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DOI: 10.1055/s-0029-1240538
© Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG
Vitamin D3: Das unterschätzte Anti-Aging-Hormon mit vielfältigen Wirkungen
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
03. Dezember 2009 (online)

Ein gelegentliches Sonnenbad ist nicht in jedem Fall ausreichend, um den Vitamin-D3-Bedarf abzudecken. © Jens Bredehorn/pixelio.de.
Seit der Entdeckung seiner antirachitischen Wirkung in den 1920er-Jahren hat man Vitamin D3 lange Zeit nur im Hinblick auf seine Funktion im Kalzium- und Knochenstoffwechsel betrachtet ([Abb. 1]). Eine Vielzahl von Forschungsergebnissen der vergangenen Jahre hat allerdings gezeigt, dass Vitamin D3 nicht nur ein Regulator der Kalzium- und Phosphathomöostase ist, sondern zahlreiche extraskelettäre Wirkungen aufweist. Darunter sind von besonderer Bedeutung der Einfluss von Vitamin-D-Hormon (Calcitriol) auf das Immunsystem sowie auf die Zelldifferenzierung und das Zellwachstum ([Tab. 1]).
Abb. 1 Körpereigene Vitamin-D-Synthese.
Tab. 1 Vitamin D3: Physiologische und biochemische Eigenschaften im Überblick. Zielgewebe/-organ physiologische und biochemische Eigenschaften Immunsystem Immunmodulation (→ antiinflammatorische und immunstabilisierende Wirkungen): Vitamin-D-Rezeptoren werden von Monozyten und Leukozyten mit der höchsten Phagozytoserate exprimiert Differenzierung von Monozyten zu Makrophagen↑ Infektanfälligkeit↓ (z. B. Atemwegsinfekte) Aktivität lysosomaler Enzyme ↑ in Makrophagen Risiko für Kolon-, Mamma- und Prostatakarzinom↓ Phagozytoseaktivität und ‐rate↑ Th1-/Th-2-Regulation: Calcitriol kann Produktion von Zytokinen des Th1-Weges (z. B. IL-2, IFN-γ) unterdrücken und Zytokinbildung des Th2-Weges (z. B. TGF-β1, IL-4) steigern Stimulation der endogenen antimikrobiellen Cathelicidin-Synthese (potenzielle Indikationen: Allergien, Asthma bronchiale, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, HIV-Infektion, Multiple Sklerose, rheumatoide Arthritis, Tuberkulose) Tumorzellen Hemmung der Tumorzellproliferation Vitamin-D-Rezeptoren (VDR) finden sich u. a. auch in der Brustdrüse, im Darm und in der Prostata Induktion der Differenzierung und Apoptose in malignen Zellen (potenzielle Indikationen: Kolon-, Mamma- und Prostatakarzinom, Therapie mit Bisphosphonaten oder Aromatasehemmern) Pankreasfunktion Regulation der Insulinsekretion der Betazellen des Pankreas Calcitriol schützt humane Pankreasinseln vor der zytokininduzierten Apoptose (Herrunterregulierung des Fas-Rezeptors) Calcitriol verhindert im Maus-Modell Entwicklung eines Typ-1-Diabetes Vitamin-D3-Supplemente (2 000 I. E./Tag) in der frühen Kindheit verringern das Risiko für Typ-1-Diabetes um 80 %) (potenzielle Indikationen: Insulinresistenz, metabolisches Syndrom, Diabetes mellitus Typ I und II) Herz-Kreislauf-System Kardiozyten exprimieren Vitamin-D-Rezeptoren Adenylatcyclase ist abhängig von Calcitriol Blutdruck korreliert invers mit Vitamin-D3-Status Vitamin D3 supprimiert Aktivierung des Renin-Angiotensin-Systems Reduktion des systolischen Blutdrucks wirkt Herzhypertrophie entgegen (potenzielle Indikationen: Herzinsuffizienz, Hypertonie) Haut Differenzierung und Reifung der Keratinozyten Calcitriol wirkt antiproliferativ und immunregulativ (Th-1-, Th-2-Zellen) (potenzielle Indikationen: Psoriasis, Neurodermitis, Lupus erythematodes) Knochenstoffwechsel Regulation der Kalzium- und Phosphathomöostase: Steigerung der Kalziumabsorption in Duodenum und Jejunum Steigerung des Einbaus von Kalzium in den Knochen Verringerung der Kalziumexkretion über die Niere Suppression der Nebenschilddrüsenfunktion Aktivierung von Osteoklasten Transkription von Osteocalcin, Osteopontin (Indikationen: Rachitis, Osteomalazie, Osteoporose) Muskel-/Nervenzellen Regulation der neuromuskulären Funktion Zunahme der Muskelmasse Verbesserung der muskulären Koordination (Sturzprophylaxe) (Indikationen: Muskelschwäche, Myopathien, Osteoporose)
Die stoffwechselaktive Verbindung, das 1,25-(OH)2-Vitamin D3 (Calcitriol), ist ein Steroidhormon, das überwiegend seine physiologischen Effekte über die Wechselwirkung mit Vitamin-D-Rezeptoren (VDR) ausübt. Vitamin-D-Rezeptoren wurden in über 30 Zielgeweben gefunden, die mit dem Kalzium- und Phosphatstoffwechsel (Knochenstoffwechsel) nichts zu tun haben (z. B. Endothelzellen, Inselzellen des Pankreas, Herz-, Skelettmuskelzellen, Monozyten, T-Lymphozyten) [1].
Nach aktuellen Studien dürfte ein unzureichender Vitamin-D-Status (25-OH-Vitamin D3 im Serum ≤ 75 nmol/l) ein wichtiger ätiologischer Faktor bei der Pathogenese zahlreicher chronischer Erkrankungen sein:
Autoimmunerkrankungen (z. B. Multiple Sklerose, Typ-1-Diabetes) entzündliche Darmerkrankungen (z. B. Morbus Crohn) Infektionen, Immunschwäche kardiovaskuläre Erkrankungen (z. B. Bluthochdruck, Herzinsuffizienz, plötzlicher Herztod) und Krebserkrankungen (z. B. Kolon-, Mamma-, Ovarial-, Prostatakarzinom, Non-Hodgkin-Lymphom)
Legt man unter präventiven Aspekten einen guten Vitamin-D-Status anhand der 25-OH-Vitamin-D3-Serumspiegel von > 80 nmol/l fest, so dürften in Deutschland bis zu 90 % der Bevölkerung unterversorgt sein. Um 25-OH-Vitamin-D3-Serumspiegel von > 80 nmol/l zu erreichen, muss in jedem Fall Vitamin D3 (Cholecalciferol) im Dosierungsbereich von 1000–3000 IE pro Tag supplementiert werden, da unsere Lebensmittel nur sehr niedrige Konzentrationen an diesem Vitamin enthalten. Daher sind die Zufuhrempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DACH-Referenzwerte), die derzeit Jugendlichen und Erwachsenen im Alter zwischen 15 bis 65 Jahren 200 I. E. Vitamin D3 (= 5 µg) pro Tag empfehlen, besonders kritisch zu sehen. In jüngeren Jahren reicht in den Sommermonaten zwar ein gelegentliches Sonnenbad aus, um bis 100 % des Vitamin-D3-Bedarfs abzudecken. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass Deutschland im Bereich des 47.–52. Breitengrads liegt und dort die für die Vitamin-D3-Synthese notwendige UV‐B-Bestrahlung von 280–315 nm von Oktober bis April sehr gering ist. Auch hier gilt der altbewährte Spruch „Vertrauen ist gut, labordiagnostische Kontrolle ist besser!“
Uwe Gröber
Akademie und Zentrum für Mikronährstoffmedizin
Zweigertstraße 55
45310 Essen
eMail: uwegroeber@gmx.net