Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Es besteht keine medizinische Indikation, vor einer geplanten Hepatitis-B-Impfung
abzuklären, ob der Impfling bereits Kontakt mit dem Hepatitis-B-Virus hatte. Eine
Impfung von Personen mit (asymptomatischer) akuter, chronischer oder abgelaufener
Hepatitis B kann gefahrlos durchgeführt werden, ist allerdings wirkungslos (C). Ob
eine Vortestung kostengünstig ist, hängt von den Testkosten, von den Kosten für den
Impfstoff und vom Anteil Immuner im geimpften Kollektiv ab. So wird bei einem Testpreis
von € 20,11 (Vollkosten für den Anti-HBc-Test nach GOÄ) und einem Impfstoffpreis von € 199,35
(für 3 Dosen) eine Vortestung kostengünstig bei einer Anti-HBc-Prävalenz eines zu
impfenden Kollektivs von 10,1 %, was ungefähr der Anti-HBc-Prävalenz über 50-jähriger
Männer in Deutschland entspricht [17 ]
[386 ] (Ib). Reduziert sich der Impfstoffpreis um 50 % (auf € 99,68), wird eine Kosteneffektivität
erst bei einer Anti-HBc-Prävalenz von 20,2 % erreicht (in beiden Beispielen wurden
die Kosten für Blutabnahme, Impfung, Kanülen, Spritzen etc. nicht berücksichtigt).
Medizinisches Personal ist gemäß § 15 BiostoffV bei einer Eingangsuntersuchung auf
HBsAg, Anti-HBc und Anti-HBs zu untersuchen. Bei fehlender Immunität ist eine aktive
Hepatitis-B-Impfung zu veranlassen. Personen, die sich weigern, ihren HBV/HCV-Status
überprüfen zu lassen, dürfen Tätigkeiten mit Übertragungsgefahr nicht ausüben.
Bei Personen, die bereits eine HBV-Infektion haben, ist eine Impfung wirkungslos.
Welche Tätigkeiten von HBV-Trägern im medizinischen Bereich ausgeübt werden dürfen,
regeln die „Empfehlungen der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten
(DVV) zur Prävention der nosokomialen Übertragung von Hepatitis B (HBV) und Hepatitis
C Virus (HCV) durch im Gesundheitswesen Tätige” (www.dvv-ev.de Therapieempfehlungen
und Merkblätter). Bei einer Virämie < 200 IU HBV DNA sind in der Regel keine Einschränkungen
oder besondere Sicherheitsmaßnahmen erforderlich. Jedoch muss die Virämie engmaschig
kontrolliert werden, für ein Jahr alle 3 Monate, danach bei konstant niedrigen oder
negativen Werten jährlich oder bei möglicher Immundefizienz. Bei höherer Virämie entscheidet
eine Kommission über die vertretbaren Tätigkeiten.
5.4 Ist es nach einer Hepatitis-B-Impfung notwendig zu testen, ob die Impfung erfolgreich
war?
Empfehlung
Bei Impflingen, die keiner spezifischen Risikogruppe angehören, gesund und jünger
als 40 Jahre sind, ist eine Erfolgskontrolle nach der Impfung nicht notwendig (B).
Eine Testung auf Anti-HBs sollte aber durchgeführt werden (B):
bei allen Menschen mit erhöhtem Hepatitis-B-Risiko,
bei immunkompromittierten Menschen,
bei Menschen über 40 Jahren.
Delphi-Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Die Serokonversionsraten von geimpften Kindern und Jugendlichen liegen bei > 98 %,
bei gesunden jüngeren Erwachsenen (< 40 Jahren) bei über 95 % [387 ] (Ia). Eine Kontrolle des Impferfolgs erscheint daher bei diesen Personen nicht notwendig,
solange sie keinem deutlich erhöhten Risiko unterliegen.
Eine quantitative Testung auf Anti-HBs 4 – 8 Wochen nach der Beendigung der Grundimmunisierung
(d. h. nach der dritten bzw. vierten Impfung) ist dagegen angezeigt bei allen im medizinischen
Bereich Tätigen. Zum einen sollte bei möglichst allen geimpften Personen ein belastbarer
Schutz erzielt werden, weshalb Non- bzw. Lowresponder nachgeimpft werden sollten,
zum zweiten kann bei ausgebliebenem Impferfolg im Falle eines Kontakts mit HBV, etwa
durch eine Nadelstichverletzung o. Ä., durch eine sofortige Gabe von Hepatitis-B-Immunglobulin
(HBIG) eine Infektion noch vermieden werden. Eine Testung ist ebenfalls indiziert
bei Personen mit deutlich erhöhtem Infektionsrisiko wie Kontaktpersonen, insbesondere
Sexualpartnern, von HBsAg-Trägern, Personen, für die eine HBV-Infektion eine besondere
Gefährdung darstellt, wie Personen mit chronischen Lebererkrankungen, sowie Personen,
bei denen von einer erniedrigten Ansprechrate auf die Impfung auszugehen ist, wie
Immunsupprimierten und älteren Menschen. Ein schlechteres Ansprechen auf die Grundimmunisierung
ist bereits bei Menschen > 40 Jahren festzustellen [388 ] (IIa). Auch unmittelbar nach der Geburt geimpfte Neugeborene sprechen schlechter
auf die Impfung an [389 ] (Ib) und sollten daher ebenfalls getestet werden.
Auffrischimpfung nach kompletter Grundimmunisierung
Auffrischimpfung nach kompletter Grundimmunisierung
5.5 Ist nach erfolgreicher Impfung gegen Hepatitis B eine Auffrischimpfung notwendig?
Empfehlung
Delphi-Abstimmung: 96 % (starker Konsens)
Erläuterung
Die Hepatitis-B-Impfung induziert bei allen erfolgreich Geimpften die Bildung neutralisierender
Antikörper, die in einer Konzentration von ≥ 10 IU/l Schutz vor einer Infektion verleihen
[390 ] (Ib). Da die Anti-HBs-Konzentration nach der Grundimmunisierung allerdings sehr
rasch absinkt, gilt als Kriterium einer erfolgreichen Immunisierung ein Anti-HBs-Wert
von wenigstens 100 IU/l, gemessen 4 – 8 Wochen nach der dritten Impfung. Selbst nach
einer derartigen erfolgreichen Impfung verschwindet Anti-HBs jedoch bei etwa 20 – 50 %
auch immunologisch gesunder Impflinge nach 4 – 10 Jahren [391 ]
[392 ]
[393 ] (IIa). Auch diese Menschen sind aber vor Erkrankung geschützt. Die Basis dafür bildet
ein ausgeprägtes immunologisches Gedächtnis, das über das Vorhandensein von Anti-HBs
hinaus persistiert. Im Falle eines Kontakts mit dem Erreger wird sehr rasch eine Immunreaktion
in Gang gesetzt, die eine beginnende Infektion schnell beendet und eine Erkrankung
oder eine chronische Infektion sicher verhindert [392 ]
[394 ]
[395 ] (IIIa). Wiederimpfungen von Personen, die ihre Antikörper verloren haben, führen
innerhalb von 3 – 5 Tagen zu einem ausgeprägten Antikörperanstieg [391 ]
[396 ]
[397 ]
[398 ]
[399 ] (IIa). Eine derartige „anamnestische” Immunantwort konnte auch 15 – 20 Jahre nach
der Grundimmunisierung bei über 90 % aller Personen festgestellt werden, deren Antikörper
in der Zwischenzeit verschwunden waren [400 ]
[401 ] (IIb). Auch kontrollierte Studien bei im Kindesalter Geimpften zeigen eine über
95 %ige Schutzwirkung der Impfung für über 15 Jahre [402 ]
[403 ]
[404 ] (IIa). Daher erscheint eine Auffrischimpfung vor Ablauf von 15 Jahren nicht notwendig.
Menschen mit erhöhtem Hepatitis-B-Risiko, wie vor allem medizinisches Personal, sollten
allerdings aus Sicherheitsgründen weiterhin nach 10 Jahren eine Wiederimpfung erhalten
[31 ].
Beobachtungen an geimpften amerikanischen Blutspendern zeigen, dass bei niedrigem
(< 100 IU/L) oder völlig abgefallenem Anti-HBs und sexueller Exposition okkulte HBV-Infektionen
ohne nachweisbares HBsAg, aber mit transienter Virämie möglich sind. Diese Infektionen
sind völlig asymptomatisch und führen nach einigen Wochen oder Monaten zu einer Auffrischung
der Anti-HBs-Titer. Die beobachteten okkulten HBV-Infektionen wurden vorwiegend durch
andere HBV-Genotypen als dem sonst in den USA vorherrschenden und im Impfstoff verwendeten
Genotyp A 2 hervorgerufen [19 ] (IIb). Klinisch sind diese Infektionen irrelevant oder wegen der natürlich erfolgten
Auffrischung der Immunität sogar vorteilhaft. Die Bedeutung für die HBV-Sicherheit
im Blutspendewesen muss jedoch untersucht werden.
Vorgehen bei immunologisch gesunden Nonrespondern und Lowrespondern
Vorgehen bei immunologisch gesunden Nonrespondern und Lowrespondern
5.6 Wie ist bei Nichtansprechen auf die Hepatitis-B-Impfung (Anti-HBs nach drei Impfungen
< 10 IU/l) zu verfahren?
Empfehlung
Delphi-Abstimmung: 98 % (starker Konsens)
Erläuterung
Mehrere Studien konnten zeigen, dass mit bis zu 3 zusätzlichen Impfungen in Abständen
von 1 – 3 Monaten 50 – 100 % der Nonresponder zur Serokonversion zu bringen sind [405 ]
[406 ]
[407 ] (IIb). Nonresponder sollten daher bis zu 3 weitere Impfungen (in Abständen von 1 – 3
Monaten) erhalten. Eine Reihe von Untersuchern beschreibt den Einsatz von intradermalen
Impfungen bei Nonrespondern (Übersicht in [408 ]
[409 ]). Obwohl immunologisch einleuchtend, gibt es bis jetzt bei Immungesunden keinen
eindeutigen Beweis für eine signifikant bessere Immunantwort auf diese Impftechnik
[410 ]
[411 ]
[412 ]
[413 ]
[414 ] (Ia).
Sofern vor der Impfung kein HBsAg und Anti-HBc bestimmt wurde, sollte bei Nichtansprechen
auf die Hepatitis-B-Impfung eine Bestimmung nachgeholt werden, weil es sich in diesem
Fall um chronische Virusträger handeln könnte.
5.7 Wie ist bei Personen zu verfahren, deren Anti-HBs-Konzentration 4 – 8 Wochen nach
Grundimmunisierung 10 – 99 IU/l beträgt (gesunde Lowresponder)?
Empfehlung
Personen, deren Anti-HBs-Konzentration 4 – 8 Wochen nach der Grundimmunisierung 10 – 99
IU/l beträgt („Lowresponder”), sollten entsprechend den Empfehlungen der STIKO eine
sofortige Wiederimpfung erhalten; Anti-HBs sollte nach 4 – 8 Wochen erneut bestimmt
werden (B).
Delphi-Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Die Notwendigkeit eines derartigen Vorgehens wurde niemals bewiesen. Der Wert von
≥ 100 IU/l als Kriterium für gutes Ansprechen auf die Impfung (nicht für Immunität!)
wurde auf einer internationalen Konferenz im Jahr 1988 festgelegt [415 ] (IV), auch aufgrund der mit verschiedenen Anti-HBs-Tests nicht selten stark differierenden
Ergebnisse. Ein Wert von ≥ 100 IU/l 1 –2 Monate nach der 3. Impfung weist nach unserer
heutigen Kenntnis auch auf das „Priming” eines guten immunologischen Gedächtnisses
und damit auf einen verlässlichen Langzeitschutz vor Erkrankung hin, ein niedrigerer
Wert schließt das aber nicht aus (in den USA gilt ein Wert von ≥ 10 IU/l 1 bis 3 Monate
nach der 3. Impfung als Beweis für eine erfolgreiche Impfung).
Vorgehen bei immunsupprimierten Personen
Vorgehen bei immunsupprimierten Personen
5.8 Was ist bei der Impfung von Immunsupprimierten generell zu beachten?
Empfehlung
Bei Immunsupprimierten ist generell die Gabe einer erhöhten Dosis (doppelte Dosis
bzw. Dosis für Dialyse-Pflichtige) sinnvoll (B).
Eine Kontrolle des Impferfolgs ist angezeigt. Besteht ein erhöhtes Hepatitis-B-Risiko,
sollte Anti-HBs jährlich kontrolliert werden. Bei Absinken von Anti-HBs auf Werte
unter 10 IU/l ist eine Auffrischimpfung indiziert (B).
Bei Dialysepatienten ist wie bei allen Immunsupprimierten die Gabe einer erhöhten
Dosis (doppelte Dosis bzw. eine spezielle Dialysedosis) sinnvoll (B). Bei Nichtansprechen
auf die Grundimmunisierung kann eine intradermale Impfung mit mehrfachen kleinen Dosen
erwogen werden (C).
Patienten mit HIV-Infektion sollten bei noch intakter Immunfunktion normal geimpft
werden. Der Impferfolg sollte kontrolliert werden; bei Nichtansprechen sollten weitere
Impfungen durchgeführt werden (B).
Bei HIV-Patienten mit Immundefekt ist die Verwendung einer erhöhten Dosis sinnvoll.
Bei Nonrespondern sollte nach Einleitung einer HAART und Verbesserung der Zahl der
CD 4-positiven Zellen sowie Abnahme der Viruslast die Impfung erneut versucht werden
(B).
Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Für Dialysepatienten wurde das bessere Ansprechen auf eine erhöhte Dosis des Impfstoffs
mehrfach gezeigt [416 ]
[417 ]
[418 ] (IIa), ebenso für HIV-Infizierte mit eingeschränkter Immunfunktion [419 ] (IIb) und chronische Alkoholiker [420 ] (Ib). Studien bei Dialysepatienten mit intradermaler Impfung ergaben widersprüchliche
Ergebnisse. Ebenso wie bei Immungesunden [414 ] (Ia) ließ sich in den meisten Untersuchungen an Dialysepatienten ein besseres Abschneiden
der i. d. Technik gegenüber der intramuskulären Injektion nicht feststellen [376 ]
[421 ]
[422 ] (Ib). Eine neue Studie fällt allerdings eindeutig positiv aus [423 ] (IIb) und lässt zumindest den Versuch mit dieser Technik bei Dialysepatienten, die
bisher nicht auf die Impfung angesprochen haben, als sinnvoll erscheinen. Mehrere
kleine Dosen scheinen hierbei von Vorteil zu sein (2 × 5 µg in 250 µl in die Volarseite
des rechten und linken Unterarms, 1 × pro Woche für 8 Wochen [423 ] (IIb).
Bei HIV-Patienten hängt das Vorgehen vom Immunstatus ab. Bei noch Immunkompetenten
kann wie bei Gesunden geimpft werden, allerdings sollte der Impferfolg kontrolliert
werden. Immunkompromittierte Patienten sollten wie alle Immunsupprimierten mit höheren
Dosen geimpft werden. Bei Nonrespondern ist nach Einleitung einer HAART und Verbesserung
oder Normalisierung der Zahl der CD 4-positiven Zellen sowie Abnahme der Viruslast
der Impferfolg deutlich erhöht [384 ]
[385 ] (IIb).
Über die Schutzdauer nach erfolgreicher Grundimmunisierung von immunsupprimierten
Personen ist wenig bekannt. Im Gegensatz zur Situation bei Gesunden wurden klinisch
manifeste HBV-Infektionen bei geimpften Dialysepatienten beobachtet, deren Anti-HBs-Titer
unter 10 IU/l abgefallen war [424 ] (IIa). Es erscheint daher gerechtfertigt, diese Patienten in regelmäßigen Abständen
auf Anti-HBs zu testen und durch Auffrischimpfungen einen Anti-HBs-Spiegel von > 10
IU/l aufrechtzuerhalten [394 ]
[425 ] (IIIa). Auch wenn für andere immunsupprimierte Personen keine Daten dazu vorliegen,
sollte bei ihnen genauso verfahren werden, sofern ein erhöhtes Hepatitis-B-Risiko
besteht [425 ] (IIIa).
Postexpositionsprophylaxe
Postexpositionsprophylaxe
5.9 Wie ist die Postexpositionsprophylaxe bei Neugeborenen durchzuführen?
Empfehlung
Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Die Wirksamkeit der aktiv-passiven Postexpositionsprophylaxe bei Neugeborenen von
HBsAg-positiven Müttern wurde vielfach demonstriert (Übersicht [426 ] [Ia]). Es werden 30 – 100 IU Anti-HBs pro kg KG verabreicht, i. d. Regel 1 ml eines
i. m. zu applizierenden Anti-HBs-Präparats mit einer Anti-HBs-Konzentration von 200
IU/ml. Um Impfversagen bzw. Virusdurchbrüche bei Neugeborenen HBV-infizierter Mütter
zu erkennen, soll gemäß STIKO nach 6 – 7 Monaten auf HBsAg und Anti-HBc getestet werden.
Übertragungen einer HBV-Infektion auf das Neugeborene wurden auch bei isoliert Anti-HBc-positiven
Müttern beschrieben [30 ]
[381 ] (IV), führten aber in keinem Fall zu einer chronischen Infektion. Deswegen wird
ein generelles Screening aller Schwangeren auf Anti-HBc auch nicht empfohlen (siehe
AG 1). Wenn eine solche Konstellation aber bekannt ist, kann eine aktiv-passive Postexpositionsprophylaxe
erwogen werden (C).
Auch die aktive Impfung allein verhütet mit großer Sicherheit eine Infektion; bei
Neugeborenen von Müttern, deren HBsAg-Status nicht bekannt ist und bei denen eine
serologische Kontrolle innerhalb von 12 Stunden nicht möglich ist, sollte daher unmittelbar
post partum die Grundimmunisierung mit Hepatitis-B-Impfstoff begonnen werden. Bei
nachträglicher Feststellung einer HBsAg-Positivität kann beim Neugeborenen innerhalb
von sieben Tagen postpartal die Gabe von Hepatitis-B-Immunglobulin nachgeholt werden
(in erster Linie um die Zeit bis zur Bildung „eigener” schützender Antikörper beim
Kind zu überbrücken) (s. STIKO-Empfehlung [31 ]).
5.10 Wie ist bei nicht gegen Hepatitis B Immunen im Falle eines Kontakts mit HBV-haltigem
Material zu verfahren?
Empfehlung
Delphi-Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
In einer Untersuchung, in der Personen nach Verletzung mit einer mit HBsAg- und HBeAg-positivem
Blut kontaminierten Kanüle eine aktiv-passive Immunisierung erhielten, konnte bei
22 (95,6 %) von 23 eine HBV-Infektion verhindert werden, gegenüber 22 von 33 (66,7 %),
die in einer früheren Studie nur einmal passiv immunisiert worden waren [427 ] (IIIb). Die Simultanimpfung wurde innerhalb von 48 Stunden verabreicht, im Mittel
nach 17 Stunden. Eine aktiv-passive Immunisierung sollte daher so bald wie möglich,
auf jeden Fall aber innerhalb von 48 Stunden nach dem Kontakt erfolgen. Das gilt auch
für Menschen, deren Immunstatus unbekannt und nicht innerhalb von 48 Stunden abzuklären
ist (s. STIKO-Empfehlung [31 ]).
Impfhindernisse, Kontraindikationen
Impfhindernisse, Kontraindikationen
5.11 Gibt es Kontraindikationen gegen eine Hepatitis-B-Impfung?
Empfehlung
Der Hepatitis-B-Impfstoff ist sehr gut verträglich. Schwere Nebenwirkungen oder Komplikationen,
über die speziell aufgeklärt werden müsste oder weswegen bestimmte Personen nicht
geimpft werden können, sind nicht bekannt (C).
Personen mit hochfieberhaften und/oder behandlungsbedürftigen, akuten Erkrankungen
sollten nicht geimpft werden (B).
Personen, die nach einer vorangegangenen Impfung mit einem Hepatitis-B-Impfstoff Zeichen
einer Überempfindlichkeit oder andere ungeklärte unerwünschte Wirkungen gezeigt haben,
sollten nicht geimpft werden (B).
Delphi-Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Personen mit hochfieberhaften und/oder behandlungsbedürftigen Erkrankungen sollten
frühestens 2 Wochen nach Genesung geimpft werden. Allergische Erscheinungen oder andere
unerwünschte Arzneimittelwirkungen im zeitlichen Zusammenhang mit einer Hepatitis-B-Impfung
stellen ein Impfhindernis gegen eine nachfolgende Hepatitis-B-Impfung dar, wenn aufgrund
der besonderen Umstände ein Kausalzusammenhang angenommen werden muss [31 ]. Darüber hinausgehende Kontraindikationen gibt es nicht; Schwangere können gegen
Hepatitis B geimpft werden [428 ] (IIIb), allerdings sollte – wie für alle Impfungen in der Schwangerschaft – die
Indikation streng gestellt sein.
Der Hepatitis-B-Impfstoff ist sehr gut verträglich [429 ]
[430 ] (IIIa). Wie bei anderen Impfstoffen kann es innerhalb von 1 –3 Tagen, selten länger
anhaltend, an der Impfstelle zu Rötung, Schmerzhaftigkeit und Schwellung kommen, gelegentlich
auch verbunden mit Beteiligung der zugehörigen Lymphknoten. Allgemeinsymptome wie
beispielsweise leichte bis mäßige Temperaturerhöhung, Frösteln, Kopf- und Gliederschmerzen
oder Müdigkeit sind selten. In der Regel sind diese Lokal- und Allgemeinreaktionen
vorübergehender Natur und klingen rasch und folgenlos wieder ab. In Einzelfällen wird
über anaphylaktische und allergische Reaktionen (Vaskulitis, Urtikaria, niedriger
Blutdruck) nach Hepatitis-B-Impfung berichtet. Ungeklärt ist ein ursächlicher Zusammenhang
der Impfung mit den sehr selten beobachteten neurologischen Störungen (Enzephalitis,
Enzephalomyelitis, Myelitis, Opticusneuritis, Guillain-Barré-Syndrom) und Erkrankungen
anderer Organe (Arthritiden, Angioödem, Erythema multiforme, Lupus erythematodes,
Thrombozytopenie), die im zeitlichen Zusammenhang mit der Hepatitis-B-Impfung auftraten.
In der Mehrzahl dieser Einzelfallberichte dürfte es sich um das zufällige zeitliche
Zusammentreffen von miteinander nicht ursächlich verbundenen selbstständigen Ereignissen
handeln [430 ] (IV). Die Verursachung oder die Auslösung eines akuten Schubs von Multipler Sklerose
oder anderer demyelisierender Erkrankungen durch die Hepatitis-B-Impfung wird immer
wieder diskutiert [431 ]
[432 ]
[433 ] (Evidenz nicht bewertet). Es gibt jedoch keine wissenschaftlichen Fakten, die einen
solchen Zusammenhang beweisen. Eine Vielzahl qualifizierter Studien konnte keine Evidenz
für einen kausalen Zusammenhang der postulierten Krankheit mit der Impfung finden
[434 ]
[435 ]
[436 ]
[437 ]
[438 ] (IIIa).
6. HBV-Koinfektionen
6. HBV-Koinfektionen
AG-Leiter: Erhardt A, Düsseldorf
AG-Mitglieder:
Böhm S, Leipzig
Erhardt A, Düsseldorf
Klinker H, Würzburg
Mauss S, Düsseldorf
Oette M, Köln
Reiser M, Marl
Rockstroh J, Bonn
Potthoff A, Hannover
Kaiser R, Köln
Hofmann C, Hamburg
HBV/HDV-Koinfektion
HBV/HDV-Koinfektion
6.1 Bei welchen Patienten mit HDV-Infektion soll eine Therapie durchgeführt werden?
Wie soll die antivirale Therapie durchgeführt werden?
Empfehlung
Der Einsatz von (PEG)-Interferon alpha soll bei allen Patienten mit einer chronischen
HBV/HDV-Koinfektion geprüft werden (A).
Aufgrund der mindestens äquivalenten Ansprechraten, aber einer patientenfreundlicheren
Applikation einmal pro Woche ist die Therapie mit PEG-Interferon alpha empfehlenswerter
als Standard-Interferon alpha (C). Die Therapiedauer mit pegyliertem Interferon alpha
soll mindestens 12 Monate betragen (A).
Nach einer erfolglosen Interferontherapie der Hepatitis D kann bei persistierender
HBV-Replikation die Hepatitis B mit Nukleos(t)id-Analoga therapiert werden (C).
Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose oder akuter fulminanter Hepatitis D
sollten für eine Lebertransplantation evaluiert werden (B).
Abstimmung: 97 % (starker Konsens)
Erläuterung
Schwere und fulminante Verläufe sind bei der akuten HBV/HDV-Koinfektion häufiger als
bei der akuten HBV-Monoinfektion [439 ]
[440 ]
[441 ]
[442 ] (IIb). Die Infektion mit HDV kann als Simultaninfektion bei gleichzeitiger Inokulation
mit HBV erfolgen oder als HDV-Superinfektion bei bereits bestehender HBV-Infektion.
Die Chronifizierungsrate der HDV/HBV-Simultaninfektion entspricht der einer klassischen
HBV-Monoinfektion und liegt bei Infektion im Erwachsenenalter bei etwa 1 – 5 %. Dagegen
verläuft die HDV-Superinfektion häufiger (bis zu 90 % der Fälle) chronisch [25 ] (IIa). Unter den 8 HDV-Genotypen [443 ] scheint der HDV-Genotyp 1 mit einer hohen Rate von fulminanten akuten Verläufen
und einem schlechten Überleben bei chronischer Infektion assoziiert zu sein [444 ] (IIc).
Mit wenigen Ausnahmen [445 ]
[446 ] (IIc) zeigen Untersuchungen, dass die HBV/HDV-Koinfektion im Vergleich zur HBV-Monoinfektion
ungünstiger verläuft [439 ]
[444 ]
[447 ]
[448 ]
[449 ]
[450 ]
[451 ] (IIb). Die Progression zur Leberzirrhose findet früher statt als bei der alleinigen
Hepatitis B [448 ]
[452 ] (IIb). Nach Eintritt eines zirrhotischen Leberumbaus ist das Risiko für eine Leberdekompensation
und für ein hepatozelluläres Karzinom (HCC) bei der HBV/HDV-Koinfektion höher als
bei der HBV-Monoinfektion [447 ]
[451 ]
[452 ]
[453 ] (IIb). Die 5-Jahres-Mortalität ist bei Patienten mit Hepatitis B und D gegenüber
Patienten mit alleiniger Hepatitis B ungefähr verdoppelt [447 ]
[448 ] (IIb).
Die Evidenz für die Behandlung der Hepatitis D beruht nur auf wenigen Studien mit
geringen Fallzahlen. Die antivirale Wirksamkeit von Standard-Interferon alpha in einer
Dosis von 9 –10 Mio. IU 3×/Woche subkutan (s. c.) über eine Dauer von 12 Monaten ist
gering, die virologischen Response-Raten belaufen sich auf 0 – 32 % bei Testung mittels
RT-PCR [25 ]
[454 ]. In drei kleineren, nicht randomisierten [61 ]
[455 ]
[456 ] (IIb) und einer randomisierten Studie [64 ] (Ib) konnte durch eine Therapie mit PEG-Interferon alpha nach einer 12- bis 18-monatigen
Therapie bei 17 – 43 % der Patienten eine dauerhafte Virussuppression und Normalisierung
der ALT erzielt werden. Kasuistiken und kleinere Studien legen nahe, dass durch eine
länger dauernde Interferon-alpha-Therapie (> 12 Monate) bei der Hepatitis D die virologischen
Ansprechraten verbessert werden können [61 ]
[455 ]
[457 ]
[458 ] (IIb). Welche Faktoren ein Ansprechen auf die Interferontherapie begünstigen, ist
nicht systematisch untersucht. Möglicherweise ist ein fehlender Virusabfall zum Monat
6 ein verlässlicher prädiktiver Faktor für ein Nichtansprechen [61 ]
[456 ]
[459 ] (IIb).
Während der Therapie mit Interferon alpha wurde in bisherigen Untersuchungen eine
Normalisierung der Transaminasen in 12 –70 % der Fälle beobachtet [460 ]
[461 ]
[462 ]
[463 ] (Ib). Die Normalisierung der Transaminasen kann während der Interferon-alpha-Therapie
trotz fehlenden virologischen Ansprechens auftreten und auch nach Beendigung der Therapie
trotz persistierender Virämie andauern und mit einer Fibroseregression verbunden sein
[460 ]
[464 ]
[465 ] (IIb).
Für Lamivudin, Adefovir, Famciclovir und Ribavirin konnte in Pilotstudien mit kleinen
Patientenzahlen kein biochemisches oder virologisches Ansprechen der Hepatitis D nachgewiesen
werden [64 ]
[466 ]
[467 ]
[468 ]
[469 ]
[470 ] (Ib). Inwieweit eine Langzeittherapie mit Tenofovir die HDV-Replikation zu beeinflussen
vermag, ist noch unklar [471 ] (IIIb). Ein sinnvoller Einsatz von Nukleosid- oder Nukleotid-Analoga ist allerdings
bei Patienten mit Hepatitis Delta gegeben, die eine signifikante HBV-Replikation aufweisen.
Die begleitende Hepatitis B sollte in jedem Falle optimal therapiert werden, sofern
eine Behandlungsindikation vorliegt (siehe AG 2 und 3).
Die Kombination von Interferon alpha mit Lamivudin oder Ribavirin ergab keinen zusätzlichen
Nutzen gegenüber einer Interferonmonotherapie. Für eine Kombination aus pegyliertem
Interferon alpha und Adefovir konnte in einer Multicenterstudie eine relativ hohe
HBsAg-Serokonversionsrate von 10 % und eine deutliche Reduktion der Menge an HBsAg
beobachtet werden [64 ] (IIb für diese Aussage).
Bei Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose sollte eine Lebertransplantation
erwogen werden. Sie zeigt bei HDV/HBV-Koinfizierten 5-Jahres-Überlebensraten bis zu
90 %. HBV-Monoinfizierte haben nach Transplantation schlechtere 5-Jahres-Überlebensraten.
Die besseren Überlebensraten bei HDV/HBV-Koinfizierten sind begründet durch eine im
Vergleich zur HBV-Monoinfektion geringere Reinfektions- und Abstoßungsrate [286 ]
[472 ]
[473 ]
[474 ]
[475 ] (IIb).
Für eine antivirale Behandlung der akuten Hepatitis D gibt es keine Evidenz. Patienten
mit fulminanter Hepatitis sollten für eine orthotope Lebertransplantation evaluiert
werden. Die 5-Jahres-Überlebensraten liegen bei etwa 70 % und sind damit schlechter
als bei Lebertransplantation aufgrund einer HDV-Leberzirrhose [286 ] (IIb). Zur Primär- und Postexpositionsprophylaxe der Hepatitis D sind die gleichen
Maßnahmen zu ergreifen wie bei der Hepatitis B. Ein Impfschutz gegen HBV schützt auch
vor einer HDV-Infektion (siehe AG 5).
HBV/HCV-Koinfektion
HBV/HCV-Koinfektion
6.2 Bei welchen Patienten mit HBV/HCV-Koinfektion soll eine Therapie durchgeführt
werden? Wie soll die antivirale Therapie durchgeführt werden?
Empfehlung
Eine antivirale Therapie der HBV/HCV-Koinfektion sollte aufgrund der erhöhten Morbidität
bei Koinfektion im Vergleich zur Monoinfektion bei Patienten mit entzündlicher Aktivität
und/oder Fibrose durchgeführt werden (B).
Die chronisch replikative Hepatitis C (HCV-RNA positiv) bei nicht nachweisbarer HBV-Replikation
sollte im Hinblick auf die Therapie-Indikation, Auswahl der Medikamente und Dauer
der Therapie wie eine alleinige Hepatitis C behandelt werden (B).
Bei chronisch replikativer Hepatitis C und Hepatitis B (HBV-DNA positiv > 2000 IU/ml)
sollte eine Therapie mit pegyliertem Interferon alpha und Ribavirin durchgeführt werden
(B). Die Therapiedauer der jeweiligen Substanzen richtet sich nach der Monoinfektion
(C).
Bei Persistenz der HBV-Replikation oder bei einer HBV-Reaktivierung (HBV-DNA > 2000
IU/ml) nach Ende der Interferon-Behandlung sollte die Hepatitis B mit Nukleos(t)id-Analoga
behandelt werden (B).
Delphi-Abstimmung: 98 % (starker Konsens)
Erläuterung
Die akute HBV-Superinfektion ist bei bestehender chronischer Hepatitis C häufig durch
schwere Verläufe bis hin zum fulminanten Leberversagen charakterisiert [446 ] (IIb). In diesem Zusammenhang ist aber auch gehäuft eine Ausheilung der bestehenden
chronischen Hepatitis C beschrieben worden [476 ] (IIIb). In Querschnittsstudien zeigt sich eine 2- bis 4-fach höhere Leberzirrhose-Prävalenz
[477 ]
[478 ] (IIIb) und eine 3- bis 10-fach höhere Mortalitätsrate bei Patienten mit HBV/HCV-Koinfektion
im Vergleich zu Patienten mit HCV-Monoinfektion [479 ]
[480 ] (IIIb). Zusätzlich ist bei Patienten mit HBV/HCV-Koinfektion eine höhere Rate an
Komplikationen der Leberzirrhose beschrieben [481 ]
[482 ] (IIIb), insbesondere eine etwa verdoppelte HCC-Inzidenz im Vergleich zur HBV- oder
HCV-Monoinfektion [483 ]
[484 ]
[485 ] (IIa).
Inwieweit eine sogenannte „okkulte Hepatitis B” (HBsAg negativ, HBV-DNA im Serum oder
in der Leber nachweisbar) den natürlichen Verlauf der chronischen Hepatitis C beeinflusst,
ist unklar [486 ]
[487 ]
[488 ] (IIc). Auch bez. des Ansprechens auf eine Interferontherapie liegen bei okkulter
Hepatitis B und chronischer Hepatitis C widersprüchliche Daten vor [486 ]
[489 ]
[490 ]
[491 ]
[492 ] (IIb).
Die Studien zur Therapie der HBV/HCV-Koinfektion sind hinsichtlich Therapiedauer,
Interferondosis, der Hepatitis-B-Serologie/HBV-DNA uneinheitlich und nicht randomisiert
(IIIb). Während die publizierten Studien zur Interferon-alpha(IFN)-Monotherapie enttäuschende
Ansprechraten zeigten, konnte durch die Kombination von IFN und Ribavirin in über
60 % der HBV/HCV-koinfizierten Patienten eine HCV-SVR und in ungefähr 25 % der Patienten
eine dauerhafte Suppression der HBV-DNA beobachtet werden [493 ]
[494 ]
[495 ] (IIb). Mittlerweile liegen auch Daten zum Einsatz von pegylierten Interferonen und
Ribavirin bei HBV/HCV-Koinfektion vor [496 ]
[497 ] (IIb). Abhängig vom HCV-Genotyp konnte bei einer 24- bis 48-wöchigen Kombinationstherapie
bestehend aus PEG-IFN und Ribavirin in 73 – 86 % der Fälle eine HCV-SVR und in ungefähr
60 % der Fälle eine dauerhafte Suppression der HBV-DNA erreicht werden. Darüber hinaus
wurde bei 11 % der Patienten ein HBs-Antigen-Verlust nach Therapieende beobachtet.
Eine verkürzte Therapiedauer von 24 Wochen bei HBV/HCV-koinfizierten Patienten mit
dem HCV-Genotyp 2 / 3, chronisch replikativer Hepatitis C und nicht nachweisbarer
HBV-DNA führte zu vergleichbaren Ansprechraten wie bei HCV-monoinfizierten Patienten
[497 ] (IIb). Aufgrund des erhöhten Risikos einer Reaktivierung der initial supprimierten
Virusreplikation nach Ausheilung der zweiten Virusinfektion ist ein engmaschiges virologisches
Monitoring notwendig [498 ]
[499 ] (IIIb für die Aussage). Neuere Daten weisen darauf hin, dass auch Jahre nach Beendigung
einer antiviralen Therapie eine HBV-Reaktivierung mit fluktuierender HBV-Virämie auftreten
kann [498 ] (IV). In diesem Fall ist der Einsatz von einem Nukleos(t)id-Analogon anzustreben
(siehe AG 3).
HBV/HIV-Koinfektion
HBV/HIV-Koinfektion
6.3 Sollen Patienten mit HBV/HIV-Koinfektion regelmäßig untersucht werden? Bei welchen
Patienten mit HBV/HIV-Koinfektion soll eine Therapie durchgeführt werden?
Empfehlung
Verlaufsuntersuchungen:
Therapie-Indikation:
Die chronisch-replikative Hepatitis B mit entzündlicher Aktivität/Fibrose sollte bei
HIV-Koinfizierten unabhängig vom Immunstatus behandelt werden (B).
Bei Vorliegen einer Leberzirrhose ist eine Therapie unabhängig von der entzündlichen
Aktivität indiziert (A).
Delphi-Abstimmung: 96 % (starker Konsens)
Erläuterung
Patienten mit einer HIV-Infektion und akuter HBV-Infektion haben im Vergleich zu HIV-negativen
Personen ein 3- bis 6-fach erhöhtes Risiko, chronische Träger des HBV zu werden [500 ]
[501 ] (IIb). Rund 1 / 3 der HIV-Positiven zeigt Marker der HBV-Infektion, bei 5 – 9 %
liegt eine chronisch-replikative Hepatitis B vor [502 ]
[503 ]
[504 ]
[505 ]
[506 ] (IIa). 14 % der Patienten mit nachweisbarem HBsAg sind positiv für HDV [507 ] (IIb).
Der natürliche Verlauf der Hepatitis B bei HIV-positiven Patienten ist gegenüber HBV-Monoinfizierten
durch eine gesteigerte Prävalenz von Markern einer aktiven Virusreplikation (HBeAg,
HBV-DNA) gekennzeichnet, die mit fortschreitender Immundefizienz zunimmt [507 ] (IIb). Dies ist auf die reduzierte Immunantwort im Rahmen der HIV-Infektion zurückzuführen.
Die Folge ist eine reduzierte Entzündungsreaktion mit laborchemisch messbarer geringerer
Transaminasenerhöhung im Blut [508 ] (IIIb). Demgegenüber steht histologisch eine deutlich stärkere Fibroseprogression
und damit ein erhöhtes Risiko der Leberzirrhoseentstehung, die zu einer verringerten
Überlebensrate bei HIV/HBV-Koinfizierten gegenüber HBV-monoinfizierten Patienten führt
[506 ]
[509 ]
[510 ] (IIb). Der Immundefekt durch die HIV-Infektion stellt den wichtigsten Faktor für
die Prognoseverschlechterung bei HIV/HBV-Koinfektion dar [503 ]
[505 ]
[511 ] (IIb), wobei insbesondere die Höhe der CD 4-Zellzahl von Bedeutung für die Inzidenz
von hepatozellulären Karzinomen ist [512 ] (IIb). Umgekehrt begünstigt die Suppression der HIV-RNA unter die Nachweisgrenze
und der Wiederanstieg der CD 4-Zellzahl die Wahrscheinlichkeit, auch die HBV-DNA zu
supprimieren [513 ]
[514 ] (IIIb) und eine Serokonversion herbeizuführen [515 ] (IIb). Der Nutzen einer Nukleos(t)id-Therapie zur Vermeidung der Erkrankungsprogredienz
bei Vorliegen einer Leberzirrhose ist bei HBV-Monoinfizierten [114 ] (Ib) und Koinfizierten gezeigt [516 ]
[517 ]
[518 ] (IIa).
Die chronische Hepatitis B hat im Zeitalter von HAART (hochaktive antiretrovirale
Therapie) keinen Einfluss auf das virologische und immunologische Ansprechen einer
antiretroviralen Therapie und den Verlauf der HIV-Infektion [505 ]
[506 ]
[519 ]
[520 ] (IIa). Dagegen kommt es bei Patienten mit einer effektiven hochaktiven antiretroviralen
Therapie (HAART) in einem höheren Prozentsatz zur spontanen Ausheilung einer akuten
Hepatitis B [515 ] (IIb).
Eine erhöhte Morbidität und möglicherweise Mortalität aufgrund der Hepatotoxizität
der HAART wurde bei HIV/HBV-koinfizierten Patienten in älteren Studien beschrieben
[521 ]
[522 ]
[523 ] (IIb). Obwohl neuere Untersuchungen einen Zusammenhang der HAART mit veränderten
Leberfunktionsparametern infrage stellen [524 ]
[525 ]
[526 ]
[527 ] (Ib), muss von einem schädigenden Potenzial antiretroviraler Substanzen ausgegangen
werden [520 ]
[528 ] (IIb). Dies gilt für die nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI)
Didanosin und Stavudin, die Proteaseinhibitoren (PI) und die nicht nukleosidischen
Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) [521 ]
[529 ]
[530 ]
[531 ] (IIb). Auch hier stellt der Immundefekt einen weiteren wichtigen Risikofaktor für
das Auftreten einer Leberschädigung dar [530 ]
[532 ] (IIb).
Gegenüber einer HAART-induzierten Hepatotoxizität ist bei HIV/HBV-koinfizierten Patienten
ein Schub der Hepatitis B im Rahmen einer Immunrekonstitution nach HAART-Einleitung
abzugrenzen. Ein deutlicher Anstieg der Transaminasen nach Einleitung der HAART (unter
Einschluss von Anti-HBV-wirksamen Substanzen) kann mit einer Verschlechterung der
Leberfunktion einhergehen und wird insbesondere bei Patienten mit hoher HBV-DNA und
erhöhten Transaminasen vor Therapiebeginn gesehen [533 ] (IIIb). Das Absetzen der HAART oder der HBV-aktiven Therapie sollte vermieden werden,
da bei mehr als 30 % der Patienten die HBV-DNA ansteigen wird [534 ] (IIb) und gezeigt wurde, dass das Absetzen mit einer erhöhten Mortalität besonders
bei Koinfizierten einhergeht [535 ] (IIb).
Bei ca. 6 % der HBV/HIV-Koinfizierten ist mit dem Vorliegen einer Leberzirrhose zu
rechnen [536 ] (IIb). In dieser Patientengruppe stellen der MELD-Score und die HIV-RNA wichtige
Prognoseparameter für das Überleben dar [537 ] (IIb). Bei Leberzirrhose gelten dieselben Screeningempfehlungen wie für Monoinfizierte
(siehe AG 1).
6.4 Wie soll die antivirale Therapie bei Patienten mit HBV/HIV-Koinfektion durchgeführt
werden? Welche Besonderheiten in der Therapie sind aufgrund der HIV-Koinfektion zu
berücksichtigen?
Empfehlung
Die Behandlungsstrategie sollte sich an Transaminasen (Leberhistologie), HBV-DNA,
HBV-Genotyp (im Falle einer vorgesehenen Interferon-alpha-Therapie), HBeAg-Status,
HBV-Resistenzvarianten/antiretroviraler Vorbehandlung und am Immunstatus (CD4-Zellzahl)
des Patienten orientieren (B).
Die Behandlung der chronischen Hepatitis B bei HIV-Koinfizierten ohne unmittelbare
Indikation für eine antiretrovirale Therapie (CD4 > 500 /µl) kann mit Interferon
alpha oder Nukleos-(t)id-Analoga erfolgen (C).
Bei günstigen Voraussetzungen (HBV-Genotyp A, hohe ALT, niedrige HBV-DNA) kann eine
Therapie mit pegyliertem Interferon alpha versucht werden (C).
Bei Indikation für ein Nukleos(t)id-Analogon kann aufgrund des Risikos für die Entwicklung
von HIV-Resistenzen die HBV-Therapie im Rahmen einer vorgezogenen („early”) HAART
erfolgen (C).
Besteht eine antiretrovirale Therapie-Indikation (CD4 < 500 /µl), sollte die chronische
Hepatitis B im Rahmen der HAART behandelt werden (B). Dabei sollte bevorzugt eine
Kombination zweier Reverse-Transkriptase-Hemmer mit Aktivität gegen HIV und HBV eingesetzt
werden (B).
Für Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose, gutem Immunstatus und effektiver
HAART ist die Lebertransplantation eine Therapieoption.
Abstimmung: 95 % (Konsens)
6.5 Wie soll die antivirale Therapie bei Patienten mit HBV/HIV-Koinfektion überwacht
werden?
Empfehlung
Therapieüberwachung und Therapieanpassungen sollten unter Beachtung der HIV-Koinfektion
entsprechend den Empfehlungen bei HBV-Monoinfizierten (AG3) durchgeführt werden (B).
Das komplette Absetzen von HBV-wirksamen Nukleos(t)id-Analoga sollte aufgrund des
Risikos von fulminanten Reaktivierungen der Hepatitis B vermieden werden (B).
Delphi-Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Prinzipiell stehen für die Behandlung der chronischen Hepatitis B bei HIV-Koinfizierten
Alpha-Interferone und Nukleos-(t)id-Analoga zur Verfügung. Aufgrund der gleichzeitgen
HIV-Wirksamkeit der meisten Nukleos(t)id-Analoga (Lamivudin, Tenofovir, Emtricitabin,
Entecavir) mit dem Risiko der HIV-Resistenzinduktion und der unterlegenen Aktivität
der wahrscheinlich nicht HIV-wirksamen Nukleos(t)id-Analoga (Telbivudin und Adefovir
bei einer Dosierung von 10 mg/Tag), wird bei indizierter Nukleos(t)id-Therapie für
die Hepatitis B die HAART-Therapie auch ohne eindeutige Indikation von Seiten der
HIV-Erkrankung vorgezogen („early” HAART) [538 ] (Europäische Leitlinie).
Alpha-Interferone
Die klinischen Erfahrungen zur Therapie einer chronischen Hepatitis B bei HIV-Infizierten
mit Interferon alpha resultieren aus nur wenigen randomisierten kontrollierten Studien
älteren Datums vor der HAART-Ära [130 ]
[539 ]
[540 ]
[541 ] (Ib). Darüber hinaus liegen einige unkontrollierte Studien mit überwiegend kleinen
Fallzahlen vor [542 ]
[543 ]
[544 ] (IIb). Ein Therapieansprechen bei Therapieende mit Verlust des HBeAg bzw. nicht
mehr nachweisbarer HBV-DNA konnte bei weniger als 20 % der Therapierten erzielt werden,
sodass die Behandlungsergebnisse schlechter waren als die bei HBV-Monoinfizierten
[540 ]
[543 ]
[544 ] (IIb für die Aussage). Bei immunkompetenten HIV-Patienten (CD4-Zellzahl > 500 /µl)
unterscheiden sich die Voraussetzungen und prädiktiven Parameter einer Interferon-Therapie
der chronischen HBV-Infektion nicht wesentlich von Nicht-HIV-Infizierten [543 ]
[545 ] (IIa). HBeAg-positive Patienten mit hoher ALT-Aktivität, niedriger HBV-DNA-Konzentration
und günstigem HBV-Genotyp zeigen die besten Ansprechraten [76 ]
[77 ]
[78 ]
[79 ]
[546 ]
[547 ] (IIa). Die Anti-HBe-Serokonversionsrate ist bei immunkompetenten HIV-Patienten unter
Interferon-alpha-Therapie höher als unter Nukleosid-Analoga-Therapie [548 ]
[549 ]
[550 ] (IIa). Bei Patienten mit niedrigen CD 4-T-Zellen und unkontrollierter HIV-Replikation
ist das Ansprechen auf eine Interferon-alpha-Therapie deutlich schlechter, zudem ist
die Nebenwirkungsrate höher [540 ]
[543 ]
[545 ] (Ib). In der HBV-HIV-Koinfektions-Situation wurde PEG-Interferon alpha bislang nur
in einer kleinen Studie an 10 Patienten mit und ohne Tenofovir untersucht [551 ] (IV).
Wie bei Monoinfizierten ist Interferon alpha bei Patienten mit fortgeschrittener Lebererkrankung
mit großer Vorsicht einzusetzen. Bei Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose ist
Interferon alpha kontraindiziert.
Nukleos(t)id-Analoga-Monotherapie
Für Lamivudin konnte in einer gepoolten Analyse von 13 Kohortenstudien mit 2041 Patienten
eine Reduktion der Leber-assoziierte Mortalität für eine mittlere Beobachtungsdauer
von 4 Jahren nachgewiesen werden [552 ] (IIa). Für Lamivudin wurde jedoch eine rasche Entwicklung von Resistenzen des HBV
nachgewiesen [548 ] (IIb). Die zeitliche Dynamik der Resistenzentwicklung des HBV gegen Lamivudin ist
für HIV/HBV-koinfizierte Patienten vergleichbar mit der von HBV-monoinfizierten Patienten
[165 ]
[548 ] (IIb) und liegt bei etwa 50 % nach 2 Jahren und 94 % nach 4 Jahren Lamivudin-Therapie
höher als bei HBV-monoinfizierten Patienten [553 ] (IIb). Die Resistenzentwicklung des HBV gegenüber Lamivudin ist mit einer reduzierten
Überlebensrate und vermehrten Komplikationen der Leberzirrhose vergesellschaftet [113 ]
[114 ] (Ib). Durch Lamivudin selektionierte Mutationen können zudem Konformationsänderungen
im HBs-Antigen hervorrufen, die experimentell mit sog. „Vaccine-escape”-Mutationen
übereinstimmen [553 ]
[554 ]
[555 ] (IIb).
Adefovir in der Dosierung von 10 mg/Tag zeigt im Vergleich zu anderen Nuleos(t)id-Analoga
eine deutlich geringere antivirale Wirksamkeit (siehe AG 3, [Tab. 12 ]) (Ib). HIV-Resistenzmutationen gegenüber Adefovir sind bislang in einer Dosierung
von 10 mg/Tag in kleineren Kohorten mit limitierter Beobachtungsdauer nicht beschrieben
worden [556 ]
[557 ] (IIb).
Tenofovir ist gegenüber Adefovir durch eine deutlich stärkere antivirale Wirksamkeit
gekennzeichnet (siehe AG 3, [Tab. 12 ]) (Ib). Die Wirksamkeit von Tenofovir besteht auch bei Lamivudin-resistenten Viren
und (möglicherweise in leicht abgeschwächter antiviraler Aktivität) auch bei Adefovir-Resistenz
(siehe AG 3) (Ib). Weder für die HBV-Monoinfektion noch bei HBV/HIV-Koinfektion konnten
bisher eindeutig mit einem klinischen Versagen von Tenofovir assoziierte Mutationen
nachgewiesen werden. Die bisher bei HBV/HIV-Koinfektion beschriebene Mutation an Position
A 194 T ist in ihrer klinischen Relevanz umstritten [558 ]
[559 ]
[560 ]
[561 ]
[562 ] (IIb).
Entecavir hat in einer Dosierung von 0,5 mg/Tag eine dem Lamivudin überlegene antivirale
Wirksamkeit über 48 Wochen bewiesen (siehe AG 3, [Tab. 12 ]) (Ib). Für Lamivudin-resistente HBV-Isolate ist die Wirkung von Entecavir reduziert
(siehe AG 3, [Tab. 12 ]) (Ib). Auch in einer gemischten Population HBV/HIV-koinfizierter Patienten mit teilweise
Lamivudin-resistenten HBV war Entecavir antiviral wirksamer als Lamivudin (IIb). Allerdings
ist für Entecavir eine antiretrovirale Aktivität mit der Selektion einer M 184V-Transition
in der HIV-reversen Transkritase nachgewiesen [563 ]
[564 ]
[565 ] (IV). Deshalb wird der Einsatz von Entecavir zur alleinigen Therapie der HBV-Infektion
ohne gleichzeitige antiretrovirale Therapie nicht empfohlen (B).
Für Telbivudin ist in vitro keine Hemmung der reversen Transkriptase von HIV beschrieben
worden. Fallberichte deuten jedoch auf eine mögliche antiretrovirale Aktivität hin
[566 ]
[567 ]
[568 ] (IV).
Die allgemeinen Empfehlungen zum Monitoring und zu Therapieanpassungen der HBV-Therapie
entsprechen den Richtlinien bei HBV-Monoinfizierten (siehe AG 3). Allerdings ist bei
einem Wechsel der antiretroviralen Therapie bei HBV/HIV-koinfizierten Patienten unbedingt
auf die Beibehaltung einer gut HBV-wirksamen Therapie zu achten, da es andernfalls
zu einer Reaktivierung der Hepatitis B bis hin zu akuten Leberversagen kommen kann
[569 ] (IIb).
Nukleos(t)id-Analoga-Kombinationstherapie
Für HBV/HIV-koinfizierte Patienten mit einer antiretroviralen Therapie-Indikation
sind HBV-Polymerase-Inhibitoren mit einer simultanen Wirkung auf das HBV und das HIV
zu bevorzugen. Die Indikation zur Kombinationstherapie ist durch die Indikation zur
HIV-Therapie gegeben. Aufgrund der geringen Resistenzentwicklung und der auch für
HBV guten antiviralen Wirksamkeit ist Tenofovir die Therapie der Wahl (siehe AG 3,
[Tab. 12 ]). In der Praxis wird häufig, vorgegeben durch die antiretrovirale Therapie, eine
Kombinationstherapie aus Tenofovir mit Lamivudin oder Emtricitabin durchgeführt. Die
Kombinationstherapie führt allerdings nicht zwangsläufig zu einer Potenzierung der
Virussuppression [164 ]
[183 ]
[320 ]
[570 ] (Ib). Möglicherweise kann durch die Kombinationstherapie bestimmter Nukleos(t)id-Analoga
sowohl bei HBV-Monoinfizierten als auch bei HBV/HIV-Koinfizierten die Selektion von
resistenzvermittelnden Mutationen verringert und damit die Wirksamkeit der Therapie
verlängert werden [190 ]
[571 ]
[572 ] (IIb).
Lebertransplantation
Für HBV/HIV-koinfizierte Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose kann die Lebertransplantation
eine therapeutische Option sein. Das Risiko einer Leber-Dekompensation ist bei HBV/HIV-Koinfizierten
deutlich höher als bei Nichtkoinfizierten [573 ]
[574 ] (IIb). Während in der Ära vor Einführung der HAART die 3-Jahres-Überlebensraten
in kleinen Fallserien und retrospektiven Analysen bei ungefähr 40 % lagen, konnten
nach Einführung der HAART bei selektierten Patienten die 3- bis 4-Jahres-Überlebensraten
und Transplantat-Überlebensraten auf etwa 70 – 85 % gesteigert werden [575 ]
[576 ]
[577 ]
[578 ] (IIIb). Der Verlauf bei HBV/HIV-Koinfizierten nach Lebertransplantation erscheint
relativ günstig, da die HBV-Reinfektion durch die Gabe von HBIG und HBV-wirksamen
Nukleos(t)id-Analoga wirkungsvoll verhindert werden kann (siehe AG 4).
Die Indikation zur Lebertransplantation unterscheidet sich bei HBV/HIV-Koinfektion
nicht von der bei HIV-Monoinfektion. Als gängige Kriterien gelten für Patienten unter
einer HAART eine CD 4-T-Zellzahl von 100 – 200 Zellen/µl, eine nicht nachweisbare
HIV-RNA oder eine nach Transplantation zu erwartende Virus-Suppression und das Fehlen
von aktiven opportunistischen Infektionen oder Malignomen.
Dreifach- und Vierfach-Infektionen (HBV/HDV/HCV, HBV/HDV/HIV, HBV/HCV/HIV, HBV, HDV,
HCV HIV)
Dreifach- und Vierfach-Infektionen (HBV/HDV/HCV, HBV/HDV/HIV, HBV/HCV/HIV, HBV, HDV,
HCV HIV)
6.6 Bei welchen Patienten mit Dreifach- und Vierfach-Infektionen soll eine Therapie
durchgeführt werden? Wie soll die antivirale Therapie durchgeführt werden? Welche
Besonderheiten in der Therapie müssen aufgrund der HIV-Koinfektion berücksichtigt
werden?
Empfehlung
Aufgrund der erhöhten Morbidität bei Mehrfach-Infektionen sollte bei allen Patienten
mit entzündlicher Aktivität und/oder Fibrose eine antivirale Therapie angestrebt werden
(B).
Die Therapie orientiert sich an der dominanten Virushepatitis und entspricht den bei
den HBV/HDV- und HBV/HCV-Doppelinfektionen etablierten Prinzipien ggf. unter Berücksichtigung
des Immunstatus und der Notwendigkeit einer HAART (C).
Bei Persistenz der HBV-Replikation (> 2000 IU/ml) nach einer Interferon-alpha-Therapie
sollte die Hepatitis B mit Nukleos(t)id-Analoga therapiert werden (B).
Abstimmung: 97 % (starker Konsens)
Erläuterung
Bei Mehrfach-Infektionen sind Infektionen mit HBV/HDV/HIV, HBV/HCV/HIV, HBV/HDV/HCV
und HBV/HDV/HCV/HIV zu unterscheiden. Bei Vorliegen von Mehrfach-Infektionen ist mit
einer rascheren Progression zur Leberzirrhose und mit ungünstigeren klinischen Verläufen
zu rechnen als bei Doppel- oder Monoinfektionen [446 ]
[477 ]
[536 ]
[579 ]
[580 ]
[581 ]
[582 ]
[583 ]
[584 ]
[585 ] (IIb). Kontrollierte Studien zum Verlauf und zur Therapie von Dreifach- und Vierfachinfektionen
liegen nicht vor.
Bei einer HBV/HDV/HCV-Koinfektion dominierte in der Mehrzahl der Studien die HCV-Infektion
[477 ]
[582 ]
[584 ]
[586 ]
[587 ] oder HDV-Infektion [584 ]
[588 ]
[589 ] (IIIb). Der virologische Status ist allerdings nicht stabil und kann einer dynamischen
Entwicklung unterliegen. Daher sind sequenzielle Verlaufskontrollen für eine Charakterisierung
des jeweiligen Infektionsmusters notwendig [584 ] (IIIb). Eine akute Hepatitis-D-Virus-Superinfektion auf eine bestehende HBV/HCV-Koinfektion
scheint hinsichtlich Leberdekompensation und Mortalität günstiger zu verlaufen als
eine akute HCV-Superinfektion auf eine bestehende HBV/HDV-Infektion [446 ]
[587 ] (IIIb). Obgleich Querschnittuntersuchungen belegen, dass bei HIV-infizierten Patienten
HBV und HDV inhibitorische Effekte auf die HCV-Replikation ausüben [579 ]
[590 ]
[591 ]
[592 ]
[593 ] (IIb), ist die Gefahr einer HCV-Reaktivierung bei suffizienter HIV/HBV-Therapie
gering [594 ] (IIIb). In kleineren Studien konnte bei HBV/HDV/HIV-Infektionen durch eine suffiziente
HBV-Therapie auch die HDV-Replikation gesenkt werden [471 ] (IIIb).
Bei der Behandlung einer HCV-Infektion im Rahmen von Mehrfachinfektionen ist der Immunstatus
des Patienten zu berücksichtigen. Unterhalb von 200 CD 4-Zellen/μl ist der Erfolg
einer HCV-Therapie wahrscheinlich limitiert. In solchen Fällen ist es analog der Erfahrungen
und Empfehlungen bei HIV/HCV-Koinfektion sinnvoll, zunächst die Immunrekonstitution
unter HAART abzuwarten [595 ] (Deutsche S 3-Hepatitis-C-Leitlinie).
Zusammenfassend ist bei HIV-Koinfektionen mit fortschreitendem HIV-assoziiertem Immundefekt
nicht nur teilweise der Behandlungserfolg bei Therapie der Virushepatitiden eingeschränkt,
sondern auch mit erheblichen Toxizitätsproblemen durch die HAART zu rechnen. Einer
frühzeitigen Diagnosestellung und Therapie kommt daher eine besondere Bedeutung zu.
7. Hepatitis B im Kindes- und Jugendalter
7. Hepatitis B im Kindes- und Jugendalter
AG-Leiter: Wirth S, Wuppertal
AG-Mitglieder:
Einleitung
Die akute Hepatitis B wird auf Grund häufig symptomarmer Verläufe relativ selten diagnostiziert.
Die chronische Hepatitis B im Kindes- und Jugendalter ist eine seltene Erkrankung.
Aufgrund einiger Unterschiede im klinischen Verlauf und in Bezug auf Therapiemöglichkeiten
(kein Medikament hat in Europa bisher eine Zulassung) ist es sinnvoll, diese Altersgruppe
in einem Kapitel separat zu betrachten.
Epidemiologie
Von der Gesamtzahl der ca. 400 000 HBV-Träger in Deutschland werden nur etwa 2,5 %
für das Kindes- und Jugendalter geschätzt. Allerdings wird davon ausgegangen, dass
fast 1 / 3 der Träger die Infektion im Kindesalter erworben hat. Hiervon sind besonders
Migrantenkinder betroffen. Die Übertragung des HBV erfolgt v. a. durch ungeschützten
Sexualverkehr (30 – 50 % der Erkrankten sind hierzulande Jugendliche und junge Erwachsene),
durch Kontakt mit infektiösem Material und perinatal [3 ]. Bei hoher Konzentration von HBV im Blut reichen für eine Infektion minimale Blutmengen
von 0,1 µl aus. Die Übertragung der Viren kann somit immer auch über Haut- und Schleimhautläsionen
erfolgen. Das HBV kann durch medizinische und zahnärztliche Eingriffe, Tätowieren,
Piercing etc. übertragen werden. Transfusionen und die Gabe von Blutprodukten (Gerinnungspräparate,
Immunglobuline, Humanalbumin, tiefgefrorenes Frischplasma etc.) stellen kein nennenswertes
Risiko mehr dar. Eltern können mit ihren Kindern ganz normalen zärtlichen Kontakt
pflegen [596 ].
Bei der vertikalen Transmission erfolgt die Infektion des Kindes in der Regel sub
partu. Bis zu 5 % der Neugeborenen infizierter Mütter werden intrauterin infiziert.
Bei diesen Kindern kann bereits am 1. Lebenstag im Venenblut (nicht Nabelschnurblut)
HBsAg und meist auch HBV-DNA und Anti-HBc-IgM nachgewiesen werden. Die Infektionsrate
sub partu der Neugeborenen hochreplikativer HBeAg-positiver Mütter beträgt 70 – 95 %.
Die Infektionsrate ist niedriger, wenn die Mütter HBeAg-negativ (20 – 25 %) bzw. Anti-HBe-positiv
(ca. 10 %) und damit in der niedrig replikativen Phase sind. Ist die HBeAg-Negativität
der Mutter mit der Präsenz einer Prä-core-Mutante verbunden, kann bei einer Infektion
beim Kind – typischerweise im Alter von 2 – 4 Monaten – eine fulminante Hepatitis
auftreten [597 ]. Die Mütter von vertikal infizierten Kindern sind meistens asymptomatische chronische
HBsAg-Träger; eine akute Hepatitis B liegt nur selten vor. Die Inkubationszeit beträgt
etwa 90 Tage (40 – 180 Tage). In seltenen Fällen infizieren sich Kinder auch perinatal,
wenn eine HBsAg-Mutante vorliegt, gegen die Anti-HBs-Antikörper nicht neutralisierend
wirken [598 ].
Hepatitis-B-Virusinfektionen, die im Rahmen einer Chemotherapie erworben werden, verlaufen
ähnlich wie neonatale Infektionen [599 ]
[600 ].
Klinisches Bild
Klinisch ist die chronische Hepatitis B von anderen Hepatitisformen nicht zu unterscheiden.
Asymptomatische und subklinische Formen sind häufig. Das gilt besonders für das Neugeborenenalter.
Extrahepatische Manifestationen wie z. B. Arthralgien, Exantheme (unter anderem Gianotti-Crosti-Syndrom),
Myalgien, Vaskulitis, Kryoglobulinämie, Glomerulonephritis und Myo-Perikarditis können
vorkommen [596 ].
Prognose
Die Letalität der fulminanten Hepatitis ist unbehandelt sehr hoch (bis 80 %). Die
Chronifizierungsrate ist altersabhängig. Sie beträgt bei Infektion im Neugeborenenalter
bis zu 95 %, im Alter von 1 – 5 Jahren etwa 25 – 40 % und im Schulkinder- und Erwachsenenalter
ca. 5 % (–10 %). Ein kleiner Teil der chronisch infizierten Kinder entwickelt eine
Leberzirrhose oder sehr selten ein hepatozelluläres Karzinom. Darüber hinaus sind
Patienten mit einer HBV-Infektion einschließlich der HBsAg-Träger durch eine Superinfektion
mit HDV und einer damit verbundenen Progredienz der Krankheit gefährdet [3 ]
[596 ].
Die chronische Hepatitis B kann über viele Jahre stabil sein, dann aber, besonders
wenn die Kinder HBeAg-positiv bleiben, auch in eine aktive Hepatitis übergehen. Die
Prognose der chronisch-aktiven Hepatitis B wird von der entzündlichen Aktivität bestimmt.
Es gibt milde, progrediente Formen, die sich bessern, und Formen, bei denen bis zur
Hälfte der Patienten eine Leberzirrhose mit den weiteren Folgen Leberdekompensation
und primäres Leberzellkarzinom entwickelt. Nach Infektion in den ersten Lebensjahren
dürfte das Leberzirrhoserisiko bis zum Erreichen des Erwachsenenalters in Deutschland
kaum mehr als 5 % betragen [601 ]
[602 ].
Letztendlich wird die Prognose der chronischen Hepatitis vom Zeitpunkt der Serokonversion
von HBeAg zu Anti-HBe bestimmt. Die spontane jährliche Anti-HBe-Serokonversion beträgt
bei Kindern etwa 8 – 10 %, sie ist aber bei denjenigen mit einer vertikalen Transmission
und nach einer immunsuppressiven Therapie deutlich niedriger. Eine spontane Serokonversion
zu Anti-HBs und damit eine Heilung der chronischen Hepatitis wird bei weniger als
0,5 % der Kinder/Jahr beobachtet. In seltenen Fällen kann es bei serokonvertierten
Kindern zu einer Reaktivierung von Anti-HBe zu HBeAg, meist mit Progredienz der Krankheit,
kommen [596 ]
[603 ].
Alkoholkonsum, hepatotoxische Medikamente und Drogen (Ecstasy) verschlechtern die
Prognose der Erkrankung.
HBeAg-positive chronische HBsAg-Träger sollten im Kindes- und Jugendalter halbjährlich
kontrolliert werden. Nach Serokonversion zu Anti-HBe sind jährliche Untersuchungen
ausreichend.
Diagnose
7.1 Wie wird die Diagnose gestellt?
Empfehlung
Die Diagnostik der Hepatitis B im Kindesalter soll sich an der Diagnostik im Erwachsenenalter
orientieren und mindestens die Bestimmung von HBsAg, Anti-HBc, HBeAg, Anti-HBe und
HBV-DNA sowie der Transaminasen umfassen. Eine Leberhistologie ist nicht obligatorisch
(A).
Delphi-Abstimmung: 98 % (starker Konsens)
Erläuterung
Die Vorgehensweise zur Diagnose einer Hepatitis B unterscheidet sich im Kindes- und
Jugendalter nicht wesentlich von der bei Erwachsenen. Die für die Praxis wichtigsten
Marker der aktiven Virusreplikation und damit der Infektiosität sind HBeAg und HBV-DNA.
Die chronische Hepatitis B ist durch eine HBsAg-Trägerschaft von mehr als 6 Monaten
gekennzeichnet. In der frühen HBeAg-positiven Phase ist die Rate der Virusreplikation
hoch, mit häufig > 109 HBV-Genomen pro ml Serum. In der späteren Anti-HBe-positiven Phase ist die Virusreplikation
niedriger, mit HBV-DNA-Titern zwischen 10 und 104 Genomen/ml. Der Zeitpunkt der Serokonversion von HBeAg zu Anti-HBe ist individuell
nicht prognostizierbar und gewöhnlich begleitet von einer Normalisierung der Transaminasen,
einer auf unterhalb von 105 HBV-Genomen/ml liegenden HBV-DNA-Konzentration und einer reduzierten entzündlichen
Aktivität im Lebergewebe [601 ] (IV). In dieser Phase ist die Infektiosität deutlich niedriger als vor der Serokonversion.
Bei Anti-HBe-positiven, HBeAg-negativen Kindern mit erhöhten Transaminasen oder mit
ausgeprägter Virämie besteht der Verdacht auf das Vorliegen von Prä-core-(„HBe-minus”)-Mutanten.
Diese Patienten sind insgesamt selten, erkranken oft schwerer und zeigen manchmal
eine rasche Progredienz zur Leberzirrhose. Eine „HBe-minus”-Mutante kann bei einem
Patienten zusammen mit dem Wildvirus als Quasispezies gemeinsam vorkommen, sodass
es – in dieser Altersgruppe allerdings ebenso selten – HBeAg-positive Konstellationen
einer Infektion mit der Prä-core-Mutante gibt [604 ] (IV).
Die Kriterien zur Beurteilung der Histologie unterscheiden sich nicht von denen Erwachsener
und berücksichtigen neben der entzündlichen Infiltration und dem Ausmaß der Leberzellnekrose,
den Fibrosegrad.
Bei vollständiger Immuntoleranz bestehen keine wesentlichen histologischen Veränderungen;
der Patient wird als asymptomatischer HBsAg-Träger bezeichnet. Diese Kinder weisen
in der Regel hohe HBV-DNA-Konzentrationen im Serum auf. Die Untersuchung von Lebergewebe
ist nicht obligatorisch, sondern empfiehlt sich bei Verdacht auf einen progredienten
Verlauf [605 ] (IV).
Therapie
7.2 Welche Therapiemöglichkeiten und -ziele bestehen bei einer Hepatitis B im Kindesalter?
Empfehlung
Eine akute Hepatitis B im Kindesalter stellt nach dem aktuellen Wissensstand keine
Behandlungsindikation dar (C).
Eine Ausnahme stellt die fulminante Hepatitis dar. Hier sollte eine Behandlung mit
Lamivudin erwogen werden (B).
Bei chronischer Hepatitis B kann eine Behandlungsindikation vorliegen (C). Die Indikationsstellung
zur Behandlung und deren Überwachung sollte hier von einem in diesem Gebiet erfahrenen
Kinder-Gastroenterologen erfolgen (B).
Delphi-Abstimmung: 98 % (starker Konsens)
Erläuterung
Für eine antivirale Therapie der akuten Hepatitis B im Kindes- und Jugendalter liegen
keine Daten vor. Es wird keine Behandlung empfohlen [596 ] (V).
Sollte sich im frühen Säuglingsalter eine schwere bzw. fulminante Hepatitis B entwickeln,
besteht eine lebensgefährliche Erkrankung mit hoher Letalität. Es gibt Einzelberichte
und Expertenerfahrung, dass der Verlauf bei sofortiger Behandlung mit dem Nukleosid-Analogon
Lamivudin positiv beeinflusst werden kann [606 ] (IV).
7.3 Welche Therapiemöglichkeiten und -ziele bestehen bei einer chronischen Hepatitis
B im Kindes- und Jugendalter?
Empfehlung
Das Therapieziel bei der Behandlung der chronischen Hepatitis B bei Kindern und Jugendlichen
ist die Serokonversion zu Anti-HBe, da eine Elimination des Virus kaum möglich ist.
Alpha-Interferon und Nukleosid-/Nukleotid-Analoga sind für die Altersgruppe nicht
zugelassen, ein „off-label-use” ist aber möglich (A).
Bei wiederholt normalen Transaminasen soll keine Behandlung erfolgen (A).
Delphi-Abstimmung: 98 % (starker Konsens)
Erläuterung
Da bisher keine Therapie der akuten und chronischen Hepatitis B existiert, die zuverlässig
zur HBsAg-Elimination führt, muss bei der Beurteilung bzw. Indikationsstellung zu
den verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten die Zielsetzung in Kenntnis des Spontanverlaufs
in dieser Altersgruppe besonders bedacht werden. Da die Erkrankung im den ersten beiden
Lebensdekaden in der Regel keine ausgeprägte Progredienz bei sehr hoher Virusreplikation
aufweist, sind replikationsmindernde Medikamente alleine über einen langen Zeitraum
wenig hilfreich [607 ] (IV). Bei dieser Substanzgruppe muss mit Resistenzen gerechnet werden, was die weiteren
Behandlungsoptionen erschwert. Im Kindes- und Jugendalter muss das Therapieziel –
wenn schon eine Serokonversion zu Anti-HBs kaum möglich ist – die Serokonversion von
HBeAg zu Anti-HBe sein. Die wesentlichen prognostischen Parameter wie Höhe der Serumtransaminasen
und das Virusreplikationsniveau müssen bei der Indikationsstellung berücksichtigt
werden. Bei beiden Therapieoptionen, Alpha-Interferon und Nukleosid-/Nukleotid-Analoga,
kann bei normalen Transaminasen, die meist mit einer sehr hohen Virusreplikation assoziiert
sind, mit einer Anti-HBe-Serokonversionsrate von 15 –25 % gerechnet werden, wobei
die Ergebnisse mit Nukleosid-/Nukleotid-Analoga um ca. 10 % niedriger als mit Interferon
alpha liegen. Mit zunehmendem Anstieg der Transaminasen wird die Ansprechrate besser.
Die spontane Anti-HBe-Serokonversionsrate steigt ebenso mit der Höhe der entzündlichen
Aktivität und unterscheidet sich nach 5 – 7 Jahren von den behandelten Fällen nicht
signifikant. Bei einer erfolgreichen Behandlung wird die Serokonversion also zeitlich
vorgezogen, die absolute Serokonversionsrate aber nicht erhöht [602 ]
[608 ]
[609 ]
[610 ]
[611 ] (Ib).
Es ist daher Konsens, nur Patienten mit einer gewissen Serokonversionswahrscheinlichkeit
zu behandeln und die Therapie nur bei Patienten mit erhöhten Transaminasen zu diskutieren.
Kinder und Jugendliche mit gleichzeitiger immunsuppressiver Therapie können im Indikationsfall
z. B. zur Verringerung eines Reaktivierungsrisikos mit einem Nukleosid-/Nukleotid-Analogon
behandelt werden [599 ] (IV).
7.4 Mit welchen Medikamenten bestehen im Kindes- und Jugendalter Therapieerfahrung?
Empfehlung
Empfehlung bei erhöhten Transaminasen und positivem HBeAg: primär Interferon alpha, sekundär Nukleosid-/Nukleotid-Analoga. Mit PEG-Interferon alpha liegen nur sehr eingeschränkte
Erfahrungen vor (B).
In den seltenen Anti-HBe-positiven Fällen mit erhöhten Transaminasen kann eine primäre
Behandlung mit Nukleosid-/Nukleotid-Analoga erfolgen (C).
Delphi-Abstimmung: 98 % (starker Konsens)
Erläuterung
Interferon alpha
Man kann eine chronische Hepatitis B mit Interferon alpha behandeln. Indikationen für eine Behandlung sind: HBeAg-positive
chronische Hepatitis B mit Erhöhung der Serumtransaminasen sowie in Einzelfällen HBeAg-negative
chronische Hepatitis mit oder ohne Erhöhung der Serumtransaminasen und HBV-DNA > 2000
IU/ml. Letztere Gruppe kann auch mit einem Nukleosid-/Nukleotid-Analogon behandelt
werden. Anti-HBe-positive Kinder mit normalen Transaminasen und DNA-Werten < 2000
IU/ml werden nicht behandelt. Als Kontraindikationen gelten Autoimmunerkrankungen,
eine dekompensierte Leberzirrhose, ausgeprägte Thrombo-/Leukozytopenie und Gravidität.
Die tägliche Dosis sollte 5 Mio. I. E./m2 KOF, maximal 10 Mio. I. E./Tag, an 3 Tagen der Woche betragen. Die Dauer der Behandlung
beträgt im Regelfall 6 Monate. Die Serokonversion von HBeAg zu Anti-HBe ist abhängig
von der entzündlichen Aktivität vor Therapie und anderen Faktoren und kann mit 25 – 45 %
veranschlagt werden. Eine Ausheilung, d. h. Serokonversion zu Anti-HBs, wird bei 6 – 10 %
der Patienten erreicht [612 ]
[613 ]
[614 ]
[615 ] (IIb). Bei Erwachsenen zeigt die Anwendung von pegyliertem Interferon alpha (nur
eine Injektion/Woche) gleiche Ergebnisse. Für Kinder liegen bisher keine publizierten
Daten vor. Zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit chronischer Hepatitis B
kann von therapieerfahrenen Ärzten PEG-Interferon alpha „off label” angewendet werden.
Die Behandlung wird über 6 bis 12 Monate frühestens ab dem vollendeten 3. Lebensjahr
durchgeführt.
Fast alle Kinder zeigen Nebenwirkungen. Meistens sind es grippeähnliche Symptome.
Schwere Nebenwirkungen wie Neutropenie, Krämpfe und Epistaxis sind selten und klingen
nach Absetzen von Interferon ab. Der Nachweis von Autoantikörpern ohne klinische Symptome
einer Autoimmunkrankheit zwingt nicht zum Absetzen der Therapie. Auf die Schilddrüsenfunktion
ist besonders zu achten; u. a. sollten TSH-Werte und Schilddrüsen-Autoantikörper wiederholt
untersucht werden, da die Induktion einer Autoimmunthyreoiditis möglich ist. Unter
der Behandlung kann es zu einer Reduktion der Wachstumsgeschwindigkeit kommen, die
sich nach Absetzen der Medikation im Regelfall wieder normalisiert. Stimmungsschwankungen
kommen häufiger vor, depressive Verstimmungen selten [601 ] (IV).
Bei einer wirksamen Interferonbehandlung können die Transaminasen vorübergehend ansteigen.
Danach folgt die Serokonversion von HBeAg zu Anti-HBe mit und ohne Verlust von HBsAg;
Die HBV-DNA-Konzentration liegt in der Regel unter 104 IU/ml und es kommt zu einer histologischen Besserung. Bei einigen Patienten tritt
die Serokonversion erst mehrere Monate nach Beendigung der Therapie ein [613 ]
[616 ] (IV).
Kinder mit einer vertikalen Transmission von HBV, geringer entzündlicher Aktivität
im Lebergewebe, Patienten mit einer zusätzlichen HDV-Infektion und Kinder mit Immundefizienz
sprechen schlechter auf die Therapie mit Interferon alpha an [599 ]
[600 ] (IV).
Nach Beendigung der Interferontherapie kann es zu einer Reaktivierung (Wahrscheinlichkeit
ca. 5 %) kommen. Eine Zweitbehandlung mit Interferon ist von geringerer Effektivität
[617 ] (IV).
Nukleosid-/Nukleotid-Analoga
Neben Interferon alpha sind bei Kindern und Jugendlichen das Nukleosid-Analogon Lamivudin
und das Nukleotid-Analogon Adefovir eingesetzt worden. Diese Medikamente haben, z. T.
in Kombination mit Interferon, in der Behandlung der chronischen, aktiven Hepatitis
B bez. der Serokonversion zu Anti-HBe keine besseren Resultate ergeben [609 ]
[618 ]
[619 ]
[620 ]
[621 ]
[622 ] (Ib). Die Gabe von Kortikosteroiden ist nicht indiziert, auch nicht vor einer geplanten
Behandlung mit Interferon alpha [623 ] (Ib).
Lamivudin kann bei Kindern (1 × 3 mg/kg/KG/Tag per os, max. 100 mg/Tag) „off label”
angewendet werden. Nach einem Jahr beträgt die Serokonversionsrate von HBeAg zu Anti-HBe
15 –25 % [609 ] (Ib). Sie liegt pauschal etwa 10 % unterhalb der Serokonversionsrate einer Alpha-Interferonbehandlung.
Auch hier spielt die entzündliche Aktivität vor Behandlungsbeginn eine Rolle. Bei
einem Viertel der behandelten Patienten kommt es innerhalb von 12 –18 Monaten zur
Resistenzentwicklung [609 ]
[624 ] (Ib). Das Nukleotid-Analogon Adefovir hat den Vorteil, weniger HBV-Resistenzen zu
induzieren. Aufgrund der relativ schwachen Wirkung bei kleinen Kindern, ist es in
den USA in der Dosierung 10 mg/Tag ab 12 Jahren zugelassen.
In den seltenen Fällen mit dem Nachweis von Anti-HBe, erhöhten Transaminasen und/oder
einer hohen Virusreplikation (> 2000 IU/ml) ist ein Therapieversuch mit einem Nukleosid-/Nukleotid-Analogon
möglich.
Prophylaxe
Prophylaxe
7.5 Welche prophylaktischen Maßnahmen sind sinnvoll?
Empfehlung
Bei einer HBV-Infektion werden folgende prophylaktischen und Hygiene-Maßnahmen empfohlen
(A):
Erziehung zur persönlichen Hygiene.
Zulassung zu Gemeinschaftseinrichtungen uneingeschränkt möglich; aktive Immunisierung
der Gruppenmitglieder und des Betreuungspersonals gemäß STIKO-Empfehlungen.
Bei HBsAg-positiven Müttern ist postpartal eine sofortige aktive und passive Immunisierung
des Neugeborenen obligatorisch.
Aktive Immunisierung von Familienmitgliedern und Beziehungspersonen, normaler familiärer
Umgang.
Delphi-Abstimmung: 98 % (starker Konsens)
Erläuterung
Hygiene
Hygienische Maßnahmen verhindern die perkutane oder mukokutane Übertragung. Gefährdete
Kinder sind daher frühzeitig zu einer sorgfältigen persönlichen Hygiene zu erziehen.
Eine Isolierung des Patienten ist nicht notwendig.
HBsAg-positive Kinder können Kindereinrichtungen besuchen. Ihre Ausgrenzung ist heute
nicht mehr zu tolerieren. Empfohlen wird, alle Gruppenmitglieder gemäß den STIKO-Empfehlungen
aktiv zu immunisieren. Bei Kindern mit mangelnder Hygiene, Kindern mit aggressiven
Verhaltensweisen (Beißen, Kratzen), immunsupprimierten Kindern sowie Kindern mit einer
vermehrten Blutungsneigung oder entzündlichen Hautkrankheiten kann eine individuelle
Entscheidung durch das Gesundheitsamt getroffen werden. Eltern und Betreuer sollten
über ein bekanntes Infektionsrisiko gegebenenfalls informiert und auf die Wichtigkeit
der Impfung besonders hingewiesen werden. Eine Meldepflicht besteht für die chronische
Hepatitis B nicht. Der Schulbesuch HBsAg-positiver Kinder ist in der Regel uneingeschränkt
möglich [3 ].
Passive Immunprophylaxe
Die präexpositionelle Immunprophylaxe hat durch die Möglichkeit der Impfung erheblich
an Bedeutung verloren.
Die postexpositionelle Immunprophylaxe sollte bei empfänglichen Personen immer sofort,
spätestens innerhalb von 48 Stunden nach einer Inokulation mit virushaltigem Material
erfolgen (siehe 5.10), so z. B. bei Blutkontakt der Schleimhäute (Auge, Verschlucken
von Blut), bei Blutkontakt einer verletzten Haut (Beißen, Kratzen, Ekzem), nach Nadelstich
oder Schnittverletzung, nach Sexualkontakt oder bei einer vermuteten vertikalen Transmission.
Verwendet wird ein spezifisches Hepatitis-B-Immunglobulin, 12 iE/kg (mindestens 500 iE)
i. m. oder 8 – 10 iE/kg i. v. (Ausnahme bei Neugeborenen, siehe S. 916). Gleichzeitig
sollte aktiv geimpft werden.
Im Falle einer Exposition bei früher geimpften Kindern (perkutaner oder mukokutaner
Kontakt mit HBsAg-positivem Material) sollte die Anti-HBs-Konzentration bestimmt werden.
Ist die Konzentration < 10 IE/l, wird nachgeimpft, obwohl wahrscheinlich auch bei
dieser Konstellation eine Immunität vorliegen dürfte. Ist die Immunreaktion nach der
Impfung unbekannt oder ist eine Bestimmung des Anti-HBs-Gehalts nicht innerhalb von
12 Stunden möglich, sollte das Kind spezielles Hepatitis-B-Immunglobulin (Dosis siehe
S. 915) erhalten. Überflüssiges Immunserum sollte nicht verworfen, sondern bis zu
einer Dosis von 0,5 ml/kg KG injiziert werden. Bekannte Hypo- und Nonresponder erhalten
sofort spezielles Immunglobulin.
Aktive Immunprophylaxe
Hierzulande werden vorwiegend Gen-H-B-Vax-K (5 µg HBsAg/ 0,5 ml) und Engerix-B Kinder
(10 µg HBsAg/ 0,5 ml) verwendet. Die Grundimmunisierung besteht aus 3 Impfungen, die
i. m. in den Oberarm oder bei Säuglingen in den lateralen Anteil des Oberschenkels
verabreicht werden. Der Impfstoff darf nicht ins Fettgewebe und nicht intradermal
injiziert werden. Deshalb ist die Glutaealregion als Impfort nicht geeignet. Außerdem
gibt es einen Kombinationsimpfstoff gegen Hepatitis A und B (Twinrix Kinder) für Kinder
nach dem 1. Lebensjahr. Die HBV-Impfung ist in den Routineimpfplan für Säuglinge und
Kleinkinder integriert.
Postvakzinale Titerbestimmungen sind nur bei Risikopatienten indiziert. Bei über 95 %
der Kinder und Erwachsenen tritt eine Serokonversion mit einem Anti-HBs-Antikörperspiegel
> 10 IE/l ein. Der Impfschutz hält im Regelfall über 10 Jahre an und wird auch von
der zellulären Immunität getragen. Bei Hypo- oder Nonrespondern ist entweder von vornherein
die Einzeldosis zu verdoppeln, so z. B. bei immundefizienten Kindern und Hämodialysepatienten,
oder eine zusätzliche Impfung vorzunehmen. Kinder, die Antikörperspiegel zwischen
10 und 100 IE/l entwickeln, sollten eine weitere Impfung erhalten. Kinder, die keine
Antikörper bilden, können bis zu 3-mal zusätzlich geimpft werden. Nach der Impfung
sind bei Hyporespondern die Antikörpertiter etwa jährlich zu untersuchen. Bei Werten
von < 10 IE/ml sollte nachgeimpft werden.
Nebenwirkungen der Impfung treten bei etwa 5 % der geimpften Kinder auf. Sie sind
gewöhnlich leicht: Temperaturerhöhung, Unwohlsein, lokale Reaktionen. Eine Allergie
gegen Hefe und Thiomersal kann vorkommen. Ein Zusammenhang zwischen Hepatitis-B-Impfung
und demyelinisierenden Krankheiten einschließlich multipler Sklerose und Erblindung
hat sich in großen Studien nicht bestätigt (siehe 5.11).
Impfindikation
Die Hepatitis-B-Impfung ist eine empfohlene Impfung für alle Kinder und Jugendliche.
Darüber hinaus sind Risikogruppen zu impfen (siehe Empfehlungen der STIKO). Die Immunisierung
bereits immuner Kinder oder Individuen mit einer nicht bekannten chronischen HBV-Infektion
ist nutzlos, aber unschädlich. Eine Schwangerschaft ist keine Kontraindikation.
Die aktiv-passive Simultanimpfung sollte immer dann vorgenommen werden, wenn eine
passive Immunprophylaxe unumgänglich erscheint. Neugeborene HBsAg-positiver Mütter
erhalten sofort nach der Geburt, am besten noch im Kreißsaal bzw. innerhalb von 12
Stunden postnatal, ein spezielles Hepatitis-B-Immunglobulin, 30 – 100 IE/kg KG i. m.
oder 20 – 50 IE/kg KG (mindestens 100 IE; 1 ml = 50 IE) i. v., und kontralateral die
1. Impfdosis. Darüber hinaus sollte bei jedem Neugeborenen einer HBsAg-positiven Mutter
HBsAg und HBeAg untersucht werden, um eine intrauterine Infektion auszuschließen.
Die alleinige passive Immunisierung Neugeborener von HBsAg-positiven Müttern ist obsolet
[625 ] (Ia). Um Impfversagen bzw. Virusdurchbrüche bei Neugeborenen HBV-infizierter Mütter
zu erkennen, soll gemäß STIKO nach 6 – 7 Monaten auf HBsAg und Anti-HBc getestet werden.
Eine akute Hepatitis B in der Frühschwangerschaft stellt für Mutter und Kind kein
erhöhtes Risiko hinsichtlich der Schwangerschaft dar. Eine akute Erkrankung in der
Spätschwangerschaft kann die Frühgeburtenrate erhöhen und ebenso wie eine chronische
Hepatitis B zu einer vertikalen Transmission der Viren führen (siehe 5.1 zur Vorgehensweise
bei HBsAg-negativen und Anti-HBc-positiven Müttern).
Bei Frühgeborenen ist die Serokonversionsrate niedriger als bei Reifgeborenen. Durch
Anwendung eines Impfschemas mit 4 Dosen (Zeitpunkt: 0 – 1–5 – 9 Monate) konnte die
Erfolgsrate von 76 auf 90 % gesteigert werden. Nach Abschluss der Grundimmunisierung
sollte eine Kontrolle von Anti-HBs und Anti-HBc erfolgen. Ist der HBsAg-Status der
Mutter bei der Geburt nicht bekannt, sollte immer sofort, spätestens innerhalb von
12 Stunden post natum, das Neugeborene aktiv immunisiert und der HBsAg-Status der
Mutter bestimmt werden. Fällt der Befund positiv aus, wird dem Kind nachträglich baldmöglichst
Hepatitis-B-Immunglobulin verabreicht. Patienten mit einer chronischen Hepatitis B
und fehlender Immunität gegen Hepatitis A sollten gegen Hepatitis A geimpft werden.
7.6 Können Neugeborene HBsAg-positiver Mütter nach postpartaler aktiver und passiver
Immunisierung gestillt werden?
Empfehlung
Abstimmung: 100 % (starker Konsens)
Erläuterung
Zahlreiche Studien weisen aus, dass eine rasche passive und aktive Immunisierung des
Neugeborenen einen zuverlässigen und dauerhaften Schutz vor einer perinatalen und
postnatalen Übertragung des Hepatitis-B-Virus bietet. Die Immunisierung muss sobald
wie möglich nach der Geburt erfolgen, idealerweise innerhalb von 12 Stunden. Eine
wesentlich spätere Postexpositionsprophylaxe (> 3 Tage) führt zu einer erhöhten Infektionsfrequenz
der Kinder [626 ] (IIb). Bei ca. 5 % der Kinder kann aber auch trotz zeitgerechter Immunisierung eine
Infektion nicht verhindert werden. Die Übertragung hat dann bereits intrauterin stattgefunden
(z. B bei sehr hoher Viruslast der Mutter und/oder durch vorzeitige Geburtsbestrebungen);
selten können auch Escape-Mutanten des HB-Virus die Postexpositionsprophylaxe unterlaufen.
Sehr selten kommt ein Impfversagen vor. Eine Übertragung durch Stillen konnte bislang
nicht belegt werden: Mehrere Untersuchungen zeigten dagegen, dass das Infektionsrisiko
von gestillten Kindern chronisch infizierter Mütter nicht höher als das von nicht
gestillten ist [251 ]
[627 ]
[628 ]
[629 ] (IIb). Durch die in den Impfempfehlungen der STIKO vorgesehene sofortige aktive
Impfung von Kindern HBsAg-positiver Mütter wird ein ausreichender Schutz erzielt,
der mindestens 15 Jahre anhält [238 ]
[426 ]
[630 ]
[631 ] (Ia) (siehe 5.5).
Abkürzungen
Abkürzungen
HBV, Hepatitis-B-Virus; HDV, Hepatitis-Delta-Virus; HCV, Hepatitis-C-Virus; HBsAg,
Hepatitis B Surface Antigen; HBeAg, Hepatitis B Early Antigen; HBV-DNA, Hepatitis-B-Virus
Desoxyribonukleinsäure; HCC, Hepatozelluläres Karzinom; cccDNA, covalently closed
circular DNA; LTx, Lebertransplantation; HAART, Hochaktive antiretrovirale Therapie;
PEG, pegyliert; IFN, Interferon alpha.
Acknowledgements
Acknowledgements
Wir danken Frau Dr. Cathleen Muche-Borowski (AWMF-Institut für Medizinisches Wissensmanagemen)
für wertvolle Beratung und Diskussion. Wir danken Frau Bianka Wiebner, Frau Nina Schmidt,
Frau Dr. Svenja Hardtke (Deutsche Leberstiftung, Kompetenznetz Hepatitis), Frau Irina
John und Frau Diana Kühne (Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten)
für Unterstützung bei der Durchführung und Auswertung der Konsensuskonferenz und der
Delphi-Runden.