Frauenheilkunde up2date 2009; 3(6): 423-426
DOI: 10.1055/s-0029-1224713
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Indikationen zur Antikoagulation in der Schwangerschaft

M. K. Bohlmann, D. W. Luedders, K. Baumann, M. Thill, A. Hornemann
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Publication Date:
15 December 2009 (online)

Einleitung

Im Rahmen der Schwangerschaft ereignen sich profunde Veränderungen des maternalen Gerinnungssystems, wobei das prägravide Gleichgewicht zwischen prokoagulatorischen und antikoagulatorischen Faktoren unter dem Einfluss der Schwangerschaftshormone in Richtung einer gesteigerten Gerinnung verschoben wird [1].

Es kommt u. a. zur Abnahme gerinnungshemmender und einer quantitativen Zunahme prokoagulatorischer Faktoren [2]. Zudem beeinflussen eine erhöhte (erworbene) Resistenz gegen aktiviertes Protein C sowie eine veränderte Fibrinolyse die Hämostase in der Schwangerschaft. Die Gravidität gilt daher auch als Zustand einer erworbenen Hyperkoagulabilität, einer Thrombophilie [3].

Diese Veränderungen des Gerinnungssystems sind unter entwicklungsgeschichtlichen Aspekten zur Reduzierung des peri- und postpartalen Blutverlusts sinnvoll, stellen aber ein signifikant erhöhtes Risiko für thromboembolische Ereignisse dar. So steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Thrombose in der Schwangerschaft um das 4-fache, im Wochenbett sogar um den Faktor 14 an [4]. Thromboembolische Erkrankungen in Schwangerschaft und Wochenbett stellen zudem in der westlichen Welt eine der wichtigsten Ursachen maternaler Mortalität dar [5]. Insbesondere bei einer positiven Eigenanamnese, ggf. in Kombination mit einer präexistenten maternalen Thrombophilie (s. [Tab. 1]), ist von einem erhöhten Risiko thromboembolischer Ereignisse auszugehen [6].

Tab. 1 Häufigkeit der bedeutsamsten hereditären Thrombophilien (modifiziert aus 8). Veränderung asymptomatische Allgemeinbevölkerung (%) Patienten mit thromboembolischen Ereignissen (%) Antithrombin-Mangel(inkl. Mutationen) 0,02  1 angeborene APC-Resistenzheterozygote Faktor-V-Leiden-Mutationhomozygote Faktor-V-Leiden-Mutation 3–70,02 20 3 Protein-C-Mangel 0,2  3 Protein-S-Mangel nicht ermittelt  1–2 Prothrombin-Mutation (G20210A) 1,2–3,5  4,6–7,1

Besonders bedeutsam ist die Erkenntnis, dass das Risiko für venöse thromboembolische Ereignisse in allen Trimestern der Schwangerschaft gleich ist [7]. Durch neu auftretende Konstellationen (z. B. Hyperemesis, Dehydratation, großer Blutverlust, Operationen in der Schwangerschaft etc.) kann sich das Risiko für venöse thromboembolische Ereignisse signifikant erhöhen [7]. Maternal angeborene oder erworbene Thrombophilien stellen aber nicht nur Risikokonstellationen für Thromboembolien dar, sondern auch für weitere Komplikationen wie

rezidivierende Aborte, schwere Präeklampsie, intrauterine Wachstumsrestriktion oder intrauterinen Fruchttod.

Derartige zusätzliche Komplikationen lassen sich bei mehr als der Hälfte der Patientinnen mit pathologischen Schwangerschaftsverläufen nachweisen [8].

Bei der Anwendung einer Antikoagulation in der Schwangerschaft sind therapeutische von prophylaktischen Indikationen zu unterscheiden, zudem ist zwischen verschiedenen Formen der Antikoagulation (Heparine, Thrombozyten-Aggregationshemmer, Vitamin-K-Antagonisten etc.) zu differenzieren. Im Rahmen dieser Übersicht soll auf rein internistische maternale Indikationen (z. B. Zustand nach Myokardinfarkt) sowie seltene Konstellationen (Antithrombin-Mangel) nicht eingegangen werden.

Die hier dargestellten Anwendungen einer Antikoagulation sollen dabei keinesfalls eine Anleitung für weniger Erfahrene sein, vielmehr soll ein Überblick über verschiedene therapeutische Optionen und Indikationen präsentiert werden. Die therapeutischen Optionen stellen alle aufgrund fehlender Zulassungen in der Schwangerschaft einen „Off-Label-Use” dar. Es liegt daher in der Verantwortung der betreuenden Ärztinnen und Ärzte, ggf. (Hoch-)Risikopatientinnen in Zentren mit entsprechender interdisziplinärer Expertise vorzustellen.

Literatur

  • 1 Stirling Y, Woolf L, North W R et al. Haemostasis in normal pregnancy.  Thromb Haemost. 1984;  52 176-182
  • 2 Cerneca F, Ricci G, Simeone R et al. Coagulation and fibrinolysis changes in normal pregnancy. Increased levels of procoagulants and reduced levels of inhibitors during pregnancy induce a hypercoagulable state, combined with a reactive fibrinolysis.  Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol. 1997;  73 31-36
  • 3 Greer I A. The challenge of thrombophilia in maternal-fetal medicine.  N Engl J Med. 2000;  342 424-425
  • 4 Kyrle P A, Eichinger S. Deep vein thrombosis.  Lancet. 2005;  365 1163-1174
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  • 8 Bohlmann M K, Luedders D W, Weichert J et al. Thrombophile Gerinnungsstörungen als Risikofaktoren für habituelle Aborte.  Gynäkologe. 2009;  42 17-24
  • 9 Bauersachs R M, Dudenhausen J, Faridi A et al. Risk stratification and heparin prophylaxis to prevent venous thromboembolism in pregnant women.  Thromb Haemost. 2007;  98 1237-1245
  • 10 Schauf B, Bohlmann M K, Wallwiener D et al. Prophylactic treatment of preeclampsia.  Gynakol Geburtshilfliche Rundsch. 2007;  47 205-208
  • 11 Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Leitlinie: Diagnostik und Therapie hypertensiver Schwangerschaftserkrankungen 2008.  http://dggg.de/_download/unprotected/g_03_03_05_diagnostik_therapie_hypertensiver.pdf
  • 12 Rey E, Garneau P, David M et al. Dalteparin for the prevention of recurrence of placental-mediated complications of pregnancy in women without thrombophilia: a pilot randomized controlled trial.  J Thromb Haemost. 2009;  7 58-64
  • 13 Bohlmann M K, Schauf B, Luedders D W et al. Aktuelles zur rationellen Diagnostik und Therapie habitueller Frühaborte.  Geburtsh Frauenheilk. 2007;  67 217-227
  • 14 Rai R, Backos M, Baxter N et al. Recurrent miscarriage – an aspirin a day?.  Hum Reprod. 2000;  15 2220-2223

Dr. med. M. K. Bohlmann

Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe · Universitätsklinikum Schleswig-Holstein · Campus Lübeck

Ratzeburger Allee 160

23538 Lübeck

Email: michael.bohlmann@uk-sh.de

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