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DOI: 10.1055/s-0030-1253292
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Aktuelle Studienlage bestätigt ‐ Nephroprotektion durch orale Bikarbonate
Korrespondenz
Dr. habil. Jürgen Kult
Nephrologe, Internist, Hypertensiologe DHL
Otolfstr. 5
97980 Bad Mergentheim
Email: juergen.kult@kabelbw.de
Publication History
Publication Date:
06 April 2010 (online)
- Alte und multimorbide Patienten sind besonders gefährdet
- Studie: Niedrige Bikarbonatkonzentration erhöht Risiko für Niereninsuffizienz
- Studie: Bikarbonat reduziert Risiko für Dialysepflicht
- Auch interdialytisch mit Bikarbonaten therapieren
- Metabolische Azidose langfristig behandeln
- Erstattungsfähiges Azidosetherapeutikum
- Literatur


Bild: Fresenius
Der negative Einfluss einer metabolischen Azidose auf die Progressionsgeschwindigkeit einer bestehenden Niereninsuffizienz bis hin zur Dialysepflichtigkeit ist zwar klinisch schon lange bekannt, konnte aber nie eindeutig durch Studien belegt werden. Eine chronische Niereninsuffizienz ist aufgrund der im Alter nachlassenden Nierenfunktion, wegen der hohen Frequenz einer arteriellen Hypertonie und einem häufig bestehenden Diabetes mellitus sowie einer begleitenden chronisch metabolischen Azidose im geriatrischen Patientengut besonders häufig. Greift man hier medikamentös nicht rechtzeitig ein, kann sich deshalb eine dialysepflichtige terminale Niereninsuffizienz rascher entwickeln. Wie nun differenzierte aktuelle Studien klar belegten, kann ein konsequenter Azidoseausgleich mit magensaftresistentem Bikarbonat die Serumpufferspiegel anheben und auf diese Weise die Progression einer Niereninsuffizienz hin zur terminalen Niereninsuffizienz deutlich verzögern.
Zu den häufigsten Progressionsfaktoren einer chronischen Niereninsuffizienz zählen neben dem männlichen Geschlecht vor allem die arterielle Hypertonie, der Diabetes mellitus und wegen ihrer gravierenden pathophysiologischen Nebeneffekte auch die chronische metabolische Azidose. Die metabolische Azidose ist häufig eine Erkrankung mit unspezifischen Symptomen wie Abnahme der physischen Leistungsfähigkeit, Belastungsdyspnoe, Konzentrationsschwäche, Müdigkeit, depressiver Verstimmung, Appetitlosigkeit und Übelkeit. Daher können gerade in der hausärztlichen Praxis diese Symptome in Verbindung mit einer metabolischen Azidose häufig übersehen oder in einen anderen Zusammenhang gebracht werden. Die frühzeitige Diagnose und eine langfristig angelegte Behandlung mit Azidosetherapeutika sind aber für den Therapieerfolg ganz entscheidend, um schwere Folgeerkrankungen wie zum Beispiel die Beschleunigung einer Niereninsuffizienz, einer Herzinsuffizienz oder die Progression einer bestehenden Osteoporose zu vermeiden.
#Alte und multimorbide Patienten sind besonders gefährdet
Insbesondere bei geriatrischen Patienten nimmt die Nierenfunktion kontinuierlich ab [1] und es kommt sukzessive zu einer chronischen Niereninsuffizienz. So stieg der Anteil von Diabetespatienten, die sich zu einer Nierenersatztherapie vorstellten, von circa 36 % im Jahre 1990 auf etwa 60 % nach der Jahrhundertwende an.
Insbesondere bei Hochbetagten kann aufgrund der geringen Muskelmasse die chronische Niereninsuffizienz durch einen normalen Kreatininwert verdeckt werden [2]. Daher sollte gerade bei geriatrischen Patienten an diese Möglichkeit gedacht und rechtzeitig eine Blutgasanalyse durchgeführt werden. Wird dabei eine Serumbikarbonatkonzentration deutlich unter 23 mmol/l festgestellt, ist eine medikamentöse Therapie mit magensaftresistenten Puffersubstanzen indiziert. Dabei sollte ein Zielwert von mindestens 22-24 mmol/l Bikarbonat im Serum angestrebt werden [3].
#Studie: Niedrige Bikarbonatkonzentration erhöht Risiko für Niereninsuffizienz
Dass eine niedrige Serumbikarbonatkonzentration ganz entscheidend mit der Progression einer Niereninsuffizienz assoziiert ist, konnte die aktuelle retrospektive Kohortenstudie über 3,4 Jahre bei 5 422 Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz von Shah et al. nun erstmals belegen (Abb. [1]) [4]. In der aufwendigen, differenzierten und multifaktoriellen statistischen Analyse mit definierten Endpunkten sowie Berücksichtigung von Risikofaktoren für eine Progression wie demografische, klinische und sozioökonomische Faktoren schlussfolgerten die Autoren:


Abb. 1 Eine niedrige Serumbikarbonatkonzentration ist mit einer schnelleren Progression einer chronischen Niereninsuffizienz assoziiert.
In allen eGFR-Dimensionen nach MDRD (eGFR: "estimated glomerular filtration rate", MDRD: "modification of diet in renal disease") (> 60, 59-30, 29-15 ml/min/1,73 m2) wiesen circa 21 % der chronisch nierenkranken Patienten eine metabolische Azidose und einen HCO3- von unter 22 mmol/l auf (n = 1124). In der Studienpopulation hatten die Patienten bei einer Bikarbonatkonzentration von mindestens 22 mmol/l ein um 54 % höheres Risiko für das rasche Fortschreiten einer chronischen Niereninsuffizienz gegenüber Patienten mit einer Serumbikarbonatkonzentrationen von 25-26 mmol/l (n = 1477). Eine niedrige Serumbikarbonatkonzentration ist folglich mit einer schnelleren Progression der chronischen Niereninsuffizienz assoziiert.
#Studie: Bikarbonat reduziert Risiko für Dialysepflicht
In einer prospektiven, randomisierten Open-label-Studie von de Brito Ashurst et al. bei 134 Patienten erhielt die Verumgruppe (n = 67) täglich über 24 Monate durchschnittlich 1,82 g Bikarbonat (Abb. [2]) [5], [6]. Die GFR gemessen als Kreatininclearance lag in beiden Gruppen zwischen 15 und 30 ml/min. Unter dieser oralen Therapie stiegen die Serumbikarbonatspiegel gegenüber der Kontrollgruppe (n = 67) signifikant an.


Abb. 2 Unter Bikarbonattherapie stiegen die Serumbikarbonatspiegel gegenüber der Kontrollgruppe signifikant an. Die Progression der Niereninsuffizienz nahm ab und das relative Risiko, dialysepflichtig zu werden, sank um 87 %. Zudem verbesserte sich der Ernährungsstatus.
Dabei wurde die Progression der chronischen Niereninsuffizienz deutlich reduziert. Die Kreatininclearance als Maß der Nierenfunktion nahm im Mittel erheblich geringer ab als bei der Kontrollgruppe (1,88 versus 5,93 ml/min/1,73 m2/Jahr). Damit wurde das relative Risiko einer beschleunigten Abnahme der Kreatinclearance von mehr als 3 ml/min/1,73 m2/Jahr unter einer Therapie mit oralem Bikarbonat um 85 % reduziert.
Von 67 Patienten der Kontrollgruppe waren nach 2 Jahren 22 Patienten dialysepflichtig, in der gleich großen Verumgruppe aber nur 4 Patienten. Das relative Risiko, dialysepflichtig zu werden, sank damit um 87 %. Ferner konnte diese Studie dokumentieren, dass sich der Ernährungszustand der Patienten unter einer Bikarbonattherapie signifikant verbesserte.
#Auch interdialytisch mit Bikarbonaten therapieren
Ist eine Dialysebehandlung nicht mehr zu vermeiden, muss insbesondere dann auf eine genaue Einstellung der Bikarbonatwerte geachtet werden. Denn leider sind 60-80 % der dialysepflichtigen Patienten bereits im azidotischen Zustand, wenn sie die Behandlung beginnen. Für einen positiven Krankheitsverlauf ist es jedoch entscheidend, bei der Hämodialysebehandlung eine prädialytische Serumbikarbonatkonzentration von mindestens 22 mmol/l und eine postdialytische von etwa 27 mmol/l anzustreben [7]. Um diese Zielwerte sicher zu erreichen, sollte neben der Dialysatanreichung mit Bikarbonat auf 30 mmol/l [8] auch eine orale Azidosetherapie zwischen den einzelnen Hämodialysebehandlungen erfolgen.
#Metabolische Azidose langfristig behandeln
Wie die Ergebnisse dieser aktuellen Studien klar zeigen, erscheint eine orale Bikarbonattherapie bei metabolischer Azidose und Niereninsuffizienz zwingend notwendig. Dabei ist die medikamentöse Behandlung immer als Langzeittherapie zu planen. Entscheidend für Bioverfügbarkeit und Verträglichkeit ist allerdings die pharmazeutische Qualität der eingesetzten Präparate. Die Therapie der Wahl ist, chronisch azidotische Patienten mit magensaftresistenten Basentabletten einzustellen und konsequent langfristig zu behandeln.
Magensaftlösliche Bikarbonatpräparate reagieren bereits im Magen mit Salzsäure zu Kochsalz, Wasser und Kohlensäure und sind daher nicht indiziert. Mit bicaNorm® (Fresenius Medical Care) liegt ein zugelassenes Arzneimittel mit dünndarmlöslicher Formulierung vor, das nahezu vollständig resorbiert wird und daher bei guter Verträglichkeit hoch wirksam ist. Bei magensaftresistenten Tabletten wird im Gegensatz zu magensaftlöslichen Präparaten eine Alkalisierung des Magens, verbunden mit einer kompensatorischen Säurehypersekretion ("acid rebound"), vermieden.
#Erstattungsfähiges Azidosetherapeutikum
Die magesaftresistenten Bikarbonattabletten sind bei Tagestherapiekosten von weniger als 1 Euro (3 Filmtabletten/d) außerdem sozioökonomisch empfehlenswert. Ferner ist es gemäß § 91 Abs. 5 SGB V der Arzneimittelrichtlinien als Azidosetherapeutikum zur Behandlung von chronischer Niereninsuffizienz, dialysepflichtiger Nephropathie und Neoblase erstattungsfähig. Insgesamt können durch eine stringente orale Therapie mit diesem Arzneimittel bei metabolischer Azidose die Progression einer Niereninsuffizienz wie auch schwerwiegende Folgeerkrankungen (z. B. Osteoporose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen) verzögert und insgesamt das Mortalitäts- und Hospitalisierungrisiko reduziert werden.
#Literatur
- 01 Nyengaard J R, Bendtsen T F. Glomerular number and size in relation to age, kidney weight and body surface in normal man. Anat Rec. 1992; 232 194-201
- 02 Kasiske B L, Keane W F Laboratory assessment of renal disease: Clearance, urinanalysis and renal biopsie. In: Brenner B M ed. Brenner and Rector's the Kidney.. 6th ed. Philadelphia: Saunders; 2000: 129-1170
- 03 Alcázar Arroyo R . Electrolyte and acid-base balance disorders in advanced chronic kidney disease. Nefrologia. 2008; 28 (Suppl. 3) 87-93
- 04 Shah S N, Abramowitz M , Hostetter T H, Melamed M L. Serum bicarbonate levels and the progression of kidney disease: A cohort study. Am J Kidney Dis. 2009; 54 270-277
- 05 de Brito-Ashurst I , Varagunam M , Raftery M J, Yaqoob M M. Bicarbonate supplementation slows progression of CKD and improves nutritional status. J Am Soc Nephrol. 2009; 20 2075-2084
- 06 de Brito-Ashurst I , Varagunam M , Raftery M J, Yaqoob M M. Bicarbonate supplementation slows progression of CKD and improves nutritional status. J Am Soc Nephrol. 2009; 20 1869-1870
- 07 Zucchelli P , Santoro A . How to achieve optimal correction of acidosis in end-stage renal failure patients. Blood Purif. 1995; 13 375-384
- 08 Morel H , Jaffrin M Y, Paullier P , Legallais C . In vitro tests and modelization of bicarbonat kinetics and mass transfers during online hemofiltration. Int J Artif Organs. 2009; 32 482-491
Korrespondenz
Dr. habil. Jürgen Kult
Nephrologe, Internist, Hypertensiologe DHL
Otolfstr. 5
97980 Bad Mergentheim
Email: juergen.kult@kabelbw.de
Literatur
- 01 Nyengaard J R, Bendtsen T F. Glomerular number and size in relation to age, kidney weight and body surface in normal man. Anat Rec. 1992; 232 194-201
- 02 Kasiske B L, Keane W F Laboratory assessment of renal disease: Clearance, urinanalysis and renal biopsie. In: Brenner B M ed. Brenner and Rector's the Kidney.. 6th ed. Philadelphia: Saunders; 2000: 129-1170
- 03 Alcázar Arroyo R . Electrolyte and acid-base balance disorders in advanced chronic kidney disease. Nefrologia. 2008; 28 (Suppl. 3) 87-93
- 04 Shah S N, Abramowitz M , Hostetter T H, Melamed M L. Serum bicarbonate levels and the progression of kidney disease: A cohort study. Am J Kidney Dis. 2009; 54 270-277
- 05 de Brito-Ashurst I , Varagunam M , Raftery M J, Yaqoob M M. Bicarbonate supplementation slows progression of CKD and improves nutritional status. J Am Soc Nephrol. 2009; 20 2075-2084
- 06 de Brito-Ashurst I , Varagunam M , Raftery M J, Yaqoob M M. Bicarbonate supplementation slows progression of CKD and improves nutritional status. J Am Soc Nephrol. 2009; 20 1869-1870
- 07 Zucchelli P , Santoro A . How to achieve optimal correction of acidosis in end-stage renal failure patients. Blood Purif. 1995; 13 375-384
- 08 Morel H , Jaffrin M Y, Paullier P , Legallais C . In vitro tests and modelization of bicarbonat kinetics and mass transfers during online hemofiltration. Int J Artif Organs. 2009; 32 482-491
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Bild: Fresenius


Abb. 1 Eine niedrige Serumbikarbonatkonzentration ist mit einer schnelleren Progression einer chronischen Niereninsuffizienz assoziiert.


Abb. 2 Unter Bikarbonattherapie stiegen die Serumbikarbonatspiegel gegenüber der Kontrollgruppe signifikant an. Die Progression der Niereninsuffizienz nahm ab und das relative Risiko, dialysepflichtig zu werden, sank um 87 %. Zudem verbesserte sich der Ernährungsstatus.