Klin Padiatr 2010; 222(7): 427-429
DOI: 10.1055/s-0030-1269876
Gastkommentar

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Läsionen der weißen Substanz bei Neugeborenen und Säuglingen

White Matter Lesions in NeonatesW. Reith1
  • 1Klinik für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
Further Information

Publication History

Publication Date:
16 December 2010 (online)

Hypoxisch-ischämische Läsionen bei Frühgeborenen

Frühgeborene mit einem Gestationsalter <28 Wochen und kardiorespiratorischen Problemen sind besonders gefährdet. Wichtige pathogenetische Faktoren sind die periventrikuläre Gefäßversorgung, die passive Hirndurchblutung sowie die vermehrte Vulnerabilität, der sich aktiv differenzierenden und/oder myelinisierenden periventrikulären Gliazellen. Die 3–10 mm seitlich der Seitenventrikel lokalisierte periventrikuläre, weiße Substanz wird von ventrikulopedalen und ventrikulofugalen Arterien versorgt. Die ventrikulopedalen Parenchymarterien verlaufen dabei vom zerebralen Kortex auf die Seitenventrikel zu, die ventrikulofugalen penetrierenden Arterien erstrecken sich vom Ventrikelependym in das Hirnparenchym. Durch diese anatomische Besonderheit entsteht eine sog. „letzte Wiese” im Bereich der periventrikulären weißen Substanz, die besonders anfällig für hypoxisch-ischämische Läsionen ist. Diese periventrikulären Infarzierungen werden auch als periventrikuläre Leukomalazie (PVL) bezeichnet [1]. Sie treten insbesondere im Bereich der Vorderhörner der Seitenventrikel, der Region der Corona radiata und im Centrum semiovale auf, sind aber auch über dem Trigonum der Seitenventrikel in der parietookzipitalen Region anzutreffen. Aufgrund des Schädigungsmusters sind in erster Linie die Capsula interna und externa, der motorische Kortex betroffen; dies gilt hier vor allem für die kortikospinalen Bahnen zu den Beinen. Bei unreifen Frühgeborenen sind hypoxisch-ischämische Parenchymläsionen mit intraventrikulären und paraventrikulären Blutungen einhergehend. Dabei sind 2 verschiedene Läsionsarten zu unterscheiden:

In ca. 25% der Fälle treten hämorrhagische Läsionen auf, häufig einseitig lokalisiert und assoziiert mit ausgeprägten Ventrikelblutungen.

Die nicht hämorrhagische Form (75%) ist weniger stark ausgeprägt, oft bilateral symmetrisch und linear um die Seitenventrikel angeordnet.

Bei Frühgeborenen sind zystische periventrikuläre Leukomalazien häufig gefundene Läsionen im Ultraschall. In MR-Untersuchungen in den ersten Tagen von Frühgeborenen zeigt sich ein weites Spektrum von White-matter-lesions; dieses beinhaltet auch fokale, nicht zystische Läsionen. Der Schweregrad der White-matter-lesions bei Frühgeborenen ist ein Prädiktor für eine schlechtere neuropsychologische Entwicklung [4].

Neuere Studien zeigen, dass die Vulnerabilität der weißen Substanz bei Frühgeborenen durch spezielle Zellpopulationen in der weißen Substanz innerhalb des ersten Drittels des Trimenons gebahnt wird, das sind vor allem Vorläuferzellen von Oligodendrozyten und andere neuronale Zellen [2].

Es zeigte sich jedoch auch, dass die Schädigungen der weißen Substanz nicht nur ausschließlich bei Frühgeborenen, sondern auch häufig bei reifen Neugeborenen auftreten können. Es scheint so, dass bei reifen Neugeborenen mit angeborenen Herzerkrankungen ein erhöhtes Risiko für Schädigungen der weißen Substanz besteht. In-vivo-Daten von Neugeborenen mit Herzerkrankungen zeigen, dass diese Patienten ein erhöhtes Risiko für eine Hirnentwicklungsverzögerung haben, wahrscheinlich verursacht durch eine chronische Minderversorgung des Gehirns mit Sauerstoff in utero.

Bei Neugeborenen mit Basalganglienläsionen im Zusammenhang mit einer neonatalen Enzephalopathie tritt eine Schädigung der weißen Substanz in der Hälfte der Fälle auf. Zeitpunkt der Schädigungen der weißen Substanz und Risikofaktoren für diese Schädigungen bei reifen Neugeborenen mit einer neonatalen Enzephalopathie sind jedoch nicht bekannt. Bei reifen Neugeborenen mit einer neonatalen Enzephalopathie zeigte sich in einer Serie, dass bei knapp einem Viertel der Patienten Schädigungen der weißen Substanz im MRT nachgewiesen werden konnten.

Multifokale Läsionen in der weißen Substanz sind häufig im MRT bei Frühgeborenen mit geringem Geburtsgewicht nachweisbar. Frühgeborene Kinder mit Schädigungen der weißen Substanz haben weniger Masse an weißer Substanz als solche ohne Schädigungen. In einer Studie zeigte sich, dass ein jüngeres Gestationsalter bei Geburt, aber nicht das Geburtsgewicht mit Schwere und Ausmaß der Schädigungen der weißen Substanz assoziiert war. Dies unterstützt die Hypothese, dass der Status der Gehirnreife ein wichtiger Risikofaktor für Schädigungen der weißen Substanz bei reifen Neugeborenen mit Enzephalopathie ist [4].

In einem experimentellen Schafmodell konnte gezeigt werden, dass die Topografie der Schädigungen der weißen Substanz eher mit der Verteilung der Oligodendrozyten-Progenitorzellen übereinstimmte als mit Regionen reduzierter Hirnperfusion. Der Zeitpunkt der Vulnerabilität bei Neugeborenen überlappt mit der Proliferationsperiode der späten Oligodendrozyten-Progenitorzellen. Die späten Oligodendrozyten-Progenitorzellen haben ihren Peak in der 25.–34. Gestationswoche, was gut zum erhöhten Risiko erworbener Schädigungen der weißen Substanz bei Frühgeborenen passt.

Eine andere tierexperimentelle Studie zur neonatalen Ratte mit milden hypoxisch-ischämischen Hirnläsionen zeigte, dass die hierdurch hervorgerufene Läsion der weißen Substanz zu einer relativen Aussparung der grauen Substanz führte. Reife Neugeborene mit Schädigungen der weißen Substanz zeigten eine weniger schwere ausgeprägte Enzephalopathie und weniger häufig Infarkte als solche mit Schädigungen der weißen Substanz. Es muss diskutiert werden, ob die Schädigungen der weißen Substanz bei reifen Neugeborenen durch eine verzögerte Hirnreifung und dadurch verzögerte Vulnerabilität der weißen Substanz hervorgerufen wird. Bei reifen Neugeborenen werden häufiger Läsionen in den Basalganglien nachgewiesen. In einer anderen Studie konnte gezeigt werden, dass auch eine venöse Hypertension mit verzögerter chronischer Abflussstörung der medullären Venen eine Schädigung der weißen Substanz mit typischen Zeichen der Hämorrhagie hervorrufen kann und somit einen weiterer Mechanismus einer Schädigung der weißen Substanz bei reifen Neugeborenen darstellt [6] [8].

Läsionen der weißen Substanz sind nicht das typische dominante Schädigungsmuster bei reifen Neugeborenen mit hypoxisch-ischämischen Hirnschädigungen. Bei reifen Neugeborenen mit chronischer Herzerkrankung sind Läsionen in der weißen Substanz das am häufigsten beschriebene Schädigungsmuster. Bei Neugeborenen mit chronischer Herzinsuffizienz zeigten MR-Spektroskopie und diffusionsgewichtete MRT eine Störung des Metabolismus sowie mikrostrukturelle Veränderungen auch in Hirnarealen, die bildmorphologisch nicht beeinträchtigt erscheinen. Die stärkere Ausprägung der WMI bei jüngerem Gestationsalter bei Geburt im Vergleich zu einem niedrigen Geburtsgewicht unterstützt die Hypothese, dass die Gehirnentwicklung und -reifung ein kritischer Risikofaktor für die Entwicklung von Schädigungen der weißen Substanz auch bei reifen Neugeborenen mit neonataler Enzephalopathie ist [5].

Nicht zystische Veränderungen der weißen Substanz sind ein häufiger Befund im MRT bei reifen Neugeborenen mit neonataler Enzephalopathie. Sie tritt häufiger bei Kindern mit milder Enzephalopathie und jüngerem Gestationsalter bei Geburt auf. Das jüngere Gestationsalter der Neugeborenen weist darauf hin, dass der Reifungsgrad der weißen Substanz ein entscheidender Faktor ist. Untersuchungen mit diffusionsgewichteter MRT in den ersten 3 Tagen nach Geburt zeigen, dass diese Schädigungen erworben sind und nicht unbedingt in utero während des ersten Drittels der Schwangerschaft auftreten. Da Schädigungen der weißen Substanz bei Frühgeborenen häufig mit Entwicklungsverzögerungen einhergehen, sind weitere Studien notwendig, um die multifokalen Veränderungen der weißen Substanz bei reifen Neugeborenen mit Enzephalopathie und Entwicklungsverzögerung aufzuzeigen.

Literatur

  • 1 Born M, Scheef L, Boecker H. et al . Erfahrungen mit der MRT des Hirns bei Frühgeborenen – Hinweise auf Schädigung der weißen Substanz in T2- und Diffusionswichtung bei 3 Tesla.  Klin Padiatr. 2010;  222 443-448
  • 2 Graham EM, Holcroft CJ, Rai KK. et al . Neonatal cerebral white matter injury in preterm infants is associated with culture positive infections and only rarely with metabolic acidosis.  Am J Obstet Gynecol. 2004;  191 1305e10
  • 3 Kilian AK, Büsing K-A, Schuetz E-M. et al . Fetal MR lung volumetry in congenital diaphragmatic hernia (CDH): Prediction of clinical outcome and the need for extracorporal membrane oxygenation (ECMO).  Klin Padiatr. 2009;  221 295-301
  • 4 Kuban KCK. White-matter disease of prematurity, periventricular leukomalacia, and ischemic lesions.  Dev Med Child Neurol. 1998;  40 571-573
  • 5 Nayara A, Lessa I, Ribeiro S. et al . Brain white matter lesions correlated to newborns death and lethality.  Rev Bras Saude Mater Infant. 2006;  6 231-238
  • 6 Olivier P, Fontaine RH, Loron G. et al . Melatonin promotes oligodendroglial, maturation of injured white matter in neonatal rats.  PLoS ONE 2009; 
  • 7 Padilla-Gomes NF, Enriquez G, Acosta-Rojas R. et al . Prevalence of neonatal ultrasound brain lesions in premature infants with and without intrauterine growth restriction.  Acta Paediatr. 2007;  96 1582-1587
  • 8 Schober ME, McKnight RA, Yu X. et al . Intrauterine growth restriction due to uteroplacental insufficiency decreased white matter and altered NMDAR subunit composition in juvenile rat hippocampi.  Am J Physiol. 2009;  296 R681-R692

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Wolfgang Reith

Klinik für Diagnostische

und Interventionelle

Neuroradiologie

Universitätsklinikum des

Saarlandes

66421 Homburg/Saar

Email: wolfgangreith@web.de

    >