intensiv 2010; 18(5): 232-237
DOI: 10.1055/s-0030-1264125
Schwerpunkt: Arbeitsorganisation
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wie durch die elektronische Patientenakte ökonomische Sachzwänge in die Intensivmedizin übertragen werden

Alexandra Manzei
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Publication Date:
31 August 2010 (online)

Einleitung

Seit Anfang der 1990er Jahre ist das Gesundheitswesen in Deutschland einem tiefgreifenden Wandel unterzogen. Hier kommen verschiedene Transformationsprozesse zusammen, die sich wechselseitig beeinflussen und die Arbeit der Pflege insbesondere in hochtechnisierten Bereichen, wie der Intensivmedizin, grundlegend verändern. Ich möchte im Folgenden zeigen, wie diese Prozesse – die Ökonomisierung des Gesundheitswesens, die Standardisierung medizinischen und pflegerischen Wissens und die Computerisierung bzw. Digitalisierung der Intensivmedizin – im pflegerischen Alltag zusammenwirken und sich in ihren Auswirkungen wechselseitig verstärken. Ein besonderes Augenmerk werde ich dabei auf die neuen betrieblichen Steuerungsformen richten, mit deren Hilfe der von der Gesundheitspolitik intendierte Umbau der Krankenhäuser zu gewinnorientierten Wirtschaftsunternehmen vollzogen werden soll. Ziel meiner Ausführungen ist zu zeigen, dass es durch die digitale Vernetzung der Intensivmedizin mit dem Management und anderen Bereichen des Krankenhauses zu einer doppelten Nutzung der elektronischen Patientendokumentation kommt: Standardisierte Daten über den Patienten werden nicht nur zu medizinischen Zwecken verwendet, sondern auch zu Abrechnungs- und Personalplanungszwecken genutzt. Für das pflegerische und ärztliche Personal, das diese Daten erheben muss, entsteht dadurch ein ethischer Konflikt.

Für meine Ausführungen stütze ich mich auf eine ethnografische Studie, die ich von 2005 bis 2007 in der universitären Intensivmedizin durchgeführt habe. Ziel der Studie war es, die Bedeutung von Wissen und Technik in der Intensivmedizin zu untersuchen. Jeweils zwei Monate lang habe ich teilnehmende Beobachtung auf einer internistischen und einer chirurgischen Intensivstation durchgeführt sowie verschiedene Experteninterviews und Gruppengespräche mit medizinischen und pflegerischem Personal, mit Patienten, Angehörigen, Technikern, aber auch mit relevanten Akteuren außerhalb der Intensivstation, wie der Verwaltung, der Pflegedienstleitung und dem Controlling sowie nicht zuletzt mit verschiedenen Anbietern von Medizintechnik (vgl. [[1]], [[2]]).

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Prof. Dr. Alexandra Manzei

Technische Universität Darmstadt

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