Einleitung
Einleitung
Staphylokokken sind zusammen mit den Streptokokken (v. a.
Streptococcus pyogenes) weltweit die häufigsten Erreger bakterieller Haut-
und Weichteilinfektionen (Pyodermien). Das gilt im Kindes- wie im
Erwachsenenalter, wenngleich die klinischen Manifestationen sich
altersabhängig in ihren Häufigkeiten unterscheiden. Über eine
Vielzahl mittlerweile bekannter Pathomechanismen können die Staphylokokken
alleine oder als Mischinfektion mit Streptokokken (und selten anderen Erregern)
sehr unterschiedliche Erkrankungen auslösen. Hierzu zählen
follikuläre Infektionen (Ostiofollikulitiden, Perifollikulitiden,
Furunkel, Karbunkel), Abszesse, Phlegmonen und die nekrotisierende Fasziitis
sowie die Fournier’sche Gangrän und das „staphylogene
Lyell-Syndrom” (SSSS) sowie das „Toxic shock-Syndrom”.
Auch bei bullösen Formen des Erysipels kann S. aureus beteiligt sein
[1]. Von besonderer klinischer Bedeutung ist die Rolle
von S. aureus bei der Neurodermitis. Hierzu wurden in den letzten Jahren schon
lange bekannte klinische Zusammenhänge durch eine Reihe wissenschaftlicher
Nachweise belegt [2]
[3].
Über die klinische Infektions- und Toxizitätsproblematik
hinaus, ist S. aureus auch wegen seiner ausgeprägten Fähigkeiten der
Anpassung und Resistenzentwicklung von großer Bedeutung. Jeweils nur
kurze Zeit nach Einführung neuer potenter Antibiotika wird bereits
über erste resistente S. aureus Stämme berichtet.
Methicillin-resistente S. aureus Stämme (MRSA) haben v. a. im
Bereich der Krankenhausmedizin und etwas später auch im Bereich der
Altenpflege und der ambulanten Versorgung zu erheblichen Problemen und enormen
Kostensteigerungen geführt. Seit wenigen Jahren breitet sich nun,
besonders bei Kindern und Jugendlichen, weltweit ein neuer S. aureus Stamm aus,
der sich durch hohe Aggressivität, häufig gepaart mit
Methicillin-Resistenz, auszeichnet und bereits zu schweren bis letalen
Verläufen bei vorher gesunden Kindern geführt hat
(Panton-Valentine-Leukozidin positiver Community associated MRSA;
PVL+-CA-MRSA).
Von der Kolonisation zur Infektion
Von der Kolonisation zur Infektion
Koagulase-negative (z. B. S. epidermidis) und seltener auch
koagulase-positive Staphylokokken (S. aureus) können als Keime der
residenten und transienten Flora immer wieder gesunde menschliche Haut
kolonisieren, ohne zunächst Krankheitssymptome auszulösen. Der
Nachweis solcher Keime in Hautabstrichen ist daher nicht zwangsläufig der
Nachweis einer Infektion. Viele Erwachsene, aber auch
25 – 59 % aller Kinder vom Kindergartenalter
bis 15 Jahre tragen S. aureus asymptomatisch in der Nase [4]
[5]. Dringen die Erreger durch
Verletzungen oder physiologische Schwachstellen, wie z. B. die
Haarfollikel, in die Haut ein und lösen dort eine Reaktion des
Immunsystems aus, sind die Bedingungen für eine Infektion erfüllt.
Die typischen Zeichen der lokalen Entzündung Rubor, Calor, Tumor, Dolor
und Functio laesa, evtl. auch Lymphangitis und Lymphadenitis, treten auf.
Breitet sich die Infektion weiter aus, treten allgemeine Infektionszeichen wie
Fieber, Schüttelfrost, Schwäche und allgemeines Krankheitsgefühl
hinzu. C-reaktives Protein (CRP) und Leukozytenzahl steigen an.
Im Kindesalter ist die Impetigo contagiosa weltweit eine der
häufigsten bakteriellen Hautinfektionen. Es handelt sich hierbei um eine
oberflächliche Pyodermie, die meist durch S. pyogenes, in den letzten
Jahrzehnten jedoch mehr und mehr auch durch S. aureus verursacht wird. In
aktuellen Untersuchungen lässt sich in gut der Hälfte aller
Impetigo-Fälle S. aureus (häufig gemeinsam mit S. pyogenes)
nachweisen. Besonders im Zusammenhang mit Skabies (Ausbreitung durch Kratzen)
oder einer Neurodermitis (s. u.) kommt es oft rasch zu einer
großflächigen Impetiginisierung. Sind S. aureus Stämme mit
exfoliativen Toxinen beteiligt, entstehen bullöse Varianten der Impetigo.
Auch follikuläre Infektionen, v.a . Ostiofollikulitiden breiten sich bei
solchen Patienten rasch aus, während die Entstehung von Furunkeln und
Karbunkeln im Kindesalter selten ist. Findet sich jedoch bei Kindern eine
Furunkulose, so muss neben individuellen Faktoren wie Immunschwäche und
juvenilem Diabetes mellitus auch an eine erhöhte Erregerpathogenität,
z. B. durch das Panton-Valentine-Leukozidin (PVL) gedacht werden
(s. u.), dies gilt auch für ausgedehnte Follikulitiden in
atypischer Lokalisation (im Kindesalter: Brust, Flanken, Leisten,
Genitale).
Von der Kolonisation zur Neurodermitis
Von der Kolonisation zur Neurodermitis
Es besteht kein Zweifel, dass hinter der Neurodermitis, der
häufigsten endogenen Ekzemerkrankung des Menschen, ein oder mehrere
genetische Faktoren stehen. Darüber hinaus muss aber immer wieder aufs
Neue geklärt werden, was bei dem einzelnen Patienten – schon im
Kindesalter – zu Schüben der Erkrankung führt. Neben
immunologischen Ursachen hat sich in den letzten Jahren immer klarer zeigen
lassen, dass Infektionen mit S. aureus einen erheblichen Einfluss auf den
Hautzustand der Atopiker haben. Es besteht eine direkte Korrelation zwischen
der Besiedlung der Haut mit S. aureus und dem Schweregrad (SCORAD) der
Neurodermitis [3]. Auch sind gesunde Hautareale der
Atopiker bereits stärker mit S. aureus besiedelt als die Haut gesunder
Nichtatopiker. Auf chronischen Ekzemen und noch mehr auf entzündlich
nässenden Neurodermitisherden nimmt die Keimzahl bis auf 15 Millionen
Staphylokokken/cm2 zu [2]. Dass die Bakterien
in die Haut vordringen und Infektionen auslösen, wird bei Neurodermitikern
durch eine ganze Reihe von Faktoren begünstigt. Im Einzelnen sind
dies:
-
eine verminderte epidermale Barrierefunktion
-
eine Begünstigung der Adhäsion von Bakterien an
läsionaler Haut durch freiliegende Adhäsionsmoleküle wie
z. B. Fibronectin und Fibrinogen [6]
-
eine bessere Bindung von S. aureus an Haut, die wie beim
Atopiker eine überwiegend Th2-mediierte Immunreaktion aufweist
-
die nachgewiesenermaßen geringere Konzentration des
antimikrobiellen Lipids Sphingosin im Stratum corneum der Neurodermitiker
[7]
-
eine verminderte Reaktion antimikrobieller Peptide (human
beta-defensin 2 und 3 sowie Cathelicidin LL-37) gegen S. aureus
[8]
-
eine verminderte Dermcidinkonzentration im Schweiß von
Atopikern [9]
-
eine eingeschränkte Funktion des angeborenen Immunsystems
der Haut bei atopischer Diathese [10]
[11]
Erst vor wenigen Jahren konnte darüber hinaus gezeigt werden,
dass eine Infektion mit S. aureus gar nicht notwendig ist, den Hautzustand der
Atopiker zu beeinträchtigen. Bereits eine Kolonisation mit S. aureus
reicht aus, den Entzündungsprozess der Neurodermitis mittels der Wirkung
von Toxinen (z. B. staphylogenes Enterotoxin B) und Superantigenen
anzuheizen [12].
Zusammengefasst sind Besiedlung oder Infektion mit S. aureus
für Neurodermitispatienten erhebliche zusätzliche
Pathogenitätsfaktoren. Eine Reduktion der Keimzahl auf der Haut bzw. eine
Eradikation von S. aureus führt bei vielen Neurodermitispatienten zu einer
erheblichen Linderung der klinischen Symptomatik.
Die Rolle der Toxine (insbesondere PVL)
Die Rolle der Toxine (insbesondere PVL)
S. aureus ist mit einer Vielzahl von Virulenzfaktoren ausgestattet.
Neben Adhäsinen spielen verschiedene Exo- und Enterotoxine eine erhebliche
Rolle. Die exfoliativen Exotoxine A und B (ET-A, ET-B) finden sich vor allem
bei der bullösen Impetigo und dem
„Staphylokokken-Schäl-Syndrom” (SSSS). Die Enterotoxine
TSST-1 und 2 werden beim Toxic shock-Syndrom (im Kindesalter selten) und das
Panton-Valentine-Leukozidin (PVL) vor allem bei Furunkulosen und kutanen
Abszessen nachgewiesen.
S. aureus Stämme mit dem PVL-Toxin (z. B. S. aureus USA
300, ST 080) haben sich in kurzer Zeit v. a. in den USA und in Asien
ausgebreitet, werden heute aber auch in Deutschland und ganz Europa mehr und
mehr im Zusammenhang mit kutanen Abszessen sowie mit Furunkulose, Zellulitis,
Paronychien, Impetigo contagiosa und Follikulitiden identifiziert. Quellen
für die Ansteckung sind asymptomatische Träger in der Umgebung der
Patienten, aber auch Haustiere wie Hunde und Katzen [13]
und selbst Oberflächen in Haushalten können über lange Zeit
kontaminiert sein [14]. Das PVL findet sich bei
Methicillin-sensiblen (MSSA) und Methicillin-resistenten Staphylokokken (MRSA)
und ist ein häufiges, aber nicht sicheres Merkmal der Community associated
MRSA- (CA-MRSA) Infektion. Seine Wirkung entfaltet dieses porenbildende Toxin
an Zellmembranen, wo es bei hoher Konzentration durch Perforierung zur
Zytolyse, bei geringer Konzentration durch Apoptose zum Zelltod führt
[15]. Klinische Folge sind ausgedehnte Furunkulosen
[16] oder tiefreichende, nekrotisierende Abszesse.
Gefürchtet sind rasch fortschreitende nekrotisierende Fasziitiden (im
Genitalbereich die Fournier’sche Gangrän) und v. a. im
Kleinkindesalter schwerst verlaufende nekrotisierende hämorrhagische
Pneumonien, die innerhalb von nur 48 Stunden zum Tode führen können
[17].
Durupt et al. [18] zeigten, dass die nasale
Besiedlung mit PVL+-S. aureus zwar nicht bei Patienten mit
einzelnen Furunkeln (29 %), wohl aber bei Patienten mit einer
ausgeprägten Furunkulose (88 % nasale Träger!)
eine Rolle spielt. Bei solchen Patienten konnten in Nasen- und Hautabstrichen
Keime mit identischen Eigenschaften nachgewiesen werden.
Resistenzen
Resistenzen
Bereits bei der Einführung des Penicillins in die Behandlung
bakterieller Hautinfektionen wurden 1941 erste Resistenzen bei Staphylokokken
beobachtet. Ähnlich war die Entwicklung bei der Einführung des
Methicillins 1958. Schon zwei Jahre später wurden Methicillin-resistente
Staphylokokken nachgewiesen. Die Methicillin-Resistenz steht heute exemplarisch
für die Resistenz gegen die diversen Betalaktamantibiotika.
1997 wurden erste intermediäre und 2002 erstmals komplette
Vancomycin-Resistenzen festgestellt. Die hohe Anpassungsfähigkeit dieser
Erreger, die durch ihre kurze Generationszeit von weniger als 30 Minuten
ständig neue Generationen mit entsprechenden Resistenzmutationen
entwickeln können, ermöglicht eine rasche Resistenzentwicklung. Hinzu
kommt die Möglichkeit, entwickelte Resistenzen über Bakteriophagen in
kurzer Zeit an andere Erreger weiterzugeben (Transduktion).
In den USA sind die Nachweisraten nasaler Besiedlung mit MRSA bei
Kindern in nur drei Jahren (2001 – 2004) von 0,8 auf
9,2 % angestiegen. Dabei müssen heute zwei Epidemien mit
unterschiedlichem Ausbreitungs-, Resistenz- und Toxinmuster unterschieden
werden. Zum einen handelt es sich um Methicillin-, d. h. vor allem
Betalaktam-Antibiotika resistente S. aureus Stämme, die sich meist bei
immundefizienten, älteren Patienten ausbreiten, die vielfach mit
Antibiotika vorbehandelt wurden. Diese S. aureus Stämme werden als
Healthcare associated MRSA (HA-MRSA) klassifiziert. Zum anderen handelt es sich
um den schon erwähnten Community associated MRSA (CA-MRSA), der ein
unterschiedliches Resistenzmuster u. a. mit Fusidinsäure-Resistenz,
aber auch eine Empfindlichkeit gegen Doxycyclin und Cotrimoxazol aufweisen
kann. CA-MRSA tritt v. a. bei Kindern und Jugendlichen fernab jeder
Krankenhausumgebung und ohne antibiotische Vorbehandlung auf.
Therapie und Eradikation
Therapie und Eradikation
Das rasch wechselnde Resistenzmuster der Staphylokokken und die
Vielzahl der in einer Population vorhandenen Stämme zwingen zur
regelmäßigen Durchführung von Resistenzbestimmungen und zur
erregerspezifischen Therapie. Nur sehr umschriebene, oberflächliche
Pyodermien können ausschließlich topisch behandelt werden. Hierzu
sind topische Antibiotika (v. a. Fusidinsäure, Mupirocin,
Retapamulin) oder Desinfizienzen (z. B. Chlorhexidin, Octenidin,
Polyhexanid und Triclosan) geeignet. Jede auf größeren Flächen
ausgebreitete oder in tiefere Gewebe reichende Pyodermie muss zusätzlich
systemisch behandelt werden. Hierzu sind folgende Therapieregime zur
Initialbehandlung geeignet:
-
-
bei unkomplizierten Infektionen ambulanter Patienten
(Verdacht auf Infektion mit Methicillin-sensiblen Staphylokokken, auch bei
Atopikern): Cephalexin (weitere: Cefuroxim, Amoxicillin/Clavulansäure
[19]
-
bei epidemiologischem/klinischem Verdacht auf
HA-MRSA-Infektion: Vancomycin (Säuglinge/Kleinkinder: Monitoring der
Serumspiegel!)
-
bei epidemiologischem/klinischem Verdacht auf
CA-MRSA-Infektion: Trimethoprim-sulfamethoxazol, Clindamycin, Linezolid, evtl.
auch Vancomycin oder Daptomycin; bei Erwachsenen auch Doxycyclin
Sobald ein Antibiogramm vorliegt oder der Patient klinisch nicht
anspricht, muss die Therapie überprüft und gegebenenfalls korrigiert
werden. Häufig kann aufgrund des Antibiogramms von einem
Breitspektrumantibiotikum auf ein spezifisch wirksames
Schmalspektrumantibiotikum gewechselt werden. Bei schwerwiegenden Infektionen
ist die intravenöse Applikation der oralen Behandlung wegen der sichereren
Bioverfügbarkeit vorzuziehen. Bei einsetzender klinischer Besserung kann
evtl. auf eine orale Sequenzialtherapie umgesetzt werden. Die topische Therapie
ist begleitend fortzuführen, da mit den topischen Antibiotika bis zu
1000-fach höhere Wirkstoffkonzentrationen auf der Haut (im Vergleich zu
Serumkonzentrationen) erreicht werden können.
Tiefreichende Abszesse, die, besonders wenn sie multipel und
rezidivierend auftreten, zunehmend häufiger mit dem
PVL+-CA-MRSA assoziiert sind, bedürfen sowohl der Inzision
als auch der systemischen Antibiose, da jede der beiden Maßnahmen alleine
durchgeführt nicht zum Erfolg führt [20]
[21].
Besonders bei wiederholten Infektionen ist nach nasalem
Trägertum zu fahnden. Der Patient selbst, aber auch sein familiärer
Umkreis kann sowohl Methicillin-sensible als Methicillin-resistente
Staphylokokken asymptomatisch in der Nase tragen. Da diese durch eine
systemische Antibiotikabehandlung nicht sicher erreicht werden, ist jeweils
auch eine nasale Eradikation, z. B. mit Mupirocin Nasensalbe
durchzuführen. Schon 1996 zeigten Raz et al. [22],
dass mit einer Eradikation der nasalen Staphylokokken durch Anwendung von
Mupirocin Salbe die Häufigkeit kutaner Furunkulosen erheblich reduziert
werden kann.
Bei großflächigem Hautbefall sind desinfizierende
Bäder oder Waschungen mit desinfizierenden Lösungen zur
Keimzahlverringerung hilfreich.
Die Leitlinien der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) und
der Arbeitsgemeinschaft für Dermatologische Infektiologie und
Tropendermatologie (ADI-TD) für die Staphylokokken- und
Streptokokkeninfektionen der Haut sind unter www.leitlinien.net online
zugänglich. Wegen der zunehmenden HA-MRSA- und CA-MRSA-Problematik werden
die Staphylokokkenleitlinien aktuell überarbeitet.