Zeitschrift für Palliativmedizin 2011; 12(1): 22-24
DOI: 10.1055/s-0030-1270779
Perspektiven

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Palliative Sedierung. Schmerz und die wandelnde Kraft des Atems

Anja Malanowski
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Publikationsdatum:
27. Januar 2011 (online)

 

Die Linderung von Schmerzen ist eine der wesentlichen Aufgaben einer Palliativstation. Neben einem großen Fundus an Medikamenten steht hierfür auch ein interdisziplinäres, multiprofessionelles Team zur Verfügung. Daraus ergeben sich auch Reibungspunkte, denn aufgrund der beruflichen Sozialisation der Mitarbeiter unterscheidet sich deren Umgang mit dem und die innere Haltung zum Leid anderer und dem eigenen mitunter eklatant.

Die innere Haltung, so nehmen viele Palliativmediziner für sich in Anspruch, sei das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zwischen der Palliativmedizin – mit dem Anspruch, Leiden zu lindern – und einer kurativen Medizin. Der Mensch stehe im Mittelpunkt von Palliative Care, die Lebensqualität, nicht die Dauer. Da tauchen Fragen auf:

Ist Lebensqualität mit Schmerz vereinbar? Welche Art von Schmerz und welches Maß an Schmerz sind es noch? Welche Antwort braucht der Mensch in seinem jeweiligen Schmerz, um Lebensqualität zu erlauben?

Allgemeingültige Antworten kann es nicht geben. Möglicherweise unterscheiden sich die Antworten nicht nur aufgrund der Wünsche und Einstellungen der Patienten, sondern auch aufgrund der inneren Haltung seiner Begleiter.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der Schmerzfreiheit als Ideal gilt und allzu leichtfertig versprochen wird. Patienten wird in diesem Zusammenhang in, wie mir scheint, zunehmendem Maß in Aussicht gestellt, dass sie auch palliativ sediert werden könnten, sollte Schmerzfreiheit im bewussten Zustand nicht erreicht werden. Zu klären ist in diesem Zusammenhang, in wessen Interesse die palliative Sedierung jeweils erfolgt: Halte ich es als Arzt, Pflegekraft oder Atemtherapeutin nicht mehr aus, dass mein Patient mir zeigt, dass Krankheit und Sterben – also das Leben – sehr weh tun kann? Hält er selbst es nicht mehr aus, oder sind es die Angehörigen, die die Konfrontation mit dem Schmerzausdruck des Kranken nicht mehr ertragen? Und für alle gilt zu fragen, was genau so sehr weh tut.

1 Karin Mattekat. „Den ‚Zerstöungsschmerz‘ lindern und den ‚Werdeschmerz‘ belassen“. Hanau, 2010

2 Der Mensch definiert sich in der Gesellschaft durch die Geschichten, die er von sich und aus seinem Leben erzählt: So einer bin ich. Negative Bewertungen von schmerzhaften Erfahrungen scheinen dann schicksalhaft und der Freiwilligkeit entzogen. In Psychotherapien fällt oftmals auf, wie hartnäckig negative Konnotationen verteidigt werden gegen die Einladung, ein Ereignis der Bewertung zu entziehen und dadurch neu verarbeiten zu können.

Anja Malanowski

Universitätsklinikum München-Großhadern

eMail: anja.malanowski@med.uni-muenchen.de