Fortschr Neurol Psychiatr 2009; 77(2): 65-66
DOI: 10.1055/s-0028-1109223
Editorial

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Paraproteinämische Polyneuropathien – eine „Crux medicorum“?

Paraproteinemic Neuropathies – “Crux Medicorum”?B. Neundörfer1
  • 1emeritierter Direktor der Neurologischen Klinik am Universitätsklinikum Erlangen
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Publication Date:
16 February 2009 (online)

Paraproteinämien nehmen im Alter zu und finden sich bei über 50-Jährigen in 1 – 2 % [1] [2] und in der Altersgruppe von über 80-Jährigen in 3 – 14 %, je nachdem, welche Methoden zur Erfassung der Paraproteinämie angewandt werden [1] [2] [3]. Unter 787 Patienten mit einer monoklonalen Gammopathie hatten 61 % eine IgG-, 18 % eine IgM-, 11 % eine IgA- und 0,5 % eine IgD-Gammopathie [4]. Eine Polyneuropathie (PNP) tritt im Zusammenhang mit einer Paraproteinämie in ca. einem Drittel der Fälle auf [5], wobei v. a. eine Assoziation mit einer Gammopathie vom IgM-Typ gegeben ist. Etwa 10 % der Fälle einer PNP zunächst unklarer Ätiologie zeigen eine monoklonale Gammopathie [6]. Dabei handelt es sich in einem Drittel der Fälle um Plasmazelldyskrasien wie Plasmozytome, M. Waldenström, lymphoproliferative Prozesse oder eine Amyloidose und in zwei Drittel um eine Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS) [7]. Die Häufigkeit paraproteinämischer PNP im Alter hat in der Praxis-Leitlinie der American Academy of Neurology für die Abklärung der distal symmetrischen PNP ihren Niederschlag gefunden, indem dort als routinemäßig zu erhebende Laborwerte neben der Blutzuckerbestimmung lediglich die Bestimmung des Vitamin-B12-Spiegels und die Durchführung einer Immunelektrophorese empfohlen werden [8].

Die Abklärung einer paraproteinämischen PNP ist aber dadurch verkompliziert – und damit tatsächlich eine „Crux medicorum“ –, dass es nicht nur darum geht, zu unterscheiden zwischen hämatologischer Grunderkrankung oder MGUS, sondern darüber hinaus, ob eine Gammopathie vom IgM- oder IgG/A-Typ vorliegt. Bei dem ersteren Typ ist dann noch zu differenzieren zwischen den Fällen, die mit einer Antikörperreaktion gegen myelinassoziiertes Glykoprotein (MAG) vergesellschaftet sind und solchen, die diesen Antikörper nicht aufweisen und nicht selten mit einem Malignom verbunden sind. Dieser Antikörper ist in der Membran der Schwann-Zellen und in der Markscheide lokalisiert, wodurch verständlich ist, dass diese PNP demyelinisierend ist [9]. Schließlich ist die Frage zu klären, ob es sich um einen primär axonalen Typ handelt, wie dies vorwiegend bei den IgG/A-Neuropathien der Fall ist, oder um einen primär demyelinisierenden Typ, wie vorwiegend beim IgM-Typ mit oder ohne anti-MAG, bei dem v. a. die distalen Nervenabschnitte betroffen sind. Deshalb sind die distalen motorischen Überleitungszeiten erheblich verlangsamt, während die motorischen Leitgeschwindigkeiten eher gering verzögert sind. Cocito et al. [10] haben deshalb den „terminal latency index“ definiert.

Aus diesem weit gestreuten Spektrum der paraproteinämischen PNP schildern Abler et al. [11] in diesem Heft 2 eindrucksvolle Kasuistiken, von denen der erste Fall eine axonale Neuropathie bei MGUS vom Typ IgG-Kappa mit günstigem Verlauf, während der 2. Fall eine demyelinisierende PNP bei einer monoklonalen Gammopathie der Klasse IgA-Lambda im Rahmen eines POEMS-Syndroms (Polyneuropathie, Organomegalie, Endokrinopathie, Myelom, Hautveränderungen = Skin abnormalities) mit rascher Progression aufwies. An diesen beiden Fällen wird noch ein weiteres Dilemma der paraproteinämischen PNP deutlich, nämlich das unterschiedliche Ansprechen der verschiedenen PNP-Typen auf therapeutische Bemühungen – ein weiterer Beleg für die Behauptung, dass es sich bei den paraproteinämischen PNP um eine „Crux medicorum“ handelt. Bei den mit einer hämatologischen Erkrankung assoziierten Fällen richtet sich die Behandlung natürlich nach der Grundkrankheit. Bei den MGUS-PNP gibt es bisher aber keine allgemein anerkannte Therapieempfehlung. In einer Leitlinie eines Expertenteams der EFNS (European Federation of Neurological Societies) und der PNS (Peripheral Nerve Society) [12] wird bzgl. der IgM-Neuropathien lapidar festgestellt, dass diese manchmal auf Immuntherapien ansprechen; es sollte aber der mögliche Benefit gegen die evtl. Nebenwirkungen abgewogen werden. Die IgG/A-Neuropathien seien oft nicht von einer CIDP zu unterscheiden, was auch für die Therapieansprechbarkeit gelte. Für das POEMS-Syndrom sollte in Abstimmung mit einem Hämato-Onkologen eine lokale Bestrahlung oder Resektion des isolierten Plasmozytoms oder eine Behandlung mit Melphalan mit oder ohne Kortikosteroiden in Erwägung gezogen werden.

Prof. Dr. Bernhard Neundörfer

Literatur

  • 1 Kyle R A. Monoclonal proteins in neuropathy.  Neurol Clin. 1992;  10 713-734
  • 2 Herrinton L J. The epidemiology of monoclonal gammopathy of unknown significance: a review.  Curr Top Microbiol Immunol. 1996;  210 389-395
  • 3 Longo K L. Plasma cell disorders. Fauci AS, Braunswald E, Isselbacher KJ, et al Principles of Internal Medicine New York; McGraw-Hill 1998 14th Ed: 712-718
  • 4 Kyle R A. Diagnostic criteria of multiple myeloma.  Hematol Oncol Clin North Am. 1992;  6 347-358
  • 5 Vrethem M, Cruz M, Wen-Xin M. et al . Clinical, neurophysiological and immunological evidence of polyneuropathy in patients with monoclonal gammopathies.  J Neurol Sci. 1993;  114 193-199
  • 6 Gorson K C, Ropper A H. Axonal neuropathy associated with monoclonal gammopathy of undetermined significance.  J Neurol Neurosurg Psychiat. 1997;  63 163-168
  • 7 Kyle R A. „Benign“ monoclonal gammopathy – after 20 to 35 years of follow-up.  Mayo Clin Proc. 1993;  68 26-36
  • 8 AAN Summary of Evidence-based Guideline for Clinicians: The Role of Laboratory and Genetic Testing in Diagnosing distal symmetric Polyneuropathy. www.aan.com
  • 9 Gorson K C, Ropper A H, Weinberg D H. et al . Treatment Experience in Patients with Anti-Myelin-Associated Glycoprotein Neuropathy.  Muscle & Nerve. 2001;  24 778-786
  • 10 Cocito D, Isoardo G, Ciaramitaro P. et al . Terminal latency index in polyneuropathy with IgM paraproteinemia and anti-MAG antibody.  Muscle & Nerve. 2001;  24 1278-1282
  • 11 Abler B, Gdynia H J, Arnim von C. Polyneuropathie und monoklonale IgG/IgA-Gammopathie. Differentielle Elektrophysiologie anhand von zwei Fallbeispielen.  Fortschr Neurol Psychiat. 2009;  77 105-109
  • 12 Joint Task Force of the EFNS and the PNS . European Federation of Neurological Societies/Peripheral Nerve Society Guideline on management of paraproteinemic demyelinating neuropathies. Report of a joint task force of the European Federation of Neurological Societies and the Peripheral Nerve Society.  J Periph Nerv Syst. 2006;  11 9-19

Prof. Dr. Bernhard Neundörfer

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