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DOI: 10.1055/s-0030-1257636
Wege aus der Infektanfälligkeit: Mikrobiologische Therapie im Kindesalter
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Publication History
Publication Date:
20 July 2011 (online)
- Antibiotika meist nicht sinnvoll
- Das kindliche Immunsystem
- „Einmal krank, immer krank?“ – Behandlung der chronischen Infektanfälligkeit im Kindesalter
- Vorsorgen ist besser als Heilen
- Ein Fall aus der Praxis
- Literatur
Zusammenfassung
Infektanfällige Kinder werden häufig antibiotisch behandelt, trotzdem belegt ist, dass dies nicht immer notwendig ist und u. U. sogar schaden kann. Antibiotika töten bekanntermaßen nicht nur Krankheitserreger, sondern schädigen auch die schützende Mikroflora der Schleimhäute. Eine mikrobiologische Therapie kann infektanfälligen Kindern helfen, die Mikroflora wieder aufzubauen und so besser gegen schädigende Keime gewappnet zu sein. Ein Fall aus der Praxis zeigt die möglichen Erfolge dieser Therapie.
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Abstract
Children who are susceptible to infection are often treated with antibiotic therapy, although it is proven, that this is not always necessary and can even harm the individual. Antibiotics not only kill pathogens, but also injure the protective microflora of the mucous membranes. A microbiological therapy can help children, who are susceptible to infection to re-establish the microflora, and be better prepared to repel damaging germs. A case report shows the potential achievements of this therapy.
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Peter W. Gündling ist Facharzt für Allgemeinmedizin mit den Zusatzbezeichnungen Naturheilverfahren, Med. Balneologie und Klimatologie, Chirotherapie, Akupunktur, Ernährungsmedizin; seit 1988 in eigener Praxis niedergelassen. Seit 2006 Professor für Naturheilkunde und komplementäre Medizin an der Hochschule Fresenius in Idstein, wo er als Studiendekan ein neues Masterstudium zur Naturheilkunde und komplementären Medizin für Ärzte entwickelte.
Verfügte der menschliche Organismus nicht über die Möglichkeit der Selbstheilung, sähe es schlecht um den Fortbestand der Menschheit aus! Insbesondere Kinder geben das beste Beispiel dafür, dass es bei Infekten manches Mal sinnvoller ist, abzuwarten, als sofort mit einer Medikamentengabe zu reagieren. Die Spontanheilungsquote bei unkompliziert verlaufenden Infektionen ist bei ihnen wesentlich höher als bei Erwachsenen. Zur Behandlung unkomplizierter Infekte genügen oft Ausspannen, eine vitaminreiche Kost und vermehrte Flüssigkeitszufuhr sowie Wasseranwendungen an den gereizten Schleimhäuten (z. B. Inhalationen, Hals- oder Brustwickel).
Am Beispiel der HNO-Infektionserkrankungen wird dieses besonders deutlich: Die immunologische Auseinandersetzung des kindlichen Organismus mit den unterschiedlichsten Mikroorganismen an der jeweiligen Eintrittsstelle in den Körper ist ein normaler Vorgang in der belebten Natur. Jede Art von Lebewesen will und muss sich und seine Art am Leben erhalten. Mikroorganismen benötigen i. d. R einen Wirt, um dieses zu bewerkstelligen. Dieser Wirt muss sich daher wappnen und Regulationsmöglichkeiten schaffen, um in dieser Auseinandersetzung nicht selbst Schaden zu nehmen.
Antibiotika meist nicht sinnvoll
Deutschland verbraucht in der Humanmedizin jährlich etwa 250 bis 300 Tonnen Antibiotika. Einen großen Teil davon bekommen Kinder. Kommt ein Kind mit einer akuten Atemwegsinfektion zum Arzt, wird ihm häufig ein Antibiotikum verordnet, nicht selten gleich ein Breitspektrumpräparat. Dies geschieht insbesondere dann, wenn der kleine Patient Fieber hat. Obgleich aus langjährigen epidemiologischen Studien bekannt ist, dass über 90 % der unkomplizierten Atemwegsinfektionen viraler Genese sind, und damit Antibiotika nicht nur unwirksam und damit kontraindiziert, sondern auch schädlich sind, werden sie noch immer zuhauf verordnet. Dadurch wird nicht nur versäumt, den Ursachen der Infektanfälligkeit nachzuspüren, sondern es werden auch Folgeinfekte begünstigt [Abb. 1].
Eine Metaanalyse ergab, dass die frühzeitige Verschreibung von Antibiotika zur Behandlung einer akuten Otitis media bei Kindern nur geringe Vorteile bringt. Um ein Kind mehr am 2.–7. Tag nach Beginn der Behandlung schmerz- und fieberfrei zu halten, müssen 17 Kinder antibiotisch behandelt werden [3]. Dahinter verbirgt sich der Umstand, dass Antibiotika (anti bios = gegen das Leben) nicht nur Krankheitserreger abtöten, sondern auch die schützende Mikroflora an den Schleimhäuten beeinträchtigen.
Die Behandlung mit Antibiotika verändert die Anzahl von etwa ⅓ aller Darmbakterien. Zwar erholen sich die meisten Bakterienarten nach Abschluss der Therapie innerhalb von 4 Wochen, bei einigen Arten ist jedoch auch nach 6 Monaten noch nicht wieder der Ausgangszustand erreicht. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler um Mitchell Sogin vom Marine Biological Laboratory in Woods Hole (USA), nachdem sie eine neue, besonders genaue genetische Analysemethode verwendet haben. Die veränderte Zusammensetzung der Darmbakterien nach Antibiose könnte die Gesundheit in bisher noch unbekannter Weise über lange Zeit hinweg beeinflussen (!), berichten die Forscher [6].
Studien der Universität Köln zeigten am Tiermodell, dass Antibiotika in der Lage sind, die Schleimhautflora nachhaltig zu beeinträchtigen. Darüber hinaus wirken sie auch immunsuppressiv. Nach Antibiotikagabe war die Proliferation von Milzlymphozyten deutlich herabgesetzt, die IgM- und IgG-Sekretion stark eingeschränkt und die Aktivität der Phagozyten gehemmt. Durch die Gabe definierter Bakterien bzw. bakterieller Bestandteile (Propionibacterium avidum KP-40) konnte die Immunsuppression wieder aufgehoben werden [2].
Viele Patienten klagen nach Antibiotikagabe zudem über Verdauungsstörungen, da diese Medikamente nachhaltig in die Ökologie des Darms eingreifen. Einige zerstören darüber hinaus die epithelialen Haftkomplexe (syn. Tight junctions) [12], [13]. Sollte eine eindeutige bakterielle Infektion den Einsatz von Antibiotika erforderlich machen, dann ist nach heutigem Wissensstand eine Wiederherstellung der intestinalen Ökologie unbedingt erforderlich. Dazu eignen sich Präparate mit H2O2-bildendenden Milchsäurebakterien, möglichst ohne Zusätze von Laktose.
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Das kindliche Immunsystem
Mit einer geeigneten immunologischen „Grundausstattung“, dem innaten Immunsystem, ist das Neugeborene relativ gut vor banalen Infekten geschützt. Wird es dann noch von seiner Mutter gestillt, erhält es mit der Nahrung auch schützende Antikörper der Klasse A. Mit dem Ausklingen der sog. Stillen Feiung muss jedes Kind innerhalb der ersten Lebensjahre lernen, spezifische Antikörper gegen Fremdstoffe zu entwickeln (erworbenes Immunsystem). Dieses ist v. a. in den verschiedenen Schleimhautabschnitten lokalisiert (Mukosa-Immunsystem, MIS), dem Ort der ersten Kontaktaufnahme mit Mikroorganismen [13].
So betrachtet stellen also die Infektionserkrankungen eine sinnvolle Herausforderung für das heranwachsende Kind dar, um am Ende für das weitere Leben gewappnet zu sein. Unterdrückt man diese Vorgänge durch den Einsatz von fiebersenkenden und antimikrobiell wirkenden Substanzen, läuft man Gefahr, dass die notwendigen Immunisierungsvorgänge nicht oder nur unvollständig ablaufen können und mehr Schaden als Nutzen eintritt. Unterstützt man dagegen diese Prozesse mit den Möglichkeiten der Naturheilkunde, z. B. mit pflanzlichen Wirkstoffen und/oder Mikrobiota (syn. Probiotika), geht das Kind gestärkt und immunisiert aus den Infekten heraus. Im Einzelfall muss die individuelle Reaktionsmöglichkeit eines Kindes selbstverständlich berücksichtigt werden.
Tritt Fieber (Temperaturen oberhalb 38 °C) im Zusammenhang mit Infektionen auf, ist das als günstiges Zeichen zu werten. Auf diese Weise wird nicht nur das Zusammenspiel der unterschiedlichen Abwehrzellen aktiviert bzw. unterstützt, sondern es kommt auch zu einer intensiveren Durchblutung des infizierten Gewebes. Gleichzeitig wird der Lymphabfluss aus dem entsprechenden Areal intensiviert. Hieran sind v. a. die Mastzellen beteiligt, die vermehrt Histamin freisetzen. Solche Infektionsverläufe benötigen deutlich weniger Zeit, bis sie wieder abklingen. Im Einzelfall lässt sich Fieber sogar durch die Anwendung von feuchtwarmen oder auch kalten Wickeln, die zu einer reaktiven Wärmeproduktion und einem anschließenden Wärmestau führen, auslösen bzw. verstärken.
Ohne Fieber keine Heilung.
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„Einmal krank, immer krank?“ – Behandlung der chronischen Infektanfälligkeit im Kindesalter
Bei einer nicht geringen Anzahl von Kindern verlaufen Infekte aber untypisch. Ein Infekt folgt dem anderen, Fieber ist eher die Ausnahme. Phasen der Erholung sind selten. Die verschiedenen Schleimhautabschnitte sind dauerhaft gereizt, die regionären Lymphknoten vergrößert und das nicht nur in der kalten und nassen Jahreszeit. Nun sind andere Behandlungsstrategien gefragt.
Zuvor sollten jedoch diagnostische Schritte unternommen werden, um den Ursachen der Infektanfälligkeit auf den Grund zu gehen. Infrage kommen Immundefekte (z. B. Antikörpermangelsyndrom, allergische Diathese).
Mikrobiologische Therapie
Ein medizinisches Probiotikum ist eine mikrobielle Präparation, die lebende und/oder nicht lebende Mikroorganismen und/oder deren Bestandteile und Produkte enthält und zur Anwendung als Arzneimittel bestimmt ist. Ihre Wirkung beruht v. a. auf einer Verbesserung der Abwehrleistungen des Organismus.
Zum Einsatz kommen:
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immunmodulierende Mikroorganismen
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Schutzflora
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Autovakzine
Beobachtungen an sog. „Steriltieren“ aus den 1960er-Jahren führten zu der Erkenntnis, dass Mikroorganismen für die Entwicklung immunologischer Kompetenz unverzichtbar sind [7], [8].
Ohne Mikroben kein Immunsystem!
Ausgehend von dieser wegweisenden Erkenntnis hat der Arbeitskreis für Mikrobiologische Therapie (AMT) bereits ebenfalls in den 1960er-Jahren ein Behandlungsschema erstellt, das vorzugsweise bei gastrointestinalen Erkrankungen, aber auch bei akuten und chronisch-entzündlichen Prozessen sowie bei der allergischen Reaktion angewendet werden kann. Grundlage dieser Therapieempfehlungen sind die Erkenntnisse bez. der Aufgaben v. a. intestinaler Mikroorganismen. Diese können in 5 Gruppen eingeteilt werden:
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Wirkung über eine Milieubeeinflussung durch große Mengen an zugeführten Mikroben (v. a. Milchsäurebakterien),
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Ernährung der Oberflächenepithelien, z. B. Enterozyten durch bakterielle Stoffwechselprodukte,
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unspezifische Immunwirkung auf Phagozyten und das Komplementsystem,
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spezifische Immunwirkung auf das B- und T-Zellsystem (E. coli, Enterokokken),
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spezifische Wirkung auf das Immunsystem in Anlehnung an das Impfprinzip (opportunistische Bakterien).
Diese vielfältigen Aufgaben machen deutlich, dass in ein therapeutisches Konzept für chronisch infektanfällige Kinder die Mikrobiologische Therapie mit eingewoben werden muss, da diese Kinder ansonsten weiteren Krankheitsrisiken ausgesetzt sind.
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Das Mukosa-Immunsystem
Das den Menschen durchziehende Schleimhautrohr ist durch eine auffällige Dichte an lymphatischen Strukturen gekennzeichnet. Dieses Mukosa-Immunsystem (MIS) macht beispielsweise 25 % der Darmschleimhaut aus. Dabei handelt es sich um die sog. M-Zellen = mikrogefaltete Zellen, Plasmazellen, Lymphozyten, Peyer-Plaques, Mesenteriallymphknoten. Jeder Meter Darm beherbergt ca. 1010 Lymphozyten. Unter Mitwirkung dieser Zellsysteme wird die Schleimhaut einerseits zu einer wirksamen Grenzfläche ausgestaltet, andererseits werden aber auch der Nährstofftransport (Toleranz) und Immunreaktionen ermöglicht und kontrolliert. Die Existenz eines Schleimhaut-assoziierten Immunsystems wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts verbreitet und durch Tomasi, Bienenstock und Cebra in den 1970er-Jahren bestätigt. Es besteht darüber hinaus eine enge Vernetzung mit dem systemischen Abwehrsystem und den immunassoziierten Elementen der Haut (SALT = Skin-Associated Lymphoid-Tissue) [Abb. 2].
Der Informationsaustausch erfolgt über eine Freisetzung von Zytokinen aus humanen Immunzellen. Dabei zeigen verschieden Bakterien der Protektiv- und Immunflora unterschiedliche Reaktionsprofile, gemessen an der Expression von CD 69-Rezeptoren humaner Immunzellen. So aktivieren Bifidobakterien und Laktobazillen Natürliche-Killer-Zellen (NK-Zellen), während Enterococcus faecalis und E. coli außerdem CD 4-T-Zellen, CD 8-T-Zellen und B-Zellen beeinflussen. (CD = cluster of differentiation. Differenzierung spezifischer Proteine an der Zelloberfläche mittels monoklonaler Antiköper) [Abb. 3].
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Die Behandlung mit Bakterien der Immunflora
Hierbei kommen v. a. apathogene Enterococcus faecalis und Escherichia coli zum Tragen. Für die Anwendung von Enterococcus faecalis bei chronisch-rezidivierenden Infekten der oberen Luftwege liegen evidenzbasierte Studien vor [9]. Die klinischen Erfahrungen im Umgang mit diesen Bakterienpräparaten reichen jedoch weiter. So können akute und chronisch-rezidivierende Infektionen der Schleimhäute des HNO-, Bronchial-, Magen-Darm- und Urogenitaltrakts erfolgreich behandelt werden.
Die Wirkung beruht hierbei auf dem Kontakt von Bakterienoberflächen mit der Schleimhaut und ihren Immunkontaktstellen (Tonsillen, Waldeyer’scher Rachenring,) und bei der perkutanen Anwendung von Autovakzinen über die Langerhans-Zellen der Haut.
1. Enterococcus faecalis
Untersuchungen haben gezeigt, dass grampositive Keime wie Enterococcus faecalis v. a. eine Reaktivität der Immunwege im humoralen Bereich (B-Zellen) hervorbringen [Abb. 4]. In Versuchsreihen konnte die regulative Wirkung auf die Synthese und Sekretion von sekretorischem Immunglobulin A (sIgA) dokumentiert werden. Unter der Einwirkung von Enterococcus faecalis regulieren monozytäre Zellen mithilfe von Interleukinen (IL-1, IL-4, IL-6) sowie T-Helferzellen die Ausreifung von ruhenden B-Zellen in Plasmazellen.
Anwendung: Suspensionen mit Enterococcus faecalis finden als Monotherapie bei allen chronischen und chronisch-rezidivierenden Infekten des HNO-Trakts und bei akuten Erkältungen Anwendung. Die Tropfen können stündlich eingenommen und zum Gurgeln benutzt oder als Nasentropfen unter Verwendung eines in der Apotheke erhältlichen Sprühaufsatzes angewendet werden.
Wird eine Stärkung der Schleimhautbarriere bei erhöhter Infektanfälligkeit angestrebt oder eine Rezidivprophylaxe nach Antibiotikatherapie, v. a. bei Kindern, dann genügt es, die Tropfen 2 × täglich über 3 Monate hinweg einzunehmen. Eine Auffrischbehandlung vor den Wintermonaten hat sich bewährt. Dieses Produkt wird auch in einen bewährten Therapieplan des AMT mit einbezogen [Tab. 1], [Tab. 2].
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2. Escherichia coli
Bei dieser Spezies verbergen sich neben opportunistischen, krankheitsauslösenden Formen (enteropathogene und enterohämorrhagische E. coli) auch Repräsentanten, die in besonderem Maße immunmodulierend wirken und apathogen sind. Im menschlichen Darm findet man Colibakterien in einer Größenordnung von 105–107 pro Gramm Faeces (0,0001–0,001 % der Gesamtflora). Ihre besondere Bedeutung beruht in der Aktivierung humaner Immunzellen (Natürliche Killer-Zellen, Makrophagen, CD 4-T-, CD 8-T-, B-Zellen, [Abb. 5]). Dafür verantwortlich zeichnet vor allen Dingen das Lipid A als Bestandteil der Lipopolysaccharide (LPS). Dies sind antigene Strukturen in der Kapsel des Bakteriums. [Abb. 6]. Untersuchungen haben gezeigt, dass mit den Oberflächenstrukturen das Immunsystem auf der zellulären Seite angesprochen wird. Regulative Mechanismen im Bereich der T-Zellen werden in der Literatur beschrieben.
Vor allem bei Coli-Autovakzinen wurden signifikante Interleukinveränderungen gezeigt, die im Einklang mit den klinischen Befunden stehen [10], [14], [15].
[Abbildung 5] zeigt die Wandstrukturen von Enterobakterien. Durch immunologische Einflussnahme des Wirts verändern Mikroorganismen stetig ihre äußeren Wandstrukturen und versuchen auf diese Weise, sich ihrer Eliminierung zu entziehen. In diesem wechselseitigen Lernprozess liegt wahrscheinlich die eigentliche Bedeutung einer Schleimhautbesiedlung mit Mikroorganismen (Immuntraining).
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Vorsorgen ist besser als Heilen
Die Perinatalperiode, also die Zeitspanne vor, während und direkt nach der Geburt, stellt für jedes Kind einen ganz besonderen Lebensabschnitt dar. Sie bietet Chancen, kann sich aber auch schicksalhaft auf das Leben eines Menschen auswirken.
Bereits während einer normalen Geburt machen Kinder Bekanntschaft mit Mikroorganismen, denen sie während der Schwangerschaft im Normalfall nicht ausgesetzt sind. Nachdem sich der Muttermund geöffnet hat und die Fruchtblase gesprungen ist, ändern sich die bis zu diesem Zeitpunkt sterilen Verhältnisse, unter denen das Kind während der letzten 9 Monate gelebt hat. Da die Scheide mit einer Vielzahl von Mikroorganismen, d. h. Bakterien überzogen ist, die im Normalfall für den Schutz und die Ernährung der Schleimhaut unabdingbar sind, wird das Kind in den nun folgenden Stunden über seine Haut und Schleimhaut auch mit diesen Mikroorganismen Kontakt aufnehmen müssen. Diese Kleinstlebewesen, die an allen Schleimhautabschnitten und an der Haut des Menschen vorzufinden sind, erfüllen eine ganze Reihe von Aufgaben, ohne die unser Leben nicht möglich wäre. Im gynäkologischen Bereich übernehmen sie die
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Ansäuerung des Scheidenmilieus durch die Umwandlung von Glykogen (Speicherform des Zuckers) in Milchsäure,
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den Schutz vor krankmachenden Bakterien durch Produktion von antibakteriell wirkenden Substanzen,
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die Anregung von Plasmazellen, schützende Eiweiße zu produzieren (z. B. Immunglobulin A).
Für Neugeborene bedeutet die Aufnahme physiologischer mütterlicher Mikroorganismen eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung ihres Mukosa-Immunsystems. Bleibt diese natürliche Besiedlung aus, sind rekurrierende Infekte die Folge, die aber nur selten zur gewünschten Immunität führen. Wenn Schwangere antibiotisch behandelt werden müssen, sollte unbedingt ein vaginaler bakteriologischer Status nach Abschluss der Behandlung durchgeführt werden. Je nach Befundlage können dann sowohl durch lokale als auch orale Gabe von Mikrobiota das Vaginalmilieu sowie die ortsständige Mikroflora wieder in den Normalzustand zurückgeführt werden. Dazu eignen sich besonders H2O2-bildende Laktobazillen. Kinder, die durch Kaiserschnitt geboren werden, können ihre Schleimhautstraße nicht auf die oben beschriebene natürliche Weise mit „guten“ Bakterien besiedeln. Sie sollten direkt nach der Geburt für ca. 4–6 Wochen ebenfalls mit probiotischen Milchsäurebakterien behandelt werden (Bifidobakterium bifidum und B. lactis).
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Ein Fall aus der Praxis
Anamnese: Mitte März 2010 kommt eine Mutter mit ihrem 4-jährigen Sohn in die Sprechstunde und berichtet, dass das Kind seit etwa 6 Monaten im Kindergarten sei und seitdem 6-mal Antibiotika bekommen habe. Anfangs habe das Kind angeblich 2-mal eine Scharlachinfektion gehabt und dann 3-mal eine Mittelohrentzündung. Bei der letzten Otitis, die erst ca. 2 Wochen zurückliege, habe es schließlich 2 verschiedene Antibiotika bekommen (zuletzt Cefurexim), da das erste nicht geholfen habe. Zwar habe der Kinderarzt erklärt, das sei völlig normal, doch die Mutter habe das Gefühl, dass das Kind ständig kränker werde und die bisherige Therapie nicht wirklich helfe. Zudem sei es früher ein guter Esser gewesen und jetzt habe es kaum noch Appetit.
Befund: Bei der Untersuchung wirkt das Kind etwas blass, sonst aber in einem altersgemäß normalen Allgemein- und Ernährungszustand. Das Abdomen ist etwas aufgetrieben und gestaut, die Tonsillen und Halslymphknoten sind vergrößert, Herz und Lunge sind auskultatorisch und perkutorisch unauffällig, die Nierenlager frei.
Das – v. a. zur Beruhigung der Mutter – durchgeführte große Blutbild ist bis auf eine leichte Leukopenie unauffällig, das CRP negativ und der Urin ebenfalls ohne pathologischen Befund.
Therapie; Zunächst erhalten Mutter und Kind einige Hinweise zur gesunden Ernährung wie z. B. Fertiggerichte und Weißmehlprodukte einzuschränken, 4–5 Portionen Obst und Gemüse pro Tag zu verzehren und verstärkt darauf zu achten, dass jeder Bissen möglichst 30-mal gekaut wird.
Zudem soll sich das Kind täglich mindestens 1 Stunde an der frischen Luft bewegen und die Mutter ihm täglich eine kleine Kneipp’sche Wasseranwendung (Wechselarmbad, Wechselfußbad, Wechselarm- oder -schenkelguss oder Wassertreten) verabreichen [5].
Zur medikamentösen Unterstützung bekommt der Junge eine Mikrobiologische Therapie, die zur Vorbehandlung des Darms mit einer feingemahlenen Heilerde (z. B. Luvos® ultra) startet. Von der Heilerde soll 2- bis 3-mal täglich 1 Teelöffel in ein Glas Wasser eingerührt und mit Abstand zum Essen etwa 1 Woche lang eingenommen werden. Anschließend erhält das Kind in der Einleitungsphase ein Probiotikum mit inaktivierten Keimen, hier Prosymbioflor®. Dieses Präparat wird – beginnend mit 3 × 5 Tropfen – täglich um 3 × 1 Tropfen bis auf 3 × 15 Tropfen gesteigert und zum Essen eingenommen. Die Therapie soll bis zum nächsten Termin in etwa 6 Wochen beibehalten werden.
Außerdem wird der Mutter dringend ans Herz gelegt, sich bei einem erneuten Infekt unbedingt bei uns zu melden, und möglichst keine Antibiotika mehr zu geben bzw. uns im Falle einer Verordnung von Antibiotika durch den Kinderarzt vor der Einnahme zu kontaktieren.
Verlauf: Als sich die Mutter Ende April 2010 mit dem kleinen Patienten erneut vorstellt, berichtet sie freudig, dass ihr Sohn seit dem letzten Besuch keinen einzigen Infekt mehr gehabt habe. Er sei wieder lebhafter und habe einen besseren Appetit. Auf Nachfrage erzählt sie, dass er sowohl die Heilerde als auch die Tropfen problemlos genommen und auch gut vertragen habe. Er verzichte von sich aus auf Süßes und die Wasseranwendungen würden ihm großen Spaß machen. Das Abdomen ist weich, Halslymphknoten und Tonsillen sind noch etwas vergrößert. Da Prosymbioflor® inzwischen gut 4 Wochen eingenommen wurde, wird nochmals eine Packung für weitere 2 Wochen verordnet und gleichzeitig ein zweites Probiotikum (Symbioflor® 1) [Tab. 2]. Dieses zweite Arzneimittel soll im Anschluss an das erste eingenommen werden, 2 × täglich 5 Tropfen. Und zwar morgens als erstes (vor dem Frühstück) und abends als letztes (vor dem Schlafengehen).
Nach etwa 4 Wochen ruft die Mutter an und berichtet: Der Junge habe etwas Husten und Schnupfen mit 38,5 °C Fieber. Ich empfehle ihr einen Pelargoniumextrakt (Umckaloabo®) und das Enterokokkenpräparat zusätzlich bis zu 5 × täglich 1–2 Tropfen in jedes Nasenloch zu geben und das Kind bei Verschlimmerung vorzustellen. Das Fieber solle sie möglichst nicht senken.
Zwei Wochen später erscheinen Mutter und Kind termingerecht und berichten, dass der Infekt nach 3 Tagen ausgestanden war und es dem Jungen gut gehe. Das Abdomen ist weniger gestaut, die Tonsillen sind etwas kleiner und die Lymphknoten nicht mehr tastbar.
Das Kind erhält eine weitere Verordnung für Symbioflor® 1 und die Mutter 1 Stuhlröhrchen nebst Auftragsbogen und Versandmaterial mit der Empfehlung, dieses in etwa 4 Wochen eine Probe zwecks mikroökologischer Untersuchung in ein dafür spezialisiertes Labor zu senden.
Der Stuhlbefund zeigt eine Eubakterie im aeroben Bereich, Colibakterien und Enterokokken sind im Normbereich, pathogene Keime nicht nachweisbar. Im anaeroben Bereich sind die Bifidobakterien vermindert und Laktobazillen unter der Nachweisgrenze. Der pH-Wert ist leicht alkalisch, Pilze sind nicht nachweisbar.
Nun erhält der Junge zusätzlich zu dem Enterokokkenpräparat ein Kombinationsmittel, das v. a. Bifidobakterien und Laktobazillen enthält (Sana pro Probiotika®) und 1 × täglich eingenommen werden soll.
Die zweite Stuhluntersuchung nach weiteren 3 Monaten zeigt noch leicht verminderte Laktobazillen, der Rest der untersuchten Darmflora ist unauffällig. Viel wichtiger ist jedoch, dass sich der Junge in den vergangenen 6 Monaten sehr gut erholt hat und nur noch wenige kleine, unkomplizierte Infekte hatte. Der Darmtrakt sowie Lymph- und Immunsystem haben sich deutlich stabilisiert.
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# Interessenkonflikte: Dr. Rainer Schmidt erklärt, dass während der letzten 3 Jahre wirtschaftliche Verbindungen bestanden. Prof. Peter W. Gündling erklärt, dass keine wirtschaftlichen oder persönlichen Verbindungen bestehen.
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Literatur
- 01 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Empfehlungen zur Therapie akuter Atemwegsinfektionen. 2.. Aufl. Köln: 2002
- 02 Beyer D, Peters U. Mikrobiologische Therapie – Von der Naturheilkunde zur Wissenschaft. Germering: Forum Medizin; 2003
- 03 Del Mar CH, Glasziou P, Hayem M. Are antibiotics indicated as initial treatment for children with acute otitis media? A meta-analysis. BMJ 1997; 314: 1526-1529
- 04 Dethlefsen L, Huse S, Sogin ML, Relman DA. The pervasive effects of an antibiotic on the human gut microbiota, as revealed by deep 16S rRNA sequencing. PloS Biol 2008; 6 (11) e280. DOI: 10.1371/journal.pbio.0060280.
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- 10 Rusch K, Rusch V. Mikrobiologische Therapie. Stuttgart: Haug; 2001
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Korrespondenzadresse
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