psychoneuro 2008; 34(11/12): 540
DOI: 10.1055/s-0029-1186290
Interview

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Hoffnung auf eine krankheitsmodifizierende Therapie – Dem Parkinson–Patienten eine neue Perspektive geben

Alexander Kretzschmar
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
12. Januar 2009 (online)

Inhaltsübersicht

    Die Behandlung des Morbus Parkinson ist derzeit rein symptomatisch orientiert. Nach mehreren vergeblichen Anläufen, eine krankheitsmodifizierende Wirkung für verschiedene Medikamente nachzuweisen, hat man jetzt mit einem für diese Fragestellung optimierten Studiendesign mit dem MAO–B–Hemmer Rasagilin (Azilect®) erste „harte” Daten einer krankheitsmodifizierenden Wirkung erhalten. Wir baten Prof. Günther Deuschl, Kiel, um eine Interpretation der Ergebnisse.

    ? In der Vergangenheit wurde mehrfach versucht, eine Modifikation des Krankheitsverlaufes durch eine medikamentöse Therapie nachzuweisen. Warum blieben diese Versuche unbefriedigend?

    Prof. Günther Deuschl: Alle Studien, die mit Dopaminagonisten durchgeführt wurden, hatten als Studienendpunkt einen Surrogatmarker, z. B. die mit der SPECT gemessene Dichte der striatalen Dopamintransporter. Mittlerweile wissen wir aber, dass diese Messung uns keine reliable Information über das Fortschreiten beim behandelten Patienten gibt. In der ELLDOPA–Studie hatten beispielsweise diejenigen Patienten mit dem besten UPDRS–Score nach einer Levodopa–Therapie im DAT–Scan die geringste Dichte von dopaminergen Terminalen im Striatum. Daher ist die Bildgebung als Surrogatmarker wahrscheinlich untauglich für diese Fragestellung. Wie sollen wir ein Fortschreiten der Erkrankung messen, wenn nicht klinisch? Wir brauchen ein hartes objektivierbares Kriterium, wie die Krankheitsschwere bzw. den UPDRS–Score, um auch geringe Unterschiede nachweisen zu können. Das sogenannte Delayed–start–Design ist deshalb ein vernünftiger Ansatz, um eine Krankheitsmodifikation nachzuweisen.

    ? Das Delayed–start–Design der TEMPO–Studie gilt inzwischen als Vorbild für Studien zum Nachweis der Beeinflussung der Krankheitsprogression. Was unterscheidet dieses Design von anderen Parkinson–Studien?

    Deuschl: Beim Delayed–start–Design erhält eine Gruppe von Patienten das Prüfmedikament sofort, die andere Gruppe wird zuerst mit Placebo behandelt. Erst nach 6 bzw. 9 Monaten werden beide Gruppen mit Verum behandelt. Besitzt das Medikament über seine symptomatische auch eine krankheitsmodifizierende Wirkung, so verbessert sich die mit einer Zeitverzögerung behandelte Gruppe zwar, kann aber das Niveau der von Anfang an mit Verum behandelten Patienten nicht mehr erreichen.

    ? Wer hat das Delayed–start–Design entwickelt?

    Deuschl: Das war Paul Leber, ein Mitarbeiter der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA. Dieses Studiendesign wurde ursprünglich entwickelt für die Prüfung von Medikamenten zur Behandlung der Alzheimer–Demenz. Dabei ging es um den Nachweis, ob ein Medikament über seine symptomatische Wirkung hinaus die Krankheitsprogression beeinflusst, beispielsweise den Übergang vom Mild Cognitive Impairment (MCI) zur vollen Alzheimer–Demenz. Für die ADAGIO–Studie wurde übrigens die Methodik der Auswertung, beispielsweise die Messzeitpunkte, mit der FDA abgestimmt.

    ? Der Unterschied zwischen beiden Gruppen beträgt 1,7 Punkte im UPDRS–Gesamtscore – in absoluten Zahlen – und ist eher moderat. Welche Effektstärken kann man bei dieser Patientenpopulation erwarten?

    Deuschl: Die ADAGIO–Patienten hatten zu Studienbeginn einen UPDRS–Motorscore von 14 Punkten (UPDRS–Gesamtscore von 20 Punkten). Das ist sehr wenig. Dieses Kollektiv war also noch in einer sehr frühen Krankheitsphase. Man geht davon aus, dass sich Parkinson–Patienten im UPDRS–Gesamtscore pro Jahr etwa 5 Punkte verschlechtern. Bei einer Studiendauer von 18 Monaten wären dies etwa 6–8 Punkte. Da ist ein Unterschied von 1,7 Punkten zwischen der sofort behandelten Gruppe und der 9 Monate später behandelten Gruppe durchaus respektabel.

    Auch wenn wir die Effektstärke noch nicht genau kennen, ist ein Unterschied zwischen den beiden Gruppen mit dem unterschiedlichen Behandlungsbeginn vorhanden. Mit dieser Erkenntnis können wir unseren Patienten sagen, dass sie von dem, was wir heute tun, noch in 18 Monaten profitieren werden. Wir hoffen natürlich, dass dieser Effekt noch länger anhält, aber wir haben derzeit nur Daten über einen Zeitraum von 18 Monaten. Es gibt noch einen weiteren Aspekt: Wir messen die Behandlungswirkung mit verschiedenen Beurteilungskriterien. Dazu gehört neuerdings auch die Lebensqualität. Leider liegen diese Daten aus der ADAGIO–Studie noch nicht vor. Wenn wir in den weiteren Auswertungen zu dieser Studie hier einen Unterschied finden sollten, wäre dies besonders wichtig.

    ? Nach der TEMPO–Studie wurde jetzt mit der ADAGIO–Studie zum zweiten Mal eine Beeinflussung der Krankheitsprogression nachgewiesen. Inwieweit wird dadurch die bisherige Therapiepraxis beeinflusst?

    Deuschl: Ein früh diagnostizierter Patient muss zunächst die Nachricht verarbeiten, dass er an dieser Krankheit leidet. Er sucht nach einer Antwort auf die Frage, wie es mit ihm weiter geht. Als Arzt wird man mit ihm die verschiedenen Optionen diskutieren. Eine Schlussfolgerung, nicht nur aus der ADAGIO–Studie, sondern auch aus anderen jüngeren Studien wird heute wahrscheinlich sein, dass man frühzeitig therapieren sollte.

    ! Herr Prof. Deuschl, herzlichen Dank für das Gespräch!

    Durch das Interview führte der freie Journalist Dr. Alexander Kretzschmar, München.