ergopraxis 2008; 01(3/04): 20
DOI: 10.1055/s-0030-1261800
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Wissenschaft erklärt: Gütekriterien – Ach, du meine Güte!

Simone Gritsch
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Publication Date:
09 July 2010 (online)

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Jede Ergotherapeutin kennt ihn, den undurchsichtigen Dschungel von Tests und Assessments. Für scheinbar jede Gelegenheit gibt es ein Formular. Aber welches ist das richtige und beste für Ihren Patienten? Auf dieser Seite erfahren Sie, was die Qualität von Tests mit Gütekriterien zu tun hat.

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Simone Gritsch, bc (NL), ist seit 2004 Ergotherapeutin und hat 2005 in Heerlen ihr Studium beendet. Seit Januar 2008 arbeitet sie in der Redaktion von ergopraxis.

Ergotherapeuten nutzen Beobachtungen, Tests und Assessments, um kontinuierlich Informationen über ihren Patienten zu sammeln. Diese Daten ermöglichen es ihnen, während des gesamten ergotherapeutischen Prozesses die Behandlung zu planen, durchzuführen, Patienten anzuleiten, Angehörige zu beraten und über die eigene Arbeit zu reflektieren. An Formularen mangelt es nicht. Aber welcher Bogen entspricht auch den qualitativen Anforderungen? Ob ein Test gut ist, hängt von verschiedenen Kriterien ab – den sogenannten Gütekriterien.

Hauptgütekriterien: Qualität der Wissenschaft

Möchten Ergotherapeuten einen Test auf seine Qualität hin beurteilen, benötigen sie eine Vorstellung davon, welche Kriterien einen „guten” Test auszeichnen. Die Literatur spricht von Testgütekriterien oder Gütekriterien [1, 2, 3, 4, 5]. Klassischerweise nennt sie drei: Objektivität, Reliabilität und Validität. Aus wissenschaftlicher Sicht muss jeder Test ein Mindestmaß dieser drei Hauptgütekriterien erfüllen.

Reliabilität für die Zuverlässigkeit

Die Reliabilität (= Zuverlässigkeit) eines Messinstruments bezieht sich auf die Konstanz der Werte unter verschiedenen Bedingungen. Das können unterschiedliche Bewerter (= Interrater-Reliabilität) oder verschiedene Zeitpunkte (= Test-Retest-Reliabilität) sein [7]. Mit Reliabilität ist also das Ausmaß gemeint, wie genau der Test ein bestimmtes Merkmal misst. Um eine Aussage über die Reliabilität machen zu können, ist es in der Forschung üblich, eine Test-Wiederholung (= Re-Test) mit denselben Probanden durchzuführen, im Regelfall mindestens zweimal. Die Beziehung zwischen dem ersten und zweiten Test gibt das Ausmaß der Test-Retest-Reliabilität an. Ein Test ist also reliabel, wenn wiederholte Messungen zu den gleichen Ergebnissen führen [8].

Validität – Diva unter den Gütekriterien

Manfred Amelang, Wissenschaftler für Testdiagnostik, beschreibt Validität als das wichtigste Gütekriterium. Selbst der Objektivität und Reliabilität kommt seiner Meinung nach lediglich die Rolle zu, günstige Voraussetzungen für das Erreichen einer hohen Validität zu schaffen [6]. Validität entstammt der psychologischen Diagnostik und ist von allen Gütekriterien am schwierigsten zu überprüfen. Übersetzt bedeutet sie „Gültigkeit”. Sie beschreibt die Genauigkeit, mit der ein Test das misst, was er zu messen angibt. Erfassen die Testergebnisse also tatsächlich das Merkmal, das durch die Untersuchung bestimmt werden soll, oder womöglich etwas ganz anderes?

Objektivität als Voraussetzung

Das Gütekriterium Objektivität liefert die Voraussetzung für Reliabilität und Validität. Ein Test ist dann objektiv, wenn seine Ergebnisse unabhängig vom Untersucher sind. Das heißt, wenn verschiedene Untersucher bei der Messung zu denselben Ergebnissen kommen [8]. Je nachdem, in welcher Testphase Objektivität geprüft wird, unterscheidet man verschiedene Formen [4]: Durchführungs-, Auswertungs- und Interpretationsobjektivität.

Nebengütekriterien: Qualität der Praxis

Nebengütekriterien betreffen die praktische Durchführung. Assessments sollen inhaltlich den Bedarf der Praxis decken, relevant für die Patienten sein und sich innerhalb kurzer Zeit durchführen lassen. Wichtig ist, dass sie im Hinblick auf Kosten und Schulungsaufwand praktikabel sind. Die Therapeutin, die einen Test durchführt, muss ihn genau kennen. Um die Ergebnisse richtig interpretieren zu können, führt sie den Test gemäß seinen Anweisungen durch. Ergotherapeuten haben oft das Bedürfnis, Tests zu verändern, um sie besser auf ihre Bedürfnisse abzustimmen. Wichtig aber ist, dass standardisierte Tests nicht verändert werden, sonst können die Ergebnisse nicht mehr interpretiert und verglichen werden. Ergänzungen sind möglich, sollten jedoch als zusätzliche Befunde erfasst werden.

Tests und Assessments sind also wichtige Werkzeuge und Grundlagen in der Ergotherapie. Erfüllt allerdings ein Test die Gütekriterien nicht, ist Vorsicht geboten. Denn: Vor allem die ergotherapeutischen Tests sind noch ungenügend untersucht. Therapeuten dürfen deren Resultate dann nur sehr zurückhaltend interpretieren.

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