ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2008; 117(11): 541
DOI: 10.1055/s-0028-1109027
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die große Taubheit

Cornelia Gins
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Publication Date:
28 November 2008 (online)

Der Frauenarzt Ignaz Semmelweis hatte 1848 im Allgemeinen Krankenhaus in Wien immer wieder darauf hingewiesen, dass die häufigen Erkrankungen an Kindbettfieber der jungen Mütter auf mangelnde Hygiene der Medizinstudenten und Ärzte zurückzuführen sei. Semmelweis gelang es, durch entsprechende Maßnahmen, die Sterblichkeit der jungen Mütter von 13  % auf weniger als 2  % zu senken. 150 Jahre später sollte man meinen, dass das Hygieneproblem keines mehr wäre, doch das Aktionsbündnis Patientensicherheit gab bekannt, dass sich über 500 000 Menschen jedes Jahr in Krankenhäusern und Praxen infizieren. Der Vorsitzende des Bündnisses wies darauf hin, dass viele Studien gezeigt haben, dass sich etwa 50  % der Ärzte beispielsweise vor Verbands– oder Katheterwechsel die Hände nicht gründlich desinfizieren würden.

Dabei ist doch seit Jahren durch die Hygienerichtlinien alles geregelt. Das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG), stellt mit seiner aktuellen Zusammenfassung aller Kriterien und seinem Inkrafttreten zum 01.01.2001 einen Meilenstein zur Regulierung der Rahmenbedingungen beim ambulanten Operieren dar. Die Aufmerksamkeit der Operateure wurde wieder nachdrücklich auf Hygienefragen gelenkt. Zum 01.01.2002 wurden noch zusätzliche Akzente gesetzt durch: das 2. Gesetz zur Änderung des Medizinproduktgesetzes, die Medizinprodukte–Betreiberverordnung (2. MPG–ÄndG – Art. 11) und die Empfehlungen des RKI – Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten.

Viele Kollegen haben mit Sicherheit auch gestöhnt, als die vielen Vorschriften zum Thema Hygiene auf die Praxen einstürzten: Sterilgutassistentin, Dokumentationen ohne Ende für die Aufbereitung der Instrumente usw, usf. Plötzlich wurden Selbstverständlichkeiten der Hygiene zu einem Riesenverwaltungsakt aufgebläht. Wirklich Selbstverständlichkeiten?

Dazu folgende Meldung: In Baden–Württemberg hat eine 56–jährige HNO–Ärztin Patienten mit nicht ausreichend desinfizierten Spritzen und Instrumenten behandelt. Zum Teil hat sie Einwegprodukte mehrfach verwendet. Die Patienten müssen sich jetzt auf HIV und Hepatitis untersuchen lassen. Einige Infektionen sind bereits bekannt geworden. Die Ärztin muss sich nun unter anderem wegen des Verdachts auf Körperverletzung verantworten.

Der gesunde Menschenverstand, so sagt man, gilt unter anderem als Grundlage für unser Handeln. Wir wenden ihn an bei Entscheidungen, die wir für unsere Lebensbereiche treffen müssen. Meistens sind durch unsere Entscheidungen auch Andere betroffen. Das wir diesen nicht schaden, sollte unter anderem der gesunde Menschenverstand signalisieren. Offensichtlich sind inzwischen viele Menschen für diese Signale taub geworden.

Cornelia Gins

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