Aktuelle Neurologie 2010; 37(10): 491-492
DOI: 10.1055/s-0030-1266015
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Editorial

H.  Reichmann1
  • 1Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden
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Publication Date:
21 January 2011 (online)

Prof. Dr. Heinz Reichmann

Das Anliegen der Herausgeber der Aktuellen Neurologie zusammen mit dem Thieme Verlag ist es, unseren Lesen stets in prägnanter Form Informationen zu neuen Entwicklungen in der Neurologie zu vermitteln. Darüber hinaus dient die Aktuelle Neurologie als Organ der Deutschen Gesellschaft der Neurologie, sodass wir stets bemüht sind, wichtige fachpolitische Ereignisse in der Aktuellen Neurologie zu kommentieren. Im vorliegenden Heft wird von Diener und Kollegen ausführlich noch einmal der aktuelle Stand der Sekundärprävention nach transitorisch ischämischer Attacke und ischämischem Insult mittels Thrombozytenfunktionshemmern dargestellt. Diese Therapieeinleitung ist eine der Hauptaufgaben der behandelnden Ärzte neurologischer Stroke Units und für den niedergelassenen Neurologen ebenfalls von höchster Relevanz, da ja immer wieder geklärt werden muss, ob und wie die Sekundärprävention fortgesetzt werden soll. Zu Recht weisen die Autoren darauf hin, dass nach einer transitorisch ischämischen Attacke ein Insult droht und dass diese Gefahr mittels Thrombozytenfunktionshemmern reduziert werden kann. Während bezüglich der Indikation von ASS keinerlei Zweifel bestehen, ist die Entscheidung für eine Kombinationstherapie von ASS mit Clopidogrel oder Dipyridamol weitaus schwieriger, sodass gerade hier der vorliegende Artikel die Diskussion moderner Schlaganfallstudien wiedergibt.

Aus meiner Sicht wird von den meisten Neurologen die Wichtigkeit des autonomen Nervensystems unterschätzt, da in unserem Fokus doch mehr das Zentralnervensystem steht. Interessant ist diesbezüglich, dass die Anzahl an Neuronen im autonomen Nervensystem mindestens so hoch ist wie die im zentralen Nervensystem. Politisch zu beklagen ist, dass die komplexe Schmerztherapie an vielen Standorten mehr zur anästhesiologischen als zur neurologischen Fachrichtung driftet und deswegen ist es außerordentlich erfreulich, dass in der Arbeit von Block und Gabriel die multimodale Schmerztherapie in der Neurologie kritisch gewürdigt wird. Die Autoren diskutieren ihre Erfahrungen aus den Jahren 2006–2008 bei Patienten mit Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule, Kopfschmerzen, neuropathischen und anderen chronifizierten Schmerzen und weisen mit Recht darauf hin, das die Mehrzahl der Patienten erst durch die Kombination aus medikamentöser und nicht medikamentöser Therapie profitierten.

Zwei ausführliche Arbeiten widmen sich einer der Lieblingserkrankungen der Neurologen, nämlich der Myasthenia gravis (und dem Lambert-Eaton-Syndrom). Hier werden die medikamentöse Immunsuppression, die intravenöse Gabe von Immunglobulinen und die Plasmaaustauschverfahren kritisch gewürdigt. Durch die Entdeckung des Azathioprin durch Mertens in Würzburg und der Azethylcholinrezeptorantikörper durch Toyka in Baltimore ist diese Erkrankung auch mit 2 herausragenden Persönlichkeiten der Deutschen Neurologie verknüpft. Die Myasthenia gravis war die erste pathomechanistisch verstandene Immunerkrankung und beschäftigt uns Neurologen bezüglich der Differenzialdiagnose und Differenzialtherapie. Gerade in den letzten Jahren haben sich auf dem immunsuppressiven Sektor neue Möglichkeiten mit Einsatz von Mycophenolat Mofetil und Rituximab neben den bereits bekannten Immunsuppressiva Methotrexat, Cyclophosphamid, Cyclosporin neben dem Azathioprin eröffnet. Somit ist es außerordentlich dienlich, dass die erste Arbeit von Henze und Kollegen die Wertigkeit dieser Immunsuppressiva kritisch würdigt. Nach der klassischen Kortikosteroid / Azathioprin-Initialtherapie sollte ein Stufenschema angewandt werden, das letztendes in der Applikation von Rituximab oder einer Immunablation enden kann. Schwierig ist auch die Frage, ob wir in der myasthenen Krise intravenöse Immunglobuline, Immunabsorption oder Plasmaaustauschverfahren anwenden sollten. Diese wichtige Fragestellung wird in einer zweiten Publikation von Henze und Kollegen kritisch gewürdigt. Beide Arbeiten sind aus der Feder des Ärztlichen Beirates der Myasthenie-Gesellschaft entstanden und bringen den Leser auf den neuesten Stand.

Die Neuroophthalmologie ist ein intellektuell anspruchsvolles Gebiet der Neurologie. Dementsprechend gibt es in anglosächsischen Ländern den kombinierten Facharzt aus Neurologie und Neuroophthalmologie. In sehr einprägsamer Weise haben Strupp und Kollegen Störungen der zentralen Okulomotorik und die Nystagmusformen zusammengetragen und sie in klarer und einprägsamer Weise in ihrer Arbeit diskutiert. Faszinierend ist, über die klinische Untersuchung des Patienten zur Vorhersage anatomischer Strukturläsionen zu gelangen, so z. B. auf eine Störung des Fasciculus longitudinalis medialis oder bei einem rein vertikalen Blickrichtungsnystagmus auf eine mesenzephale Läsion im Bereich des Nucleus Cajal. Des Weiteren kann bei einem Downbeatnystagmus eine beidseitige Läsion des Flokkulus angenommen werden und so gelingt es den Autoren, weitere allgemein gültige Grundsätze der Neuroophthalmologie hervorragend zu erklären.

Das vorliegende Heft wird durch einen Fallbericht zum zerebralen Hyperperfusionssyndrom abgerundet.

Dem politischen Anspruch der Aktuellen Neurologie wird die Arbeit von Wolz und Hillienhof gerecht, die eine Möglichkeit aufweist, wie wir den dringlich notwendigen Nachwuchs für neurologische Kliniken und neurologische Praxen gewinnen können. Die Idee der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, den sog. „Dein Tag in der Neurologie” einzurichten, wurde bereits von vielen Kollegen aufgenommen und z. B. von den Kollegen Engelhardt in Oldenburg oder Gahn aus Karlsruhe als außerordentlich gelungen bezeichnet. Hier eröffnet sich eine hervorragende Möglichkeit, an nichtuniversitären Standorten für neurologische Kliniken Begeisterung bei Studenten zu wecken und somit den Nachwuchs für die eigene Klinik und spätere Fachärzte zur ambulanten Versorgung zu rekrutieren. Gerade hier ist die Deutsche Gesellschaft für Neurologie jederzeit gerne bereit, Hilfestellung zu leisten.

Ich wünsche somit allen Lesern eine gewinnbringende Zeit beim Studium dieser aktuellen Ausgabe unserer Zeitschrift „Aktuelle Neurologie”.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Prof. Dr. H. Reichmann

Prof. Dr. med. Heinz Reichmann

Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden

Fetscherstr. 74

01307 Dresden

Email: Heinz.Reichmann@uniklinikum-dresden.de

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