Balint Journal 2010; 11(4): 120-124
DOI: 10.1055/s-0030-1262662
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

Das Arzt-Patient-Gespräch aus Sicht der Patientin – „Alle sind weg!“

Doctor-Patient-Communication the Patient’s Point of View – “They are All Gone”R. Obliers, A. Koerfer, B. Kretschmer, K. Köhle
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
07. Dezember 2010 (online)

Zusammenfassung

Wie wirkt das Arzt-Patientin-Gespräch aus der subjektiven Sicht der Patientin? Zur Klärung dieser Frage wurde der Patientin Julia die videografierte Aufzeichnung ihres Gespräches mit dem Arzt präsentiert und ihre gesprächsbegleitenden subjektiven Wahrnehmungen und Verständniskonzepte mithilfe der Heidelberger Struktur-Lege-Technik (SLT) rekonstruiert. Das Ergebnis zeigt das gewachsene patientenseitige Verständnis der eigenen Symptomatik samt ihrer biografischen Hintergründe. Im Verlauf des knapp 8-minütigen Ausgangsgespräches gelingt der konzeptuelle Transfer ihrer anfänglich eher somatisch präsentierten Übelkeit- und Kopfschmerz-Symptome in die Erkenntnis einer für sie bedrückenden, symptomassoziierten Sozialsituation, die eine basale Verlustangst aktiviert. 

Abstract

How is the impression of a doctor-patient-communication viewed subjectively from the patient’s point of view? In order to clarify this question a videographed recording from the discourse with her physician was presented to the patient Julia. Here subjective perception and concepts of comprehension during the conversation were expressed and reconstructed by the Heidelberg Structure-Formation-Technique (SFT). The results reveal the patient’s increased understanding in her own symptoms including her biographical background. During a short discourse (< 8 minutes) a successful conceptual transfer from the patient’s somatized symptoms (nausea and headache) is possible, leading to the realisation of a symptom-associated social situation combined with a fundamental fear of loss. 

Literatur

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1 Im Bewusstsein der Begrenzungen dieser retrospektiven Vorgehensweise – Gedächtnisverzerrungen, nicht alles „im Kopf“ ist bewusstseinsfähig und verbalisierbar, usw. – gilt andererseits zu bedenken, dass ein „on-line-Mitschnitt“ des gesprächsbegleitenden Denkens und Erlebens der Patientin während des Arzt-Patient-Gespräches methodisch kaum möglich wäre und sich so ein retrospektiver methodischer Zugriff erzwingt [5, S. 269 ff.].

Prof. Dr. phil. R. Obliers

Uniklinik Köln · Klinik und Poliklinik für Psychosomatik u. -therapie

Kerpenerstr. 62

50937 Köln

eMail: rainer.obliers@uk-koeln.de

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