ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2009; 118(5): 207
DOI: 10.1055/s-0029-1225374
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Macht des Vorurteils

Cornelia Gins
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Publication Date:
26 May 2009 (online)

Ein neuer Patient kommt in Ihre Praxis. Sie begrüßen ihn und machen sich innerhalb weniger Sekunden einen 1. Eindruck von ihm. Dass das so ist, wird wohl keiner bezweifeln wollen. Wie entsteht er aber nun dieser 1. Eindruck? Ist es vielleicht der Händedruck, die Kleidung, die Sprache, die Gestik oder der Name (z. B. die Lehrerin mit dem Bindestrich–Doppelnamen)? Erstaunlich viel wird bei diesem 1. „Scannvorgang” erfasst, vor allem unbewusst. Das Bild, das sich nun in Windeseile aufgebaut hat, vergleichen wir dann mit den eigenen, sagen wir, Lebenserfahrungen. Und schon ist eine Schublade geöffnet, in die der Patient „hineinpasst”.

Das machen Sie nicht so? Ich denke schon, auch wenn die meisten sich gegen den Vorwurf des Schubladendenkens wehren werden. Aber aus der Psychologie ist bekannt, dass unser Gehirn gegen dieses simple Kategoriedenken gar nichts tun kann. Sich wiederholende Äußerungen, unabhängig ob sie positiv oder negativ ausfallen, beispielsweise über Menschen prägen auch unser Bild von ihnen, obwohl wir sie gar nicht kennen. Dass Blondinen nicht dumm sind und Frauen sehr gut einparken können (es soll ja auch Männer geben, die zuhören können), ist natürlich bekannt. Nichtsdestotrotz ist es in den Köpfen und wird bei passender Gelegenheit zum Besten gegeben, und das nicht nur am Stammtisch. Wir schnappen etwas auf und schon glauben wir, im Bilde zu sein. Nun ist das Fatale, dass das Gehirn diese VORurteile ohne unser Zutun aktiviert und dazu leider oft genug gegen unseren Willen. Das gilt übrigens auch für die sogenannte „üble Nachrede”. Dazu eine Äußerung von Sokrates:

Zu Sokrates kam ein Mann und sagte: „Höre ich muss dir etwas Wichtiges über deinen Freund erzählen.” „Warte ein wenig”, unterbrach ihn der Weise, „hast du das, was du mir erzählen willst, durch die 3 Siebe hindurchgehen lassen?” „Welche 3 Siebe”, fragte dieser. „So höre: Das 1. Sieb ist das der Wahrheit. Hast du dich von der Wahrheit der Sache vergewissert?” „Nein, ich habe es von anderen gehört”, erwiderte der Mann. „Nun denn, das 2. Sieb ist das der Güte. Ist die Ursache dafür, dass du diese Nachricht weitergeben willst, einem gütigen Motiv deines Herzens entsprungen?” Der Mann musste schweigen. „Das 3. Sieb schließlich ist das der Nützlichkeit. Glaubst du, dass diese Nachricht meinem Freund oder mir von Nutzen sein wird?” Der Mann drehte sich wortlos um und ging.

Das Denken in Vorurteilen, in Kategorien ist offensichtlich eine menschliche Schwäche. Der Psychologe Christian Fichter von der Universität Zürich, beschreibt die Menschen als kognitive Geizhälse, denn Vorurteile ersparen die eigene Denkarbeit. Sie erlauben es sich, schnell ein Bild zu machen. Das muss zwar nicht immer schlecht sein, aber oft ist der 1. Eindruck eben nicht der richtige. Und wie schwer es ist, diesen zu revidieren, weiß jeder nur zu gut. Frei machen können wir uns von diesem Mechanismus wohl nicht, aber einen Versuch wäre es immerhin wert, bei der nächsten sich ergebenden Gelegenheit die Schublade einfach mal zuzulassen.

Cornelia Gins

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