PiD - Psychotherapie im Dialog 2008; 9(4): 326-330
DOI: 10.1055/s-0028-1090058
Aus der Praxis

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Psychotherapie und Adipositas – eine schwierige Beziehung

Stephan  Herpertz, Martina  de Zwaan
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Publikationsdatum:
11. Dezember 2008 (online)

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Zusammenfassung

Adipositas als Bezeichnung eines Körpergewichts und Risikofaktors für eine Vielzahl von somatischen, aber auch psychischen Krankheiten bzw. Störungen sagt zunächst einmal nichts über ihre Genese und insbesondere die Frage von Ursache und Wirkung aus. Tiefenpsychologische Pathogenesekonzepte zur Adipositas, insbesondere im Hinblick auf Persönlichkeitsstrukturen bzw. -störungen, hielten keiner empirischen Überprüfung stand. Dennoch ist in der klinischen Versorgung eine Subgruppe adipöser Menschen auszumachen, deren Essverhalten z. B. die Funktion der Affektregulation hat und nicht selten auch als Ausdruck einer Impulskontrollstörung verstanden werden muss.

Verhaltenstherapeutische Elemente sind in der Regel Bestandteil jeder multidisziplinären Adipositasbehandlung. Davon ist trotz fließenden Übergangs die genuine verhaltenstherapeutische Psychotherapie einer primär seelischen Störung zu unterscheiden. Die längerfristigen Erfolge konservativer Gewichtsreduktionsmaßnahmen, wozu auch psychotherapeutische Verfahren im Allgemeinen und die Verhaltenstherapie im Besonderen zählten, sind unzureichend. Ca. 15 % der Patienten sind in der Lage, ihr reduziertes Gewicht dauerhaft zu halten. Das während der letzten Jahre zunehmend favorisierte Verständnis der Adipositas als chronische Erkrankung lässt insbesondere im Hinblick auf die tiefenpsychologische Psychotherapie eingedenk der Übertragungs- und Gegenübertragungsprozesse weniger ein konfliktorientiertes und unbewusste Abwehr- und Widerstandsprozesse berücksichtigendes Vorgehen sinnvoll erscheinen. Vielmehr steht die Krankheitsbewältigung des Patienten im Vordergrund einschließlich der Förderung seiner Ressourcen und der Stärkung seines Selbstwertgefühls.

Die Wirksamkeit der Psychotherapie, insbesondere der kognitiven Verhaltenstherapie bei der Binge-Eating-Störung ist im Hinblick auf die Essstörungssymptomatik, aber auch komorbider Störungen wie der Depression gut belegt, kaum wirksam ist sie allerdings im Hinblick auf Übergewicht und Adipositas.

Literatur

Korrespondenzadresse:

Univ.-Prof. Dr. med. Stephan Herpertz

Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, LWL-Klinik Dortmund, Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum

Marsbruchstraße 179

44287 Dortmund

eMail: stephan.herpertz@ruhr-uni-bochum.de