Zentralbl Chir 2009; 134(3): 225
DOI: 10.1055/s-0028-1098900
Kommentar

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Kommentar auf Anforderung der Schriftleitung zu Benedix et al. 2009

Comment to Benedix et al. 2009T. P. Hüttl1 , F. W. Spelsberg1
  • 1Chirurgische Klinik und Poliklinik · Klinikum der Universität München – Campus Großhadern · München
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Publication Date:
17 June 2009 (online)

Bariatrische Chirurgie macht Freude, erfordert sie doch neben chirurgischem Können in besonderer Weise auch ein ganzheitliches empathisches ärztliches Denken und ist darüber hinaus auch sehr erfolgreich. Kurzfristige Erfolge nach bariatrischen Eingriffen machen euphorisch und lassen uns gerne übersehen, dass wir mit diesen Ein­griffen neben chirurgieimmanenten Akut­kom­plikationen auch Langzeitkomplikationen ver­ursachen, die – wie Benedix et al. sehr schön ­herausgearbeitet haben – in bis zu 25 % Revisionseingriffe nach sich ziehen.

Derzeit erfolgen ca. 2000 bariatrische Eingriffe pro Jahr in Deutschland, eine Steigerung um den Faktor 10 bis 20 auf den Europäischen Durchschnitt ist zu erwarten. Dies bedeutet, dass wir schon heute auf bis zu 500, künftig womöglich auf bis zu 10 000 Revisionseingriffe pro Jahr vorbereitet sein müssen.

Benedix et al. legen den Schwerpunkt Ihrer Übersichtsarbeit auf Spätfolgen adipositaschirurgischer Eingriffe. Alle wichtigen Verfahren werden einschließlich ihrer typischen Langzeitkomplikationen dargestellt und entsprechende Lösungs­ansätze strukturiert aufgezeigt. Eine Begrenzung der Adipositaschirurgie aufgrund ihrer Komple­xizität und insbesondere des Risikoprofils der Patien­ten auf einige Zentren wird immer wieder diskutiert und lässt sich wohl kaum mehr bewerkstelligen. Zu groß ist das Interesse der Chirurgen am Neuen, die Erwartungshaltung der Patien­ten und nicht zuletzt das enorme Sendungsbewusstsein der Industrie, die in jeder noch so kleinen Stadt ein „Adipositaszentrum“ aufzubauen hilft. Nach unserem Dafürhalten ­sollte sich aber jeder, der überlegt, chirurgisch an dieses komplexe Hochrisikopatientengut heranzugehen, zuerst über das Komplikationsmanagement und die Beherrschung von Langzeitkomplikationen Gedanken machen. Artikel wie der von Benedix et al. sollten daher als Pflichtlektüre vor dem ersten bariatrischen Eingriff und vor der ­ersten Pressemitteilung über das erste erfolg­reiche Magenband oder die erste erfolgreiche Sleeve-Gastrektomie angesehen werden. Die hier auf­gezeigten Langzeitrisiken sind bei rechtzeitigem Erkennen und situationsgerechtem Handeln in der Regel beherrschbar. Komplexe elektive Reeingriffe wie Umwandlungsoperationen bei un­befriedigendem Gewichtsverlust werden hochspezialisierten interdisziplinär aufgebauten „Zentren“ vorbehalten bleiben müssen. Das Kennen und Erkennen typischer Komplikationen und die Beurteilung der Dringlichkeit des chirurgischen Handelns ist von jedem, der adipositas­chirurgische Eingriffe durchführt, zu fordern. Im ver­gangenen Jahr mussten wir wiederholt Not­fall­zuweisungen von Patienten mit zum Teil lebens­bedrohlichen, sich akut zuspitzenden Spätkomplikationen erfahren.

Zum Teil mussten die Betroffenen unter Lebensgefahr spektakuläre Umwege auf sich nehmen. Operateure, die selbst das betreffende Magenband implantiert hatten, lehnten unverantwort­licherweise jegliches Komplikationsmanagement ab! Darüber hinaus stellt die häufig zu beobachtende Fehleinschätzung der Akutsituation durch den jeweiligen Chirurgen ein schwerwiegendes Problem dar.

Das Erkennen von akut auftretenden Spätkomplikationen mit der Notwendigkeit des unverzüg­lichen Handelns (z. B. innere Hernierung, Bandslipping mit Pouchokklusion und Ischämie) muss künftig auch von jedem Viszeralchirurgen verlangt werden dürfen, da diese Ereignisse mit der Zunahme an Primäreingriffen ebenso flächen­deckend zunehmen werden.

Zusammenfassend ist die Lektüre des Beitrags der Magdeburger Arbeitsgruppe jedem Viszeralchirurgen zu empfehlen.

PD Dr. med. T. P. Hüttl

Chirurgische Klinik und Poliklinik · Klinikum der Universität München – Campus Großhadern

81366 München

Email: thomas.huettl@med.uni-muenchen.de

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