Grundsätzlich kann der Sachverhalt einer Abrechnung, zu der ein Chefarzt nach der
GOÄ nicht berechtigt ist, ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung durch das
Krankenhaus sein. Dabei kann ein solcher wichtiger Grund nicht nur in einer erheblichen
Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten (z. B. ärztliche Leistungen)
liegen, sondern auch die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten, wie insbesondere
eine Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflichten sein. Jedoch muss Pflichtwidrigkeiten
im Leistungs- oder Verhaltensbereich grundsätzlich eine Abmahnung vorausgehen, ehe
sie zum Anlass einer fristlosen Kündigung genommen werden darf.
Bild: Jupiterimages, CD 248
Der Fall
Der Fall
Ein Chefarzt, der bereits seit 20 Jahren im Krankenhaus beschäftigt war und dem aufgrund
seines Dienstvertrages das Liquidationsrecht für bestimmte (hier Labor-)Leistungen
übertragen worden war, wurde ohne vorherige Abmahnung vom Krankenhaus fristlos gekündigt.
Hintergrund für diese Kündigung war, dass aufgrund verschiedener Umstrukturierungen
des Krankenhauses der Chefarzt einige Leistungen, die er bisher selbst erbracht hatte,
nunmehr an ein Labor des Krankenhauses übersandte. Bei den betroffenen Leistungen
handelte es sich um Laborleistungen, die nicht delegiert werden dürfen und daher nur
von dem Arzt liquidiert werden können, der sie auch persönlich erbringt.
Das Krankenhaus ging davon aus, dass diese Leistungen ab einem gewissen Zeitpunkt
von einem anderen Arzt liquidiert werden. Der Chefarzt behielt seine Liquidation dieser
Leistungen jedoch bei. In der Folge kam es zu Doppelabrechnungen, die durch die Beschwerden
eines Patienten aufgefallen waren. Dem Chefarzt wurde daraufhin Abrechnungsbetrug
vonseiten des Krankenhauses vorgeworfen. Aufgrund dieses Sachverhalts wurde der Chefarzt
fristlos gekündigt. Der fristlosen Kündigung ging keine Abmahnung voraus. Außerdem
wurde der Personalrat nicht beteiligt. Gegen die fristlose Kündigung legte der Chefarzt
Klage ein und klagte auf Weiterbeschäftigung.
Sowohl das erstinstanzlich zuständige Arbeitsgericht als auch die Berufungsinstanz
(Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 19.08.2009, Az.: 6 Sa 459/08)
gaben dem Chefarzt Recht. Sein Arbeitsverhältnis ist durch die außerordentliche Kündigung
nicht wirksam beendet worden und er muss weiterbeschäftigt werden.
Anhand der Urteilsgründe kann die Systematik der fristlosen Kündigung von leitenden
Mitarbeitern plastisch nachvollzogen werden.
Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung
Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung
Ein Arbeitsverhältnis kann aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist
gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung
aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile
die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht
zugemutet werden kann (§ 626 Abs. 1 BGB). Hierbei ist zunächst generell zu überprüfen,
ob der Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund
an sich geeignet ist. Ist dies der Fall, wird die Prüfung dahingehend fortgeführt,
ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände
des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist
oder nicht.
Falschabrechnung kann fristlose Kündigung rechtfertigen
Falschabrechnung kann fristlose Kündigung rechtfertigen
Das Berufungsgericht macht zunächst deutlich, dass der grundsätzliche Sachverhalt
einer Abrechnung, zu der ein Chefarzt nach der GOÄ nicht berechtigt ist, an sich geeignet
ist, einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung zu liefern. Dabei stellt es
darauf ab, dass ein wichtiger Grund nicht nur in einer erheblichen Verletzung der
vertraglichen Hauptleistungspflichten (z. B. ärztliche Leistungen) liegen kann, sondern
auch die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten, wie insbesondere eine Verletzung
der vertraglichen Rücksichtnahmepflichten, ein wichtiger Grund zur außerordentlichen
Kündigung sein kann. Dies soll nach Auffassung des Gerichts umso mehr gelten, wenn
berechtigte Belange des Arbeitgebers erheblich gestört werden, weil das Verhalten
des Arbeitnehmers geeignet ist, den Ruf des Arbeitgebers im Geschäftsverkehr zu gefährden.
Der konkrete Inhalt der Rücksichtnahmepflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis.
Hierbei sind insbesondere Arbeitnehmer in leitender Position verpflichtet, zur Förderung
des Vertragszwecks ihr Verhalten in der Weise einzurichten, dass es das Ansehen des
Arbeitgebers nicht beschädigt.
Nach Auffassung des Gerichts hat der Chefarzt daher seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht
verletzt, indem er dazu beigetragen und es im Weiteren hingenommen hat, dass zu seinen
Gunsten Leistungen abgerechnet wurden, die nach der GOÄ für ihn nicht abgerechnet
werden durften. Indem der Kläger trotzdem die Abrechnung der Leistungen veranlasst
hat, hat er nach Auffassung des Gerichts erheblich gegen die vertragliche Rücksichtnahmepflicht
verstoßen; denn er hat alles zu unterlassen, was das Ansehen und den Ruf des Krankenhauses
schädigen kann. Nach Auffassung des Gerichts ist eine gegen die GOÄ verstoßende Abrechnung
negativ für den Arbeitgeber. Dieser setzt das Krankenhaus dem Verdacht aus, durch
seine Mitarbeiter würden Patienten betrogen. Aufgrund seiner langjährigen Berufserfahrung
und seiner herausgehobenen Position als Chefarzt hätte der Kläger in besonderem Maße
um eine korrekte Liquidation bemüht sein müssen. Nicht erfolgreich war der Einwand
des Chefarztes, dass ihm durch das Krankenhaus die Liquidationsbefugnis gemäß Dienstvertrag
eingeräumt wurde. Nach Auffassung des Gerichts versteht es sich von selbst, dass die
zugestandene Privatliquidation nur im Rahmen des geltenden Rechts, hier in den Grenzen
der GOÄ, erfolgen durfte und darf. Daran kann auch eine arbeitsvertragliche Vereinbarung
nichts ändern. Diese kann insbesondere nicht zu einer unzulässigen Abrechnung berechtigen.
Fehlende Abmahnung rettet den Chefarzt
Fehlende Abmahnung rettet den Chefarzt
Obwohl also grundsätzlich ein Verstoß des Chefarztes im Raum steht, der zu einer fristlosen
Kündigung berechtigt, war diese im konkreten Fall nicht wirksam. Vielmehr hätte das
Krankenhaus vorher eine Abmahnung aussprechen müssen, die der Chefarzt nicht beachtet
hätte haben müssen. Pflichtwidrigkeiten im Leistungs- oder Verhaltensbereich muss
grundsätzlich eine Abmahnung vorausgehen, ehe sie zum Anlass einer fristlosen Kündigung
genommen werden darf. Eine Abmahnung ist erforderlich, wenn es sich um ein steuerbares
Verhalten handelt, das bisherige vertragswidrige Fehlverhalten noch keine klare Negativprognose
zulässt und deswegen von der Möglichkeit zukünftigen vertragsgerechten Verhaltens
ausgegangen werden kann. Regelmäßig wird nämlich erst nach einer Abmahnung die erforderliche
Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass sich der Arbeitnehmer auch in Zukunft nicht
vertragstreu verhalten wird. Mit der Abmahnung soll vor allem dem Einwand des Arbeitnehmers
begegnet werden, er habe die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens nicht erkennen bzw.
nicht damit rechnen können, der Arbeitgeber werde sein vertragswidriges Verhalten
als kündigungsbegründend ansehen. Das Landesarbeitsgericht war der Überzeugung, dass
eine einschlägige Abmahnung bei dem Kläger den gewünschten Erfolg gehabt haben würde.
Sie wäre das geeignete Mittel gewesen, sowohl eine Änderung seines Verhaltens als
auch eine Wiederherstellung der erforderlichen Eignung und Zuverlässigkeit für die
vertraglich geschuldete Arbeitsleistung herbeizuführen. Dies auch vor dem Hintergrund,
dass der Kläger in der Vergangenheit seine Tätigkeit beanstandungsfrei durchgeführt
hat. Der Kläger ging fälschlicherweise davon aus, weiterhin zur Abrechnung der streitgegenständlichen
Leistungen befugt zu sein. Ihm war das Unrecht seines Verhaltens jedoch nicht bewusst.
Unter diesen Umständen konnte das Krankenhaus nicht davon ausgehen, dass der Ausspruch
einer Abmahnung erfolglos sein würde, so das Gericht.
Im Anschluss wägt das Gericht die Interessen des Krankenhauses gegenüber denen des
Chefarztes ab und kommt auch dabei zu dem Ergebnis, dass das Fehlverhalten des Chefarztes
die außerordentliche Kündigung nicht rechtfertigte. Dabei berücksichtigte es zugunsten
des Krankenhauses, dass es sich bei der Falschabrechnung objektiv um eine schwere
Pflichtverletzung handelt, die erhebliche negative Auswirkungen haben kann. Dabei
ging das Gericht davon aus, dass die doppelte Abrechnung von Laborleistungen zulasten
einer größeren Anzahl von Patienten geeignet ist, das Ansehen des Beklagten zu schädigen.
Beim Patienten entsteht der Verdacht des Abrechnungsbetrugs. Dieser Abrechnungsbetrug
wiederum fällt auf das Krankenhaus, für das der abrechnende Arzt tätig ist, zurück.
Demgegenüber stellte das Gericht aber unter anderem die Dauer der beanstandungsfreien
Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter des Chefarztes. Der Chefarzt war bei Zugang
der streitgegenständlichen Kündigung bereits mehr als 20 Jahre bei dem Krankenhaus
beschäftigt. Abmahnungen hat er während dieser Zeit nicht erhalten. Darüber hinaus
fiel für das Gericht ins Gewicht, dass das Krankenhaus aufgrund der vertraglich üblichen
Abführungspflicht eines Honoraranteils des Chefarztes aus dem Arbeitsvertrag an dessen
Liquidationserlösen teilgehabt hatte. Eine Überprüfung der Richtigkeit der Abrechnung
durch das Krankenhaus hätte daher nahe gelegen. Dies insbesondere, als die Einziehung
der Honorare vertragsgemäß durch den Krankenhausträger zu erfolgen hatte.
Abschließend stellte das Landesarbeitsgericht auch noch fest, dass die Kündigung bereits
deshalb unwirksam gewesen sei, weil das Krankenhaus sie ohne Zustimmung des bei ihm
gewählten Personalrats ausgesprochen hatte.
Fazit
Fazit
Jedem liquidationsberechtigten Chefarzt sollte anhand dieser Urteilsgründe deutlich
vor Augen geführt werden, dass eine regelmäßige Überprüfung der in die Abrechnung
gegebenen Leistungen auf tatsächliche Abrechenbarkeit von erheblicher Bedeutung ist.
Denn grundsätzlich besteht kein Zweifel daran, dass ein Verstoß gegen die GOÄ zu einer
fristlosen Kündigung berechtigen kann.