Notfall & Hausarztmedizin 2009; 35(8/09): 406-407
DOI: 10.1055/s-0029-1241063
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Worüber Ihre Patienten reden und Sie als Arzt eine Meinung haben sollten – Schlagworte zur Ernährung

Rainer Brenke, Elke Radermacher
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PD Dr. Rainer Brenke
Elke Radermacher

Bad Ems

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Publication Date:
11 September 2009 (online)

Table of Contents

Wohl kaum ein Thema wird so emotional diskutiert wie die Ernährung. Dazu tragen unzählige populäre Bücher und Talk-Shows im Fernsehen ebenso bei wie die wechselnden Auffassungen der wissenschaftlichen Medizin. Im Folgenden soll versucht werden, durch eine möglichst sachliche Bewertung einiger populärer Auffassungen und „Schlagworte“ etwas zur Versachlichung der Diskussion beizutragen.

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Vorurteil: Eier und Cholesterin

Denken Sie zum Beispiel an die Diskussion um den hohen Cholesteringehalt von Eiern. Mehr als ein Ei in der Woche schien durch eine anscheinend unvermeidbare Arteriosklerose unweigerlich zum Herzinfarkt oder Schlaganfall zu führen. Einen wissenschaftlich belegten Zusammenhang hierfür herzustellen, gelang jedoch nicht. Ebenso fand man keine Beziehung zwischen der Menge der verzehrten Eier und der Höhe des Cholesterinspiegels im Blut.

Entwarnung also? Nicht unbedingt. Denn naturgemäß enthalten Hühnereier viel tierisches Eiweiß und Arachidonsäure. In großen Mengen genossen wird beides ebenfalls für eine Reihe von Krankheiten mitverantwortlich gemacht. Außerdem enthalten Eier verhältnismäßig viele Kalorien. Generell kann man zwar sein Frühstücksei mit etwas weniger schlechtem Gewissen verzehren, sollte aber dennoch Maß halten.

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Salz ist ungesund und erhöht den Blutdruck

Kochsalz hat ein ähnliches Schicksal wie Cholesterin. Einst wurde es mit Gold aufgewogen. Als man aber herausfand, dass Kochsalz Wasser bindet, stellte man einen Zusammenhang zu erhöhtem Blutdruck und Folgeerkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall her.

Dieses Dogma begann Ende der 1990er-Jahre zu wanken. Inzwischen gibt es sogar Stimmen, die einen Zusammenhang zwischen einem geringen Salzkonsum und erhöhten Blutzuckerwerten, Depressivität und einer vermehrten Ausschüttung von Stresshormonen diskutieren. Sogar die Sterblichkeit von Herzpatienten soll bei einem geringen Salzkonsum erhöht sein.

Was also soll man empfehlen? Wie so häufig sollte man die Individualität der Patienten beachten. Einem Patienten mit einer Niereninsuffizienz oder einem mit einer Dreifachkombination behandelten Hypertoniker wird man etwas anderes raten als dem gesunden Teenager. Ein wenig Salz in der Suppe scheint allerdings dann doch eher wenig zu schaden.

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Abends essen macht dick

Dass abendlich zugeführte Kalorien schneller „ansetzen“ als wenn man tagsüber isst, wenn man noch körperlich aktiv ist, ist eine weitere, breit akzeptierte Meinung. Laut neueren Untersuchungen ist es für das Körpergewicht aber gleichgültig, zu welcher Tageszeit man die Kalorien zuführt. Auch scheint es unerheblich zu sein, ob man viele kleine oder wenige große Portionen zu sich nimmt. Aber ist das die ganze Wahrheit?

Das mit dem Gewichtsverhalten mag ja so stimmen, doch das Körpergewicht ist nur ein Parameter zur Festlegung des Gesundheitszustandes. Auch die Akten über die Belastung des Endokriniums hinsichtlich des Unterschiedes weniger großer und häufiger kleiner Mahlzeiten dürften noch nicht endgültig geschlossen sein. Solange man also nicht mehr weiß, erscheint es als unzulässige und vielleicht auch gefährliche Simplifizierung, ausschließlich aus dem Verhalten des Körpergewichts allgemeingültige Empfehlungen ableiten zu wollen.

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Vitamin C und grippale Infekte

Immer wieder tauchen Studien auf, welche die schädliche Wirkung einer Vitaminsupplementierung belegen. Leider neigt man auch bei diesem Thema offenbar vorschnell zum Verallgemeinern, geht vom täglichen Tagesbedarf eines gesunden Menschen aus und verhindert damit eine echte Auseinandersetzung mit dem Thema. Dies trifft sicher auch auf Vitamin C zu.

Von allen möglichen Vitaminsupplementationen ist die Gabe von Vitamin C wohl am unkritischsten. Selbst im Grammbereich sind beim Gesunden Überdosierungen kaum zu befürchten. Dem trug auch die jahrzehntelange Praxis Rechnung, Vitamin C zur Prophylaxe oder Symptomlinderung grippaler Infekte zu nutzen. Denn neben seinem Potenzial als Radikalenfänger sprach man Vitamin C auch zu, das Immunsystem stärken zu können.

Glaubt man jedoch einer neueren Metaanalyse, scheint Vitamin C nicht einmal die Schwere von Infekten maßgeblich zu vermindern, geschweige denn sie verhindern zu können. Andererseits erleiden Marathonläufer und Skifahrer unter einer Vitamin-C-Applikation weniger grippale Infekte. Aus der Metaanalyse nun also die Unwirksamkeit von Vitamin C im Hinblick auf grippale Infekte ableiten zu wollen, erscheint wieder einmal verfrüht.

Auch bei der Vitamin-C-Supplementation sollte man also eine individuelle Beratung anstreben und zu unterscheiden versuchen, ob man es mit einem gesunden jungen Menschen zu tun hat oder mit einen polymorbiden älteren Patienten oder ob zusätzliche Belastungen (z. B. Leistungssport oder körperliche Schwerarbeit) vorliegen, welche die supplementative Anwendung von Vitamin C im Einzelfall sinnvoll erscheinen lassen.

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Nahrungsmittelallergien und -unverträglichkeiten

Nahrungsmittelallergien sind häufig – allerdings nicht so häufig, wie viele Patienten glauben. Bis zu einem Drittel aller Deutschen befürchten, an einer Nahrungsmittelallergie zu leiden, diagnostizieren lässt sich eine derartige Allergie allerdings nur bei etwa 3  %. Dabei ist die Liste der Differenzialdiagnosen lang.

Da gibt es zum einen typische toxische Reaktionen beispielsweise auf bestimmte Fische oder auch Nahrungsmittelinfektionen. Dem stehen echte allergische Reaktionen gegenüber – typischerweise zum Beispiel auf Nüsse, Äpfel, Kiwi, Soja, Gemüse, Mehl, Fisch oder auch Milch. Andererseits sind vielfältige nichtallergische Reaktionen bekannt, die nichts mit einer Intoxikation oder einer Infektion zu tun haben. Dazu gehören

  • ein Enzymmangel (häufig z. B. Laktasemangel mit Milchunverträglichkeit),

  • Pseudoallergien, bei denen Nahrungsmittel typische Botenstoffe einer Allergie enthalten oder ohne Sensibilisierung des Immunsystems freisetzen, oder auch

  • psychogene Ursachen (z. B. Phobien),

  • internistisch bedingte Erkrankungen (typisches Beispiel: Fettunverträglichkeit bei Gallensteinen) oder ein

  • Reizdarmsyndrom.

Ein im Augenblick vermutlich überbewertetes Thema ist die Laktose- und Fruktoseintoleranz. Eine Intoleranz ist in gewissem Umfang sogar physiologisch. Ein „Bauchgrimmen“ nach dem Genuss von 2 Litern Milch ist sicherlich völlig normal. Eine echte Nahrungsmittelallergie jedoch kann zu einer schweren anaphylaktischen Reaktion führen und muss daher in jedem Fall abgeklärt werden.

Das entscheidende ist und bleibt dabei die Anamnese. Ergänzt werden kann sie mit „Suchdiäten“. Dabei sollte bei nicht bedrohlichen Allergien in regelmäßigen Abständen – insbesondere bei Kindern und Grundnahrungsmitteln – getestet werden, inwieweit die Allergie überhaupt noch besteht. Mit großen Unsicherheiten belastet und damit abzulehnen bleiben IgG-Bestimmungen und viele „alternative“ Tests.

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Kohlenhydrate, Eiweiße und Fette – „low fat oder „low carb?

Bis vor wenigen Jahren war „low fat“ die „Gesundheitsformel“ schlechthin – gerade in den USA. Was aber vielen nicht bewusst ist: Cholesterin hat auch eine Reihe höchst wichtiger Funktionen im Organismus zu erfüllen, diese reichen von der Bildung von Membranen bis zum Aufbau von Hormonen. Bei extrem niedrigen Cholesterinspiegeln im Blut mag die Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zwar sinken, erkauft wird dies jedoch mit einer Reihe zum Teil schwer zu erklärender Krankheitsbilder und einer höheren Gesamtsterblichkeit. Ein „gesundes“ Mittelmaß wäre hier vermutlich anzustreben.

Im Moment allerdings wird in den USA eher „low carb“ propagiert. In Deutschland gilt derzeit noch die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), wonach 55–60  % der Energiezufuhr durch Kohlenhydrate, 30  % aus Fetten und 10–15  % aus Eiweißen stammen sollten. Allerdings gibt es auch hierzulande einen Trend weg von dem relativ hohen Kohlenhydratanteil hin zu mehr Fetten und Eiweißen.

Offenbar kommt es dabei darauf an, die „richtigen“ Fette zu bevorzugen – zum Beispiel ein- oder mehrfach ungesättigte Fettsäuren wie die Omega-3-Fettsäuren. Denn immer mehr spricht dafür, dass insbesondere die sogenannten Transfette die Entstehung einer Arteriosklerose fördern. Weiterhin sollte das Augenmerk stärker auf „slow carb“, also auf die langsam resorbierbaren komplexen Kohlenhydrate aus Vollkornprodukten gelegt werden.

Alles in allem spricht vieles für eine „ovolaktovegetabile“ Ernährung, bestehend vor allem aus pflanzlichen Produkten, aber auch aus Eiern, Milchprodukten und Fisch. Rind- und Schweinefleisch, aber auch Geflügel und Wild sollte man sich vermutlich für besondere Gelegenheiten aufsparen. Fleisch an sich ist wohl nach unserem heutigen Wissenstand, keineswegs krankheitsauslösend, sondern ein (meist) hochwertiges Nahrungsmittel, das aber infolge einer „Überdosierung“ Probleme machen kann.

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Ernährungsempfehlungen immer differenziert betrachten

Bei allen Unsicherheiten zum Thema Ernährung sollten wir uns das Essen nicht vermiesen lassen – es erfüllt nicht nur die Funktion der notwendigen Nährstoffzufuhr, sondern auch kulturelle und soziale Bedürfnisse. Die Befriedigung dieser Bedürfnisse sollte jedoch nicht mit einem Ausschalten des Verstandes verbunden sein und auch nicht mit einer Überbewertung von wissenschaftlichen Partialergebnissen, die vorschnell als allgemein gültige Empfehlungen uminterpretiert werden. Zu oft haben wir uns in der Medizin schon geirrt und vermeintlich Neues und Besseres hat sich als Irrweg herausgestellt. Dies dürfte in der Ernährungsmedizin nicht anders sein.

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PD Dr. Rainer Brenke
Elke Radermacher

Bad Ems

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PD Dr. Rainer Brenke
Elke Radermacher

Bad Ems