Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2008; 43(9): 586-594
DOI: 10.1055/s-0028-1090020
Fachwissen
Intensivmedizin
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Gestörte Homöostase in der Sepsis – Bedeutung und Therapie

Dysregulation of homoeostasis in severe sepsis: relevance and therapeutic optionsArmin Sablotzki, Marius G. Dehne, Elke Czeslick
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Publikationsdatum:
15. September 2008 (online)

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Zusammenfassung

Die schwere Sepsis als "whole body inflammation syndrome" führt zu einer nachhaltigen Beeinflussung nahezu aller Kaskadensysteme, Regelkreise und Funktionen des menschlichen Organismus. Ausmaß und Schwere und nicht zuletzt die Mortalität des Krankheitsbildes hängen dabei weniger von der Zahl und Aggressivität der eingedrungenen Pathogene ab, sondern vielmehr vom Grad der Homöostasestörungen auf Zell– und Organebene.

An der Initiierung des inflammatorischen Geschehens ist das Immunsystem mit seinen löslichen (Komplement–System, Akute–Phase–Reaktion, Zytokine) und zellulären Komponenten (Monozyten, Makrophagen, neutrophile und dendritische Zellen, natürliche Killerzellen) ganz wesentlich beteiligt, indem es einerseits die Effektoren einer überschießenden Entzündungsantwort und andererseits die Mediatoren zu anderen Regelkreisen (endokrines System, Gerinnung, Endothelfunktion) stellt. In den endokrinologischen Regelkreisen führt die schwere Sepsis zu einer Vielzahl von Störungen, die natürlich interindividuell und je nach Schwere des Krankheitsbildes erheblich variieren können: Im Rahmen des sogenannten neuroendokrinen Stress–Syndroms kommt es in der Akutphase zu einer Aktivierung der durch den Hypophysenvorderlappen vermittelten Funktionen, die in der chronischen Phase von einer reduzierten hypothalamischen Aktivierung mit verringerter Sekretion von Wachstumshormon, thyreoidstimulierendem Hormon, Prolaktin und luteinisierendem Hormon abgelöst wird. Daraus resultiert eine Minderaktivierung peripherer metabolischer Zielorgane.

Die therapeutischen Korrekturmöglichkeiten durch adjunktive Therapieansätze wie die intensivierte Insulintherapie, die Gabe von niedrig dosiertem Hydrokortison und die Gerinnungsmodulation mit Drotrecogin alfa (aktiviert) sind in ihren Stellenwert zwar noch umstritten, sollten unter Beachtung der nationalen und internationalen Leitlinien und Empfehlungen allerdings weiterhin für die differenzierte Therapie der septischen Heterostase eingesetzt werden.

Abstract

Severe sepsis and septic shock may have a lasting effect on all human endocrinologic, coagulatory and metabolic regulatory circuits with the consequence of severe dysregulation of homoeostasis. Adjunctive therapeutic options like intensive insulin therapy, low–dose hydrocortisone and modulation of coagulation by drotrecogin alfa (activated) are still controversial discussed, but should be used according to the national and international guidelines for a sophisticated treatment of septic heterostasis.

Kernaussagen

  • Die Pathophysiologie der schweren Sepsis wird auch heute noch häufig als rein inflammatorische Überreaktion des Immunsystems auf eine Infektion simplifiziert. Tatsächlich sind die klinisch darstellbaren Organversagen jedoch das Resultat einer komplexen Homöostasestörung nahezu aller Regelkreise und Kaskadensysteme des menschlichen Organismus.

  • Auch im neuroendokrinen System kommt es im Rahmen der Sepsis zu nachhaltigen Störungen: Die Kortisol–Synthese und die zirkadiane Rhythmik der Kortisol–Sekretion sind herabgesetzt; es kommt zur Hyperreninämie und zum Hypoaldosteronismus; die Synthese und Sekretion von Schilddrüsenhormonen sind gestört; die Vasopressin–Synthese ist vermindert; die Plasmakonzentrationen der männlichen und weiblichen Geschlechtshormone sind herabgesetzt; und der Glukose–, Fett– und Insulinstoffwechsel ist nachhaltig gestört.

  • Unabhängig von der vorherigen Kortisolbestimmung und/oder einem ACTH–Test sollte der Einsatz von niedrig dosiertem Hydrokortison nur bei jenen Patienten erfolgen, die trotz adäquater Volumen– und Katecholamintherapie den Schockzustand nicht überwinden.

  • Die intensivierte Insulintherapie ist bei niedrigen Zielwerten (6,1mmol/l bzw. 110mg/dl) mit einem hohen Risiko für hypoglykämische Episoden behaftet. Daher wird nun für Patienten mit schwerer Sepsis ein Zielwert von 8,3mmol/l (150mg/dl) unter Einsatz eines validierten Therapieprotokolls empfohlen.

  • Die Beeinträchtigung der Blutgerinnung variiert je nach Schweregrad der Sepsis von leichten Abweichungen der Gerinnungsparameter bis hin zu Verbrauchskoagulopathie und/oder disseminierter intravasaler Gerinnung (DIC). Es kommt zu einer gesteigerten Expression von Tissue Factor; Kontakt–System (Faktor XI + XII, Präkallikrein), Thrombozyten sowie das Endothel werden aktiviert und die Bildung natürlicher Gerinnungsinhibitoren (Antithrombin, Protein C, tissue factor pathway inhibitor) wird beeinträchtigt.

  • Drotrecogin alfa (aktiviert) sollte bei mindestens 2 Organversagen bzw. einem APACHE II–Score von 25 folgendermaßen eingesetzt werden: innerhalb von 48 Stunden 24μg/kgKG/h über 96h unter Beachtung der Kontraindikationen und Warnhinweise.

Literatur

Prof. Dr. med. Armin Sablotzki
PD Dr. med. Marius G. Dehne
PD Dr. med. Elke Czeslick

eMail: armin.sablotzki@sanktgeorg.de