ergopraxis 2009; 2(2): 30-31
DOI: 10.1055/s-0030-1254434
ergotherapie

Assessment: ACIS – Kommunikation und Interaktion erfassen

Jutta Norzel, Heike Vorbohle
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
07. Juli 2010 (online)

Inhaltsübersicht

Menschen nutzen kommunikative und interaktive Fähigkeiten, um sich zu informieren und zu handeln. Das Assessment of Communication and Interaction Skills bietet eine Grundlage, diese Fähigkeiten zu bewerten und als Daten zu sammeln. Jutta Norzel und Heike Vorbohle stellen Ihnen das Instrument vor.

Zoom
Zoom

Jutta Norzel ist seit 1989 Ergotherapeutin. Sie arbeitet in eigener Praxis in Hamburg. Heike Vorbohle ist seit 2003 in Hamburg in einer forensischen Psychiatrie tätig und leitet die Ergotherapieabteilung. 2008 beendeten beide Ergotherapeutinnen ihr berufsbegleitendes Studium in Heerlen. In ihrer Bachelorarbeit überprüften sie die Verständlichkeit und Anwendbarkeit des ACIS.

Interaktion und Kommunikation sind wesentliche Bestandteile im Alltag und erstrecken sich über sämtliche Lebens- und Umweltbereiche. Im zwischenmenschlichen Kontakt sind sie einerseits wichtige Bindeglieder, um zu informieren, andererseits dienen sie dazu, Einfluss auf Situationen des eigenen Lebens und des eigenen Handelns zu nehmen. Das Assessment of Communication and Interaction Skills, kurz ACIS, unterteilt die Kommunikations- und Interaktionsfertigkeiten in drei Bereiche und ermöglicht es, diese komplexen Fertigkeiten in der Therapie messbar zu machen [1]. Die Therapeutin nimmt dabei die Rolle der Beobachterin ein. So bewertet sie Verhaltensweisen des Klienten und stellt fest, ob eine Fertigkeit vorhanden ist und inwiefern jene dessen fortlaufende soziale Interaktion beeinflusst.

Kommunikation und Interaktion im kulturellen Kontext

Das ACIS basiert auf dem Model of Human Occupation (MOHO). Dort wird der Mensch als dynamisches, sich selbst organisierendes System gesehen, das sich ein Leben lang entwickelt und verändert [2].

Die Betätigung steht dabei als zentrale Kraft für Veränderung, Entwicklung, Gesundheit und Wohlbefinden, wobei persönliche Faktoren sowie räumliche und soziale Umweltfaktoren das menschliche Verhalten beeinflussen. All das ist den lebens- und sozialgeschichtlichen Veränderungen unterworfen und von Kultur zu Kultur verschieden. Die interkulturelle Kommunikation und Interaktion sind durch die zunehmende Globalisierung für Ergotherapeuten in der Klientenbehandlung bedeutungsvoll. Daher sollten Ergotherapeuten den kulturellen Kontext stets berücksichtigen.

20 Items, 3 Kategorien, 4 Abstufungen

Das ACIS ist ein Fremdbeobachtungsinstrument, das die Kommunikations- und Interaktionsfertigkeiten in den alltäglichen Betätigungen eines Menschen im sozialen Austausch bewertet. Dieses Assessment kann dabei eine Grundlage darstellen, um geeignete Interventionen auszuwählen, insbesondere wenn die Therapieziele im Bereich Kommunikation und Interaktion liegen.

Anhand von 20 Items identifiziert die Therapeutin die Stärken und Schwächen eines Klienten in der Kommunikation und Interaktion. Die Items sind in drei Kategorien „Körper”, „Informationsaustausch” und „Beziehungen” unterteilt (Abb. 1). Die Beobachterin stuft jedes einzelne Item auf einer vierstufigen Skala ein:

  • 4 = kompetente Fähigkeit

  • 3 = fragwürdige Fähigkeit

  • 2 = ineffektive Fähigkeit

  • 1 = Defizit in der Fähigkeit

Das Manual beschreibt den theoretischen Hintergrund und geht darauf ein, wie man das Assessment anwendet und bewertet. Es beinhaltet detaillierte Beispiele und Auswertungsbögen. Zudem informiert es über Forschungen zum Thema [3].

Zoom

Abb. 1 Das ACIS gibt für drei Kategorien insgesamt 20 Items vor und erläutert diese kurz: hier die fünf Items der Kategorie „Beziehungen”. (Abb. nach: Mentrup C. ACIS. Edition vita activa, 1997. Übersetzt nach: Forsyth K. et al. 1995.)

Die Beobachtungssituation gestalten

Abhängig vom Setting und von der Rolle des Klienten, etwa seine Rolle als Familienmitglied oder seine Rolle in der Werkgruppe, können Kommunikations- und Interaktionsfertigkeiten sehr unterschiedlich sein: Ein Klient kann zum Beispiel innerhalb seiner Familie selbstsicher sein, in der ergotherapeutischen Werkgruppe hingegen sehr zurückhaltend. Das ACIS berücksichtigt hierbei beides – das Setting und die Rolle. Die Therapeutin wählt das Setting und die Aktivität gemeinsam mit dem Klienten aus. Sie kann entweder an der Situation aktiv teilnehmen oder nur beobachten.

Die Zeit beträgt, je nach gewähltem Setting, 15 bis 45 Minuten, wobei Videoaufnahmen empfehlenswert sind. Je nach Anwendererfahrung gibt das Manual eine Auswertzeit von 5 bis 20 Minuten an. Die Ergebnisse stellt die Therapeutin auf speziellen Auswertungsblättern dar, die neben den Scores (Skalenabstufungen) auch Raum für eigene Kommentare bieten (Abb. 2).

Zoom

Abb. 2 Die Therapeutin stuft die Fertigkeit ihres Klienten anhand einer vierstufigen Skala ein. Zudem kann sie eigene Beobachtungen notieren. (Abb.: Mentrup C. ACIS. Ausgefülltes Auswertblatt (Auszug). Übersetzt nach: Forsyth K. et al.)

ACIS unabhängig von der Diagnose einsetzbar

Man nutzt das Assessment, um die Folgen einer Erkrankung auf die Kommunikations- und Interaktionsfertigkeiten zu erfassen. Das ACIS ermittelt nicht die Ursachen, sondern stellt fest, ob und in welcher Form eine Fertigkeit vorhanden ist. Es wurde zunächst nur zur Befunderhebung von Erwachsenen genutzt. Besondere Anwendung findet das Instrument im psychiatrischen Bereich. Mittlerweile ist es auch im pädiatrischen Bereich implementiert. Grundvoraussetzung hierfür ist die erfolgte Sprachreifung der Kinder. Es ist möglich, das ACIS zu Beginn der Therapie, im Verlauf und am Ende einzusetzen. So können Therapeuten bei einem mehrfach zeitversetzten Einsatz die erzielten Ergebnisse evaluieren. Wichtig ist, dass der Klient den Zweck des Befundinstrumentes versteht und motiviert ist, an der Beobachtungssituation teilzunehmen. Diese sollte in einem für ihn bedeutungsvollen sozialen Kontext stattfinden. Die Nutzung des ACIS erfordert von der Anwenderin theoretische Grundkenntnisse, praktische Erfahrungen und Reflexionsfähigkeit in Bezug auf ihre eigene Tätigkeit (Clinical Reasoning).

Gütekriterien noch nicht ausreichend überprüft

Die deutsche Version des ACIS basiert auf der englischsprachigen Ausgabe von Kirsty Forsyth, Ergotherapeutin PhD, welche Christiane Mentrup, Ergotherapeutin MSc, 1997 übersetzte. Die deutsche Ausgabe ist wissenschaftlich nicht ausreichend abgesichert, da man die für die englischen Fassungen erarbeiteten Verfahren und Kennwerte nicht ohne weiteres ins Deutsche übernehmen kann. Diese können zwar als Anhaltspunkte dienen, Testanalyse und statistische Überprüfung müssen aber für die Übersetzung wiederholt werden [4].

224 Auswertungsprotokolle konnten bisher bestätigen, dass die 20 Items valide die relevanten Variablen messen. Weitere fundierte Angaben zur Validität der deutschen Version fehlen. Es liegen keine Kennwerte vor, ob wiederholte Messungen durch denselben Untersucher (Intrarater-Reliabilität) oder einen anderen Untersucher (Interrater-Reliabilität) zum gleichen Ergebnis führen. Das Manual verweist lediglich auf eine Konsistenz innerhalb und zwischen den Beurteilern [3]. Wegen der fehlenden Standardisierung der Beobachtungssituationen ist eine Durchführungsobjektivität nicht gegeben. Die Auswertungs- und Interpretationsobjektivität ist begrenzt, da die Therapeutin auf ihre eigenen sozialen Kompetenzen angewiesen ist. Das Assessment bietet keine Norm- und Vergleichswerte. Standardisierte Instruktionen existieren nicht.

Terminologie zu sehr defizitorientiert

Einige Anwender beklagen das unübersichtliche Layout des Manuals, die nicht modifizierte Terminologie, die defizitorientiert formulierte Skalierung oder auch den Zeitaufwand, den sie benötigen, um ihre Klienten zu beobachten und schließlich das Assessment auszuwerten. Das waren die Ergebnisse einer qualitativen Studie [4]. Manche betrachten die Anzahl der Items als zu hoch. Außerdem ist es nicht immer klar, wie man die Items untereinander abgrenzt, insbesondere im Bereich der Körper-Items.

Sind zum Beispiel bei multimorbiden Klienten Sprachfähigkeit und körperliche Befindlichkeit beeinträchtigt, kann der Einsatz des ACIS erschwert sein.

Assessment unterstützt bei der Zielsetzung

Eine Stärke des ACIS ist die offene und breitgefächerte Auswahl der möglichen Beobachtungssituationen. Die Items sind im Manual ausführlich erklärt. Viele Fallbeispiele im Handbuch verdeutlichen, wie man das Assessment anwendet und schließlich bewertet. Zu Beginn der Therapie kann das Assessment die Therapieplanung, die Zielsetzung und die Intervention bereichern. Setzt man es mehrfach ein, so kann es messen, wie sich Klientenfertigkeiten verändern. Das unterstützt auch die Transparenz der Therapie. Die Ergotherapeutin kann die erzielten Ergebnisse gemeinsam mit ihrem Klienten evaluieren [4].

Zoom
Zoom
Zoom

Abb. 1 Das ACIS gibt für drei Kategorien insgesamt 20 Items vor und erläutert diese kurz: hier die fünf Items der Kategorie „Beziehungen”. (Abb. nach: Mentrup C. ACIS. Edition vita activa, 1997. Übersetzt nach: Forsyth K. et al. 1995.)

Zoom

Abb. 2 Die Therapeutin stuft die Fertigkeit ihres Klienten anhand einer vierstufigen Skala ein. Zudem kann sie eigene Beobachtungen notieren. (Abb.: Mentrup C. ACIS. Ausgefülltes Auswertblatt (Auszug). Übersetzt nach: Forsyth K. et al.)