DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2010; 8(02): 4-5
DOI: 10.1055/s-0030-1249123
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Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Im Gespräch mit ...Robert Schleip

Peter Wührl
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Publication Date:
12 April 2010 (online)

Dr. Robert Schleip arbeitet als Körpertherapeut in München und ist Leiter des Fascia Research Project am Institut für Angewandte Physiologie der Universität Ulm. Durch seine Ausbildung zum Rolfer kam er schon früh in Kontakt mit Osteopathie und befindet sich heute in einem Arbeitsfeld, das großes osteopathisches Interesse erweckt: die Verbindung von Grundlagenforschung und klinischer Anwendung im Bereich der Faszien.

Herr Schleip, Sie praktizieren als Rol-fer und Feldenkrais-Therapeut. Wie kamen Sie mit der Osteopathie in Berührung?

Schon während meiner Grundausbildung in Rolfing®, am Rolf Institute® of Structural Integration in Boulder (Colorado) vor über 30 Jahren lernte ich die Osteopathie kennen und schätzen. Das beruhte sicherlich auch darauf, dass die Begründerin des Rolfing®, Dr. Ida Rolf, sehr viel von der Osteopathin Amy Cochran gelernt hatte, eine Schülerin von A.T. Still.

Wie die meisten anderen Rolfer beschäftigten wir uns daher eingehend mit osteopathischen Konzepten der damaligen Zeit. Als dann z.B. 1983 Upledgers Buch „Craniosacral Therapy“ herauskam und Upledger anfing, Kurse zu geben, löste das eine richtige Modewelle aus. Ähnlich wie Jean-Pierre Barral mit der viszeralen Osteopathie etliche Jahre später.

Osteopathie hat also schon immer einen großen Einfluss auf die Rolfing-Methode ausgeübt. Daneben hat Rolfing® jedoch 2 Aspekte ausgebaut, die sich umgekehrt als Anregung für Osteopathen eignen. Das ist einmal die systematische Betonung der formgebenden Wirkung der chronischen Körperhaltung eines Menschen bzw. die Interaktion der Schwerkraft mit der langfristigen Plastizität der kollagenen Gewebe. So bezieht man im Rolfing® immer wieder die Schwerkraft mit ein, indem man den Klienten vor, während und nach der Sitzung auch im Stehen oder Gehen studiert.

Der 2. Aspekt ist die Frage der Nachhaltigkeit und die damit verbundene aktive Einbeziehung des Klienten. Wir gehen davon aus, dass auch die beste Behandlungsserie nur dann eine bleibende Wirkung zeigt, wenn auch im inneren Körperbild des Klienten eine umfassende Weiterentwicklung stattgefunden hat.

Wenn mich ein ehemaliger Klient nach vielen Jahren wieder aufsucht, dann vergleiche ich gerne seine aktuelle Körperstruktur mit den alten Polaroidfotos, die ich von ihm habe. Und da sehe ich immer wieder, dass jene Klienten ihre Aufrichtung behalten oder weiterentwickelt haben, die sich seither ihrer Körperhaltung so interessiert gewidmet haben wie andere vielleicht ihrem Auto oder Garten.

Für diesen 2. Aspekt, also das gezielte Ansprechen des Motorkortexes und assoziierter Gehirnareale, halte ich die Feldenkrais-Methode für sehr versiert. Daher habe ich eine 4-jährige Ausbildung in dieser Methode absolviert und integriere sie in meine manualtherapeutische Arbeit.

Grundsätzlich schaue ich gerne über den eigenen Tellerrand und kann das nur jedem ernsthaften Behandler empfehlen.

Sie sind sowohl Kliniker als auch Forscher. Wie lässt sich Ihre therapeutische Praxis mit der Arbeit im Labor verbinden? Wie entstand ihr Interesse, sich mit Faszien zu beschäftigen?

Das begann mit einer These von Milton Trager, einem amerikanischen Körpertherapeuten, der behauptete, dass die meisten Verspannungen und Versteifungen des Bewegungsapparats nur im Gehirn feststeckten und unter Vollnarkose regelmäßig verschwänden. Da wir Rolfer unsere Identität eng mit dem Konzept von faszialen Restriktionen verbinden, war diese These eine ganz schöne Provokation. Diese Diskussion wurde bei uns mit heftigen persönlichen Glaubensbekenntnissen ausgetragen, jedoch ohne eine saubere wissenschaftliche Überprüfung.

Das hat mich angetrieben, meine Nase intensiver in die akademische Forschung zu stecken. Dabei stieß ich auf den Bericht des Freiburger Anatomen Staubesand, der in der humanen Unterschenkelfaszie auf zahlreiche kontraktile Zellen mit glattmuskelähnlicher Struktur gestoßen war. Er stellte daher die Hypothese auf, dass der Körper einen regulierbaren Faszientonus besitzt, der vom autonomen Nervensystem gesteuert wird. Als ich dann zusätzlich auf eine Studie von kanadischen Forschern stieß, die bei Testungen von Gewebsbündeln der humanen Lumbalfaszie eine dort vorhandene Kontraktionsfähigkeit dokumentierten, war ich elektrisiert. Mit der hieraus gewachsenen Idee, die Kontraktionsfähigkeit der Faszien im Rahmen einer Doktorarbeit wissenschaftlich zu untersuchen, klapperte ich über ein Dutzend Institute und Professoren ab, bis ich schließlich am Institut für Angewandte Physiologie der Universität Ulm fündig wurde. Dort merkte man, dass ich eine ungewöhnlich hohe Eigenmotivation mitbrachte und man ließ mich mit wenigen, aber wichtigen Einbindungen in dem dortigen Betrieb loslegen.

Ich begann eine histologische Untersuchung von humanen Faszienproben. Mithilfe von immunhistochemischen Färbungen konnte ich zeigen, dass in allen untersuchten Faszien kontraktile Zellen, also Myofibroblasten, vorhanden waren. Das sind glattmuskelähnliche Zellen, die man von der Wundheilung, aber auch von pathologischen Faszienkontrakturen her kennt. Parallel dazu untersuchte ich frische Faszienbündel im Organbad auf deren Fähigkeit, sich dort auf verschiedene pharmakologische oder mechanische Stimulationen hin zu kontrahieren. Das zog sich mehr als 3 Jahre hin, war dann aber so erfolgreich, dass diese Arbeiten mit dem Vladimir-Janda-Preis ausgezeichnet wurden. Das hat mich motiviert, auch nach der Promotion, die Faszienforschung weiterhin mit Vollgas zu betreiben. Meine private Praxis habe ich hierzu auf 2 lange Behandlungstage pro Woche komprimiert, sodass ich im Schnitt 4 Tage pro Woche ganz für die Forschung habe.

Worin sehen Sie die Rolle der Faszien im Körper? Können und sollen wir Faszien behandeln? Und mit Blick auf die aktuelle Forschung, wie?

Ja, eindeutig. Alles, was wir in den letzten Jahren über die Bedeutung der Faszien im Körper gelernt haben, legt es nahe, dass man die Faszien in der Therapie noch mehr einbeziehen sollte. So deuten neue Berichte von Mense und Langevin an, dass bei vielen Rückenschmerzen Mikrorupturen und Entzündungen der Lendenfaszie vermutlich eine ausschlaggebende Rolle spielen. Aber auch im Sportbereich lernt man nun, dass die elastische Federung faszialer Elemente eine große Rolle spielt, was bei verklebten Faszienhäuten stark gestört sein kann. Und schließlich wird in der Forschung immer klarer, dass die faszialen Gewebe mit ihren zahlreichen Spannungssensoren unser wichtigstes Sinnesorgan für Propriozeption darstellen. Je gezielter man daher die verschiedenen Mechanorezeptoren in den Faszien anspricht, umso wirkungsvoller ist eine therapeutische Berührung. So sind z. B. die faszialen Ruffini-Rezeptoren mit ihrer speziellen Sensibilität für tangentiale Scherbewegungen und deren Einfluss auf das vegetative Nervensystem für mich eine ganz besonders wirkungsvolle Eintrittspforte zu einer verbesserten globalen und lokalen Selbstregulation.

Neueste Forschungen verweisen auf einen Link zwischen Entzündungsreaktion, Sympatikus-Aktivierung und TGF-β. Können Sie diesen Zusammenhang erläutern?

Im 1. Jahr habe ich alles versucht, um meine Organbad-Faszien mit Adrenalin oder Acetylcholin zum Kontrahieren zu bringen. Leider ohne Erfolg, denn das wäre eine zu schöne Bestätigung von Staubesands Hypothese gewesen, dass der Sympathikus unter Stress die Faszienspannung erhöht. Wir haben aber zeigen können, dass z.B. das von den Blutplättchen erzeugte Thromboxan eine solche Wirkung auf Faszien hat. Vor Kurzem wurde die experimentelle Erkenntnis publiziert, dass der Sympathikus seinen Einfluss auf die T-Zellen des Immunsystems über eine Erhöhung des zellulären Botenstoffs TGF-β1 ausübt. Das war bis dahin unbekannt, ist aber hoch spannend, da genau dieser Botenstoff auch als der wirkungsvollste Stimulator für Myofibroblasten im Organbad bekannt ist. So haben wir nun begonnen, unsere Organbad-Faszien mit diesem Botenstoff zu stimulieren, was bisher recht ermutigende Ergebnisse liefert. Die nächsten Monate werden zeigen, ob es sich hier um eine statistisch signifikante Wirkungskette handelt.

Wie reagieren Osteopathen auf Ihre Forschungsergebnisse?

Bereits beim 1. Faszienkongress an der Harvard Medical School waren einige versierte Osteopathen mit beteiligt, wie Frank Willard oder Michael Hutchinson. Inzwischen versuchen die meisten großen osteopathischen Gruppen eigene Beiträge zur Faszienforschung zu leisten. Durch den Erfolg der bisherigen Aktivitäten, nicht zuletzt auch durch den außergewöhnlich positiven und ausführlichen Bericht über unseren Harvard-Kongress in Science, ist jetzt so eine Goldgräberstimmung entstanden. Da kooperieren die Hauptakteure in einem nicht hierarchischen und regen Austausch miteinander, egal aus welcher beruflichen Gruppierung jeder einzelne kommt. Unter den führenden Faszienforschern tummeln sich daher Schulmediziner, Rolfer, Osteopathen, Yogalehrer, Fleischwissenschaftler, Chiropraktiker, Physiotherapeuten und Akupunkteure.

Ich habe den Eindruck, dass Osteopathen hier in Zukunft eine noch treibendere Kraft als bisher darstellen werden.

Lieber Herr Schleip, vielen Dank für das Gespräch!

Online zu finden unter: www.dx.doi.org/10.1055/s-0030-1249123

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