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DOI: 10.1055/s-0029-1241061
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Patientenverfügung und Sterbehilfe – ist die Rechtslage jetzt klar?
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
11. September 2009 (online)

Bei der Versorgung schwerstkranker Patienten leistet die moderne Intensivmedizin heute mehr als viele Ärzte vertreten wollen oder können – mehr noch als die meisten Menschen eigentlich wollen. Da ist es kein Wunder, wenn immer mehr Patienten Vorsorge treffen wollen, damit im Falle des Falles ihre Wünsche berücksichtigt werden. Dementsprechend sollte der Umgang mit Patientenverfügungen und der ,Sterbehilfe' (ein furchtbares Wort!) geregelt und in gesetzliche Normen gepresst werden. Wir Ärzte haben nach Gesetzen gerufen. Nun sind sie da, und das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) ist um das Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts reicher. Ab dem 1.9.2009 sind Patientenverfügungen nun verbindlich. Aber waren sie das vorher nicht?
Die Rechtslage war schon immer klar, zumindest soweit das im persönlichen Verhältnis zwischen dem Arzt und dem Kranken überhaupt regulierbar ist. Der Kranke fragt den Spezialisten, den Arzt, und der untersucht, erklärt und handelt danach im therapeutischen Sinne. Oder kürzer: Er hält Maßnahmen für indiziert oder nicht. Der Patient fügt sich dann der Anordnung seines Arztes – oder eben nicht. Warum soll dieses Vorgehen am Lebensende anders sein? Ist das Ziel „das Leben verlängern um jeden Preis“ eine Rechtfertigung für alles und jedes? Ein Patient formulierte seine Ängste vor einem solchen Vorgehen sehr treffend: „Ich habe keine Angst vor dem Tod, aber ich habe Angst davor zu leben, wenn ich tot sein sollte.“
Immer noch gilt das Recht der Selbstbestimmung, und solange niemand dabei die Rechte anderer verletzt, ist das auch gut so. Verletzt es denn Pflegekräfte in ihren Grundrechten, wenn ein Bewohner im Heim sterben will und die Ernährungssonde entfernt werden soll? Nein, hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Darf eine Tochter bei ihrer Mutter die liegende Sonde abschneiden? Nein, entschied das Landgericht in Fulda am 30. April 2009 in einem Fall von Sterbehilfe. Oder doch ja, denn die aktiv handelnde Tochter wurde freigesprochen, der Anwalt, der ihr den Rat gab, verurteilt. Die Ärzte wiederum, die dieser Patientin im Klinikum sofort eine neue Sonde legten, mussten die Indikation dafür nicht begründen. Gut, sie standen im Strafgesetzbuch zwischen den §§ 323c ,unterlassene Hilfeleistung' und 223 ,Körperverletzung'. Ob sie das wussten? Angeklagt wurden sie jedenfalls nicht. Und das wäre ein spannender Prozess geworden!
Hält ein Mensch, am Ende seines Lebens zum Patienten geworden, die Fürsorgepflicht des Arztes für sich selbst für nicht indiziert, so muss er das in einer Patientenverfügung festhalten. Diese soll dann verbindlich sein. Kann denn ein Arzt eine solche Entscheidung überhaupt auf seinen Patienten verlagern? In der Regel tut er es, weil er die forensischen Konsequenzen fürchtet. Aber diese werden wohl durch die Neuregelungen in den §§ 1901 bis 1904 BGB nicht geringer, denn die vielen denkbaren Grenzfälle konnten natürlich nicht berücksichtigt werden. Denken Sie zum Beispiel an Sterbende unter 18 Jahren, um nur ein Beispiel zu nennen.
Doch was ist mit den Patienten? Prof. Gian Dominico Borasio, München, formuliert scharf: Patientenverfügungen dienen heute vorwiegend dazu, sich vor ärztlichen Kunstfehlern zu schützen. Versöhnlicher klingt er, wenn er eine Ausbildung im Fach Palliativmedizin fordert, die seit dem 11.7.2009 in der Approbationsordnung verankert ist, um schlimme Wissenslücken zu schließen. Denn eine Umfrage unter Neurologen und Vormundschaftsrichtern hat eine erschreckende Unkenntnis zur Frage der aktiven, passiven und indirekten Sterbehilfe aufgezeigt. Dieses Wissen zu vermitteln, das ist der richtige Weg und nicht neue Gesetze. Und wo ist der Missbrauch zu suchen? Das wäre, wenn andere – und sei es auch aus noch so edlen Motiven – über das Leben oder das Sterben entscheiden dürfen.