Ein 53-jähriger Patient (110 kg, 182 cm) mit chronischer Glomerulonephritis wurde
Ende 1999 dialysepflichtig. Von Beginn an war die Therapie nicht ganz einfach: Neben
einem Diabetes mellitus und einem Nikotinabusus lag dies auch an ausgeprägten Compliance-Problemen,
die eine unzureichende Flüssigkeitsrestriktion und damit eine rezidivierende, symptomatische
Überwässerung zur Folge hatten. Der Patient dialysierte nur 3-mal 4 Stunden in der
Woche, bestand aber auf diesem Regime. Medikamente, insbesondere seine Phosphatbinder,
nahm er nur inkonsequent ein.
Ausgeprägte extraossäre Kalzifikation
Ausgeprägte extraossäre Kalzifikation
2001 erhielt der Patient einen 3-fachen aortokoronaren Bypass. Im Juni 2002 klagte
er über Juckreiz, progrediente, diffuse Gelenkbeschwerden und Immobilität. Serumkontrollen
zeigten (unter Therapie mit aktivem Vitamin D und Kalziumazetat) einen Kalziumwert
von 11,6 mg/dl (2,9 mmol/l), einen Phosphatwert von 11,5 mg/dl (3,7 mmol/l), ein Kalzium-Phosphat-Produkt
von 127,6 mg2/dl2 (10,9 mmol2/l2) und einen iPTH-Wert (iPTH: "intact parathyroid hormone") von 480 pg/ml. Klinisch
imponierte rechts supraklavikulär eine harte, unregelmäßige Schwellung.
Es wurden Röntgen- und CT-Aufnahmen angefertigt, um den Verdacht auf Weichteilverkalkung
und ihr Ausmaß abzuklären. Die Schwellung ließ sich als extraossäre Kalzifikationen
klassifizieren, die ein beträchtliches Ausmaß hatten (Abb. [1a]).
Abb. 1 Extraossäre Kalzifikationen im Schulterbereich (a: Juni 2002), die nach Umstellung
des Therapieregimes deutlich zurückgingen (b: August 2002).
Deutliche Regression der Kalzifikation
Deutliche Regression der Kalzifikation
Das Therapieregime wurde daraufhin geändert. Es erfolgte eine ausführliche Ernährungsberatung,
und die Vitamin-D-Supplementierung wurde beendet. Der kalziumhaltige Phosphatbinder
wurde durch das kalziumfreie Sevelamer ersetzt und das Dialysatkalzium von 1,5 auf
1,25 mmol/l gesenkt. Unter dem steigenden Leidensdruck stimmte der Patient auch einer
verlängerten Dialysezeit auf 20 Stunden pro Woche zu.
Acht Wochen später hatten sich die Laborwerte deutlich gebessert: Kalzium lag bei
9,6 mg/dl (2,4 mmol/l), Phosphat bei 6,0 mg/dl (1,9 mmol/l), das Kalzium-Phosphat-Produkt
bei 57,6 mg2/dl2 (4,6 mmol2/l2) und das iPTH bei 283 pg/ml. Palpatorisch schienen die Kalkdepots ebenfalls deutlich
regredient, was sich röntgenologisch bestätigte (Abb. [1b]). Weitere 4 Monate später waren nur noch linsengroße Kalzifikationen nachweisbar.
Im Juni 2005 wurde wegen des erneut steigenden iPTH (> 1000) wieder interveniert:
Neben Sevelamer erhielt der Patient nun wieder aktives Vitamin D und zusätzlich ein
Kalzimimetikum (off-label), um den renalen sekundären Hyperparathyreoidismus (sHPT)
effektiver zu behandeln.
Dr. Roland Fulde, Bad Oyenhausen
Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Genzyme GmbH, Neu-Isenburg
Verschiedene Stellschrauben im Kalzium- und Phosphatmanagement
Verschiedene Stellschrauben im Kalzium- und Phosphatmanagement
Mit sinkender renaler Phosphatexkretion steigt der Serumphosphatspiegel, was zusammen
mit dem Calcitriolmangel zum sHPT und einem komplex gestörten Kalzium-Phosphat- und
Knochenhaushalt führt. Die Phosphatbindertherapie mit Kalziumkarbonat oder -azetat
trägt über die Kalziumzufuhr zur Erhöhung des Kalzium-Phosphat-Produktes bei, besonders
in Kombination mit einer Calcitriolgabe, welche die enterale und ossäre Kalziumresorption
fördert. Ab einer kritischen Grenze des Kalzium-Phosphat-Produktes (> 72 mg2/dl2) [1] besteht ein hohes Risiko für extraossäre Kalzium-Phosphat-Präzipitationen in Gefäßen
sowie anderen Weichteilen (metastatische Verkalkungen: harte unregelmäßige Tumoren,
oft im Bereich des Schultergelenkes).
Erhöhte PTH-Spiegel, in der Haut abgelagerte Kalziumphosphat-Mikrokristalle und Urämie
verursachen häufig Pruritus. Symptome der Osteopathie sind schlecht lokalisierbare
Knochenschmerzen, -deformitäten, Frakturen und Myopathie. Darüber hinaus sind der
sHPT und ein erhöhtes Kalzium-Phosphat-Produkt mit einer gesteigerten kardiovaskulären
Morbidität und Mortalität bei chronisch nierenkranken Patienten assoziiert [1], [2], [3]. Für mehr als 50 % aller Todesfälle sind arterosklerotische Komplikationen (Schlaganfall,
Herzinfarkt), aber auch hämodynamische Veränderungen (kardiale Dysfunktion, linksventrikuläre
Hypertrophie) verantwortlich. Kalzifizierungen finden sich in Koronarien, Herzklappen
und Myokards, ebenso eine diffuse myokardiale Fibrose [4].
Das Ziel bei der individuellen, leitliniengerechten Therapie ist es, alle Faktoren
zu optimieren. Hierfür ist es obligat, alle nicht notwendigen Kalzium- und Phosphatquellen
zu vermeiden: Neben einer angepassten Ernährungsweise und einer intensivierten Dialyse
mit reduziertem Dialysatkalzium sollte ein kalziumfreier Phosphatbinder zum Einsatz
kommen. Gegebenenfalls kommt auch die Gabe von Kalzimimetika infrage. Compliance-Veränderungen
müssen berücksichtigt werden, und Vorsicht ist bei aktiven Vitamin-D-Präparaten geboten:
Diese sollten nur eingesetzt werden, wenn das Serumphosphat im KDOQI-Zielbereich (KDOQI:
"Kidney Disease Outcomes Quality Initiative") liegt, um zu verhindern, dass Kalziumphosphat
ausfällt. Im geschilderten Kasus waren die metastatischen Weichteilkalzifizierungen
reversibel.