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DOI: 10.1055/s-0029-1213555
© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG
Ein Geniestreich der Evolution
Im Gespräch mit Dr. Christian Larsen, dem Begründer der SpiraldynamikPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
24. August 2009 (online)

Herr Dr. Larsen, können Sie unseren Lesern kurz das Prinzip der Spiraldynamik und ihre Wirkung auf die Körperphysiologie erläutern?
Die Spirale ist ein Grundbaustein der Natur. Von der DNA-Doppelhelix über Pflanzen bis hin zu Wettersystemen und Galaxien bedient die Natur sich der Spirale, wenn es stabil und flexibel zugleich sein soll. Genauso ist es im menschlichen Körper: Das Bindegewebe der Sehnen besteht aus spiralförmigen Eiweißketten. Im Knochen werden Druck- und Zugkräfte durch Spiralstrukturen optimal verteilt. Die Kreuzbänder im Knie, die sich spiralig umeinander schlingen und die mehrgelenkigen Beinmuskeln, die sich spiralförmig vom Fuß um Unter- und Oberschenkel und Hüfte schlingen, bringen die Gelenke in die funktionell sinnvollste Position. Das Prinzip der Spirale zieht sich durch den ganzen Körper. Die Evolution hat hier einen Geniestreich erschaffen. Wenn diese Prinzipien berücksichtigt und richtig eingesetzt werden, reduziert sich die Abnutzung auf ein natürliches Minimum. Geht das Spiralprinzip verloren, wie bei Knickfüßen, X-Beinen, einem Hohlkreuz, Rundrücken, vorgezogenen Schultern etc., nehmen Abnutzung und Verletzungsgefahr rapide zu.
Was hat Sie dazu veranlasst, die Spiraldynamik zu entwickeln?
So gesehen existiert die Spiraldynamik seit Urzeiten. Ich habe sie lediglich entdeckt, ihr den Namen gegeben und mit einem internationalen und interdisziplinären Team daraus ein lehr- und lernbares Konzept entwickelt. Den Durchbruch ermöglichten mir Neugeborene: Während ich als junger Assistenzarzt in der Geburtenabteilung der Universitätsklinik Bern gearbeitet habe, entdeckte ich die Zusammenhänge zwischen archaischer Reflexmotorik und funktioneller Bewegungskoordination. Neugeborene sind geborene Bewegungsexperten! Nirgends wird das genetische Bewegungsprogramm des Menschen der direkten Beobachtung so konkret zugänglich wie bei Neugeborenen. Da ist alles fix und fertig einprogrammiert. Das hat mich fasziniert und so begann ich mit der Entschlüsselung menschlicher Bewegungsintelligenz. Daraus entstand das Konzept der Spiraldynamik.
Abb. 1: Dr. Christian Larsen. © Claudia Larsen
Gibt es wissenschaftliche Untersuchungen bzw. Studien zur Spiraldynamik?
Wissenschaftliche Untersuchungen finden v. a. in meiner praktischen Arbeit als Arzt statt. Meine Mitarbeiter und ich analysieren Probleme des Bewegungsapparats systematisch, bis wir die Ursache kennen und die therapeutischen Maßnahmen festlegen können. Randomisierte Studien gibt es nicht. Sie sind zeit- und kostenintensiv. Dazu fehlen uns die finanziellen Ressourcen. Nur wenige Berufsgruppen im Gesundheitswesen haben ein Interesse daran, Operationen zu vermeiden und nachzuweisen, wie alternative nicht operative Methoden zu Funktionalität und Lebensqualität führen können. Letztes Jahr haben wir 179 Operationen dokumentiert verhindert. Wir verfügen über eine aussagekräftige Statistik, aber nicht über Doppelblindstudien.
Inwiefern stellt die Spiraldynamik einen neuen Therapieansatz dar?
Das Herzstück ist das Know-how der Evolutionsgeschichte in Kombination mit Selbstverantwortung und Selbstkompetenz des Patienten im Alltag. Der Patient wird vom passiv Behandelten zum aktiv Handelnden. Arzt, Therapeut und Patient sind ein Team. Patienten lernen, sich spiraldynamisch zu bewegen. In der akuten Phase kann das passiv geschehen, danach werden die schädlichen Bewegungsmuster in intelligente „umprogrammiert”. Hat der Patient diesen Lernschritt vollzogen, wird die neue Bewegung in den Alltag integriert, beispielsweise bei Fuß-, Knie-, oder Hüftproblemen ins Gehen, Stehen und Laufen. Der Alltag ist mit 12 Stunden richtigem Bewegen am Tag das perfekte Trainingsfeld anstelle von 30 min Therapie oder Training.
Können Sie uns anhand eines konkreten Fallbeispiels schildern, wie eine Behandlung mit der Spiraldynamik aufgebaut ist?
Ein klassisches Beispiel ist der Patient mit subakuten Rückenproblemen. In der Sprechstunde folgt nach der klassischen Anamnese ein Check von Kopf bis Fuß. Der Rückenschmerz hat seine Ursache selten nur dort, wo es schmerzt. Bandscheibenvorfälle entstehen oft durch einen starren Brustkorb oder ein schiefes Becken, durch verkürzte Hüftstrecker oder schiefe Beinachsen. Hier helfen uns neben dem geschulten Auge Hightech-Geräte wie die computergestützte Medimouse, Fußdruckmessplatten oder SonoSens zur Langzeitbeobachtung der Bewegungsabläufe. Danach geht es in die Therapie, wo in 9 × 50 min die Defizite aufgearbeitet werden.
Zu Beginn steht die Schmerzbehandlung im Vordergrund, die verspannten Rückenmuskeln werden detonisiert. Parallel dazu wird das Körper- und Haltungsbewusstsein geschult. Das sieht dann beispielsweise so aus, dass der Patient in Rückenlage auf dem Boden liegt und die lumbale Rückenmuskulatur leicht anspannt, wodurch sich der Bauch zur Decke wölbt. Mithilfe der Schwerkraft und des Bodens als Führungsebene löst der Patient die Spannung dann langsam auf, der Rücken sinkt zurück auf den Boden. Synchron dazu führt der Therapeut das Becken mit seinen Händen abwechselnd mal links, mal rechts betont nach kaudal. So wird bereits bei der 1. Übung die axiale Stabilisierung der LWS in der späteren Standbeinphase vorbereitet und eine fortgesetzte Ventralkippung des Beckens bei jedem Schritt verhindert. Alle Übungen, auch die passiven Maßnahmen, können die Patienten 1 : 1 in den Alltag transferieren.
3–4 Therapieeinheiten später befindet sich der Patient dann in Seitenlage, das untere Bein ist flektiert, das obere Bein wie ein Standbein gestreckt. Wiederum wird hier die Leiste geöffnet, Psoas und lumbale Muskulatur detonisiert, die LWS axial stabilisiert. Diese Position erlaubt „ein Gehen in Seitlage und im Zeitlupentempo”. Das ist eine bewährte Methode zur Anbahnung neuer Bewegungsmuster. Jeder Lernschritt kann dabei mit Weichteiltechniken, Manipulation oder Visualisierungen kombiniert und ergänzt werden. Meist folgt die methodische Umsetzung der Kaskade von passiv zu assistiv zu aktiv-dynamisch.
Am Ende der Therapie geht es darum, die neu gelernten Bewegungsmuster im Alltag umzusetzen und zu automatisieren. Beispielsweise wird bei jedem Klingeln eines Handys die axiale Stabilisierung der LWS geübt, egal ob im Sitzen, Stehen, Gehen oder Liegen. So lassen sich Bewegungsmuster elegant und nachhaltig umprogrammieren.
Abb. 2: Die Therapeutin führt und korrigiert die Bewegungen der Patientin und unterstützt die Integration von Bewegungsmustern. © Claudia Larsen
Bei welchen Erkrankungen eignet sich die Spiraldynamik zur Behandlung besonders gut?
Bei allen Beschwerden des Bewegungssystems. Führend sind alle Abnutzungs-Erkrankungen mit Fehlbelastungskomponente wie Arthrose, Fußschmerzen wie Hallux valgus, Morton Neurom, Spreiz-, Knick-, Senk-, Platt-, Hohlfüße, Knieprobleme oder Koxarthrose. Spiraldynamik hat sich auch bewährt bei Rückenbeschwerden verursacht durch Bandscheibenprobleme, Spinalkanalverengungen oder statodynamische Überlastungen der Facettengelenke. Auch bei Verspannungen des Schultergürtels, Verkalkungen der dortigen Rotatorenmanschette, Sehnenengpasssyndromen, muskulären Funktionsstörungen von Schultern, Armen und Händen zeigt sich deutliche Besserung. Besondere Indikationen für die Spiraldynamik sind Schleudertrauma, Schnarchen, Zähneknirschen und Kieferfunktionsstörungen. Kurzum: Spiraldynamik wird immer dort eingesetzt, wo die Funktionen überprüft und optimiert werden können und sollen. Das gilt insbesondere auch für Tänzer und Sportler im präventiven oder sekundärpräventiven Bereich.
Wie kann die Spiraldynamik Sportlern helfen?
Konkret geht es um die Feinabstimmung der Bewegung gemäß individuellem Stärken-Schwächen-Profil. Jogging mit Knick- oder Senkfüßen wirkt sich messbar negativ auf die Leistung aus, sicher aber auf das gesamte „Laufwerk”, weil die Gelenke vom Sprunggelenk an aufwärts auf Schritt und Tritt fehlbelastet werden. Mit Spiraldynamik setzen wir da meist mit einer Überprüfung der Rotationsrichtung des Oberschenkels an. Ist diese ungenügend, ist das Problem oft schon geortet: Ein konsequentes Training der Außenrotatoren und Gangschulung zum Erlernen der neuen Bewegungsabfolgen lösen das Problem – und beugen vorzeitiger Abnutzung, Schmerzen und Verletzungen vor. Wenn möglich präventiv. Der qualitative Aspekt der Bewegung geht oft auch mit Leistungssteigerung einher.
Worin sehen Sie den Vorteil der Spiraldynamik gegenüber anderen körperorientierten Behandlungsverfahren?
Spiraldynamik ist ein methodenunabhängiges Konzept, eine Art Metatheorie des menschlichen Bewegungssystems. Es interpretiert menschliche Lokomotion aus ihrem evolutionsgeschichtlichen Kontext und macht sie so in verschiedenen Disziplinen anwendbar. Die Verständlichkeit des Konzepts leuchtet dem Patienten ein, Lernschritte sind dokumentierbar. Der Patient erhält eine griffige Gebrauchsanweisung für den eigenen Körper. Das motiviert. Das gilt auch für den Therapeuten, der das Wissen partnerschaftlich und erfolgreich vermittelt. Spiraldynamik-Therapeuten sind Physiopädagogen.
Gibt es Verfahren, die sich besonders gut mit der Spiraldynamik kombinieren lassen bzw. gibt es welche, die eine Behandlung mit dieser Methode ausschließen?
Die Methodenunabhängigkeit lässt Anwendungen in fast allen Therapie- und Trainingsbereichen zu. Bewegungsintelligenz funktioniert immer gleich, bei allen Völkern. Ideal sind alle bewegungsorientierten Disziplinen: Physiotherapie, Shiatsu, Alexander-Technik, Feldenkrais, aber auch Sport, Yoga, Tanz und nicht zu vergessen Schulpädagogik. Kinder sind besonders auf intelligente Bewegungsförderung angewiesen. Da liegt der Schwerpunkt immer noch zu oft auf Quantität statt Qualität.
Schwierig mit Spiraldynamik wird es immer dann, wenn der Patient ausschließlich passiv behandelt werden will. Bereitschaft für aktives Mittun und Veränderung sowie ein gutes Maß an Wissbegierde und Lernbereitschaft sind Voraussetzungen für den Erfolg mit Spiraldynamik.
Was beinhaltet die Ausbildung für Ärzte, die die Spiraldynamik in ihrer Praxis anwenden wollen?
Die Basisausbildung beinhaltet 4 × 4 Tage Schulung innerhalb eines Jahres. Dabei liegt der Mehrwert in der Zusammenarbeit mit den Physiotherapeuten: So schließt sich die Lücke zwischen theoretischem Anatomiewissen und praktischer Arbeit. Ärzte und Physiotherapeuten profitieren zu gleichen Teilen. Diese Form hat sich bewährt – nicht zuletzt, weil der Erfolg der Spiraldynamik im partnerschaftlichen Team zwischen diagnostizierendem Arzt, aktiv lernendem Patienten und instruierendem Physiotherapeuten liegt. Der Austausch erlaubt laufende Evaluation. Das motiviert alle Beteiligten, weil der Erfolg messbar wird.
Wann gibt es das erste Spiraldynamik Med Center in Deutschland?
Am 1. Oktober 2009 wird das Med Center in Freiburg im Breisgau unter der ärztlichen Leitung meines Kollegen Dr. Paul Ridder eröffnet. Weitere Med Center sind geplant. Dafür suchen wir Ärzte orthopädischer, physikalisch-medizinischer oder rheumatologischer Fachrichtung, die in der Schweiz oder in Deutschland in leitender oder angestellter Position an einem Med Center arbeiten möchten.
Herr Dr. Larsen, herzlichen Dank für das Gespräch!
Korrespondenzadresse
Dr. med. Christian Larsen
Spiraldynamik Med Center Privatklinik Bethanien
Restelbergstrasse 27
CH-8044 Zürich
eMail: christian.larsen@spiraldynamik.com