ergopraxis 2010; 3(6): 14
DOI: 10.1055/s-0030-1255425
wissenschaft

Wissenschaft erklärt: Evidenzstufen – Studien nach ihrer Qualität einordnen

Jan Mehrholz
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Publication Date:
04 June 2010 (online)

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Studie ist nicht gleich Studie. Da gibt es große qualitative Unterschiede. Sechs Evidenzgrade geben Auskunft darüber, ob eine Forschungsarbeit qualitativ hochwertig ist und ob man ihre Ergebnisse wissenschaftlich übertragen kann.

Zunächst unterscheidet man bei einer Studie zwischen interner und externer Evidenz. Die interne Evidenz ist die Güte, also ob die Studie objektiv, valide und reliabel ist. Die externe Evidenz dagegen gibt Auskunft darüber, ob die Ergebnisse wissenschaftlich übertragbar sind. Also ob man anhand der Erkenntnisse andere Hypothesen belegen kann.

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Transfer von Forschungsergebnissen nur begrenzt möglich

Nicht alle Studien lassen sich verallgemeinern. Expertenwissen kann man zum Beispiel nur begrenzt übertragen. Es mag zwar fundiert sein, ist aber wahrscheinlich sehr stark von den Erfahrungen und dem Wissensstand des jeweiligen Experten geprägt.

Deutlicher wird es beim Transfer von Einzelfallberichten. Im Verlauf einer ergotherapeutischen Behandlung verbessert ein Vorschulkind beispielsweise seine grafomotorischen Fähigkeiten. Allerdings kann man auf der Basis dieser Beobachtung weder behaupten, dass alle Vorschulkinder von Ergotherapie profitieren, noch dass die Behandlung an sich diese Verbesserungen erbracht hat. Aus Einzelfällen erfährt man lediglich etwas über die beobachteten und dargestellten Veränderungen. Weitere Überlegungen sind lediglich Mutmaßungen ohne gesicherte Evidenz. Einzelfallberichte haben somit eine niedrige Evidenz. Höhere Evidenzklassen bieten eine hochwertigere wissenschaftliche Grundlage, um eine Therapie befürworten zu können.

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Evidenzstufen reichen von Ia bis IV

Studien kann man verschiedenen Evidenzklassen zuordnen, und zwar anhand der Empfehlungen der Agency for Health Care Policy and Research (AHCPR) – einem Forschungszweig des amerikanischen Gesundheitsdienstes.

ergopraxis stellte in den letzten Ausgaben bereits die wichtigsten Studiendesigns vor. Diese kann man in sechs Evidenzgrade einteilen (Tab.). Die Einschätzung bezieht sich darauf, ob ein Studiendesign generell brauchbar ist oder ob die Ergebnisse der Arbeit verzerrt sind und sogenannte Bias enthalten. Die höchste Aussagefähigkeit haben Studien der Evidenzklasse Ia. Das sind beispielsweise Metaanalysen von randomisierten kontrollierten Studien.

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Tab. Evidenzstufen und ihre Bedeutung

Neben der Einteilung in Evidenzklassen gibt es auch Empfehlungsgrade für bestimmte Therapieoptionen:

  • Eine Empfehlung mit dem Grad A verfügt über schlüssige Literatur von guter Qualität, die mindestens eine randomisierte Studie mit den Evidenzgraden Ia oder Ib enthält.

  • Eine Empfehlung mit dem Grad B wird anhand von gut durchgeführten, nicht randomisierten klinischen Studien mit den Evidenzgraden IIa, IIb oder III belegt.

  • Eine Empfehlung mit dem Grad C kennzeichnet Berichte und Meinungen von Experten oder klinische Erfahrungen anerkannter Autoritäten, die den Evidenzgrad IV aufweisen. Direkt anwendbare klinische Studien guter Qualität fehlen jedoch.

Neben den weltweit führenden Cochrane-Wissenschaftlern teilen auch Fachverbände Forschungsarbeiten in Evidenzstufen ein und sprechen zum Beispiel Leitlinienempfehlungen aus (Kasten „Nützliche Links”).

Nützliche Links

Deutsches Cochrane Zentrum: www.cochrane.de

GRADE Working Group: www.gradeworkinggroup.org

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Qualität und Empfehlungen einheitlich beurteilen

Um Qualität und Empfehlungsstärken einheitlich bewerten sowie Empfehlungen formulieren zu können, entwickelte die internationale GRADE Working Group das GRADE-System (Kasten „Nützliche Links”).

Summa summarum sind nicht allein die Studiendesigns für die Qualität von Forschungsergebnissen verantwortlich, sondern auch die inhaltlichen Standards, die Wissenschaftler im jeweiligen Studiendesign einhalten sollten.

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Tab. Evidenzstufen und ihre Bedeutung