Psychiatr Prax 2011; 38(1): 51-52
DOI: 10.1055/s-0031-1271909
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

140 Seiten Psychiatriegeschichte

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Publication Date:
20 January 2011 (online)

 

In der Reihe "Basiswissen" des Psychiatrie-Verlags ist, als durchaus passende Ergänzung zum Sortiment, ein Band "Geschichte der Psychiatrie" erschienen. Es gab einige Gründe, dieses Buch mit Skepsis zur Hand zu nehmen. Psychiatriegeschichte – das waren epochale Monografien sogar zu Spezialthemen, etwa "Der Wahnsinn" von Leibbrand und Wettley oder "Das psychiatrische Krankenhauswesen" von Panse. Und jetzt das – die Hybris, die ganze Geschichte auf gerade einmal 140 Seiten darstellen zu wollen. Welche Gefahren da nicht überall lauern: was berücksichtigen, was weglassen? Wie all die Aspekte integrieren, die Ideengeschichte, die Vorstellungen zur Nosologie, die Geschichte der Therapien, Psychiatrie im Nationalsozialismus, die Entwicklung der vielfältigen psychiatrischen Institutionen? Nicht zu vergessen die stets lauernden Fallstricke der Bewertung und Einordnung, zwischen pathetischer Geschichtsschreibung im Sinne "Berühmte Irrenärzte" und materialistischem Reduktionismus nach dem Vorbild von Foucault oder Dörner. Damit nicht genug: Der Autor ist nicht einmal Psychiater und nicht einmal selbst an einer psychiatrischen Klinik tätig; Burkhart Brückner ist Professor für Sozialpsychologie an der Hochschule Niederrhein.

Die erste Überraschung beim Lesen: Nicht weniger als die Hälfte des Buchs bezieht sich auf die Psychiatrie vor Pinel, also von der Antike bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Der Eindruck verfestigt sich schnell, dass nichts davon überflüssig ist. Und gerade so geht es weiter: Brückner schafft die erforderlichen Balanceakte stets treffsicher, mit hoher Prägnanz und immer der notwendigen Sensibilität, und, kaum zu glauben, alles Wichtige kommt zur Sprache. Da ist nichts in der Perspektive schief geraten, die Fakten sind stets richtig, Bewertungen zurückhaltend, gegebenenfalls aber treffend und ausgewogen. Soll heißen: Die Lektüre ist ein inhaltliches und sprachliches Vergnügen, der Text verliert sich nirgends in Details, wichtige Auslassungen kann man kaum reklamieren, dieses kleine Buch ist ein großer Wurf. Da der Autor auch kein Historiker ist, hält er nicht einmal den respektvollen Abstand zur jüngeren Geschichte ein, den Historiker meistens pflegen. Das Buch endet deshalb erfreulicherweise keineswegs 1945, sondern 2010. Wenn man überhaupt etwas kritisieren will, dann höchstens, dass es insgesamt und vor allem im letzten Jahrhundert eine immer mehr auf die deutsche Perspektive eingeengte Psychiatriegeschichte geworden ist, aber genauso kann man diese zunehmende Fokussierung als eine weitere Stärke des Buchs auffassen. Rezensionen wie "ein Muss für jeden Psychiater" sind leider sehr abgegriffen, aber dieses Buch will man nun wirklich jedem, der in der Psychiatrie arbeitet, wärmstens empfehlen.

Tilman Steinert, Weissenau
Email: tilman.steinert@zfp-zentrum.de

Brückner B. Geschichte der Psychiatrie. Psychiatrieverlag, Reihe Basiswissen, Bonn 2010, 159 Seiten, 16,95 Euro. ISBN 978-3-88414-494-7

  • 01 Brückner B. Geschichte der Psychiatrie. Bonn: Psychiatrieverlag, Reihe Basiswissen; 2010. 159 Seiten; 16,95 € ISBN: 978-3-88414-494-7
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