Anamnese
Anamnese
Wir stellen eine 77-jährige Patientin vor, welche seit vier Jahren an indolenten Knoten
im Bereich der unteren Extremitäten leidet. Diese zeigten in den letzten Wochen vor
Erstkonsultation eine deutliche Tendenz zur Ulzeration. Die Hautveränderungen seien
ausgehend von den Fersen zunehmend auch an den Unterschenkeln aufgetreten, zuletzt
einhergehend mit einem süßlich-fötiden Geruch. Es bestand keine subjektive Beschwerdesymptomatik.
Der Allgemeinzustand war jederzeit gut, ohne Fieber, Schüttelfrost oder Gewichtsverlust.
Es waren keine konsumierenden Erkrankungen bekannt. Eine atopische Diathese lag nicht
vor. Sie besaß keine Haustiere, kein Aquarium und keinen Gartenteich. Auslandsaufenthalte
oder Fernreisen verneinte die Patientin. Zwei Monate vor der Vorstellung in unserer
Klinik war eine stationäre Behandlung in einer Augenklinik notwendig geworden, bei
spontan ulzerierend einschmelzender und perforierender Keratopathie des linken Auges
mit konsekutivem vollständigem Visusverlust unklarer Genese. Seitdem trägt die Patientin
eine Augenepithese links. Eine unter dem Verdacht auf eine Autoimmunkeratopathie durchgeführte
Steroidpulstherapie zeigte weder eine Besserung der ophthalmologischen Problematik
noch der kutanen Befunde.
Aufnahmebefund
Aufnahmebefund
Bei Erstvorstellung sah man im Bereich beider Fersen (rechts > links) scharf begrenzte
livide gefärbte, teils makulöse, jedoch überwiegend papulo-noduläre Läsionen mit teils
ulzeriertem Zentrum und gelblich-hämorrhagischen Krusten. Insbesondere auf Druck kam
es zu einer starken Exsudation von gelblich-hämorrhagischer Flüssigkeit. Fokal bestanden
punktförmige purpuriforme Läsionen. An beiden Unterschenkeln fanden sich multiple,
scharf abgrenzbare disseminiert verteilte, erythematöse, rundliche, infiltrierte und
derb palpable Läsionen mit zentraler Ulzeration und Krustenbildung ([Abb. 1 ] u. [2 ]). Die umgebende Haut war unauffällig.
Abb. 1 77-jährige Patientin mit multiplen ulzerierten Läsionen, vor Therapiebeginn.
Abb. 2 77-jährige Patientin mit multiplen ulzerierten Läsionen, vor Therapiebeginn.
Befunde diagnostischer Untersuchungen
Befunde diagnostischer Untersuchungen
Dermatohistologische Befunde
Im Verlauf der Erkrankung wurden mehrfach Probebiopsien aus unterschiedlich frischen
und älteren Läsionen zur dermatohistologischen Befundung entnommen. In einer floriden
Läsion vom rechten Knie fand sich epidermal eine Spongiose und Akanthose mit fokaler
Nekrose der Epidermis. Es bestand eine leukozytoklastische Vaskulitis der kleinen
Gefäße der oberen und mittleren Dermis mit einem kräftig augeprägten keilförmigen
Entzündungsinfiltrat aus neutrophilen Granulozyten mit Kernstaub, Makrophagen, Lymphozyten
und zahlreichen Eosinophilen. Perivaskulär fand sich eine fibrinoide Degeneration.
Granulome, Flammenfiguren oder Erreger waren nicht nachweisbar ([Abb. 3 ]).
In einer älteren, klinisch fast abgeheilten Läsion vom Unterschenkel sah man mikroskopisch
eine Kombination von Regeneratepithel und dermaler konzentrischer Fibrose ([Abb. 4 ]). Eine fibrinoide Degeneration war nicht mehr darstellbar, es fanden sich keine
extrazellulären Cholesterol-Ablagerungen im fibrotischen Gewebe. Auch in der älteren
Läsion waren in der PAS-Färbung keine Pilzelemente nachweisbar, ebenso ergab die Ziehl-Neelsen-Färbung
wiederholt keinen Nachweis säurefester Stäbchen. In der direkten Immunfluoreszenz
konnten keine Immunglobulin-, Komplement- oder Fibrinablagerungen nachgewiesen werden.
Abb. 3 (HE-Färbung, 20 ×). Leukozytoklastische Vaskulitis der kleinen Gefäße von oberer und
mittlerer Dermis, dichtes und tiefreichendes Entzündungsinfiltrat aus neutrophilen
Granulozyten mit Kernstaub, Makrophagen, Lymphozyten und zahllosen Eosinophilen.
Abb. 4 (HE-Färbung, 10 ×). Spätes Stadium der Erkrankung mit konzentrischer Fibrose.
Ergänzende Untersuchungen
Ergänzende Untersuchungen
Im Rahmen einer Durchuntersuchung wurden pulmonal multiple nekrotisierende Herde diagnostiziert,
welche sich computertomografisch als abszedierende Einschmelzungen im Bereich beider
Lungenunter- und -oberlappen darstellten. Radiologisch bestand kein Hinweis auf eine
Neoplasie, spezifische Residuen, eine Pilzinfektion oder eine Wegener'sche Granulomatose.
Eine bronchoalveoläre Lavage, eine Bronchialaspirat-Zytologie und eine bronchiale
Gewebsbiopsie erbrachten außer dem kulturellen Nachweis von Candida glabrata keine
pathologischen Befunde. Histologisch, kulturell und molekularbiologisch bestand kein
sicherer Anhalt für eine Mykobakterieninfektion. Die Gewebekultur und PCR aus bioptisch
gesichertem Nativmaterial der Haut und paraffiniertem Gewebe ergab keinen pathologischen
Befund. Aus mykologischen und bakteriellen Abstrichpräparaten der betroffenen Haut
wurden Candida albicans und Candida glabrata sowie koagulase-negative Staphylokokken
und Staphylokokkus aureus isoliert. Eine systemische Candidose wurde ausgeschlossen.
Serologische Untersuchungen bzgl. Amöbiasis, Echinokokkose, Lues, Yersiniose, HIV
und Hepatitis ergaben negative Befunde. Das übrige Routinelabor einschließlich Antistreptolysintiter
war wiederholt unauffällig.
Therapie und Verlauf
Therapie und Verlauf
Die Patientin bot bei stationärer Aufnahme einen Symptomenkomplex bestehend aus ulzerierenden
Hautveränderungen an den Fersen und Unterschenkeln, einschmelzenden Lungenherden und
einem Z.n. spontan ulzerierend einschmelzender und perforierender Keratopathie des
linken Auges mit vollständigem Visusverlust.
Differenzialdiagnostische Überlegungen
Differenzialdiagnostisch wurden ein Pyoderma gangraenosum, ein tumorähnliches eosinophiles
Granulom, eine kutane Candidose und eine atypische Mykobakteriose diskutiert:
Klinisch vereinbar mit den Hautbefunden war der seltene Fall eines multilokulären Pyoderma gangränosum mit pulmonaler Beteiligung [1 ]
[2 ]. Eine ulzerierende Keratitis in Assoziation mit einem Pyoderma gangraenosum ist
in der Literatur bereits beschrieben [3 ].
Aufgrund der in der Hautbiopsie, im Lungenbiopsat sowie in der histopathologischen
Befundung des enukleierten Auges nachgewiesenen Eosinophilie kam als weitere Differenzialdiagnose
das sog. tumorähnliche eosinophile Granulom infrage. Es handelt sich um solitäre rot-braune Läsionen, zum Teil paraneoplastischer
Genese, mit dem histologischen Befund einer tiefreichenden eosinophilendominierten
Entzündungsreaktion ohne Nachweis von Flammenfiguren [4 ]. Jedoch wurden bei dieser sehr seltenen und bislang nur in 2 Fällen in der Weltliteratur
beschriebenenen Entität bislang keine extrakutanen Manifestationen beobachtet [4 ].
Die nachgewiesene Infektion der kutanen Herde mit Candida albicans und spec. wurde
als mykotische Superinfektion interpretiert. Der Nachweis von Candida glabrata im
Bronchialaspirat sowie in der bronchoalveolären Lavage wurde durch die behandelnden
internistischen Fachkollegen als nicht therapierelevant eingeordnet.
Das Vorliegen einer atypischen Mykobakteriose (aM) mit pulmonaler Beteiligung war in mehrerer Hinsicht zu diskutieren: Klinisch
bestand der Aspekt einer sporotrichoiden Verteilung der Hautläsionen. Dermatohistologisch
kann, auch bei fehlender granulomatöser Entzündung sowie negativem Erregernachweis
in der Ziehl-Neelsen-Färbung, eine aM nicht sicher ausgeschlossen werden, da hierbei
auch unspezifische histologische Befunde vorliegen können. Radiologisch konnte ebenso
eine aM der Lunge nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden. Mikrobiologisch
konnten aus Gewebsmaterial DNA-Sequenzen amplifiziert werden, welche Sequenzhomologien
zu bekannten atypischen Mykobakterien besaßen, sich jedoch nicht eindeutig einem bestimmten
Erreger zuordnen ließen.
Abschließende Beurteilung
Abschließende Beurteilung
Die o. g. feingeweblichen Befunde von Hautbiopsien sprachen für ein Erythema elevatum
et diutinum. Eine im Vorfeld stattgehabte Steroidpulstherapie blieb ohne wegweisende
Befundbesserung, sodass wir auf die Wiederholung einer Steroidtherapie verzichteten.
Zunächst erfolgte bei nachgewiesener mykotischer Infektion mit Candida albicans et
spec. eine Therapie mit Fluconazol in einer Dosierung von 200 mg über die Dauer von
3 Wochen bis zu dreimalig negativen Abstrichbefunden. Hierunter trat eine leichte
Befundbesserung ein.
Bei bestehender klinischer und mikrobiologischer Differenzialdiagnose einer atypischen
Mykobakteriose wurde im Anschluss hieran in Absprache mit den Kollegen der medizinischen
Mikrobiologie und Hygiene eine antibiotische Kombinationstherapie mit Chlarithromycin,
Mycobutin und Protionamid über insgesamt 10 Monate durchgeführt; initial wurde zusätzlich
über 4 Wochen Imipenem gegeben.
Dies führte zu einer vollständigen Remission der kutanen Läsionen sowie einer Teilremission
der pulmonalen Befunde bei letzter dermatologischer und radiologischer Verlaufsvorstellung
([Abb. 5 ]), sodass die Einleitung einer (klassischen) Therapie des EED mit Dapson nicht mehr
erforderlich war.
Abb. 5 Remission der kutanen Läsionen unter Hinterlassung hyperpigmentierter Makulae nach
Mehrfachantibiose über insges. 10 Monate.
Diskussion
Diskussion
Das Krankheitsbild wurde erstmals durch Jonathan Hutchinson im Jahre 1880 sowie durch
Judson Bury 1889 beschrieben [5 ]
[6 ]
[7 ]. Henry Radcliffe-Crocker gab der Erkrankung im Jahre 1894 den Namen Erythema elevatum
et diutinum (EED) [7 ]
[8 ]. Es handelt sich um eine Erkrankung aus dem Formenkreis der neutrophilen Dermatosen,
die sich durch meist symmetrisch auftretende, asymptomatische, bräunlich-erythematöse,
papulo-noduläre Läsionen in Gelenknähe der Extremitäten (Knie oder Ellenbogen, Fingergelenke)
auszeichnet. Lokalisationen am Körperstamm oder retroaurikulär wurden seltener beschrieben
[9 ]
[10 ]. Die Hautläsionen zeigen eine stadienabhängige Ausprägung: Sehr frühe Läsionen sind
von hellroter Farbe, spätere Läsionen livid-rot bis rotbraun. Selten treten, wie in
unserem Fall, Effloreszenzen in Form vesikulöser Läsionen, hämorrhagischer Knoten
sowie Ulzerationen auf [9 ]
[11 ]. Abheilende Läsionen zeichnen sich durch einen gelblich-braunen Farbton aus, welcher
klinisch an Xanthome erinnert [9 ]. In einigen Fällen wurde ein leichter Pruritus beschrieben. Pathogenetisch wird
das EED aktuell zusammen mit dem Sweet-Syndrom, dem Pyoderma gangraenosum und der
subkornealen pustulösen Dermatose zu den sog. neutrophilen Dermatosen gezählt. Eine
kausale Beziehung zu vaskulären Immunkomplex-Ablagerungen wird diskutiert. In klassischer
Weise werden sowohl Streptokokken-Infekte als auch rheumatologische Erkrankungen als
Ursache für die Ausbildung von Immunkomplexen genannt [9 ]. In den vergangenen Jahren wurden jedoch zudem eine Vielzahl assoziierter bzw. zugrunde
liegender Erkrankungen beschrieben, insbesondere Erkrankungen des hämatopoetischen
Systems, die seropositive rheumatoide Arthritis, Morbus Crohn, Colitis ulzerosa, Pyoderma
gangraenosum, Diabetes mellitus Typ 1 und die gluten-sensitive Enteropathie. Assoziierte
infektiöse Erkrankungen sind in erster Linie bakterielle, virale, tuberkulöse Infektionen
sowie die Lues [9 ]
[12 ]. Auch sind Fälle assoziierter Virushepatitiden sowie HIV beschrieben [9 ]. Die Hauterkrankung zeigt einen chronischen Verlauf über viele Jahre. Klinische
Differenzialdiagnosen umfassen u. a. das Granuloma anulare, das Sweet-Syndrom, Non-Langerhanszell-Histiozytosen,
das extrafaziale Granuloma eosinophilicum, Xanthome sowie die Sarkoidose [11 ].
Histologisch ist der Grundsatz „life of lesions” zu beachten, mit typischen histomorphologischen Befunden in frühen Läsionen sowie
in älteren Läsionen. Frühe Läsionen zeigen das typische Bild der „small-vessel-disease”
mit perivaskulären Infiltrationen durch neutrophile Granulozyten mit Leukozytoklasie,
Makrophagen, Lymphozyten sowie eosinophilen Granulozyten, dermale Fibrinablagerungen
und endotheliale Schwellung. Gefäßokklusionen können vorkommen. In seltenen Fällen
können auch Veränderungen am bedeckenden Epithel in Form von Spongiose, Akanthose
und Ulzerationen auftreten [12 ]. Reife, bzw. ältere Läsionen zeigen eine konzentrische dermale Fibrose mit einer
persistierenden, wenngleich schütteren Entzündungsreaktion [12 ]
[13 ]. In lange bestehenden Läsionen kommt es zu extrazellulären Cholesterol-Ablagerungen
im fibrotischen Gewebe [9 ]. Als histologische Variante dieser Cholesterolablagerungen wurde 1958 die extrazelluläre
Cholesterinose Kerl-Urbach beschrieben, welche bereits zum damaligen Zeitpunkt als
Variante des EED diskutiert wurde [14 ].
Histopathologische Differenzialdiagnosen umfassen das Granuloma eosinophilicum, das
Sweet-Syndrom, andere Formen der leukozytoklastischen Vaskulitis und die neutrophile
rheumatoide Dermatose. In älteren Läsionen müssen Dermatofibrome und Kaposi-Sarkome
abgegrenzt werden [9 ]
[11 ]
[13 ].
Es liegen mehrere Berichte über die Assoziation eines EED mit Augenerkrankungen vor:
die marginale Hornhaut-Degeneration Fuchs-Terrien [16 ], periphere ulzerative Keratitiden [17 ]
[18 ], noduläre Scleritis und Panuveitis sowie autoimmune Keratolyse [19 ]. In der Literatur wird unseres Wissens bislang nur über einen einzigen Fall einer
Assoziation eines EED mit pulmonalen Infiltraten berichtet [15 ]. In dieser Arbeit wurde das EED den neutrophilen Dermatosen zugerechnet, von denen
einige eine Lungenbeteiligung aufweisen [2 ]. Während somit Einzelfälle einer Assoziation mit nekrotisierenden Lungenherden und
entzündlichen Veränderungen verschiedener Augenabschnitte beschrieben sind, gibt es
bislang keine Berichte über eine Koinzidenz eines ausgedehnten EED mit einer nekrotisierenden
Keratopathie und nekrotisierenden bilateralen pulmonalen Herden.