Ergotherapeuten bemerken einen deutlichen Unterschied zwischen ihren und den Aufgaben
der Teamkollegen aus anderen Berufsgruppen. Es fällt ihnen jedoch schwer, ihre therapeutische
Arbeit zu beschreiben. Zu diesem Ergebnis kamen die Ergotherapeuten Liv Grethe Kinn
und Randi W. Aas von den Universitäten in Bergen, Stavanger und Sandnes, Norwegen.
Die Forscher befragten sechs Ergotherapeutinnen anhand von halbstrukturierten Interviews.
Sie wollten von ihnen wissen, wie sie ihre Profession verstehen und anderen gegenüber
darstellen. Die Ergebnisse zeigen, dass es den Befragten wichtig war, das Potenzial
des Klienten aufzudecken, zum Beispiel indem sie ihn dabei unterstützten, seinen Alltag
erfolgreich zu bewältigen. Auch im Beruf wertgeschätzt zu werden hatte einen hohen
Stellenwert für die Ergotherapeutinnen. Sie beschrieben ihre zunehmende Bedeutung
in multiprofessionellen Entscheidungsprozessen, fühlten sich aber gleichzeitig von
anderen Disziplinen unterbewertet und suchten nach anerkannteren Aufgaben, beispielsweise
als Assessmentexperten oder Berater. Je mehr Berufserfahrung die Teilnehmerinnen hatten,
desto weniger vertraten sie ihre Ansichten im interdisziplinären Team. Dabei bemühten
sie sich, bestimmte typische ergotherapeutische Techniken wie das Handwerk nicht zu
erwähnen, da sie diese als abwertend empfanden. Außerdem waren sie darauf bedacht,
mit Mythen wie dem der „Basteltante” aufzuräumen. Als wichtiges Thema zeigte sich
eine isolierende „Wir-und-die-anderen”-Haltung. Diese entstand dadurch, dass Ergotherapeuten
Klienten von einem anderen Standpunkt aus betrachten als die anderen Mitglieder aus
dem interdisziplinären Team.
Für den weiteren Professionalisierungsprozess empfehlen die Forscher, Theorie und
Praxis stärker zu verknüpfen. Damit könnten Ergotherapeuten bereits während ihrer
Ausbildung lernen, ihr Wissen besser zu artikulieren und darzustellen.
dawo
Kommentar
Für die meisten Ergotherapeuten ist es sicher nicht neu, einen anderen Blickwinkel
einzunehmen als die Teamkollegen aus anderen Berufsgruppen. Kein Wunder! Denn: Kein
anderer Mitarbeiter im Gesundheitswesen setzt sich in ähnlichem Maße mit der Betätigung
seiner Klienten auseinander. Die Studie scheint dem ganz normalen Alltag einer Ergotherapeutin
zu entsprechen. Stets darum zu kämpfen, von einem einsamen Standpunkt aus Gehör zu
finden, macht auf Dauer müde. Die Angst, als „Basteltante” abgestempelt zu werden,
scheint größer denn je. Halt! Denn was auf den ersten Blick so alltäglich erscheint,
bietet Grund zur Beunruhigung. Wenn Ergotherapeuten damit anfangen, sich für den Einsatz
von Handwerkstechniken zu schämen, dann sollten sie vielleicht darüber nachdenken,
Psychologie oder Medizin zu studieren. Viel wichtiger erscheint es – wie auch die
Forscher betonen – eine eigene ergotherapeutische Sprache zu sprechen und trotzdem
für andere verständlich zu sein. Nur so können wir die Wichtigkeit und Einmaligkeit
dieser handlungsbezogenen Profession in den klinischen Alltag tragen. Für uns selber,
aber ebenso für unsere Klienten.
Daniela Wolter, Ergotherapeutin BSc, arbeitet in der Psychiatrie
AOTJ 2009; 56: 112–121