Z Sex Forsch 2008; 21(4): 356-362
DOI: 10.1055/s-0028-1098724
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

Die Soziologie und das Sexuelle

Ein Bericht vom Soziologentag 2008 in JenaS. Lewandowski
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Publication Date:
11 December 2008 (online)

Für die allgemeine Soziologie ist Sexualität zwar kein Tabu mehr, aber auch kein Gebiet, für das sie sich besonders interessiert (vgl. auch Lewandowski 2006). Umso erfreulicher war es somit, dass sich beim diesjährigen 34. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vom 6. bis 10. Oktober 2008 in Jena gleich zwei Ad-hoc-Gruppen dem Thema widmeten: eine allgemeinere zur Soziologie der Sexualität wurde von Thomas Benkel und Fehmi Akalin organisiert, eine speziellere über Körper und Sexualität in Medien und Gesellschaft von Robert Gugutzer und Dagmar Hoffmann geleitet. 

Zu Beginn der ersten Ad-hoc-Gruppe führten Rüdiger Lautmann und Daniela Klimke in ihrem Vortrag Sicherheit und Ordnung im Sexuellen aus, dass auf dem Felde der Intimität die „Grundkonflikte des Zusammenlebens“ austragen werden. Mit vielen anderen teilten sie die Annahme, das Sexuelle sei in der heutigen Gesellschaft „kontingent“ geworden. Allerdings betonten sie, dass der Diskurs von einer starken Problematisierung des Sexuellen bestimmt werde. Zwar sei das Hauptfeld der Sexualität freigegeben, seine Ränder würden jedoch einer zunehmend verstärkten Kontrolle unterworfen, die sich auf alles richte, was nicht in das Bild einer harmonischen Sexualität passe. Sexualreglements analysierte Lautmann dabei als Teil der Sozial- und Strafpolitik, wobei er freilich hervorhob, dass die These des Neoliberalismus, die seine Mitreferentin überaus stark betonte, das Sexualproblem nicht hinreichend erfasse. In scharfer Weise vertrat hingegen Daniela Klimke die These, dass das Sexuelle „das vorderste Feld neoliberaler Politik“ sei: „Am Gebrauch der Lüste zeigt sich, wer in der Lage ist, sein Leben selbstverantwortlich zu führen.“ Anstatt Widerstandspotenziale zu versprechen, seien die Lüste ein Feld neoliberaler governance geworden, die sich auf den Schutz vor Verletzungen des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung stütze, um repressive Konzepte zu verwirklichen. 

Die Frage nach den Risiken der zeitgenössischen Sexualität griff auch Renate Ruhne auf, die in ihrem Vortrag über Prostitution als individuelles und gesellschaftliches Risiko Ergebnisse einer empirischen Studie über Prostitution in Frankfurt am Main vorstellte. Die im Bereich der Prostitution liegenden Risiken seien, so Ruhne, sowohl sozialer wie auch persönlicher Art. Einerseits sei Prostitution ein Feld, das für alle an ihr Beteiligten als gefährlich gelte und folglich besonderer Kontrolle unterliege; andererseits werde sie zunehmend als selbstverständlich, mitunter auch als „weicher Standortfaktor“ wahrgenommen. Weit verbreitet sei ein diffuses Gefühl der Gefährdung und des Risikos, so dass bereits der räumliche Kontakt mit dem Milieu verunsichernde und bedrohliche Gefühle auslöse – ohne dass Befragte recht angeben könnten, woher diese Gefühle rührten. 

Der prostitutiven Sexualität widmete sich auch Sabine Grenz, deren Ausführungen über Die Ambivalenz des Geldes mit der interessanten These aufwarteten, dass in der Tatsache, dass Geld die Macht bedeute alles kaufen zu können, für Prostitutionskunden auch ein Problem liege. In narrativen Interviews fand sie nämlich Hinweise darauf, dass Prostitutionskunden durch den Akt der Bezahlung für sexuelle Dienstleistungen sich selber zu Objekten machten, da das Bezahlen ihnen signalisiere, dass die Sex-Arbeiterinnen nur des Geldes wegen mit ihnen in Kontakt träten. Dies konfligiere aber mit Konzepten heterosexueller Männlichkeit, um deren Reproduktion es in der Prostitution gehe. In einer interessanten Abgrenzung zu Marx’ These von der „schöpferischen Kraft des Geldes“ betonte Grenz, dass Wünsche, wie etwa nach dem perfekten sexuellen Erlebnis, auch durch den Einsatz von Geld nicht den Bereich des Imaginären verlassen würden. 

Das Problem der Kontingenz des Sexuellen stellte auch den Ausgangspunkt der mikrosoziologischen Analysen von Karl Lenz über die Sexuelle Interaktion von Paaren dar. Ihm ging es besonders um jene Anfangsphase, in der aus einer nichtsexuellen eine sexuelle Paarbeziehung wird (bzw. werden soll) sowie um das Entstehen von Regelmäßigkeiten in der sexuellen Interaktion. Ein zentrales Problem sexueller Interaktion sei, dass die kommunikativen Aufgaben gewachsen seien, da klare kulturelle Vorgaben hinsichtlich des Beginnens, aber auch des wie sexueller Kontakte verschwunden seien. Um die Frage nach der Etablierung von Regelmäßigkeiten in der sexuellen Interaktion fassen zu können, rekurrierte Lenz einerseits auf die Skriptingtheorie von Simon und Gagnon und anderseits auf Goffmans Rahmenanalysen. Eine zentrale Aufgabe von Paaren bestehe darin, paarbezogene sexuelle Skripte herzustellen, „richtige“ Einleitungen sexueller Interaktion zu finden, eine gemeinsame sexuelle Sprache zu schaffen, ein gemeinsames Wissen über sexuelle Vorlieben und Settings aufzubauen, sich über Erlaubtes und Verbotenes sowie über sexuelle Praktiken zu verständigen. Entscheidend sei freilich nicht nur die Rolle kulturell tradierten Diskurswissens, sondern es müsse auch nach der Bedeutung praktischen, in Handlungsroutinen eingebundenen Wissens gefragt werden. Vor allem aber müsse eine Mikrosoziologie des Sexuellen ihren Ausgangspunkt in der sexuellen Interaktion selbst und nicht im Subjekt wählen, um das „feine Gestrüpp von Regeln, was erlaubt ist und was nicht“, untersuchen zu können. 

Dem Verhältnis von Sexualität und Risiko widmete auch Fehmi Akalin seinen Vortrag über Sexualität zwischen Risiko und Gefahr. Der populäre Diskurs als Unsicherheitsgenerator. Akalin stellte freilich dem Begriff des Risikos nicht den Begriff der Sicherheit gegenüber, sondern unterschied mit Niklas Luhmann zwischen Risiko und Gefahr. So zu unterscheiden hat, wie Luhmann zeigte, den Vorteil, dass sich diese Unterscheidung als ein Attributionskonflikt rekonstruieren lässt: Der Begriff des Risikos verweist auf eine Zurechnung auf (eigenes) Handeln, während eine Gefahr der Umwelt zugerechnet wird. Indem er Luhmanns Unterscheidungsweise auf das Sexuelle anwandte, versuchte Akalin zu zeigen, dass der Versuch, mittels Informationspolitik und Aufklärungskampagnen sexuelle Unsicherheiten in Sicherheiten zu verwandeln, zwangsläufig scheitern müsse, da die Problematisierung des Sexuellen „entweder Attributionskonflikte nach sich zieht oder (…) zu einem gesteigerten Risikobewusstsein führt.“ Bereits bei Luhmann war ja eine wesentliche Pointe der Argumentation gewesen, dass mehr Information nicht zu mehr Sicherheit, sondern nur zu einem höheren Risikobewusstsein führe. Mehr Wissen löse, wie Akalin mit Blick auf populäre Sex-Ratgeber ausführte, das Problem der Unsicherheit nicht, sondern transformiere lediglich Gefahren in Risiken. 

Thorsten Benkel widmete seinem Vortag Der Blick des Voyeurs der (Un)heimlichen Beobachtung als ‚Sozialtechnik’. Wenngleich für den Voyeurismus der ausdrückliche Ausschluss einer Vice-versa-Situation charakteristisch sei, versuchte Benkel in Auseinandersetzung mit Georg Simmels Konzeption des Austauschs von Blicken als Wurzel der Vergemeinschaftung die soziale Komponente des voyeuristischen Blicks herauszuarbeiten. Der Voyeur agiere insofern sozial, als er sich auf einen anderen beziehe. Diese Beziehung sei freilich brüchig, da sie nicht nur Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem auf (un-)heimliche Weise überschreite, sondern der Beobachtete nichts von ihr wisse. Indem er in seiner heimlichen Beobachtung einen sexualisierten Blick auf ein Geschehen richte, verschiebe der Voyeur den Rahmen dieses Geschehens. Voyeurismus stelle sich vor diesem Hintergrund als ein „visueller Eroberungsfeldzug“ dar. Indem freilich Benkel die sozialen bzw. parasozialen Aspekte des Voyeurismus hervorhob, gerieten spezifisch sexuelle Komponenten des Voyeurismus etwas aus dem Blick. 

Gunter Runkel führte in seinem Vortrag Die Entwicklung von Sexualität und Liebe aus, dass die moderne Liebe „mit Selbstreferenz aufgeladen“ werde, Sexualität sich autonomisiere, zugleich aber mit „neuen Anforderungen“ belastet werde. Im Wesentlichen beschränkte sich Runkel aber darauf, einige Hypothesen zur Geschichte von Liebe und Sexualität zu skizzieren und die allseits bekannten Ausführungen Niklas Luhmanns über Liebe als Passion (Luhmann 1982) und dessen Anregung, Liebe nicht als Gefühl, sondern als Kommunikationscode zu behandeln, zu reproduzieren. 

Der Autor dieses Berichts führte in seinem Vortrag Sex does (not) matter. Über die sozialstrukturelle Irrelevanz des Sexuellen und die Ausdifferenzierung autonomer Sexualitäten die Pluralisierung und Individualisierung des Sexuellen in der heutigen Gesellschaft darauf zurück, dass die moderne Gesellschaft Sexualität freigebe, weil sich ihre Funktionssysteme primär an sich selbst orientierten und sich folglich gegenüber dem Sexuellen weitgehend indifferent verhalten würden. Zugleich ermögliche die Differenzierungsform der modernen Gesellschaft die Steigerung von Widersprüchlichem, sodass sich soziale Sphären ausdifferenzierten, in denen es stark auf Sexualität ankomme, auch wenn Sexualität für die Reproduktion der Struktur der modernen Gesellschaft bedeutungslos geworden sei (vgl. auch Lewandowski 2007). 

Zur Eröffnung der Ad-hoc-Gruppe Körper und Sexualität in Medien und Gesellschaft legten Robert Gugutzer und Dagmar Hoffmann dar, dass Körper und Sexualität zwar in der sozialen Wirklichkeit, nicht aber in der Soziologie prominente Themen seien, und wiesen auf die enge Verknüpfung von Körper und Sexualität hin, die weder in der Körper- noch in der Sexualsoziologie hinreichend berücksichtigt werde. Besonders betonten sie die Rolle der Medien, da diese Körperwissen vermittelten. Allerdings sei nach dessen subjektiver Aneignung und seiner Umsetzung im Handeln zu fragen. 

Zum Auftakt analysierten Daniela Klimke und Rüdiger Lautmann ein weiteres Mal den Biopolitischen Zugriff auf den riskanten Sex und führten aus, dass es in den öffentlichen Debatten um legitime und verbotene Lüste nicht so sehr um sexuelle Selbstbestimmung, sondern vielmehr um „postmoderne governance“, also um „Regierung und Selbstführung unter dem Diktat von Sicherheit und Freiheit, Ordnung und Begehren“ gehe. Allerdings traten nun Differenzen zwischen den beiden Vortragenden recht deutlich hervor: Während Klimke eine deutlich radikalere Position vertrat und ein beinahe hermetisch geschlossenes System einer neuen biopolitischen Nutzung der Lüste analysierte, war Lautmann um eine konziliantere, stärker abwägende Position bemüht. 

Die zeitgenössische Biopolitik zeichne sich, so Klimke, einerseits dadurch aus, dass sich die Macht insofern an die Lüste hefte, als deren Gebrauch die Fähigkeit der Subjekte zur Selbstführung zeige. Andererseits beruhe sie auf moralischer Empörung, wobei der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung den zentralen Ansatzpunkt für Interventionen und die Etablierung eines neuen, an zweckrationalen Risikokalkülen orientierten Präventionismus bilde. Dieses neue Konzept der governance verknappe einerseits Sicherheit, verspreche aber andererseits eine Politik der „Nulltoleranz“ gegenüber Unsicherheit. Das Ergebnis sei ein „auf Dauer gestellter Ausnahmezustand an der Sexfront.“ 

Rüdiger Lautmann widmete sich der Biologisierung des Sexualdenkens, das er als „Spekulationsblase“ beschrieb. Allerdings würden die neue Biologisierung des Denkens und die lebenswissenschaftliche Wende auf dem Gebiet des Sexuellen weniger von der Biologie selbst als von den Massenmedien betrieben, wobei deren „Wissen“ aber gerade nicht dem Erkenntnisstand der modernen Biologie entspreche. Dennoch habe es die Sexualsoziologie mit diesem falschen Wissen zu tun. Lautmanns zentrale These war, dass man die biopolitischen Baustellen, wie Genetik, Evolutionsbiologie, Hirnforschung usw., nur besuchen müsse, um sie ihrer Faszination zu berauben. Insbesondere verwies er auf die flexiblen Erklärungsmuster der Evolutionsbiologen, die alles zu erklären wüssten (und im Zweifelsfalle auch das Gegenteil), aber keinerlei tragfähige empirische Basis vorzuweisen hätten. So verträten „ernsthafte Biologen“ die Vorstellung, dass die Gene alles steuerten, überhaupt nicht und auch fügten sich die sexualbiologischen Hypothesen nicht zu jener kohärenten biologischen Sexualtheorie, an die die öffentliche Meinung glaube. Vor diesem Hintergrund deutete Lautmann die öffentliche Popularität der Lebenswissenschaften als einen Versuch der sozialen Kontingenz des Sexuellen zu entfliehen. 

Mit einem ganz anderen massenmedialen Diskurs über Sexualität befasste sich Paula-Irene Villa, die anhand einer Analyse des Medienhypes um Charlotte Roches Bestseller Feuchtgebiete, Lady Bitch Ray und die selbst ernannten „Alphamädchen“ über Pornofeminismus? Zur medialen Debatte um feuchte und andere weibliche Körpergebiete referierte. Villas zentrale These lief darauf hinaus, dass die derzeitige mediale Konjunktur des sogenannten „neuen“ Feminismus daher rühre, dass dieser in sexualisierter und pornografisierter Form auftrete: „Solange Frauen also den besseren (heterosexuellen) Sex anbieten, dürfen sie auch Feministinnen sein und werden hierfür gefeiert.“ Besonderes Augenmerk richtete Villa auf die massenmedial gehypten Autonomiesemantiken der Selbstermächtigung qua Sexualität, gab aber zugleich zu bedenken, dass diesen auch lebensweltliche Empowerment-Potenziale innewohnen könnten. 

Einem Phänomen, das im Allgemeinen nicht im Verdacht steht, zur Geschlechterdemokratie beizutragen, widmete der Autor dieses Berichts seinen Vortrag La femme maschine? über Pornographische Inszenierungen von Sexualität und Körperlichkeit. Ausgehend von der These, dass Pornografie als eine Selbstbeschreibung der modernen Sexualität fungiere, behandelte er pornografische Körperinszenierungen als Teil jener Diskurse, mittels derer sich die Gesellschaft einer somatischen Basis zu versichern suche. In pornografischen Inszenierungen ginge u. a. darum, kulturell disziplinierte Körpermaschinerien zu durchbrechen, um „authentische“ Körper und ihre Lüste „zum Sprechen“ zu bringen. Ein zentrales Phantasma der Pornografie (aber nicht nur dieser) sei, dass es so etwas wie präsoziale, „eigensinnige“ und „authentische“ Körperlichkeit gebe. 

Die Allgegenwärtigkeit von Körpern und Körperbildern in den Medien trieb auch Dagmar Hoffmann in ihrem Vortrag Body Images in Medien und Gesellschaft – Ästhetiken im Diskurs um. Von den anderen Beiträgen unterschied sich Hoffmann durch ihre primär ästhetische Perspektive auf Körperlichkeit. Erotische Ausstrahlung sei, so Hoffmanns These, weniger normiert sei als es massenmediale Schönheitsbilder nahe legten. Vielmehr finde sich im realen Leben eine Vielfalt erotisch wahrgenommener und präferierter Körper. Unter Bezug auf Martin Seel unterschied Hoffmann zwischen körperlichem „so sein“ und ästhetischem Erscheinen. Ein Körper sei ästhetisch, wenn er bei seinem Gegenüber mehr auslöse als lediglich als Körper wahrgenommen zu werden, nämlich das ästhetische Bewusstsein des Rezipienten anspreche. Ästhetische Wahrnehmung sei jedoch, so Hoffmann, kaum steuerbar: Menschliche Begegnungen seien zwar immer sinnliche Begegnungen, implizierten aber nicht immer ästhetische Wahrnehmungen. Insofern sei auch die Möglichkeit von (ohnehin polysemen) Filmen und anderen Massenmedien, eine Homogenisierung alltäglicher (Körper-)Ästhetiken zu erzeugen, beschränkt. Auffällig sei zudem, dass sich die Zuschauer zunehmend von medialen Inszenierungspraktiken abwendeten. Die audiovisuellen Medien reagierten darauf, indem sie nicht länger nur wenige Körperbilder und -kulturen kommunizierten. In der Diskussion wurde freilich eingewandt, dass Hoffmann die Normierungseffekte medialer Bilder und ihren Einfluss auf reales Verhalten möglicherweise unter-, die Individualisierung von Körperbildern und -ästhetiken hingegen überschätze. 

Gunter Runkels abschließender Vortrag über Die Zukunft der Sexualität brachte wenig neue Erkenntnisse, sondern verlor sich in philosophischen wie anthropologischen Spekulationen über „evolutionsbiologische Tatsachen“, „natürliche“ Geschlechtscharaktere („weibliche Treue“), abendländische Philosophiegeschichte und systemtheoretische Versatzstücke sowie in Überlegungen zur Umwertung des Alten und des Neuen im Zuge der Herausbildung der Moderne. Letzteres kein Wunder – versteht sich doch Gunter Runkel neuerdings als „Zukunftsforscher“. Nicht nur in Anbetracht dieser Selbstverortung blieben Runkels Hypothesen zur Zukunft der Sexualität, die kaum Anschluss an die zeitgenössische Sexualforschung suchten, reichlich vage und erschöpften sich, wie Rüdiger Lautmann in der anschließenden Diskussion zu Recht bemerke, in einer bloßen „Verlängerung der Gegenwart in die Zukunft“. Zudem blieb Runkel eine Begründung seiner Prognosen schuldig. 

Beide Ad-hoc-Gruppen waren überaus gut besucht, sodass sich eine Soziologie der Sexualität eigentlich wenig Sorgen um ihre Zukunft machen müsste. Allerdings stach – auch im Vergleich mit anderen Veranstaltungen des Soziologentags – ins Auge, dass Jüngere, also meist Studierende, im Publikum stark überrepräsentiert waren, während Ältere, also etablierte Soziologen, in der absoluten Minderheit blieben. Lernen ließe daraus, dass eine interessierte Zielgruppe durchaus vorhanden ist, über die es, wenn man ihr Angebote in Forschung und Lehre machte, gelingen könnte, die Sexualsoziologie stärker im allgemeinsoziologischen Kanon zu etablieren. So sollte es künftig darum gehen, Sexualwissenschaften und Soziologie enger zu verzahnen, was allerdings eine Aufgabe für beide Seiten ist. In beiden Ad-hoc-Gruppen wurde jedenfalls eine Reihe von viel versprechenden Ansätzen präsentiert. Gleichwohl wurde aber auch deutlich, dass es einen als verbindlich angesehenen Kanon sexualsoziologischer Werke und Autoren (noch) nicht gibt. 

Literatur

  • 1 Lewandowski S. „I can't get no satisfaction“? Zum aktuellen Stand einer Soziologie der Sexualität.  Soziologische Revue. 2006;  29 15-25
  • 2 Lewandowski S. Die neosexuelle Revolution und die funktional differenzierte Gesellschaft. Eine Antwort auf Volkmar Sigusch.  Z Sexualforschung. 2007;  20 69-76
  • 3 Luhmann N. Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1982

Dr. S. Lewandowski

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