Klin Monbl Augenheilkd 2010; 227(11): 839
DOI: 10.1055/s-0029-1245844
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Thema Neuroophthalmologie: Rund um die Pupille

On the Subject of Neuro-ophthalmology: All about the PupilH. Wilhelm1
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Publication Date:
12 November 2010 (online)

Die Beiträge in diesem Schwerpunktheft verbindet ein gemeinsames Thema: die Pupille. Einmal mehr geht es in dem Artikel von Wermund und Wilhelm um die richtige Untersuchung. „Haben wir das nicht schon im Studium gelernt?”, mag der Leser einwenden. Doch für mich ist es Semester für Semester eine frappierende Erfahrung: Kaum jemals gelingt es einem Studierenden auf Anhieb, bei einem Patienten mit Optikusneuritis eindeutig mittels Pupillendiagnostik zu demonstrieren, dass die Sehverschlechterung einen objektivierbaren Hintergrund hat. Das vielerorts in allgemeinen und neurologischen Untersuchungskursen gelehrte Vorgehen, erst direkte, dann konsensuelle und schließlich Nahreaktion zu prüfen, ist nämlich schlichtweg falsch und funktioniert nur bei sehr ausgeprägter afferenter Pupillenstörung. Wie es richtig geht, lesen Sie in diesem Beitrag:

Der Swinging-Flashlight-Test ist eine zentral wichtige Untersuchung, während die Prüfung der konsensuellen Reaktion bei Pupillen ohne efferente Störung redundant ist und keine weitere Information liefert. Gleiches gilt auch für die Nahreaktion bei intakter Pupillenlichtreaktion.

Die subjektive Entsprechung zum Swinging-Flashlight-Test ist die Prüfung der Farbsättigung, im Alltag nahezu immer mit Rot. Bei einer Optikusneuropathie bemerkt der Patient typischerweise eine „Rotentsättigung”: Aus strahlendem Rot wird düsteres Ziegelrot. Der Artikel von Braun und Wilhelm zeigt, dass die Farbe dabei eigentlich egal ist, auch Grün und Blau sind geeignet. Außerdem wird der Test mit zunehmendem Alter weniger spezifisch, was wiederum die Bedeutung des Swinging-Flashlight-Tests betont.

Er spielt auch bei einer der beiden Fallvorstellungen eine Rolle: Eine akut aufgetretene einseitige konzentrische Gesichtsfeldeinengung gibt Rätsel auf. Bei schleichendem Beginn kann man an ein fortgeschrittenes Glaukom oder – sehr selten – an eine einseitige Retinitis pigmentosa denken, aber akut? Im vorgestellten Beitrag von Januschowski und Wilhelm war der relative afferente Pupillendefekt der Grund dafür, den Gesichtsfeldausfall nicht als funktionell abzutun – der Patient war nach schwerer H 1N1-Influenza noch nicht wieder völlig genesen –, sondern sich die Papille genauer anzusehen, was zur Diagnose einer ungewöhnlichen Form der AION führte.

In der zweiten Fallvorstellung von Elflein und Pitz geht es um eine efferente Störung, die man zunächst für eine Pupillotonie gehalten hätte. Sicherlich, eine einseitige Störung der Pupillenlichtreaktion ohne Störung der Okulomotorik wird nur extrem selten durch eine Kompression des präganglionären N. oculomotorius verursacht und ist eigentlich kein Grund für eine Bildgebung. Interessant sind aber jene Fälle, die von dieser Regel abweichen und unsere Routinen herausfordern. Zudem hat der demonstrierte Fall noch eine weitere pathologisch-anatomische Besonderheit.

Auch einer der ungewöhnlichsten Fallberichte, die bislang publiziert wurden, hat die Pupillenstörung als Leitsymptom: Das Miller-Fisher-Syndrom im Beitrag von Schabet. Ungewöhnlich ist dieser Beitrag deshalb, weil der Autor Patient und Experte gleichzeitig ist. Solche Fallberichte aus der Krankenbettperspektive sind ebenso selten wie wertvoll, denn sie vermitteln eine neue Sichtweise, zum Beispiel: Wie fühlt es sich an, die Augen nicht richtig bewegen zu können?

Die Pupille ist nicht nur im klinischen Alltag von Nutzen, sie ist auch Gegenstand der Forschung, die im deutschen Sprachraum gut verankert ist. 1972 gab es in Bad Nauheim ein hochkarätiges grundlagenwissenschaftliches DOG-Symposion, das den aktuellen Wissensstand bei uns etablierte, 1995 fand das „Pupil Colloquium” in Haigerloch statt und 2011 wird es in Tübingen sein (25. – 28. Sept., siehe www.pupil-colloquium.org). Die moderne Pupillenforschung hat deutsche Wurzeln, Otto Löwenstein und die vor einem Jahr verstorbene Irene Löwenfeld haben sie begründet. Niemand konnte 1972 oder 1995 ahnen, welche Überraschung der Pupillenforschung mit der Entdeckung der Melanopsin-haltigen Ganglienzellen bevorstand: Zwei Komponenten der Pupillenlichtreaktion, eine phasische und eine tonische, wurden schon lange postuliert. Nun kann man sie auch in ihrer neuronalen Verschaltung besser verstehen und mit verschieden farbigen Lichtreizen getrennt untersuchen. Die Übersichtsarbeit von Barbara Wilhelm gibt Einblick in dieses faszinierende neue Forschungsfeld.

Somit schließt sich der Kreis von praktischer klinischer Anwendung der Pupille hin zur Forschung in diesem Themenheft Neuroophthalmologie.

Prof. Dr. Helmut Wilhelm

Augenklinik, Department für Augenheilkunde, Universität Tübingen

Schleichstr. 12 – 16

72076 Tübingen

Phone: ++ 49/70 71/2 98 48 30

Email: Helmut.wilhelm@med.uni-tuebingen.de

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