psychoneuro 2008; 34(11/12): 532-534
DOI: 10.1055/s-0029-1186288
Serie

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Rehabilitation hilft – Reha–Fallmanagement ist notwendig

Rehabilitation as a supporting factor – Rehabilitation is mandatoryBarbara Guldin1
  • 1Beratungsärztin bei der Deutschen Rentenversicherung Rheinland–Pfalz, Speyer (Leiter des Ärztlichen Dienstes: Dr. A. Brechensbauer)
Further Information
#

Korrespondenz

Dr. med. Barbara Guldin

Deutsche Rentenversicherung Rheinland–Pfalz Ärztlicher Dienst

Eichendorffstraße 8

67346 Speyer

Publication History

Publication Date:
12 January 2009 (online)

Table of Contents

Depressive Erkrankungen führen häufig zu Arbeitsunfähigkeit und zu Gewährung von Renten aufgrund verminderter Erwerbsfähigkeit. Die rehabilitativen Angebote der gesetzlichen Rentenversicherung werden oftmals nicht oder sehr spät in Anspruch genommen. Die Krankheitsverläufe bergen ein hohes Chronifizierungsrisiko. Lösungsmöglichkeiten könnten eine bessere Vernetzung der verschiedenen Leistungsträger und Leistungsanbieter und ein Reha–Fallmanagement sein.

Depressive disorders often lead to work incapacity and to the granting of social security benefits due to the patients decreased ability to work. Rehabilitative options offered in connection with statutory pension schemes are in many instances made use of either too late or not at all. These disorders as they develop and progress have a high potential of becoming chronic illnesses. Possible solutions may lie in improved networking of the various benefit and service providers and in rehabilitation case management.

Psychische Erkrankungen sind häufig und nehmen nach der Statistik der gesetzlichen Krankenversicherung zu (oder werden häufiger diagnostiziert). Dies spiegelt sich beispielsweise in den Daten der Deutschen Angestelten Krankenkasse (DAK) [1] für die Jahre 1997 bis 2004 wider mit einem relativen Zuwachs der Arbeitsunfähigkeitstage und –fälle um je 70  % sowie einem Anstieg der Betroffenenquote um 38  %. Den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) liegen für die Jahre 1994 bis 2004 vergleichbare Zahlen vor [5]. 1994 bis 1997 blieben die Arbeitsunfähigkeitsfälle und –tage aufgrund psychischer Erkrankungen weitgehend konstant. Die Arbeitsunfähigkeitstage nahmen dann jedoch in den Jahren von 1997 bis 2004 um 45  %, die Arbeitsunfähigkeitsfälle um 74  % zu.

Bei genauerer Betrachtung des Diagnosespektrums zeigt sich innerhalb der psychischen Erkrankungen ein Überwiegen der affektiven Erkrankungen und der neurotischen, Belastungs– und somatoformen Störungen (Kapitel F3 und F4 der ICD–10). Die Zunahme der Arbeitsunfähigkeitstage, Arbeitsunfähigkeitsfälle und der Betroffenenquote aufgrund psychischer Erkrankungen fiel in eine Zeit insgesamt abnehmender Arbeitsunfähigkeitstage und –fälle in der Bundesrepublik Deutschland als Folge der gesamtwirtschaftlichen Bedingungen in diesem Zeitraum.

#

Die Rolle psychischer Erkrankungen bei der Rentengewährung

Ähnliche Verhältnisse finden sich auch im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung [2] [3] [4]. Die Rentenzugangsstatistik verzeichnet für männliche und weibliche Versicherte eine Reduktion der Zahl der Rentenzugänge aufgrund einer verminderten Erwerbsfähigkeit für den Zeitraum von 1994 bis 2006 [Abb. 1]. Gleichzeitig blieb die Zahl der Rentengewährungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankungen im gleichen Zeitraum auf weitgehend konstantem Niveau [Abb. 2]. Dies entspricht einem relativen Anstieg der Rentengewährungen aufgrund psychischer Erkrankungen bei Männern von 12,5 auf 27,8  % und bei Frauen von 20,3 auf 38,3  %.

Im genannten Zeitraum hat sich die Zahl medizinischer Leistungen zur Rehabilitation wegen psychischer Erkrankungen im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung deutlich erhöht. Sowohl im Bereich medizinischer Leistungen zur Rehabilitation wie auch bei der Gewährung von Erwerbsminderungsrenten aufgrund psychischer Erkrankungen überwiegen die Diagnosegruppen der affektiven Störungen und der neurotischen, Belastungs– und somatoformen Störungen. Hier zeigt sich demnach ein vergleichbares Bild zur Situation im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die gesetzliche Rentenversicherung, aber auch die anderen Leistungsträger, verfügen mit den verschiedenen Leistungsangeboten zur Teilhabe am Arbeitsleben über durchaus wirkungsvolle rehabilitative Angebote, um eine erheblich gefährdete oder geminderte Erwerbsfähigkeit zu bessern, den Betroffenen Hilfestellungen bei der beruflichen Wiedereingliederung zu geben und einer Chronifizierung psychischer Erkrankungen vorzubeugen. Hierbei sind im Bereich der medizinischen Rehabilitation die stationäre, teilstationäre und ambulante medizinische Rehabilitation, die medizinische Rehabilitationsnachsorge, die stufenweise Wiedereingliederung und die Belastungserprobung zu nennen. Weiterhin kann im Rahmen eines Rehabilitationsassessments eine Eignungsabklärung erfolgen. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (berufsfördernde Leistungen) können als berufliche Trainingsmaßnahme, Eingliederungshilfe, Begleitung durch den Integrationsfachdienst, Teilfeldqualifikation, Vorbereitungslehrgang, Umschulung und verschiedene technische Arbeitshilfen gewährt werden.

Zoom Image

Abb. 1 Die Rentenzugangsstatistik der gesetzlichen Rentenversicherungen verzeichnet einen Rückgang der Rentenzugänge in den Jahren 1994–2006.

Zoom Image

Abb. 2 Konstante Zahl der Rentengewährungen aufgr und psychischer Erkrankungen im Zeitraum von 1994–2006.

#

Probleme bei der Aufrechterhaltung der Erwerbsfähigkeit

Problematisch ist jedoch häufig der Zugang der Betroffenen zu diesen rehabilitativen Angeboten. Die Rentenversicherung kann mit ihren Angeboten erst nach einer entsprechenden Antragstellung aktiv werden. Im Rahmen der sozialmedizinischen Tätigkeit werden unverändert lange Zeitintervalle von Beginn der Erkrankung bis zur Antragstellung, z. B. auf eine stationäre psychosomatische Rehabilitation (oder eine andere wirkungsvolle Therapie), beobachtet. Hier treffen unverändert die Daten von Zielke et al. aus der DAK/AHG[1]–Studie zu [6]. Zielke und Mitarbeiter beschrieben, dass bei Aufnahme in die stationäre psychosomatische Rehabilitation bei 17  % der Rehabilitanden Symptome der psychischen Erkrankung seit weniger als einem Jahr bestanden, 18  % der Rehabilitanden wurden innerhalb des 2. Jahres der Erkrankung aufgenommen und weitere 16  % im 3. und 4. Jahr nach Beginn der Erkrankung, sodass insgesamt 51  % der Rehabilitanden innerhalb der ersten 4 Jahre nach Erstmanifestation der Erkrankung in eine stationäre psychosomatische Rehabilitation aufgenommen wurden. Das bedeutet aber auch, dass bei 49  % der Rehabilitanden zum Zeitpunkt der Aufnahme in die stationäre psychosomatische Rehabilitation mehr als 4 Jahre seit der Erstmanifestation der Erkrankung vergangen waren [Abb. 3]. Diese Krankheitsverläufe bergen ein erhebliches Chronifizierungsrisiko. Aus Sicht der Rentenversicherungen wäre hier eine frühere Inanspruchnahme der Leistungen zur Rehabilitation durch eine frühere Antragstellung nach Anraten der ambulant oder stationär behandelnden Ärzte wünschenswert.

Die Verzahnung der ambulanten und stationären Behandlungsangebote im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung mit den rehabilitativen Angeboten der Rentenversicherung ist häufig noch nicht ausreichend gewährleistet. Eine weitere Hürde stellt die Vielzahl der rehabilitativen Angebote dar, die teils nur von bestimmten Leistungsträgern, teils aber auch von verschiedenen Leistungsträgern in ähnlicher Weise angeboten werden. Diese Vielzahl der rehabilitativen Angebote ist für die Betroffenen nur schwer zu durchschauen und zum Teil werden bei einem komplexeren Rehabilitationsbedarf durch Schnittstellenprobleme auch Barrieren für eine erfolgreiche Integration geschaffen. Hier könnte ein Rehabilitationsfallmanagement mit Beratung, Begleitung und konkreter Unterstützung der Betroffenen Abhilfe schaffen, z. B. durch Unterstützung bei der Antragstellung sowie durch die Vernetzung verschiedener Anbieter und Leistungsträger. Ein derartiges Fallmanagement wird bei der Deutschen Rentenversicherung Rheinland–Pfalz im Bereich der stufenweisen Wiedereingliederung, bei Abhängigkeitskranken mit erwerbsbezogenen Störungen und im Rahmen der medizinischen Rehabilitationsnachsorge durchgeführt und evaluiert.

Zoom Image

Abb. 3 Zeitintervall zwischen Erstmanifestation der psychischen Erkrankung und Beginn einer stationären psychosomatischen Rehabilitation.

#

Perspektive

Durch Vernetzung der verschiedenen Anbieter und Leistungsträger scheint sich eine Möglichkeit der verbesserten Versorgung und Rehabilitation der Betroffenen zu ergeben. Es gibt einige Beispiele für eine Weiterentwicklung des gegliederten Sozialsystems durch Vernetzung von Strukturen. Vernetzung und Fallmanagement können ein Lösungsansatz für die berufliche Wiedereingliederung depressiv Erkrankter sein. Die verschiedenen Leistungsträger und Leistungsanbieter müssen jedoch im Rahmen der sich jetzt entwickelnden Kooperationen darauf achten, dass keine neuen Schnittstellenprobleme und Barrieren für die Rehabilitation entstehen.

#

Literatur

  • 1 Deutsche Angestelltenkrankenkasse – Versorgungsmanagement, Hrsg. DAK–Gesundheitsreport 2005, Hamburg 2005
  • 2 Reihe Statistik der Deutschen Rentenversicherung, Rentenzugang 2005, Band 158. Berlin. 2006: 72-75
  • 3 Reihe Statistik der Deutschen Rentenversicherung, Rentenzugang 2006, Band 163. Berlin. 2007: 72-75
  • 4 Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR), Hrsg. Rentenversicherung in Zeitreihen. Frankfurt/Main. 2004: 75-76
  • 5 Wissenschaftliches Institut (Wido) der AOK, Hrsg. Presseinformation: Psychische Erkrankungen, Bonn vom 10. Mai 2005
  • 6 Zielke M, Borgart EJ, Carls W. et al. .Ergebnisqualität und Gesundheitsökonomie verhaltensmedizinischer Psychosomatik in der Klinik – Krankheitsverhalten und Ressourcenverbrauch von Patienten mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen: Ergebnisse verhaltensmedizinischer Behandlung und Rehabilitation im Langzeitverlauf. Lengerich: Pabst Science Publishers 2001: 156-159

1 Allgemeine Hospitalgesellschaft Aktiengesellschaft

#

Korrespondenz

Dr. med. Barbara Guldin

Deutsche Rentenversicherung Rheinland–Pfalz Ärztlicher Dienst

Eichendorffstraße 8

67346 Speyer

#

Literatur

  • 1 Deutsche Angestelltenkrankenkasse – Versorgungsmanagement, Hrsg. DAK–Gesundheitsreport 2005, Hamburg 2005
  • 2 Reihe Statistik der Deutschen Rentenversicherung, Rentenzugang 2005, Band 158. Berlin. 2006: 72-75
  • 3 Reihe Statistik der Deutschen Rentenversicherung, Rentenzugang 2006, Band 163. Berlin. 2007: 72-75
  • 4 Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR), Hrsg. Rentenversicherung in Zeitreihen. Frankfurt/Main. 2004: 75-76
  • 5 Wissenschaftliches Institut (Wido) der AOK, Hrsg. Presseinformation: Psychische Erkrankungen, Bonn vom 10. Mai 2005
  • 6 Zielke M, Borgart EJ, Carls W. et al. .Ergebnisqualität und Gesundheitsökonomie verhaltensmedizinischer Psychosomatik in der Klinik – Krankheitsverhalten und Ressourcenverbrauch von Patienten mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen: Ergebnisse verhaltensmedizinischer Behandlung und Rehabilitation im Langzeitverlauf. Lengerich: Pabst Science Publishers 2001: 156-159

1 Allgemeine Hospitalgesellschaft Aktiengesellschaft

#

Korrespondenz

Dr. med. Barbara Guldin

Deutsche Rentenversicherung Rheinland–Pfalz Ärztlicher Dienst

Eichendorffstraße 8

67346 Speyer

Zoom Image

Abb. 1 Die Rentenzugangsstatistik der gesetzlichen Rentenversicherungen verzeichnet einen Rückgang der Rentenzugänge in den Jahren 1994–2006.

Zoom Image

Abb. 2 Konstante Zahl der Rentengewährungen aufgr und psychischer Erkrankungen im Zeitraum von 1994–2006.

Zoom Image

Abb. 3 Zeitintervall zwischen Erstmanifestation der psychischen Erkrankung und Beginn einer stationären psychosomatischen Rehabilitation.