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DOI: 10.1055/s-0031-1271918
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Krankenhäuser im Jahr 2011
Brüssel lenkt mitKorrespondenz
Fachjournalistin für Gesundheitsund Sozialpolitik
Köln/Brüssel
Christian-Gau-Straße 24
50933 Köln
Fax: 0221/97763151
Email: p.spielberg@t-online.de
Publication History
Publication Date:
24 January 2011 (online)
- Regelung der Arbeitszeitorganisation
- Fachkräftemangel per Gesetz geschaffen?
- Optionen zur Behebung des Fachkräftemangels
- Chancen eines gegenseitigen Erfahrungsaustauschs
- Grenzüberschreitende Kooperationen von Kliniken
- Qualität der Gesundheitsversorgung in klinischen Einrichtungen
- Einigung auf abschließenden Kompromiss
Die Organisation und Finanzierung der Krankenhauslandschaft ist zwar primär Sache der einzelnen Mitgliedstaaten. Dennoch ist der Einfluss der Europäischen Union auf die Betätigungschancen, die Arbeitszeitorganisation oder die Modernisierung von Krankenhäusern nicht zu unterschätzen. Im Jahr 2011 dürften in Brüssel einige entscheidende Weichen für den Krankenhaussektor gestellt werden. Inwieweit sich die Krankenhauslandschaft dadurch verändern wird, ist derzeit schwer einzuschätzen.
Am Donnerstag, den 17. Juni 2009, statteten EU-Gesundheitskommissar John Dalli und der saarländische FDP-Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis dem Klinikum Saarbrücken einen Besuch ab. Die Visite diente dazu, sich über Konzepte zur Verbesserung der Patientensicherheit bei der Arzneimitteltherapie zu informieren.
Dass ein Gesundheitskommissar eigens aus Brüssel anreist, um sich bei einem deutschen Krankenhaus Anregungen für seine Arbeit zu holen, passiert eher selten. Schließlich unterliegen klinische Einrichtungen als fester Bestandteil der nationalen Gesundheitsversorgung nicht unmittelbar der EU-Gesetzgebung. Dennoch beeinflussen politische Entscheidungen der Europäischen Union die Krankenhauslandschaft in vielfältiger Weise.
Regelung der Arbeitszeitorganisation
"Insbesondere beschäftigungspolitische Initiativen der EU können weitreichende Folgen für das Krankenhauswesen haben", sagt Marc Schreiner, europapolitischer Referent und stellvertretender Bereichsleiter Politik bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG).
Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Arbeitszeitgestaltung von Krankenhäusern. So dürfen Ärzte und Pflegekräfte in der EU grundsätzlich nicht länger als 48 Stunden in der Woche arbeiten, da längere Arbeitszeiten aus Sicht des europäischen Gesetzgebers nicht mit dem Gesundheitsschutz vereinbar sind. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) legte in richtungsweisenden Urteilen aus den Jahren 2000 und 2003 zudem fest, dass die Zeiten des ärztlichen Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit zu werten sind.
Die DKG kritisiert, dass die EU damit einen Fachkräftemangel per Gesetz geschaffen hat. Schon heute können nach Angaben des Deutschen Krankenhausinstituts 5 000 Arztstellen in deutschen Krankenhäusern nicht besetzt werden. Bis 2019 rechnet das Institut mit insgesamt 37 000 offenen Stellen im ärztlichen Bereich. Würden die Kliniken hierzulande die Arbeitszeitregelungen vollständig umsetzen, kämen auf die Einrichtungen zudem personelle Mehrkosten in Höhe von 1,7 Milliarden Euro jährlich zu.
Fachkräftemangel per Gesetz geschaffen?
Erschwert wird die Lage dadurch, dass auch die meisten anderen europäischen Staaten unter einem Fachkräftemangel leiden. Daher verbietet es sich schon aus ethischen Gründen, Personal in größerer Zahl aus anderen Ländern abzuziehen, da dies die Versorgungslage dort zusätzlich verschlechtern könnte.
Hinzu kommt die zunehmende Überalterung der Fachkräfte im Gesundheitswesen. So ist nach Recherchen der EU-Kommission die Zahl der Ärzte im Alter von über 50 Jahren zwischen 1995 und 2000 EU-weit um durchschnittlich 50 % gestiegen, während die der unter 45-jährigen um 20 % gesunken ist.
Die EU bemüht sich daher seit geraumer Zeit darum, die Vorschriften für die Arbeitszeitorganisation so zu ändern, dass auf einzelstaatlicher Ebene eine flexible Beschäftigung ohne Gefährdung für den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer möglich ist. Der Spagat gestaltet sich sehr schwierig. Bislang jedenfalls haben sich das Europäische Parlament (EP) und die Fachminister der 27 EU-Staaten nicht auf einen Kompromiss einigen können.
Wie es weitergeht, ist noch unklar. EU-Beschäftigungskommissar Laszlo Andor wird vermutlich in diesem Jahr einen neuen Regelungsvorschlag vorlegen, der die speziellen Anforderungen an die Arbeitszeitorganisation in stationären Einrichtungen stärker berücksichtigen soll. Einigen EU-Staaten droht zudem eine Klage vor dem EuGH wegen Nichteinhaltung der geltenden Vorschriften. Auf Deutschland trifft dies allerdings nicht zu.
Optionen zur Behebung des Fachkräftemangels
Parallel zur Änderung der Gesetzgebung bemüht sich die EU-Kommission darum, gemeinsam mit Fachleuten aus dem Gesundheitswesen und von Regierungsstellen Lösungsansätze zur Behebung des Fachkräftemangels zu finden. In einem sogenannten Grünbuch hat die Behörde mehr als 40 Handlungsoptionen zur Diskussion gestellt.
Darunter fallen EU-weite Maßnahmen zur Schaffung neuer Versorgungsformen, zum Beispiel bei der Betreuung chronisch Kranker oder zur Bedarfsplanung. Ferner regt die Kommission an, über einen grenzüberschreitenden "Numerus-Clausus" bei den Ausbildungsgängen in den Gesundheitsberufen nachzudenken oder eine zirkuläre Mobilität von Fachkräften zwischen einzelnen Ländern einzuführen.
Dass Brüssel bei der Steuerung und Planung der Beschäftigungskapazitäten sowie des Aus-, Weiter- und Fortbildungsbedarfs eine zentrale Rolle spielen will, stößt bei zahlreichen Fachleuten aus dem Gesundheitswesen auf Kritik. Auch die Bundesregierung verweist darauf, dass die Kommission auf diesem Gebiet keinerlei gesetzgeberische Kompetenz besitzt.
Chancen eines gegenseitigen Erfahrungsaustauschs
Prof. Dr. Rainer Sibbel, Leiter des Instituts für Internationales Gesundheitsmanagement an der Frankfurter School of Finance and Management sieht in dem gegenseitigen Erfahrungsaustausch aber auch eine große Chance. In Ländern wie Großbritannien sei zum Beispiel die Akademisierung der Pflegeberufe längst Realität. "Von solchen Modellen können wir hierzulande lernen und Anregungen für eine Neuverteilung der Aufgaben im Krankenhaus finden", meint Sibbel. Der gelernte Mathematiker ist davon überzeugt, dass nur ein europaweiter Wettbewerb zwischen den medizinischen Einrichtungen die Gesundheitssysteme voranbringen kann.
Die EU-Kommission sieht den Krankenhausmarkt indessen noch nicht ausreichend für den europäischen Wettbewerb gerüstet. Diesen Schluss jedenfalls legen die Regelungen des europäischen Beihilferechts, auch Monti-Paket genannt, nahe. Die Kommunen und Kreise dürfen den Regeln zufolge Krankenhäusern in öffentlicher Trägerschaft staatliche Beihilfen gewähren. Die Ausgleichzahlungen müssen sie allerdings nicht als Subventionen in Brüssel melden.
Für die Freistellung von der Notifizierungspflicht sind bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen. So müssen die Kliniken stationäre Leistungen zur Sicherstellung des öffentlichen Versorgungsauftrags buchhalterisch streng von sonstigen Leistungen trennen. Auch dürfen die Defizitausgleiche nicht zur Quersubventionierung von beispielsweise Medizinischen Versorgungszentren dienen, an denen das Krankenhaus beteiligt ist.
Die Möglichkeit zur Freistellung führt allerdings nach Auffassung des Bundesverbandes deutscher Privatkliniken (BDPK) zu unzulässigen Wettbewerbsverzerrungen auf dem europäischen Krankenhausmarkt. Der Verband geht daher bereits seit Ende 2007 mit einer von der Asklepios Kliniken GmbH eingeleiteten Beschwerde bei der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission gegen die Regelung vor.
Ziel der Beschwerde ist es, den in Deutschland praktizierten Verlustausgleich zugunsten der in öffentlicher Trägerschaft befindlichen Krankenhäuser zumindest so lange auszusetzen, bis die EU-Kommission eine Grundsatzentscheidung über die Behandlung von Beihilfen für Krankenhausbetriebe getroffen hat. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.
Grenzüberschreitende Kooperationen von Kliniken
Obwohl die EU-Kommission öffentliche Kliniken eher als Dienstleister im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse denn als Privatunternehmen sieht, hat sie ein großes Interesse daran, die Modernisierung von stationären Einrichtungen und grenzüberschreitende Kooperationen von Krankenhäusern mit europäischen Fördergeldern voranzutreiben. Mittel für entsprechende Projekte stehen im Aktionsprogramm Gesundheit (2008-2013), im Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) für infrastrukturelle Investitionen und im Europäischen Sozialfonds (ESF) für die Beschäftigungsförderung bereit.
So hat zum Beispiel der Verband der freigemeinnützigen Krankenhäuser in Hamburg e.V. zwischen April 2003 und November 2006 Gelder aus dem ESF für ein neues Modell zur Pflegeausbildung erhalten. Hierbei wurden die bisher getrennten Ausbildungsgänge der Kinder-, Kranken- und Altenpflege zusammengefasst und ein gemeinsamer Berufsabschluss eingeführt. Die Mittel aus dem EFRE wiederum dienen der Förderung strukturschwacher Gebiete vornehmlich in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen. Die Krankenhäuser nutzen die Möglichkeiten nach Aussage der EU-Kommission allerdings noch nicht in ausreichendem Maße.
Im Verbund mit Forschungseinrichtungen aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten können sich Krankenhäuser, insbesondere Universitätskliniken, ferner an EU-Projekten in der medizinischen Forschung beteiligen.
Qualität der Gesundheitsversorgung in klinischen Einrichtungen
Ein recht neues Feld für Diskussionen auf europäischer Ebene ist die Qualität der Gesundheitsversorgung in klinischen Einrichtungen. EU-weite Mindeststandards zur Qualitätssicherung bei Organtransplantationen sind bereits verabschiedet worden und müssen nun noch in den 27 EU-Staaten umgesetzt werden. Gleiches gilt für Empfehlungen zur Vermeidung und Verringerung von Krankenhausinfektionen durch eine verbesserte Prävention und Kontrolle sowie einer stärkeren Berücksichtigung von Maßnahmen zur Bekämpfung nosokomialer Infektionen in der Aus- und Fortbildung.
Zugute kommen sollen den Krankenhäusern auch EU-weite Regelungen zur Patientenmobilität. Demnach sollen die Krankenkassen Kosten für stationäre und ambulante Leistungen im europäischen Ausland in Höhe der inländischen Sätze erstatten. Dabei soll es einen Genehmigungsvorbehalt für Krankenhausleistungen geben.
Diese Forderung geht zurück auf ein Urteil des EuGH aus dem Jahr 2001. Damals stellten die Luxemburger Richter fest, dass ein Genehmigungsvorbehalt zwar den freien Verkehr von Krankenhausdienstleistungen hemme. Gleichwohl sei die Beschränkung gerechtfertigt, um das finanzielle Gleichgewicht der Gesundheitssysteme nicht zu gefährden und ein allen Versicherten zugängliches Krankenhauswesen aufrechtzuerhalten, so der EuGH.
Inwieweit die geplante Richtlinie den Krankenhäusern tatsächlich Vorteile bringen wird, lässt sich noch nicht vorhersagen. Bislang belaufen sich die Kosten für Arztbesuche im Ausland, einschließlich Notfälle, auf bescheidene 10 Milliarden Euro jährlich. Ihr Anteil an den Gesundheitsausgaben in der EU liegt bei knapp 1 %. Bei geplanten Leistungen sind es nach Erhebungen der DKG sogar nur 0,05 %.
Einigung auf abschließenden Kompromiss
Bislang ist auch noch ungeklärt, wie eine garantierte Finanzierung von Krankenhausleistungen aussehen könnte. Ein Kompromissvorschlag zwischen dem Europaparlament und dem Rat sieht vor, dass die Patienten von ihrer Kasse einen Gutschein für stationäre Leistungen erhalten dürfen, sofern sich der Behandlungs- und der Versicherungsstaat darauf einigen. Dies hätte für den Patienten den Vorteil, dass er nicht mit seinem Privatvermögen in Vorkasse treten muss. Die Krankenhäuser müssten die Kosten in diesem Fall direkt mit den Kostenstellen des Versicherungslandes abrechnen.
Erleichterungen soll die Liberalisierung der Gesundheitsversorgung auch Patienten bringen, die an seltenen Erkrankungen leiden. Denn diese haben oft das Problem, dass ihnen in ihrem Heimatland keine angemessene Versorgung zur Verfügung steht. Sachverständige und Fachzentren für seltene Erkrankungen aus allen EU-Ländern sollen daher einen engeren Wissensaustausch pflegen, um die Behandlung der Betroffenen zu verbessern und gegebenenfalls auch Patienten ins EU-Ausland zu überweisen.
Das neue Gesetz könnte gerade für Deutschland einige Vorteile bringen. "Die Richtlinie ist eine große Chance für Anbieter im deutschen Gesundheitswesen, denn trotz aller Diskussionen ist unser Gesundheitssystem leistungsfähiger als das der meisten anderen Länder in Europa", so der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion im Europäischen Parlament, der CDU-Abgeordnete Peter Liese. Die Richtlinie soll ab Herbst 2012 in Kraft treten.
Korrespondenz
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