Zeitschrift für Palliativmedizin 2011; 12(1): 18-19
DOI: 10.1055/s-0030-1270774
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Palliativversorgung. Raumluft vs. Sauerstoff

Peter Pommer
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Publication Date:
27 January 2011 (online)

 

Gemäß einer Definition der „American Thoracic Society“ ist Atemnot eine subjektive, multikausal bedingte Empfindung, zu der neben organischen auch psychische, soziale und situative Faktoren beitragen. Da harte Daten zum Nutzen von Sauerstoffgabe abgesehen von klaren Hypoxiezuständen fehlen, haben nun Abernethy et al. eine doppelblind-randomisierte Studie vorgelegt, in der die Sauerstoffgabe mit Raumluftgabe bei Patienten mit infaustem Leiden ohne Hypoxie verglichen wird.

Lancet 2010; 376: 784–793

Aufgenommen in die doppelblinde Untersuchung wurden 239 Patienten. Sie litten unter lebenslimitierenden Erkrankungen (voraussichtliche Lebenserwartung: mindestens ein Monat) und unter einer therapieresistenten Dyspnoe bei gleichzeitiger Abwesenheit einer klinisch relevanten Hypoxie (paO2 > 55 mm Hg). Die Zuteilung der Patienten zur Gabe von 2 l Sauerstoff oder Raumluft pro Minute über eine identische Nasenbrille erfolgte randomisiert. Primärer Endpunkt war die Dyspnoe, gemessen an einer subjektiven Analogskala von 0–10 (keine Dyspnoe – schlimmste denkbare Dyspnoe), 2-mal täglich ermittelt, nach dem Aufstehen und vor dem Schlafengehen über einen Zeitraum von 7 Tagen. Lebensqualität, Schlafstörungen, Funktionsstatus, Ängstlichkeit, Benommenheit und nasale Irritation oder Blutung fungierten als sekundäre Endpunkte.

Die Morgenatemnot verminderte sich bei der Sauerstoffgruppe um 0,9 Punkte, bei der Raumluftgruppe um 0,7 Punkte (p = 0,504). Abends betrug die Verbesserung -0,3 Punkte unter Sauerstoffgabe, -0,5 Punkte bei Raumluftgabe (p = 0,554). Bedingt durch die Intervention und unabhängig von der Gruppe ergab sich insgesamt eine zwar vom Ausmaß her geringe, aber statistisch signifikante (p < 0,0001) Symptombesserung. Die Nebenwirkungsraten beider Studienarme unterschieden sich nicht signifikant. Die Lebensqualität verbesserte sich ohne Unterschied der Studienarme um 0,7 Punkte im „McGill quality of life questionaire“ (95%-Konfidenzintervall 0,5–0,9), wobei 87% davon auf die ersten 3 Tage fiel. Alle anderen sekundären Endpunkte liefen parallel zu den Veränderungen der Dyspnoe und der Lebensqualität.

Fazit

Die Autoren konstatieren, dass Sauerstoffgabe in einer Palliativsituation bei Abwesenheit einer klinisch relevanten Hypoxie der Gabe von Raumluft nicht überlegen ist. Sie geben zu bedenken, dass die Sauerstoffgabe mit Risiken verbunden ist (z. B. Explosivität, Hyperkapnie). Da aber infolge unzureichender statistischer Power nicht ausgeschlossen sei, dass Sauerstoff in Untergruppen wie COPD-Patienten überlegen ist, sind hier weitere Analysen geplant. Einstweilen könne nicht bedenkenlos Luft statt Sauerstoff gegeben werden.

Dr. med. Peter Pommer, Oberammergau

Kommentar zur Studie

I. J. Higginson vom King’s Collge in London wünscht sich zusätzlich eine Untersuchung der Dyspnoe während und nach Belastung/Bewegung als genaueren Ausdruck funktioneller Einschränkung. Sie verweist auf ein neueres Cochrane Review, nach dem der Einsatz niedrig und mittelhochdosierter Opioide in Palliativsituationen wirksam und sicher ist. Deshalb solle auf die Sauerstoffgabe bei allen nicht-hypoxischen Patienten auch wegen der damit verbundenen Umstände und Kosten verzichtet werden, soweit nicht deren lindernde Wirkung nachweisbar sei.

Lancet 376; 746–749